- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Taktlos
Ich kann ihnen die Angst ansehen. Sie, es müssen an die acht Leute sein, versammeln sich um meinen Wagen und wollen hilfreich und nett - ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft - sein, doch die Furcht hindert sie daran.
„Früher warst du genauso“, sagt Kittie neben mir. „Nur ein Beobachter. Schön weit hinten, von wo aus du nur noch alles schemenhaft hast erkennen können.“ Sie haucht mir fast ins Ohr, so nah ist sie mir noch immer. „Das war doch auch kein Leben.“
Ich schweige und werfe dann einen kurzen Blick auf sie. Ihr Haar, ihr Make-Up, alles an ihr wirkt nur umso perfekter in dem vollkommen verunfallten Wagen. Ihr Sicherheitsgurt baumelt aus dem zersplitterten Fenster, mit einem Fuß, der nach wie vor in einem High-Heel mit 8-Zentimeter-Absätzen steckt stemmt sie sich fast grazil gegen die Mittelkonsole, um nicht den Halt zu verlieren und von dem Beifahrersitz zu rutschen. Immer wieder lässt sie Glassplitter zwischen ihre Finger der einen in die andere Hand rieseln.
Der Menschenmenge, die sich um uns versammelt, würdigt sie kaum eines Blickes.
"So hätte es nicht enden dürfen", sagt sie dann, schüttelt die Glassplitter in den Fußraum, legt ihre Finger auf meine Schulter und streichelt meine kalte Haut mit ihrem Daumen. Sie neigt sich zu mir und sieht mir in die Augen. Noch immer duftet ihre Haut nach Sonnenbräune, was ich mir natürlich nur einbilde.
Ich drehe mich von ihr weg und sehe aus dem Fenster. Ein junger Mann, gutaussehend mit seinen großen, dunklen Augen und den tiefen Grübchen im Mundwinkel, starrt mich an und fragt etwas. Vermutlich ist es eine Frage, denn seine Brauen wandern so weit nach oben, dass sie fast seinen Scheitel berühren. Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, doch mein Sichtfeld ist teilweise getrübt, ich kann den Blick nicht lange auf ihn richten.
"Nick einfach", sagt Kittie und bewegt mit ihren Fingern meinen Kopf überraschend sanft nach unten. "Du musst ihnen ja nicht unbedingt noch mehr Angst machen."
Die Stimmen der Menschenmenge, die sich um den Wagen drängt, werden lauter. Der Regen, der wenige Augenblicke zuvor noch in Sturzbächen über die Straße geflossen ist und dem Auto dabei geholfen hat, die Haftung zu verlieren, hat nachgelassen und es überrascht mich, dass so viele Menschen hier sind. Woher kommen sie überhaupt, wo doch die Straßen zuvor fast leer gewesen sind? Es muss weit nach Mitternacht sein.
Der junge Mann – er kann nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt sein - schiebt jetzt eine seiner Hände durch das zerbrochene Fahrerfenster und öffnet von innen die Tür. Kurz glaube ich, seine Worte - etwas von "helfen" und "Ihnen" - vielleicht zu verstehen, doch da fällt die Tür auf und der letzte Halt, den ich bisher noch verspürt habe, verschwindet und der Sicherheitsgurt ist alles, was mich von der Schwerkraft trennt. Er schneidet sich in meine Brust, ich kann kaum noch atmen. Mein eigenes ersticktes Keuchen und die Schmerzen in meiner Brust übertönen alles um mich herum.
"Du solltest ein bisschen die Augen schließen, damit du dich beruhigst", sagt Kittie und ich will sagen: Wie könnte ich jemals wieder ruhig sein?
Doch dann gehorche ich, wie es so meine Art ist.
***
Seine Stimme war tief und fest, seine Lügen konnten fast als Wahrheit durchgehen, als er sagte: "An dir liegt es nicht." Sein Kopfschütteln und der traurige Blick sollten die Worte unterstreichen. Es sollte mir zeigen, dass es auch ihm wehtat. Dass er sich nicht gern von mir trennte, aber einfach keine andere Wahl hatte, damit wir beide glücklich werden konnten.
Nur seine Lippen und Lider - sie verrieten ihn und zuckten, als hätte er, tief versteckt, doch ein Gewissen. So klein es auch sein mochte.
"Du hast es doch auch gemerkt", sagte er und wich ein paar Zentimeter zurück, "ich meine, dass es zwischen uns nicht mehr so ist, wie früher." Sein Blick fiel kurz auf den Küchenboden, die Hände klammerten sich an die Theke, so fest, als benötigte er tatsächlich Halt. Die Knöchel traten weiß hervor und die dunklen, drahtigen Haare auf seinen Handrücken wirkten auf der bleichen Haut fremd. Mit der Zunge leckte er sich immer wieder die Lippen. Als hätte er Angst, dass ich eine Szene machen würde. Dass ich ausflippen könnte. Dass ich labil wäre. "Oder?"
Nach einem kurzen Augenblick, in dem ich daran dachte, dass ihm wohl hier nicht bewusst war, dass jetzt keiner mehr – nicht seine Mutter, nicht ich – die dreckige Wäsche waschen, bügeln und sortiert in den Schrank legen würde, nickte ich.
"Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht mehr liebe. Es ist vielmehr, als ...", er rang theatralisch die Hände und hob die Stimme, "... als hätten wir uns einfach festgefahren."
Er blinzelte mehrmals schnell hintereinander und ich versuchte mich daran zu erinnern, ob er das schon einmal getan hatte. Ob er mich schon einmal so offensichtlich angelogen hatte. Ich konnte mich an nichts dergleichen erinnern, aber vielleicht spielte mir das Gedächtnis auch Streiche.
"Wir stecken in unserem Leben fest und bewegen uns nicht mehr vorwärts. Wir entwickeln uns nicht weiter, keinen Schritt. Ich langweile dich, das kann ich jeden Tag in deinem Gesicht sehen, wenn ich nach Hause komme. Und du langweilst mich. Das kannst du jeden Tag sehen, wenn du nachhause kommst."
Ich versuchte mich daran zu erinnern, welches meiner Lächeln ihm suggeriert hatte, dass er mich anödete. Vielleicht hielt er das, was für mich Beständigkeit war, für Langeweile.
Vielleicht waren wir einfach zu jung, wollte ich sagen, weil ich dachte, womöglich könnten diese Worte hier passen. Doch wieder nickte ich nur.
"Also sind wir uns in dieser Sache einig", sagte er. Und als hätte ich ihm auch nur mit einem Wort zugestimmt, überhaupt nur ein Wort gesagt, nahm er mich, überraschend sanft, an den Schultern, zog mich an seine Brust, die nach dem Duschgel roch, das ich gekauft hatte, und hauchte einen Kuss auf meine Stirn, so zart, dass ich mir nur einen Augenblick später nicht mehr sicher war, ob er mich denn tatsächlich berührt hatte. "Wir versuchen es auf diese Art." Sein Kinn ruhte auf meinem Scheitel. "Und vielleicht haben wir dann noch eine Chance."
Er schob mich genauso sanft wie er mich an sich gezogen hatte von sich und griff nach dem großen Koffer, der zu seinen Füßen stand. Wann er wohl den Koffer gepackt hatte, ohne dass ich es bemerkte hatte?
