Tage wie dieser
Tage wie dieser
Manche Tage möchte man am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen.
Tage an denen überhaupt nichts läuft wie es sollte.
Tage, die Einen einfach nur fertig machen.
Das endlose Klingeln der Telefone aus dem Nachbarsbüro nahm ich kaum noch wahr, so konzentriert starrte ich auf den Bildschirm meines Computers. Nur ab und zu warf ich einen flüchtigen Blick auf meine Uhr. Unaufhörlich, wie ein materiell gewordener Zeigefinger des Stresses, näherte sich der kleine Zeiger der Sieben.
Ich hatte nur noch zwanzig Minuten, um meinen Bericht abzugeben.
Was die Situation nicht gerade entspannte, war die Tatsache, dass ich vor wenigen Minuten erfahren hatte, dass meine Freundin Ella neun Tage überfällig war.
Nicht, dass ich etwas dagegen hätte Vater zu werden, aber es kam schon ziemlich überraschend.
Obendrein spürte ich seit geraumer Zeit, das dringende Bedürfnis mich zu erleichtern.
Der anfangs noch erträgliche Druck, wurde allmählich zu einem unangenehmen Pochen.
Ich hatte schon ein wenig Angst, dass meine Blase explodieren könnte, aber noch mehr Angst hatte ich vor der Reaktion meines Abteilungsleiters, wenn der Bericht nicht rechtzeitig fertig würde. Ich gab also Gas und drosch wie ein Irrwisch auf die Tastatur ein.
Als ich kurz nach Sieben in sein Büro kam, telefonierte er.
Das kam mir ziemlich gelegen.
Ich machte mich mit einem schüchternen Winken bemerkbar, legte den Bericht auf seinen Schreibtisch, lächelte dämlich und, wieder winkend, verdünnisierte ich mich.
Dann, vor Erleichterung seufzend, entleerte ich meine Blase.
Ich packte meine Sachen zusammen und dachte voller Vorfreude an den bevorstehenden Grillabend. Ich musste nur kurz noch Getränke besorgen und schon bald würde ich auf Sabines Balkon liegen, ein leckeres Bier in den rechten Hand halten und den Sternenhimmel betrachten.
Sabine war die beste Freundin meiner Lebensabschnittgefährtin. Sie besaß ein kleines gemütliche Haus außerhalb der Stadt, mit einem enormen Balkon, auf dem man, ohne weiteres, eine zehnköpfige Roma Familie hätte unterbringen können.
Ihr Mann war für eine Woche beruflich in Holland unterwegs und sie hatte wohl keine Lust den Freitag Abend alleine zu verbringen.
Ella und Sabine kennen sich seit ihrer Kindheit.
Sie sind wie Pech und Schwefel.
Manchmal, na gut eigentlich sogar fast immer, kann die Zusammenkunft der Beiden, für Dritte, ziemlich nervig sein. Es fängt meistens mit Kichern an und endet oft in richtigen Lachanfällen, dessen Ursache man als Unbeteiligter meist gar nicht richtig nachvollziehen kann. Deswegen war ich auch ganz froh, dass Stefan schon da war, als ich mit einer vollbepackten Getränketüte das Haus betrat. Der Grill qualmte bereits vielversprechend und die Stimmung war gut. Stefan saß entspannt auf dem Balkon und grinste mich unverschämt an, als ich mit zwei kühlen Bier angetigert kam. Ich küsste Ella, streichelte ihr zärtlich über den Hintern und setzte mich auf einen der unbequemen Korbstühle. Während Sabine ihren kleinen Sohn ins Bett brachte, beichtete Ella mir, dass sie vorhin einen Schwangerschaftstest gemacht hatte.
Mein Puls begann zu rasen und meine Hände wurden schwitzig...aber umsonst, denn der Test war negativ.
Wir aßen und unterhielten uns über jede Menge unwichtiger Themen.
Der Himmel hatte sich zugezogen, aber noch sah es nicht nach Regen aus.
Während die Frauen den Tisch abräumten, hielt mir Stefan einen Joint entgegen.
Es war lange her, dass ich das letzte Mal geraucht hatte, aber ich fand den Anlass eigentlich ganz passend. Ich nickte dankend und zog den Rauch tief in die Lungen ein, bis ich zu husten begann, wie ein alter, asthmatischer Hund.
In diesem Augeblick kamen Ella und Sabine aus der Küche zurück und ich erntete glucksendes Gelächter. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und sank in den Korbstuhl ein, verzog das Gesicht als wäre jede Sorge von mir gefallen und tat so als würde ich mit meinen Händen irgendwelche Dinge verjagen, die nur ich sah.
