Tag des Herrn
Prolog:
Als der Pfarrer eines ruhigen, beschaulichen Stadtstaats unlängst mit den Vorbereitungen für die diesjährigen Osterfeierlichkeiten beschäftigt war, läutete das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich der Präsident der städtischen Faschingsgilde.
„Guten Morgen, Hochwürden, Prinz Fidibus der einundfünfzigste hier. Ich hätte ein Anliegen: heuer fällt doch der Faschingdienstag auf den Räucherlachsfilettag, den 23. Pröbstel. Wäre es für Sie vielleicht möglich, uns für unsere Faschingssitzung wie schon voriges Jahr den Pfarrsaal zur Verfügung zu stellen? Es wäre...“
„Räucherlachsfilettag, der dreiundzwanzigste Pröbstel? Am Karfreitag macht ihr eure Faschingssitzung? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?“
„Wie kommen Sie auf Karfreitag? Der dreiundzwanzigste Pröbstel ist wie gesagt Faschingdienstag.“
„Hmm, einen Moment.“ Der Pfarrer spürte, wie sich sein Gehirn auf eine ungute Weise zusammenzog und konsultierte seinen Kalender. „Das darf nicht wahr sein. Wie gibt es so etwas?“
„Ich bin genauso verblüfft wie Sie, Hochwürden“, gab der Präsident nach einen Blick in seinen Kalender etwas betreten zurück, „es hat tatsächlich den Anschein, dass Faschingdienstag und Karfreitag heuer zusammenfallen – und auch nächstes und übernächstes Jahr und so fort. Wie ist das möglich?“ Angestrengtes Schweigen.
„Könnte es mit der Kalenderreform zu tun haben?“
„Richtig – die beispiellos vorausblickende Großtat der Regierung um zu verhindern, dass sich der Sommer innerhalb der kommenden fünfzigtausend Jahre um einen Tag nach vorne verschiebt...“
„Wann fängt der Sommer heuer an?“
„Am achtzehnten Inversdezember, laut Regierungsbulletin einen Tag später als letztes Jahr.“
„Na bitte“, resümierte der Pfarrer zufrieden.
„Hochwürden...“
„Natürlich, bitte um Entschuldigung. Was schlagen Sie vor?“
„Schwierig. Den Faschingdienstag können wir keinesfalls ausfallen lassen, das gäbe einen Aufstand.“
„Karfreitag ebensowenig, da steigt uns Rom auf die Barrikaden.“
„Aber für irgendetwas müssen wir uns entscheiden, wir können ja nicht beides am selben Tag feiern.“
„Warum eigentlich nicht?“
„Jetzt werden Sie nicht albern, Hochwürden! Wie stellen Sie sich das vor?“
„Im Grunde müsste man nur...“
In den nächsten Stunden verloren sich der Pfarrer und der Präsident der Faschingsgilde in zum Teil hitzig geführten Diskussionen, an deren Ende sich beide erschöpft, aber zufrieden voneinander verabschiedeten. Das Gröbste war geklärt, allfälliger Details würde man sich dann annehmen, wenn sie sich manifestierten. Der dreiundzwanzigste Pröbstel konnte kommen...
Szene 1:
Die Stadtpfarrkirche präsentierte sich von außen dem festlich-ernsten Anlass gemäß weitgehend unauffällig. Die zur Karfreitagsmesse in das Gotteshaus Eintretenden jedoch hielten kurz inne. Irgendetwas störte das Bild der stillen, bußfertigen Vorbereitung auf das höchste kirchliche Fest des Jahres – nur was? Auf den ersten Blick schien alles wie immer um diese Jahreszeit – der mit rotem Tuch verhängte Altar, die Osterkerze, der mit Luftschlangen dekorierte und mit einer roten Nase versehene gekreuzigte Heiland...
Einen Moment.