Hinter ihm flackerte das Küchenlicht, kurz darauf fiel eine der Glühbirnen aus - eine solche Empathie hätte ich nicht erwartet - und ich dachte: Glühbirnen auswechseln werde ich gerade noch schaffen, aber wie sieht es mit dem Aufbauen von Schränken aus? Mit Ikea-Regalen und den kleinen, unnützen Möbelstücken, die im Flur und der Garderobe stehen?
Und was ist mit ihm? Mit seiner Zahnpaste, seinem Haargel, den Rasierklingen – genau den richtigen mit genau der richtigen Anzahl an Klingen?
Es musste eine andere Frau geben. Andernfalls würde er diesen Annehmlichkeiten nicht den Rücken kehren.
Noch während ich darüber nachdachte und sämtliche Frauen, mit denen ich ihn je in einem Raum gesehen hatte, im Kopf durchging, verschwand er so leise aus der Küche, aus meinem Leben, dass ich sein Fehlen erst bemerkte, als er die Tür hinter sich mit einem leisten Klicken ins Schloss zog. Ich stand noch einige Zeit in der Küche, ging dann in den Dachboden, holte eine Glühbirne und tauschte sie, auf Zehenspitzen balancierend, gegen die defekte aus.
Anschließend ging ich in unser Badezimmer, das blitzte und glänzte und mit keinem Fleckchen verriet, wie lange wir es uns geteilt hatten. Ich nahm meine Medikamente zur Hand, drückte die Pillen alle einzeln aus der Verpackung und spülte sie die Toilette hinunter. Nach dem sechsten Spülen war auch die letzte Tablette verschwunden.
***
Als ich aufwache, hat sich meine Position verändert. Mein Rücken ist kalt und nass und über mit kniet der junge Mann mit diesen Augenbrauen.
"Sie ist wach!", schreit er über seine Schulter hinweg und zu mir sagt er, kaum leiser: "Der Arzt ist unterwegs!" Dieses Mal verstehe ich ihn. Mein Kopf ist viel klarer und die Welt nähert sich mit jedem Wimpernschlag.
Beim ersten Blinzeln sehe ich den Wagen - vollkommen hinüber.
Beim zweiten Blinzeln eine kleine Menschenmenge, die, geschäftig wirkend, um mich herum wuselt.
Beim dritten Blinzeln sehe ich Kittie.
"Das war so schrecklich dumm, selbst für dich." Ihre Stimme ist herablassend, besserwissend und amüsiert, alles in einem. Als würde sie einem Kind erklären, dass man nicht auf eine heiße Herdplatte fassen dürfte, nachdem es sich verbrannt hat.
„Ich wollte doch nur, dass du endlich verschwindest“, sage ich. Meine Stimme ist nur ein Krächzen und jede Silbe schneidet sich in meine trockene Kehle.
Der junge Mann über mir versucht wohl aus meinen Worten schlau zu werden, denn obwohl ich es nicht für möglich gehalten habe, wandern seine buschigen Brauen noch weiter nach oben und sind kurz davor, seinen Scheitel zu berühren.
"Der Arzt ist schon unterwegs", sagt er wieder, obwohl er sich sichtlich bemühen muss, ruhig zu klingen. "Lange kann es nicht dauern." Sein Lächeln wäre ein passendes Bild zu herzerwärmend, und seine Brauen vollführen wie Akrobaten die perfekte Bewegung zu jeder Silbe, obwohl mein linkes Auge es meinem rechten schwer macht, dem Schauspiel pausenlos zu folgen.
"Jetzt hast du den armen Jungen aufgeregt", sagt Kittie und tritt hinter ihn, um einen Blick auf seine Kehrseite zu werfen. "Zu schade, wirklich zu schade", murmelt sie dann kopfschüttelnd.
***
Mit dem Verschwinden der medikamentösen Ruhe und Gelassenheit, kam die Depression zurück. Wenn man unter Antidepressiva steht, ist es, als rolle man in einer großen, transparenten Blase durchs Leben. Alles ist noch genauso wie vorher, nur einfach ein wenig leiser. Setzt man die Medikamente ab, platzt die Blase nicht sofort. Aber irgendwann schaffen es viele Dinge durch sie zu dringen. Wie spitzige Kiesel, die einen an der Stirn treffen.
An dem Tag, an dem ich Kittie kennenlernte, saß ich weinend und vor mich hin flüsternd auf einer Parkbank in einer Ecke der Stadtallee, an der nur selten Passanten vorbei schlenderten und in der die Stadt daher das Gebüsch ein wenig zu üppig und den Boden ein wenig zu laubbedeckt ließ. Ich hatte gehofft, dort allein zu sein, als ich das mir so bekannte Brennen in der Brust bemerkt und mein Sichtfeld sich bereits verschleiert hatte - die Tränen überkommen einen einfach, in diesem Fall war der Grund eine Kollegin, die mit ihrem spitzen Kommentar „Neue Frisur?“ nur auf mein heute so schlecht sitzendes Haar hatte hinweisen wollen -, doch diese Frau setzte sich neben mich, schlug die Beine übereinander und seufzte laut auf. Meinen Blick hielt ich gesenkt, in der Hoffnung, die Tränen verbergen zu können, und sah, dass sie Peeptoes mit Zehn-Zentimeter-Absätzen trug und ich fragte mich, wie sie darin bruchfrei durch das Laub hatte gehen können.
"Morgen ist alles wieder besser."
Sie saß viel zu nah, unsere Schenkel berührten sich. Ich rutschte ein wenig von ihr weg. "Es ist alles in Ordnung", antwortete ich.
"Klar", sagte sie, "du hast nur was ins Auge bekommen."
"Genau."
"Hartnäckig, sowas."
"Kann einem das ganze Make-Up ruinieren."
"Von Augenringen ganz zu schweigen."
"Gott segne den Concealer."
Ein Taschentuch - keines aus Papier, sondern aus seidigem Stoff mit den Initialen KK in kindlichem Rosa eingestickt und vollkommen faltenfrei - wurde mir ins Gesicht gehalten. Als ich es nicht sofort ergriff, wedelte sie damit ein paar Mal wie ein Mädchen in den 20ern, dessen Liebster mit einem Schiff am Horizont verschwand, und sagte: "Nimm schon. Ich habe es ausschließlich für solche Situationen dabei." Mit kurzem Zögern griff ich danach und tupfte mir die Augen ab, äußerst vorsichtig, um zumindest den Rest der Mascara zu verschonen, der nicht bereits verlaufen war.
"Danke." Ich wollte es ihr zurückgeben und sah sie dabei zum ersten Mal an.
Sie war sehr groß, sogar im Sitzen, und trug das Haar zu einem perfekten Bob geglättet kurz im Nacken. Sie lächelte - ein Lächeln ohne Zähne, indem sie nur einen Mundwinkel nach oben zog. Es war ein leicht gehässiges Lächeln - als schmunzelte sie über einen Witz, den nur sie verstand.
"Ein Mann?", fragte sie, als sie das Taschentuch - beschmutzt mit einem Durcheinander aus Braun, Schwarz und Bordeaux - zurück in ihre Handtasche steckte. "Was frage ich, es ist doch immer ein Mann."
Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wollte mich nicht unterhalten, schon gar nicht mit einer Frau, in deren Gegenwart ich mir meiner Unzulänglichkeiten so schmerzhaft bewusst war. Sie hatte zu große Augen und zu schmale Schultern, als dass ich mich ihr hätte öffnen können. In ihrem Haar glänzte die Sonne, ließ es wie Lava wabern und mir war sofort klar, dass sie genau der Typ Frau war, der letztendlich und ursprünglich für meinen Schmerz überhaupt erst verantwortlich war.
