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Tagewerk
"Tagewerk vollbracht?"
"…"
"Hallo, wo bist du?"
"Ich bin hier, du siehst mich doch"
"Du scheinst mir weit weg zu sein. Hast du deine heutige Arbeit zum Abschluss gebracht?"
"Ja, doch, ich denke schon."
"Du siehst nicht sehr zufrieden aus. Fehlt dir etwas?"
"Na ja, es geschieht halt nichts Neues, jeden Tag die gleiche Arbeit, die gleiche Routine."
"Möchtest du lieber etwas anderes tun? Ich hätte da noch einige offene Aufgaben."
"Aber es würde sich nicht wirklich etwas Neues ergeben. Ich würde kurze Gespräche führen, die Namen eintragen und abends die Liste abheften, ob es sich nun um Berge oder Blumen oder Tiere oder Sterne oder sonst etwas handelt, ist doch eigentlich völlig gleichgültig."
"Erfreust du dich nicht an der Vielfalt der Formen und Farben, der Gerüche und Geräusche?"
"Schon, aber es ist doch recht einseitig. Ich schaue hin und höre zu, aber das war es dann auch schon."
"Möchtest du mehr Interaktion? Das könnte ich einrichten. Dann könntest Du deine Farbe wechseln wie ein Chamäleon oder verschiedenartige Töne hervorrufen. "
"Es würde sich doch nichts ändern. Oder meinst Du, das Chamäleon würde mir sagen: 'Das ist aber eine schöne Farbe'. Und ob meine Töne etwas bedeuten, könnte ich nur an den Tieren erkennen, die auf sie reagieren."
"Hm, ich beginne zu verstehen."
"Ich würde mich eben gerne mit jemandem austauschen über mein Tagewerk."
"Keine Schwierigkeit. Ich brauche dich nur zu klonen, dann hast du einen kompetenten Gesprächspartner."
"Der dann so denkt und fühlt und handelt wie ich. Das ist doch nur langweilig. Ich möchte mit jemandem reden können, der auch mal anderer Meinung ist, mich aber dennoch so mag wie ich bin."
"Das sind aber schon ziemliche Anforderungen."
"Und wenn ich ihn dann auch noch gerne anschaue und wir gemeinsam die Tage und Nächte verbringen können ... das wäre toll."
"Du brauchst so etwas wie ein Gegenüber, scheint mir. Also einfach teilen bringt uns nicht weiter."
"Vielleicht doch, wenn Du mich nicht erst verdoppelst und dann teilst, sondern gleich aufteilst."
"Du meinst ich soll dich auf zwei Individuen aufteilen?"
"Ja, genau, Dann bin ich der andere, aber der andere ist dennoch ganz anders als ich."
"Das dürfte zu Schwierigkeiten führen. Dir wird einiges fehlen, was der andere dann hat und ich befürchte, dass ihr einander nach kurzer Zeit aus dem Weg geht."
"Meinst Du?"
"Wenn ich zum Beispiel deine Gehirnfunktionen aufteilen würde, dann würdet ihr beiden zwar die gleichen Worte benutzen, aber ganz verschiedenes meinen- Ihr würdet das gleiche sehen, aber unterschiedlich interpretieren."
"Meinst Du?"
"Aber ja. Wenn ich dir sage: 'Möchtest du einen Apfel', was verstehst du darunter?"
"Dass Du mir einen Apfelschenken willst? Oder möchtest Du ihn selber essen? Da ich keine Äpfel mag, hätte ich nichts dagegen".
"Ich höre schon, das kann nicht gut gehen. Der eine sieht bei einer Wildkatze die Krallen, der andere das kuschelige weiche Fell. Der eine will immer Ordnung halten und der andere bringt alles durcheinander. Wenn ich den Ordnungssinn dem anderen geben würde … "
"Dann kann er doch aufräumen. Das macht ihm gewiss Freude. Ich glaube das wäre eine tolle Arbeitsteilung. Der eine würde Essen sammeln und der andere würde es zubereiten. Der eine würde eine Höhle bauen und der andere würde sie wohnlich einrichten."
"Meinst du denn, ihr könntet die Arbeit des anderen gutheißen? Oder würdet ihr euch ständig streiten, weil dem einen das Essen nicht schmeckt oder der andere findet, die Höhle ist ganz unpraktisch gebaut?"
"Das solltest Du doch wissen. Ich weiß es jedenfalls nicht. Aber im Augenblick bin ich mit mir selbst unzufrieden. Wenn wir zwei sind, dann kann ich mit meinem Gegenüber unzufrieden sein und wir können darüber reden und uns wieder vertragen. Das ist gewiss einfacher, als wenn ich alles mit mir alleine ausmachen muss."
"Na gut, ich weiss, ich bin viel zu nachgiebig, aber ich werde mich heute Nacht an die Arbeit machen."
"Danke, vielleicht dürfte ich noch eine kleine Bitte ..."
"Was denn noch?"
"Wie wäre es mit Nachwuchs?"
"Womit?"
"Na ja, die Bäume bekommen doch Früchte und die Tiere haben Junge und ich habe auch diese ganzen Fortpflanzungsorgane, aber soll ich sie etwa bei mir selber einsetzen?"
"Du möchtest Junge haben?"
"Genau, dann könnte der eine mit den Winzlingen aufs Feld gehen und der andere könnte ihnen Kochen und so beibringen."
"Noch irgendwelche Wünsche?
"Na ja, wenn ich mich so anschaue ..."
"Das verstehe ich nicht."
"Sind die Jungen denn fertig, wenn sie zur Welt kommen oder müssen sie noch aufgezogen werden?"
"Damit sie sich gut entwickeln, sollten sie die ersten Jahre nach der Herstellung eine enge Bindung zu den Eltern haben und dazu gehört auch die Ernährung-"
"Aber die Milchdrüsen und die breiten Hüften bräuchte doch nur der eine von uns."
"Ja, theoretisch schon."
"Und der andere könnte stattdessen flach sein, flache Brust, flacher Bauch, schmaler Po, aber ordentliche Muskeln, um schwere Sachen tragen zu können und für den Höhlenbau wären große Hände wohl auch hilfreich ."
"Sonst noch Wünsche?"
"Naja, ein Fell wäre wohl zu viel, aber irgendwie sollten sich die beiden deutlich unterscheiden"
"Möchtest Du den Entwurf lieber selber machen?"
"Nein, nein, ich überlasse Dir freie Hand, Du kannst das viel besser. Aber wenn ich mir das so überlege: Wenn die beiden recht verschieden aussehen und Du ihnen noch eine Vorliebe für die hervorstechenden körperlichen Merkmale des anderen einpflanzt, sollte die weitere Entwicklung doch ein Selbstläufer sein. Obwohl …"
"Jetzt geht das schon los. Dabei bist du doch noch einer. Was für ein Problem gibt es denn jetzt noch?"
"Ich bin mir nicht sicher, aber wenn Du mich aufgeteilt hast, kannst Du mich ja vielleicht anschließend noch klonen."
"Jetzt versteh ich gar nichts mehr, dann seid ihr doch zu dritt, das kann doch nie gut ausgehen."
"Wieso? Wenn er Essen sammelt oder mit seinen blöden Listen beschäftigt ist, habe ich jemanden zum Reden und so."
"Das 'und so' bereitet mir Sorgen."
"Du brauchst wirklich nichts zu befürchten. Ich werde alles im Griff haben."
"Dein Wort in mein Ohr."