Gemurmel erhob sich. Die Anzeichen schienen sich auf den Erlöser zu verdichten; bevor die Gemeinde dieser Entdeckung jedoch größere Aufmerksamkeit schenken konnte, betrat der Pfarrer die Kirche und watschelte in übergroßen Clownsschuhen auf den Altar zu. Der lächerlich kleine Zylinder thronte keck auf der ausladenden roten Lockenperücke. Sorgfältig legte er die kleine Hupe neben sich auf das Rednerpult und wandte sich der Gemeinde zu. Konsterniert sahen sich die Besucher an. Die logistischen Fehlleistungen des Pfarrers waren in der Gemeinde sattsam bekannt, aber das schoss den Vogel ab.
„Liebe Brüder und Schwestern“, begann der Pfarrer. Das Gemurmel wurde intensiver.
„Ist das sein Ernst?“
„Keine Ahnung, was ihm schon wieder eingefallen ist – schön langsam wird es lächerlich.“
„Lasst ihn machen, mich interessiert was er vorhat.“
„Lesung aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel neunzehn“, fuhr der Pfarrer unbeirrt fort, wobei die am Zylinder befestigte rosa Blume hin und her tanzte, „'Daraufhin ließ Pilatus Jesus geißeln'.“ Der Pfarrer betätigte zur Bekräftigung seine Hupe. Einige Besucher des Gottesdienstes schreckten abrupt hoch.
„Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen“, rezitierte der Pfarrer weiter und ließ eine kleine Sirene heulen. Die Verstörung in den Gesichtern der Zuhörer war immer deutlicher zu sehen.
„Leute, ich glaube ich hab's“, ließ sich der Vizepräsident der Faschingsgilde vernehmen, „seht mal in Eure Kalender.“
„Räucherlachsfilettag, der dreiundzwanzigste Pröbstel, Karfreitag – und?“
„Schaut genau hin.“
„Und... Faschingdienstag? Im Ernst jetzt? Wie gibt's das?“
„Wir hatten letzte Woche eine Vorbesprechung zu unserer Faschingssitzung, in der der Präsident auch auf ein ihn offensichtlich ziemlich verstörendes Telefonat mit dem Pfarrer zu sprechen kam...“ Die bislang schon zweifelnden Mienen der Gemeinde entgleisten angesichts des Berichts des Vizepräsidenten noch ein Stückchen mehr. Das hektisches Geflüster setzte sich fort.
„Aber wie kann das mit dieser Kalenderreform zusammenhängen? Kriegen die nicht mal das richtig hin?“
„Aber der Sommer beginnt tatsächlich einen Tag später.“
„Na bitte.“
„Konzentrieren wir uns bitte auf das Wesentliche? Was in aller Welt sollen wir jetzt tun?“
„'...Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte Jesus'“, verkündete der Pfarrer und ließ ein kleines Glockenspiel erklingen.
„Warum sollen überhaupt wir etwas tun? Ist das auf unserem Mist gewachsen? Ich würde meinen, wir warten einfach darauf, wie sie diese Scharte auswetzen – da kommt sicher noch was.“
Der Pfarrer beendete die Predigt mit einem herzhaften Druck auf die Hupe und ging zur Wandlung über. Erwartungsvoll begaben sich die Menschen nach vorn, um nach alter Tradition die Hostien entgegenzunehmen, die in der Form von lustigen Bonbons mit aufgedruckter Narrenkappe ausgegeben wurden.
Was sollte...? Ach, egal.
Die Gemeinde beschloss in stillschweigendem Einvernehmen, sich an den Gottesdienst zu gewöhnen und nahm letztendlich auch die Verabschiedung durch den Pfarrer mit den Worten „Narren, hoppauf!“ hin. Man eilte aus der Kirche in Richtung der Hauptstraße, wo der nachmittägliche Faschingsumzug stattfinden sollte, und hatte dabei ein latent ungutes Gefühl in der Magengegend...