Aber ich sagte nichts und so ließ sie mich eine Zeit lang weiter weinen, während sie neben mir saß, immer wieder das andere Bein übereinander schlug und mit ihren lackierten Fingernägeln imaginäre Fussel von ihren Jeans zupfte.
Irgendwann hörte ich auf zu weinen und dann sagte sie: "Ich würde ja gern sagen, dass die Zeit alle Wunden heilt. Aber um ehrlich zu sein: das einzige, was wirklich hilft, ist ein klein wenig Rache."
***
"Oh mein Gott!", schreit jemand.
"Sie haben uns gefunden", sagt Kittie und lässt sich lässig im Schneidersitz neben mir nieder. "Das bedeutet wohl, dass die Zeit knapp wird."
Ich atme schwer aus, was ein Lachen sein soll. "Knapp ist wohl sehr großzügig bemessen."
Außerhalb meines Blickfelds fängt eine Frau an zu kreischen. So laut, dass meine Ohren klingeln.
Selbst jetzt macht sie mir noch Ärger.
***
Er hielt mit seinem neuen Wagen - ein BMW Cabriolet, sehr protzig und sehr in der Sonne glänzend - vor unserem Haus und nahm, während er ausstieg, die Sonnenbrille ab. Wie ein Filmstar steckte er sie sich in den Hemdausschnitt und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Er blickte in die Sonne - es war alles äußerst theatralisch - und ging dann, das traurige, mitleidige Lächeln austestend, auf unsere Haustür zu.
Ich beobachte seine Darbietung durch das Küchenfenster.
Die oberen drei Knöpfe seines Slimfit-Hemdes standen offen, seine Brust war rasiert und die umgekrempelten Ärmel zeigten Solariumbräune. Sie war nahtlos, da war ich mir sicher.
In seinen Schuhen und der Brille spiegelte sich das Sonnenlicht und blendete mich, als er den kleinen Weg zum Haus herauf schlenderte, seinen Schlüssel aus der Tasche zog und damit einen Augenblick lang vor der Tür verharrte. Dann überlegte er es sich anders, steckte den Schlüssel wieder ein und drückte zögerlich auf die Klingel. Wie ein Fremder.
Dieser Scheißkerl.
Ich ließ mir einen Moment lang Zeit, saß einfach auf einem Küchenstuhl, zählte mehrere Sekunden ab und ging dann langsam und bedacht leise zur Haustür, doch als ich sie öffnete, saß das traurige Lächeln, in Perfektion ausgeführt, bereits auf seinen Lippen.
"Schatz", sagte er und in seiner Stimme lag triefendes Mitgefühl. Mir wurde übel. "Wie - geht - es - dir?" Er zog jedes seiner Worte in die Länge. Wahrscheinlich, um mir zu zeigen, wie traurig er über all das war.
Ich nickte nur: "Es geht mir gut. Deine Sachen stehen in der Diele." Ich drehte mich um und ging vor, als müsste ich ihm die Diele zeigen, in der er in den letzten neun Jahren seine Schuhe abgestellt hat. "Naja, alles, außer der Kreissäge."
Mit den Händen in den Hüften blieb ich vor den Kisten - die ich, fein säuberlich, mit seinem Namen beschriftet und durchnummeriert hatte - stehen.
"Die kann ich sowieso im Moment nirgends abstellen." Er sah sich um und ich glaubte, er war einen Augenblick lang traurig. "Und einen Holzofen habe ich auch keinen mehr." Erneut machte er eine Pause und ließ dabei seinen Blick über seine Habseligkeiten streifen. "Das ist alles."
Es klang nicht nach einer Frage, aber ich nickte wieder. "Wenn du die Kisten in deinem neuen Auto mitnehmen willst, hast du wohl ein paar Fahrten vor dir."
"Ein Freund von mir hat einen Transporter, mit dem er die Kisten zu uns bringt. Er müsste eigentlich längst da sein, aber ..."
In der Küche fiel Besteck zu Boden und er fragte: "Hast du Besuch?", während er sich zur Küche umdrehte.
Ich schüttelte leicht den Kopf. "Nur eine Freundin."
Uns. Ich hatte es gewusst. Und bereits nach so kurzer Zeit - nach uns - waren sie ein wir.
"Wie lange wirst du brauchen?"
Er sah mich wieder an, dann die Kisten. "Hast du alles allein gepackt? Ich hätte das doch ..."
"Kein Problem. Ruf einfach, wenn du fertig bist, dann kannst du mir den Schlüssel geben." Ich drehte ihm den Rücken zu, schritt erhobenen Hauptes, jedoch nicht ganz so filmreif wie er, in die Küche und schloss die Tür hinter mir.
"Hast du ihm sein Zeug hingeworfen?", fragte mich Kittie, die hinter der Tür stand, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Ihre Stimme war leise und sanft, als wollte sie nicht, dass er uns hörte.
Ich schüttelte den Kopf. "Nicht direkt geworfen ..." Sie winkte ab. Ihre Nägel glitzerten in der Sonne, die durch das Küchenfenster fiel. Der kleine Transporter parkte in diesem Augenblick hinter dem BMW, so nahe, dass ich hoffte, der eine würde das Heck des anderen eindrücken. "Metaphorisches Werfen reicht völlig aus."
Während die beiden Männer schnauften und stöhnten, saßen Kittie und ich in der Küche, tranken einen Café Latte nach dem anderen, flüsternd und immer mit einem Ohr durch die angelehnte Küchentür lauschend. Als sie gerade die letzten beiden Schachteln in den Transporten drückten - ich hatte die Kartons mitgezählt - ging Kittie zur Toilette.
"Du solltest dir die Nägel lackieren", sagte Kittie, während sie zur Tür ging.
"Wieso?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Das kommt so gelangweilt."
***
Der junge Mann hat sich von mir zurückgezogen. Vermutlich hat er Angst. Vielleicht nicht direkt vor mir, aber auf jeden Fall vor der Situation, in die ich diese netten, normalen Menschen gebracht habe.
Eine Reaktion auf so etwas lernt man in keinem Kurs auf der Volksschule.
"Das wäre alles nicht nötig gewesen", sagt Kittie. Sie sitzt wieder im Schmetterlingssitz neben mir, die Knie in den Boden gedrückt, die Hände wie zum Gebet gefaltet, die Augen halb geschlossen, als wäre sie dabei, ihre Yoga-Übungen zu machen.
"Du hast es herausgefordert", sage ich leise, um die Gruppe um mich herum nicht noch mehr zu verängstigen. "Das war alles ganz allein deine Schuld. Hättest du nicht ..."
"Ich wollte dir wirklich nur helfen."
Ich lache.
"Das meine ich ernst", sie beugt sich nahe zu mir. "Vielleicht nicht am Anfang, da wollte ich nur wissen, wer sie war. Aber später ...", ihre Lippen sind so nah an meinem Ohr, dass ich ihren Atem spüre, obwohl das nicht sein kann, "... da habe ich dich wirklich lieb gewonnen."
***
"Hier wohnt sie", sagte Kittie und schob sich mit der Sonnenbrille das Haar aus der Stirn. Wir befanden uns in einer kleinen Siedlung mit mehreren spiegelverkehrten Doppelhaushälften ohne Garten, die sich innen wahrscheinlich nur durch die Menschen auf den Fotos unterschieden. Sie deutete auf eines an der Ecke, aus dessen Briefkasten mehrere Prospekte ragten.