Es wurde wieder gelacht und der Joint ging einmal rum.
Danach wurde ich immer teilnahmsloser.
Ich starrte auf die glühende Kohlen im Grill, als wäre es ein faszinierendes Naturspektakel.
Langsam wurde mir klar, dass ich völlig weggetreten war.
Meine Augenlieder wurden immer schwerer und meine Gedanken drifteten ab.
Die Atmosphäre hatte sich irgendwie gewandelt; war sie vorher noch fröhlich, wurde nun kaum noch gesprochen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde irgendetwas die, eben noch so nette, Runde belasten. Es war, als würde man einen alten Freund treffen, den man Jahre lang nicht mehr gesehen hat und merken, dass es nichts gibt, worüber man mit ihm reden könnte. Ich beobachtete eine Zeit lang die anderen und, plötzlich fiel es mir wie die Schuppen von den Augen.
Ich hatte vorher mitbekommen, dass Stefan die Nacht bei Sabine verbracht hatte
und als ich die beiden so betrachtete fiel mir auf, dass sie seltsam verkrampft wirkten.
Vielleicht hatten sie sich nicht nur, wie sie uns glauben ließen, die ganze Nacht unterhalten.
Eigentlich war ich mir sogar recht sicher, dass Ella irgendetwas wusste.
Ich versuchte die Unterhaltung wieder in Schwung zu bringen, um meine Theorie zu erhärten. Nachdem ich einen Scherz machte, den keiner so richtig nachvollziehen konnte und ich mir ziemlich blöde vorkam, lenkte ich das Thema auf den nächsten Tag.
Ich wollte eigentlich mit ein paar Freunden ins Kino gehen. Das Ella nicht mitkommen würde war mir klar, da ich Ihre Meinung über Actionfilme kannte. Sie hatte wohl geplant den Abend bei Sabine zu verbringen. Bis dahin war alles klar. Als ich dann Stefan fragte ob er nicht Lust hätte mit ins Kino zu kommen, schüttelte er nur den Kopf und antwortete, dass er zum Fußballtraining wolle. Die kleinen Räder meines Hirn setzten sich in Bewegung und irgendwie passte alles zusammen:
Ella würde morgen auf den Sohn von Sabine aufpassen, während sich diese mit Stefan treffen würde, höchstwahrscheinlich in seiner Wohnung.
Perfekter Plan. Na ja fast, denn ich hatte ihn durchschaut.
So etwas hätte ich Sabine nie zugetraut.
Und das meine Freundin auch noch mit ihnen unter einer Decke steckte !!
Während diese Gedanken sich formten, muss ich wohl einen beträchtlich gestörten Gesichtsausdruck gemacht haben, denn Ella fragte mich, ob bei mir alles klar sei.
„Wie alles klar ? Soll das ein Witz sein ?“ dachte ich mir und wurde langsam sauer.
Ich weiß nicht was mich am meisten störte: das Sabine ihren Mann betrog oder, dass ich der Einzige war, der es nicht wusste.
Ich kniff die Augen zusammen und fragte sie mit einem unüberhörbar giftigen Ton in der Stimme. „Verheimlichst du mir Irgendetwas ?“.
Eigentlich wollte ich noch hinzufügen: „Gib doch zu, dass du morgen auf Moritz aufpasst !!“, aber irgendwie machte Ella nicht den überraschten Eindruck, den ich erwartet hatte.
Ihr Blick hatte eher etwas ungläubiges an sich und zum zweiten Mal an diesem Abend hatte ich einen sogenannten Aha-Effekt, nämlich als ich merkte, dass meine Vermutung bezüglich Sabines Treue, vielleicht doch etwas an den Haaren herbeigezogen war.
Das sind die Momente im Leben, an denen man am liebsten im Boden versinken möchte.
Ich kam mir extrem doof vor und als Ella mich fragte, was sie mir den verheimlichen sollte, saß ich nur noch stotternd da, auf der Suche nach einen Ausweg oder einen guten Einfall.
„Ja, ich meine…äh…vielleicht…“ stammelte ich.
Da kam die rettende Idee.
„War der Schwangerschaftstest vielleicht doch positiv und du traust dich nicht es mir zu sagen ?“ fragte ich Ella.
Sie sah mich verdutzt an, schüttelte den Kopf und begann zu lachen.
Mit meiner Theorie hätte ich wahrscheinlich eine weitaus unangenehmere Reaktion zu erwarten gehabt.
Puh, da hatte ich noch mal Glück gehabt.