Szene 2:
Eigentlich war alles wie immer. Menschen in den buntesten Kostümierungen bildeten ein Spalier für die Umzugswagen, die in wenigen Augenblicken erwartet wurden. Einige Fressstände hatten sich entlang der Umzugsroute eingerichtet und boten lautstark Glühwein, Hot Dogs und ähnliche Köstlichkeiten an. Durch von Orgelklängen getragene Fanfaren wurden die Umzugswagen angekündigt. Die Zuschauer sahen sich achselzuckend an. Schon der erste Wagen gab die Marschrichtung vor: Jesus stand in weißem Gewand vor dem Faschingsprinzen und wurde von diesem zum Tode durch das Kreuz verurteilt wobei kippatragende Clowns „ans Kreuz mit ihm!“ brüllten. Ein Bajazzo mit aufgemalter Träne schlich beschämt davon und leugnete dreimal, Jesus zu kennen. Die Zuseher betrachteten die Darbietung mit offenen Mündern, nicht schlüssig ob sie das Geschehen amüsant finden durften oder nicht. Der eine oder andere von einem verlegenen Räuspern abgewürgte Lacher war nichtsdestotrotz zu hören und verlieh der Situation eine gewisse heitere Note.
Der zweite Wagen stellte den mit dem Kreuz beladenen Heiland dar, wie er über seine Clownsschuhe stolperte und das erste Mal unter dem Kreuz fiel. Eine weitere Station ließ die Darreichung des Schweißtuchs durch Veronika erkennen, das offenbar mit Farbe getränkt war und auf dem Gesicht des Heilands einen tiefgrünen Abdruck hinterließ. Jesus und Veronika blickten mit weit aufgerissenen Augen entsetzt ins Publikum. Teile der Menge, sich langsam aus der anfänglichen Lethargie lösend, nahmen den Faden auf und begannen, die Darsteller zuerst zaghaft, dann immer forcierter anzufeuern, während andere nicht recht zu wissen schienen, ob sie lachen oder weinen sollten. Veronika zog aus ihrer Tasche eine kleine Torte hervor, die unter der lebhaften Anteilnahme der Leute ebenfalls im Antlitz des Erlösers landete.
Mittlerweile kam der Hauptwagen in Sichtweite: Jesus lag am Boden und wurde von zwei Harlekinen ans Kreuz genagelt. Die Spaßmacher stellten sich dabei äußerst ungeschickt an und schlugen in regelmäßigen Abständen mit dem Hammer auf die Hand des jeweils anderen, was zu erbitterten Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten führte. Als der Heiland nach einigem Hin und Her endlich befestigt war und aufgestellt wurde, bemerkten die Clowns, dass er kopfüber am Kruzifix hing und mit den Beinen verzweifelt in der Luft strampelte. Begleitet von teils begeisterten, teils entsetzten Zurufen der Menge wurde der Pfahl hektisch wieder abgesenkt und die Misere unter leisen Flüchen mithilfe eine Anleitungsskizze korrigiert. Das Kreuz wurde abermals aufgerichtet und ein leicht in Mitleidenschaft gezogener Messias prangte korrekt ausgerichtet am Querbalken, über ihm ein Schild, das ihn als „König der Scherzkekse“ auswies.
Lange nachdem der letzte Wagen die Umzugsroute passiert hatte, gingen die Menschen lebhaft diskutierend auseinander. Der traditionelle Armbrustwettbewerb im städtischen Bräuhaus stand an, und ohne diesen war ein Faschingdienstag nicht denkbar – seine Auswirkungen auf einen der höchsten Feiertage im Kirchenjahr jedoch waren mangels einschlägiger Gelegenheiten noch nicht erforscht. Egal, der Armbrustwettbewerb war dazu da, sich zu amüsieren – und exzentrischer als der Faschingsumzug konnte er wohl auf keinen Fall werden...