"Die Schlampe", stellte ich fest.
"Genau die."
"Sein BMW steht da drüben", ich nickte in die Richtung des Wagens. "Welches, denkst du, ist ihr Auto?"
Kittie zuckte mit den Schultern. "Vermutlich irgendein Kleinwagen. Sie hat sicher keiner Kinder."
Natürlich nicht, denn dafür würde mein Mann mich nicht verlassen. "Sowas wie ein Smart?"
"Oh ja", sie lachte laut auf, "das würde zu ihr passen, ein Smart."
Ich sah mich um. Da stand tatsächlich ein Smart. Ein zitronengelbes, winziges Ding, nur ein paar Meter hinter dem BMW geparkt.
"Woher weißt du, dass sie hier wohnt?"
Kittie lächelte und senkte verschwörerisch ihre Stimme. "Ich bin ihm gefolgt."
Ich war überrascht. "Wann?"
"Ich habe ihn gestern am Stadtplatz parken sehen und da war sein Parkzettel schon fast abgelaufen ...", sie zuckte wieder mit den Schultern, "Sein Auto ist so verdammt protzig und echt nicht zu übersehen."
Einen Augenblick lang dachte ich nach, dann fragte ich: "Hast du sie auch gesehen?"
Sie sah mich nicht an, nickte aber langsam.
"Hm." Ich wollte fragen: Wie sieht sie aus? Ist die hübscher, schlanker, jünger als ich? Ist sie es, verdammt noch Mal, wert, dass er mich ihretwegen verlassen hat? Aber eine Antwort darauf wollte ich eigentlich nicht. "Wollen wir ihr Auto zerkratzen?", fragte ich stattdessen.
"Ich weiß nicht sicher, dass der Smart ihrer ist. Wir wollen doch nicht in ein Auto Hure kratzen - schön mit ein paar Blitzen versehen, damit es auch wirklich nicht zu unauffällig ist - mit dem Oma ihre Enkel vom Kindergarten abholt."
Ich kicherte. "Ihren Enkel, Singular. Das Auto hat nur zwei Sitze."
"Gut: Ihren Enkel vom Kindergarten abholt. Wenig befriedigend, oder?"
Ich seufzte theatralisch.
"Stattdessen", begann sie und nahm dann einen großen Schluck von ihrem Latte, "sollten wir uns um sein Auto kümmern."
Man glaubt kaum, wie gut es sich anfühlt, ein paar Nägel aus dem nächsten Baumarkt so unter den Hinterreifen eines Autos zu drapieren, dass der Fahrer keine zwanzig Meter weit mehr damit kommt, wenn man es nicht zumindest einmal selbst versucht hat.
***
Heutzutage könnte man fast glauben, dass Verbrechen nichts Persönliches mehr sind.
Datendiebstahl, gegen Berge gelenkte Flugzeuge und U-Bahn-Bomben? Falsche Zeit, falscher Ort; tut mir Leid, dass es ausgerechnet dich getroffen hat. Als gäbe es keine giftspuckenden Ehefrauen mehr, keine gehörnten Ehemänner, die die Schlampe und den Hurensohn mit einem Küchenmesser abstechen.
Wahrscheinlicher ist nur, dass diese Dinge niemanden mehr interessieren. Zu häufig, zu alt, zu gewöhnlich.
Ganz nett, aber dafür haben wir keinen Platz mehr auf Seite eins.
Zerstückeln wollte ich eigentlich niemanden. Aber der Kofferraum eines Cabrios ist wirklich winzig.
***
Ich verbrachte nicht jeden Augenblick mit Kittie. Aber ich war es nicht gewohnt, abends allein zu sein - allein fernzusehen, allein zu schlafen, ja, sogar allein ein Buch zu lesen; die Stille kann einen in den Wahnsinn treiben - und so saß ich manchmal vor dem Haus der anderen Frau und beobachtete die beleuchteten Fenster und die Schatten, die sich ab und an hinter den Vorhängen abzeichneten. Ich saß in meinem Auto - die Scheiben herunter gefahren, die kühle Sommernachtluft blies mir um die Nase und zerzauste mein Haar, es roch sehr frisch, was mich ärgerte, denn es passte nicht zu dem, wie ich mich fühlte - und wartete. Ich wollte sie nicht direkt sehen, vor allem nicht zusammen, aber ich wollte mir einfach sicher sein, während ich so dasaß, den Sitz nach hinten gefahren, mit den Händen an einem großen Kaffee festhaltend, dass es wirklich wahr war.
Dass ich meinen Mann mit eigenen Augen in die linke Haushälfte gehen sah, war letztendlich nur eine Frage der Zeit.
An dem Tag, an dem ich in ihre Wohnung einstieg, war ich allein. Ich wollte sehen, wie sie lebte, welche Kleider sie im Schrank hatte. Ich wollte, verdammt noch Mal, wissen, wer sie war.
Kittie erzählte ich davon nichts. Ich vermutete, dass selbst für sie damit ein gewisser Punkt überschritten gewesen wäre.
Ich schlug eines der Fenster auf der Gartenseite mit dem Nothammer aus meinem Auto ein. Es waren fünf kräftige Schläge notwendig - meine Schulter schmerzte fast zwei Tage lang danach noch immer -, um tatsächlich durchzubrechen. Der Krach war unglaublich - weniger das Zerbrechen des Glases, als die harten, glockenhellen Schläge an sich - so laut hatte ich es mir nicht vorgestellt. Sie haben dich gehört, es kann gar nicht anders sein, dass jeder, der sich auch nur in der Nähe aufhielt, es gehört haben muss - und so zog ich mich schnell in mein Auto zurück, setzte mich auf den Fahrersitz und studierte, im Schein einer Straßenlaterne, die Einkaufsliste auf meinem Handy, als würde das, was dort stand, meine ganze Aufmerksamkeit besitzen.
Nachdem ich gut dreißig Minuten vor dem Haus gewartet und weder Nachbarn, noch die Polizei gesehen hatte, ging ich zurück zum zerbrochenen Fenster und stieg ein. Ich trug meine steifen Wildlederhandschuhe - ein Weihnachtsgeschenk meines Mannes, was mir besonders passend erschien - und schaffte es, ohne mich zu verletzen, einzusteigen. Drinnen schaltete ich das Licht an, was mir weit weniger verdächtig vorkam, als mit einer Taschenlampe zu leuchten.
Die Einrichtung war karg bis minimalistisch - kalte Farben und scharfe Kanten überall; das Sofa, riesig und aus grauem Kunstleder, lag dort wie ein gestrandeter Wal. Der Fernseher wirkte klein, obwohl er es nicht war, wie er dort wie ein Gemälde an der kahlen Wand hing, und die Schränke, die alle offen waren, beherbergten weder Fotos, noch die Kleinigkeiten, die man nur zu gerne darin abstellte.
Ich sah mir die Regale genauer an, schob DVDs und Bücher - Ratgeber zum Selbstcoaching und Gewichthalten - beiseite und suchte nach etwas Persönlichem. Doch außer einem nicht eingelösten Rezept über die Anti-Baby-Pille – wahrscheinlich wollte sie ihm ein Kind anhängen - und einem Paar rosafarbener Hausschuhe wurde ich nicht fündig.
Ich ging ins gegenüber liegende Badezimmer. Auch hier fand ich nichts Kompromittierendes, die beigen Handtücher hingen, fein säuberlich nach Hotelmanier zu Spitzen gefaltet, am Halter und der Toilettendeckel war geschlossen. Im Schränkchen standen keine auffälligen Medikamente - keine Aufputsch- und Schlafmittel und keine Antidepressiva. Vermutlich war das Miststück einfach immer fröhlich und konnte schlafen, wie ein Baby - und das, obwohl sie meine Ehe zerstört hatte.
Ich ging in das Schlafzimmer, kramte ein wenig in ihrer Unterwäsche und bestätigte damit meine Vermutungen - winzig und aus Spitze - bevor ich mich, enttäuscht und müde, ich hatte bereits über eine halbe Stunde lang nach auch nur einen winzigen Hinweis gesucht, auf das frisch gemachte Bett fallen ließ.
Dann zuckte ich zusammen.
Ich konnte ihn riechen. Den sanften Duft seines Rasierwassers, der sich immer wie ein Umhang um seine Schulter gelegt hatte, wenn er morgens aus dem Bad gekommen war und mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte. Sein Duschgel, das fast nur nach Seife und Sauberkeit roch.
Und seinen Eigengeruch. Man kann nicht neun Jahre mit einem Mann zusammen leben und diesen Geruch nicht sofort erkennen.
Ich sprang auf, packte die Bettdecke, warf sie durch das Schlafzimmer und zog keuchend und ächzend die Matratzen vom Rost, bevor ich gegen die Latten trat und sie mit einem lauten Kreischen zersplitterten. Die Nachttischlampe schleuderte ich gegen das Fenster. Sie schlug laut und dumpf auf und zerbrach erst auf dem Boden in unzählige, nadelfeine Splitter. Das dicke Taschenbuch warf ich gegen den Kosmetiktisch, wobei der Spiegel überraschend standhielt. Als ich gerade ausholte, um einen Parfumflakon auf dem Boden zu zerschmettern, hörte ich nebenan Schritte und Klopfgeräusche und bekam plötzlich Angst, dass mich jemand gehört hatte. Die Nachbarn konnten die Polizei rufen und noch wollte ich nicht so tief sinken, festgenommen zu werden.
Ich: die vollkommen durchgeknallte Ehefrau. Kein Wunder, dass er die verlassen hatte.
Ich wischte mir die Tränen von den Wangen, sammelte die Handschuhe ein, die ich in meiner Raserei ausgezogen hatte und wollte gerade aus dem Schlafzimmer stürmen, - nicht, ohne mit einem Tritt noch die Stehlampe mit romantischem Dimmer umzuwerfen - als ich auf dem kleinen Schminktisch ihr Portmonee sah. Ich verharrte, griff danach, öffnete es und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Ein paar Geldscheine, verschiedene Karten - Konto-, Kredit- und Sammel-Karten - sowie ein klein zusammengefaltetes Foto verteilten sich auf dem Tisch. Einen Augenblick lang zögerte ich, doch dann nahm ich das Foto und faltete es auseinander.
Es war ein Foto von ihr. Und sie war hübscher, schlanker und jünger als ich. Doch neben ihr, den Arm um die schmalen, fast jungenhaften Hüften gelegt, stand nicht mein Mann.
Sondern ich.
Dieses Mal hatte das Leben beschlossen, einen verdammt großen Stein nach mir zu werfen.
***
"Du bist mir ans Herz gewachsen. Unter deinen Selbstzweifeln und den Hass auf die Frau, für die dein Mann dich verlassen hatte, bist du ein fast liebenswertes Ding. Ich bin mir sicher, du hättest einen anderen gefunden."
Ich lache wieder. "Die Frau?"
Mir ist schrecklich kalt. Obwohl jemand eine Decke über mir ausgebreitet hat, zittere ich am ganzen Körper. Ich glaube, der Schock setzt ein oder lässt nach - mein Ersthelferkurs liegt lange zurück -, denn mir wird plötzlich übel und ich wünsche nur noch, mich - allein und vor aller Augen geschützt - übergeben zu können. Zu Hause. In meinem Haus, das still ist und warm und nach Zimt duftet und in dem mein Badezimmer blitzt und glänzt.
Aber wenigstens schreit jetzt niemand mehr.
***
Ich sprach sie nicht darauf an, denn was hätte ich zu ihr sagen sollen?
Wir gingen nach wie vor Kaffee trinken, schrieben unsere täglichen Nachrichten - wobei ich jedoch eisern auf jegliche Smileys verzichtete, was Kittie, sehr zu meinem Bedauern, nicht zu bemerken schien - und hielten unsere Yoga-Termine zwei Mal pro Woche ein, bei denen wir nebeneinander unsere Sonnengrüße absolvierten.
Mit einem Schlag hatte sie mir nicht nur den Mann, sondern auch die beste Freundin genommen.
Als wäre alles, worauf sie aus gewesen war, mich komplett zu vernichten.
Den Einbruch bei ihr zu Hause erwähnte sie mit keinem Wort. Ich erfuhr nie, ob sie erschüttert gewesen war, als sie nach Hause gekommen war und das zersplitterte Fenster und das Durcheinander in ihrem Schlafzimmer vorgefunden hatte. Ob sie wütend gewesen war, ob sie Angst gehabt hatte.
Oder ob sie wusste, dass ich es gewesen war.
Ich fing an sie noch mehr zu verabscheuen, als die Frau, die mir meinen Mann gestohlen hatte.
"Das sieht großartig aus", sagte Kittie, als sie hinter mir stand und über meine Schulter in den Topf lugte. "Ich würde auch gern kochen können." Sie drehte sich um, schlenderte, während sie an ihrem Kaffee nippte, Richtung Theke und ließ sich auf einen der Stühle sinken. "Mittlerweile wäre das ja sogar wieder en vogue."
Zaghaft wurde es draußen dunkel. Der Himmel zog sich zu, bald würde es regnen. "Das kann man lernen", sagte ich dann kurz angebunden. Mit keiner Reaktion hatte sie bisher verraten, ob ihr auffiel, dass ich mich ihr gegenüber kühler verhielt. Ich bemühte mich, dass sie es nicht bemerkte, aber eine gute Schauspielerin war ich - mit meinen Weinkrämpfen in der Toilettenkabine auf der Arbeit und den Nächten voller Schlaflosigkeit und eingebildeter Atemnot, seit ich meine Medikamente abgesetzt hatte - noch nie gewesen.
Wir hatten bereits oft zusammen zu Abend gegessen, wobei immer ich gekocht hatte, und so hatte sie sofort zugestimmt, als ich sie eingeladen hatte. "Klar, gern", hatte sie gesagt und dann hinzugefügt: "Aber fettarm", und gelacht.
Es klingelte und ich legte den Kochlöffel auf den Rand des Topfes, um mir die Hände zu waschen. "Ich gehe schon", sagte ich, als ich sie an einem Spültuch trocknete, den Dunstabzug hochdrehte und zur Tür ging. "Lass es nicht überkochen", rief ich Kittie noch über meine Schulter zu und ging zur Haustür.
Mein Ehemann hatte ebenfalls ohne merklichen Argwohn zugestimmt, als ich ihn darum gebeten hatte, meine bestens funktionierende Spülmaschine zu reparieren, wobei ich an seine technischen Fertigkeiten appelliert und meine weibliche Ungeschicklichkeit - er respektierte die Geschlechterrollen - vorgeschoben hatte. „Natürlich helfe ich dir aus“, hatte er gesagt und ich hatte durchs Telefon spüren können, dass ihm beinah ein Stein vom Herzen gefallen war, dass ich ihm die Hand dazu reichte, sein Gewissen zu erleichtern.
Jetzt begrüßte er mich mit einem Lächeln und kurz fühlte ich die alte Zuneigung in der Magengegend, die sich wie eine Faust um mein Innerstes schloss - aber nur kurz.
Er sah gut aus. Hat er immer getan, in jedem Augenblick. Was vielleicht einer der Gründe war, aus denen ich nicht überrascht hätte sein sollen, dass er es nicht allzu lange bei nur einer Frau aushielt.
Der Himmel war sehr düster geworden, in seinem Hemdkragen steckte heute keine Sonnenbrille. Auch das Lächeln wirkte nicht mehr allzu aufgesetzt und ich fragte mich, ob ich ihn wirklich nicht mehr zurückbekommen könnte.
Fast hätte ich ihn wieder fortgeschickt.
"Danke", sagte ich dann, "ich bin ohne Spülmaschine aufgeschmissen."
Er schlüpfte aus seinen Schuhen, indem er sie mit den Zehen abstreifte und sich dabei leicht auf meine Schulter stützte,- ganz so, als hätte sich zwischen uns nicht alles verändert - und ging dann den Flur entlang. "Das riecht gut. Hast du gekocht?" Seine Füße erzeugten auf den Fliesen den mir aus vielen Jahren bekannten Laut: ein leichtes Stampfen, gefolgt vom Rascheln seiner Jeans. Bmpf – schtscht. "Da bekomme ich richtig Hunger."
Und ich Anflüge von nostalgischen Gefühlen.
Ich hatte nicht wirklich etwas geplant. Zu Beginn wollte ich nur wissen, wie sie reagieren würden. Würden sie sich bei mir entschuldigen? Dafür, dass sie mich beide auf ihre eigene Art so hintergangen hatten, ganz so, als hätten sie versucht, mich systematisch zu zerstören? Oder hatte er etwa gar nichts von Kitties und meiner Freundschaft gewusst?
„Wir sollten uns um seine Arbeit kümmern!“, rief plötzlich Kittie aus der Küche und ich befürchtete schon, die Bombe würde platzen, ohne dass die Schrapnelle beide richtig erwischen würden. Aber er sah mich nur an, fragte: „Hast du Besuch? Störe ich?“, während ich lächelnd – zu viele Zähne, du zeigst zu viele Zähne - und Kittie lachend und außer Sicht fortfuhr: „Ihn vielleicht auf Facebook auf kompromittierenden Fotos markieren, alá: Abteilungsleiter eines angesehenen Maklerbüros bei Lapdance in Stripclub!“
Aber er ging ohne zu stocken weiter, als hätte er keine Ahnung, worum es hier ging. Als gäbe es in dieser kleinen Stadt so viele Maklerbüros und so viele Möglichkeiten für Lapdances. Und als gäbe es in seiner Vorstellung keine Möglichkeit, dass er, die alte und die neue Frau sich tatsächlich in ein und derselben Realität befinden könnten.
Aber vielleicht war auch der Dunstabzug wirklich laut genug.
Erst als er die Tür öffnete – ich befand mich nur wenige Zentimeter hinter ihm – konnte ich sehen, wie der Groschen fiel und er erstarrte. Sein Rücken versteifte, seine Schultern hoben sich und in seinem Nacken breitete sich eine dunkle Röte aus, wanderte wie Nebel in den Kragen seines Hemdes.
Kittie dagegen ... ihr Lächeln wurde wie von einer Ohrfeige aus ihrem Gesicht gewischt und sie sprang förmlich von dem Küchenstuhl auf, auf dem sie mit angezogenen Knien gesessen hatte. Er fiel um und erzeugte dabei ein so lächerlich lautes Geräusch, dass mein Mann zusammenschrak und ich anfing zu kichern.
Ich schob ihn mit meinem Körper sanft in die Küche und schloss dir Tür hinter mir. Ich erinnere mich daran, dass ich den Schlüssel umdrehte und ihn in meine Tasche steckte, aber dass ich mich dazu entschied, abzuschließen – daran erinnere ich mich nicht.
Obwohl draußen die Straße rauschte und drinnen der Dunstabzug, wirkte es vollkommen still, als ich zur Theke zurück ging, das Küchenmesser nahm und damit anfing, Tomaten zu vierteln.
Eine lange Zeit lang passierte nichts.
Der Dunstabzug saugte vor sich hin – ich fühlte mich, als würde ich neben dem Triebwerk eines Flugzeuges stehen - und die Soße spritzte über den Rand, hinterließ überall rote Flecken. Ich stellte die Herdplatte zurück. Draußen begann es zu regnen.
Als ich mich zu den beiden umdrehte, sah ich, dass sie sich nicht bewegt hatten. Mein Mann stand an der Tür und starrte Kittie an. Kittie stand breitbeinig über dem umgefallenen Barhocker und starrte mich an.
Ich ließ meinen Blick zwischen den beiden hin und her wandern.
"Vorstellen muss euch einander wohl nicht", sagte ich dann zu Kittie und lächelte.
Ich glaube, es waren die Ausreden, die mich wirklich wütend machten. Hätten sie alles zugegeben – die Affäre, die Frechheit, die sie besessen hatten – wäre nichts weiter passiert. Wahrscheinlich.
Ich wusste von ihnen und von ihrem Spiel. Sie wussten, dass ich es wusste – und trotzdem weigerten sie sich, es zuzugeben.
Stattdessen wollten sie den Spieß umdrehen.
„Was macht der denn hier?“, fragte Kittie und versuchte die Farce aufrecht zu erhalten, in dem sie ihn, ganz die Verbündete, anfunkelte, als würde sie ihm jeden Augenblick die Augen auskratzen.
„Was soll das?“, fragte mein Mann, wütend. Als wäre es eine Unverschämtheit, was auch immer ich vorhatte. „Warum lädst du uns hier ein? Woher kennst du Kathrin überhaupt?“ Er kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, als würde er mit einem ungezogenen Kind sprechen.
„Was, zum Teufel, macht er hier!“, schrie Kittie wieder und flüchtete zur anderen Seite der Küche.
„Was hattest du dir davon nur erhofft“, sagte mein Mann, wisperte es fast, seufzte dann laut auf und drehte sich zur Tür. „Wenn du es wissen willst: Das ist der Grund. Du musst aus allem ein Drama machen. Das ist der Grund für alles.“
Ich dachte an all die Abende voller angeblicher Überstunden. An fleckige Unterhosen und parfümierte Hemden, die ich kommentarlos gewaschen hatte und dann dachte ich an die Glühbirne.
Bisher hatte ich aus nichts ein Drama gemacht.
Ich griff nach dem Küchenmesser. Meine Hand schloss sich fest um den Griff, so weit vorne, dass ich mir den Handballen damit aufschnitt und aufstöhnte.
„Was hattest du nur vor“, sagte mein Mann kopfschüttelnd, griff hinter sich und drückte die Klinke hinunter, ohne die Tür zu öffnen. Er sah mich an und in seinen Augen sah ich das, was ich nicht mehr ertragen konnte: Mitleid.
Ja, was hatte ich vor?
Im nächsten Augenblick steckte das Messer in seiner Halsbeuge und er stürzte keuchend zu Boden. Er landete auf meinem Fuß und ich schreckte, fast angewidert, zurück und schüttelte seine Finger ab, die sich – allerdings schwach, sehr schwach – um meinen Schuh zu klammern versuchten.
Es vergingen einige stille Augenblicke, in denen niemand etwas sagte: Ich nicht, Kittie nicht und er ... nun ja, er auch nicht mehr.
„Oh Gott“, stöhnte Kittie und als ich mich zu ihr umdrehte, sah ich, wie sie ihre Hand mit den perfekt lackierten Fingernägeln vor den Mund hielt – die Augen riesig und kurz vorm Überquellen. Es könnte auch nur Einbildung gewesen sein, doch es kam mir vor, als hätte ich in ihren Augen tatsächlich Leid gesehen, nicht nur Schock.
Für Letzteres hätte ich ja Verständnis gehabt. Schließlich war ich selbst von meiner Reaktion auch äußerst überrascht. Aber Schmerz? Leid?
„Großer Gott …“ Ihre ganze Reaktion kam mir äußerst theatralisch vor. Es war schließlich nicht ihr Mann. Sie, ausgerechnet sie, hatte kein Recht zu leiden.
Als Kittie ihre Lethargie abschüttelte und auf ihn zustürmte – er, von dem nur noch, das sah man sofort, der Körper übrig war, der Rest war schon komplett verschwunden -, packte ich sie am Oberarm und zog sie von ihm weg. Sie schrie auf – ihre Fingernägel gruben sich in meine Schulter, als sie sich loszureißen versuchte – und ich stieß sie so heftig zurück, einfach nur weg von ihm, dass sie, einige Schritte rückwärts stolpernd, über den Küchenstuhl fiel, sich den Kopf an der Theke aus Granit anschlug – als würde eine Grapefruit auf den Boden fallen, ohne zu zerplatzen – und ebenfalls zu Boden stürzte.
Und immer noch dröhnte der Dunstabzug, vollkommen unbeeindruckt.
***
Es fängt wieder an zu regnen. Mein Haar wird immer schwerer und mir ist so kalt, dass ich meine Füße nicht mehr spüren kann.
Ich drehe mich auf den Bauch und versuche mich aufzusetzen. Mehrmals verlieren meine Hände den Halt im feuchten Gras und die Decke, die man über mich gelegt hat, umschlingt mich, hält mich fest an Ort und Stelle, als wolle sie mich am Flüchten hindern. Doch beim vierten oder fünften Versuch schaffe ich es schließlich.
Der Überschlag hat meinen Gleichgewichtssinn gestört. Obwohl ich mich so leicht wie ein Grashalm fühle, sind meine Beine noch leichter und schaffen es nicht, mein Gewicht zu tragen. Immer wieder stürze ich zu Boden.
Fünf oder sechs Leute stehen um mich herum – alle jedoch halten mehrere Armeslängen Abstand, als würden sie befürchten, ich könnte sie, kämen sie nur ein wenig näher an den unsichtbaren Käfig, wie ein Löwe durch die Gitterstäbe hindurch angreifen. Keiner von ihnen sagt etwas. Sie sehen mich nur an, voller Angst, Entsetzen und Ekel. Einem Mädchen hängt Spucke im Mundwinkel und ich kann den sauren Geruch von frisch Erbrochenem wahrnehmen.
Wenn sie doch nur die ganze Geschichte kennen würden. Jeder von ihnen würde mich verstehen.
***
Ich geriet in Panik.
Ich will nicht behaupten, dass ich einen Blackout hatte - ich wünschte wirklich, es wäre so -, aber ich wüsste nicht, dass ich mich tatsächlich dazu entschlossen habe, die beiden zu zerstückeln.
Dass sie tot waren war vollkommen eindeutig. Das japanische Küchenmesser steckte noch immer bis zum Heft in seinem Hals - es hatte mich tatsächlich kaum mehr Anstrengung gekostet, als eine alte Tomate zu vierteln - und dann war da das Loch in ihrem Kopf und das viele Blut auf dem Boden …
Nein, lebendig sahen sie beileibe nicht mehr aus.
Und ich denke, hätte er seine verdammte Kreissäge, diesen Beweis seiner Männlichkeit, während unserer Beziehung nicht so oft erwähnt, wäre ich vermutlich auch nie auf die Idee gekommen. Wahrscheinlich hätte ich eine Tasche gepackt und wäre in meinem eigenen Auto verschwunden. Nur wenig später hätte sich der Eingangskorb auf meinem Schreibtisch gefüllt, bis nichts mehr darin Platz gefunden hätte und allmählich hätte man mein Fehlen auf der Arbeit bemerkt. Jemand hätte bei mir angerufen, aber ich wäre nicht ans Telefon gegangen. Wenig später wäre jemand zu mir nach Hause gekommen und hätte an die Tür geklopft. Vielleicht hätte dieser Jemand bemerkt, dass Reklamezettel meinen Briefkasten verstopften und wäre dann, bereits einen leisen, unbestimmten Verdacht hegend, um mein Haus gegangen und hätte durch die Fenster gelugt. Und dabei hätte er sicher die beiden Leichen in meiner Küche bemerkt, die wahrscheinlich schon jetzt dabei waren sich zu zersetzen.
Mein Mann und eine fremde Frau tot in meiner Küche und ich verschwunden?
Die Lage hätte für mich kaum schlechter sein können.
Was ich stattdessen vorhatte war, beide in sein Cabrio zu verladen und alles zusammen in einem Teil des Flusses am Ende der Stadt zu versenken, der, wie ich hoffte, erstens tief genug war und zweitens nicht von Badegästen frequentiert werden würde. Anschließend würde ich mit dem Zehn-Uhr-Bus zurückfahren, die Küche mehrmals von oben bis unten reinigen und desinfizieren, einen Termin bei meinem Hausarzt vereinbaren, meine Antidepressiva – dieses Mal eine höhere Dosis – wieder einnehmen und die Erinnerung an den Vorfall in mein Unterbewusstsein schieben, schön in eine Schachtel verpackt und in das letzte Eckchen gestellt, wo sie dann Staub ansetzen konnte.
Ich parkte also sein Cabrio in der Garage, drückte auf den Handsender, um das Tor zu schließen und öffnete dann, im trüben Licht der alten Neonlampe, die Heckklappe des Wagens.
Nie und nimmer passten sie so in den Kofferraum.
Ich fing an zu schwitzen, als ich mehrmals durch das Haus lief, in der Hoffnung, dass die Bewegung auch mein Gehirn in Schwung bringen würde. Erst nach mehr als einer Stunde – vielleicht war es auch länger – fand ich mich damit ab, dass das Problem die fehlende Beweglichkeit der beiden war.
Zumindest so lange sie sich in einem Stück befanden.
Die Kreissäge war keine besonders gute Idee. Nicht nur, dass sie eine ungeheure Schweinerei produzierte - irgendwie hatte ich wohl geglaubt, dass totes Blut nicht so spritzen konnte – die Körper waren auch zu dick, als dass es mit einem Schnitt getan wäre. Letztendlich musste ich mit der Axt nachhelfen. Als ich nach getaner Arbeit vor seinem Wagen stand, schmerzten meine Arme und ich war überrascht, dass ich es tatsächlich geschafft hatte.
Doch selbst so passten sie nicht komplett in den Kofferraum.
Ich sah mir die prall gefüllten Plastiksäcke im Kofferraum und die etwas kleineren zu meinen Füßen an, während der Regen plötzlich auf das Garagendach niederprasselte, und nickte nur. Dann warf ich das Beil in den Kofferraum und den Deckel zu, packte die letzten Tüten, warf sie in den Beifahrerfußraum und setzte mich dann selbst hinters Steuer.
***
Es war eine unangenehme Fahrt. Nicht nur, dass ich den Wagen nicht kannte – immer wieder, wenn ich zu schnell eine Kurve nahm, hatte ich das Gefühl, dass er zu schlingern anfing -, zu allem Überfluss hatte er ein Automatikgetriebe. Ich war noch keinen Wagen mit Automatik gefahren und mein linker Fuß pumpte unablässig ins Leere, um die fehlende Kupplung zu betätigen.
Der Regen wurde stärker und die Scheibenwischer hatten Probleme, ihm Herr zu werden. Und es befanden sich zudem zwei Leichen mit mir im Auto.
Ich fuhr nicht besonders schnell, aber auch nicht so langsam, dass ich Aufmerksamkeit erregt hätte. Die Lichter der entgegenkommenden Autos spiegelten auf der nassen Fahrbahn und blendeten mich und als ich mehrmals vergaß, das Fernlicht abzuschalten, als Gegenverkehr kam, ließ ich es schließlich ganz aus.
Da begann es zum ersten Mal und Kittie sagte: „Denk nicht, dass es so endet.“
Ich erschrak und verriss das Lenkrad. Mit den rechten Reifen fuhr ich gefährlich weit übers das Bankett und der Fahrer hinter mir fuhr nahe auf, als ich den Wagen zurück auf die Straße lenkte.
„Was …?“, flüsterte ich und sah auf den Beifahrersitz hinüber. Auf dem Kittie saß. Ganz und gar nicht so, als würde es sie in ihrer Lebendigkeit behindern, verteilt auf Koffer- und Fahrgastraum, in mehrere Plastiktüten gesteckt zu sein.
„Ich bin nicht echt“, sagte sie, „naja“, sie zuckte mit den Schultern, „zumindest nicht komplett.“
Ich versuchte, meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu widmen, aber es fiel mir äußerst schwer, nicht alle paar Sekunden einen Blick auf sie zu werfen, wie sie da auf dem Beifahrersitz saß, vorbildlich angeschnallt, ein Bein angezogen und das Kinn darauf abstützend.
Wieder fing der Wagen an zu holpern, als ich zu weit ins Bankett fuhr und ich verriss das Lenkrad, als ich ihn wieder auf die Straße zurück steuerte. Mit dem linken Fuß trat ich fest auf die Bremse, als ich die Kupplung betätigen wollte. Das Cabrio schlingerte, mehrere Warnlampen blinkten auf, schrien mir entgegen und ich konnte neben mir Kittie hören, wie sie vor sich hin seufzte. Der Wagen tat sein Bestes, aber ich machte es ihm nicht gerade leicht.
„Du solltest wirklich ein wenig langsamer fahren“, sagte sie zu mir und fuhr dann nach einem Augenblick fort: „Oder gleich stehen bleiben.“
Es war kalt im Wagen und ich streckte meine Hand aus, um die Heizung hoch zu drehen. Meine Finger zitterten stark.
„Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen“, murmelte ich vor mich hin. So leise, dass ich mich selbst – unter dem Rauschen des Regens und den lauten Abrollgeräuschen der Reifen – kaum verstehen konnte. „Ich wollte doch nur, dass es vorbei ist.“
Obwohl ich mich nicht zu ihr umdrehte, konnte ich ihr Augenrollen regelrecht hören. „Es könnte schon auch noch schlimmer sein.“
Und wenige Augenblicke später, als ich bereits anfing, den Wagen vor einer scharfen Kurve abzubremsen, kam es schlimmer.
***
"Wieso hast du mir geholfen, ihn zu bestrafen? Warum haben wir beide seine Reifen zerstochen und wieso hast du mich überhaupt angesprochen?", frage ich Kittie, denn alles, was ich noch von ihr wissen will, ist: "Was hattest du davon?"
Ich höre das leise Singen von Sirenen, das gemächlich lauter wird und bemerke, wie mein Publikum gleichzeitig immer leiser und leiser wird und so langsam, dass es kaum zu bemerken ist, weiter vor mir zurückweicht.
Der junge Mann mit den Augenbrauen ist der tapferste unter ihnen. Er steht fast auf Armeslänge neben mir, kaut auf dem Nagel seines rechten Daumens und ist sichtlich zerrissen zwischen der Entscheidung, sich vor mir zu fürchten – der Verrückten, die mit sich selbst spricht und die offenbar eine oder zwei zerstückelte Leichen mit sich herum fährt - oder Erste Hilfe zu leisten, wie es ihm beigebracht wurde. Im Sekundentakt wechselt sein Blick zwischen mir und dem Kopf meines Mannes, der aus der Öffnung einer Mülltüte aus dem Kofferraum, der beim Aufprall aufgesprungen ist, hervor lugt.
„Sag mir nur eins: Wieso?“, frage ich Kittie und schaffe es endlich, mich auf die Beine zu stemmen. Meine Knie zittern und mein rechter Knöchel pulsiert schmerzhaft. Als ich wieder fast stürze, hält mich der junge Mann am Oberarm fest und stützt mich.
Ich glaube, er fragt mich erneut, ob „alles in Ordnung“ sei. Ich nicke nur.
„Wieso hast du mir das angetan?“
Kittie steht neben mir, wie eine Erinnerung völlig unversehrt, und lächelt mich an. Es ist das Lächeln, das sie mir damals auf der Parkbank geschenkt hat. „Das verstehst du völlig falsch. Ich habe dir nie etwas antun wollen. Ganz im Gegenteil.“
Mein Retter hilft mir zu seinem Wagen – ein Caravan und ich denke „das ist mal ein souveränes und praktisches Auto“ –, öffnet den Kofferraum und hält mich, als ich mich auf die Ladekante setze.
"Weil ich denke, dass eine Frau, deren Mann sie betrügt, ein wenig Rache verdient hat."
Im nächsten Augenblick hält ein Krankenwagen am Straßenrand, das Martinshorn abgestellt, nur das Blinklicht zuckt noch über unsere Köpfe hinweg.
***
„So viel Leidenschaft hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Seine Stimme war klar und deutlich, als er mit mir sprach. „Hättest du die schon gezeigt, als wir noch zusammen waren …“, die Warnschilder der scharfen Kurve kamen immer näher, Kittie kicherte leise neben mir und ich konnte nur noch daran denken, dass alles, was ich wollte, war, dass sie endlich aufhörten. „… wer weiß, wie die Sache dann ausgegangen wäre.“
„Vielleicht wäre er nicht zu mir gekommen“, sagte Kittie und drehte sich um, als fände sie es unhöflich, meinem Mann während des Gesprächs den Rücken zuzukehren. „Hätte sie ein wenig mehr Gefühl gezeigt, vielleicht hättest du nicht zu mir kommen müssen.“
Ich dachte nur: Hört auf. Seid still still still …
„Zu einer jüngeren Frau“, sagte er.
„Einer voller Leidenschaft“, sagte sie.
Ich trat auf das Gaspedal und das Cabrio heulte auf.
„Wie schön du gewesen bist“, flüsterte er.
Ich fasste nach rechts, öffnete Kitties Sicherheitsgurt.
„Ich habe dich fast geliebt“, flüstert sie ihm zu, mir zu.
Das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten lenkte ich sanft nach rechts und spürte kaum noch, wie die lange Schnauze des Autos die Warnschilder um mähte und das Cabrio anfing, sich zu überschlagen.
Ich dachte nur: Lieber Gott, lass es endlich vorbei sein. Auf die eine oder andere Weise.