Szene 3:
Der Andrang im städtischen Bräuhaus war an diesem Abend enorm. Jeder der Gäste wollte einen Blick auf die Zielscheibe erhaschen, deren Gestaltung jedes Jahr das Herz des Wettbewerbs bildete und regelmäßig in der Stadt Gesprächsthema war. Heute war die Situation angesichts der Geschehnisse besonders angespannt, und die Besucher stellten lebhaft Vermutungen an, wie weit die Stadtverwaltung wohl zu gehen bereit war.
Die Enthüllung der Zielscheibe wurde just in dem Moment vollzogen, als der Pfarrer das städtische Bräuhaus betrat. Mit offenem Mund betrachtete der Geistliche die detailreiche Darstellung des gekreuzigten Heilands sowie die Punktezuordnung – ein Treffer der Hand- oder Fußgelenke brachte zweihundert Punkte, die Wunde an der Seite war mit fünfhundert Punkten dotiert. Die ersten Schützen versuchten ihr Glück unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer, wobei der erste Treffer der Wunde an der Seite für besondere Begeisterung sorgte, als Himbeersaft und Zitronenlimonade aus dem Einschussloch sprudelten. In der Hoffnung, nicht bemerkt worden zu sein, drehte sich der Pfarrer um und wollte das Bräuhaus verlassen, da wurde er von hinten an der Schulter gepackt und in die rauchgeschwängerte Atmosphäre des Lokals zurückgezogen. Unversehens fand er sich mit einer Armbrust in der Hand inmitten der Menge wieder, alle Augen auf ihn gerichtet. Angesichts dessen schien ein klammheimlicher Rückzug nicht ratsam.
Leicht verunsichert hob der Pfarrer die Armbrust, zielte erst auf die Seite, dann auf das rechte Handgelenk, verharrte kurz und ließ die Armbrust dann ratlos wieder sinken. Ein Funktionär der Faschingsgilde versuchte redlich, ihm Mut zu machen: „Kommen Sie schon, Hochwürden, das macht Spaß! Die Wunde an der Seite bringt...“
„Ich weiß, vielen Dank“, antwortete der Pfarrer mit belegter Stimme.
„Und wenn man die Seite trifft, dann sprudeln...“
„Ich bin nicht sicher, ob das mit meiner Position vereinbar ist...“
„Aber Hochwürden, es ist nur einmal im Jahr Faschingdienstag! Und außerdem kommen Himbeersaft und Zitronenlimonade von Gott, dem Herrn!“ setzte der Funktionär der Faschingsgilde beharrlich nach. Der Pfarrer wägte kurz gedanklich die Aussichten ab, der Argumentation des Funktionärs mit logischen Einwänden und moralischen Bedenken entgegenzutreten, seufzte tief und hob die Armbrust. Sorgfältig zielte er knapp neben das rechte Handgelenk, schloss die Augen und drückte ab. Vom frenetischen Jubel der Zuschauer irritiert, öffnete er die Augen und stellte fest, dass er das Handgelenk präzise erwischt hatte und mit zweihundert Punkten derzeit auf dem dritten Platz rangierte. Der Pfarrer schluckte kurz,versuchte alle Bedenken abzuschütteln und legte erneut an.
Das plätschernde Geräusch sprudelnder Flüssigkeit verriet ihm, dass er besser getroffen hatte als geplant.
Verdammt.
Resignierend zuckte er die Achseln und setzte einen Schuss aus der Hüfte ab. Wieder ein Volltreffer in die Seite. Der Pfarrer hielt bei tausendzweihundert Punkten, die Rangliste unangefochten anführend. Offenbar wollte es Gott aus irgendeinem Grund so – und da Gottes Ratschluss unergründlich war, entschloss sich der Pfarrer, dies nicht weiter zu hinterfragen.
Sehr gut.
Bitte?
Ach, nichts.
Die Stimme im Kopf des Pfarrers verhallte und hinterließ für einen Moment eine gewisse Leere. Was um Himmels willen war das? Konnte es wirklich sein, dass ER...? Davon war im Priesterseminar keine Rede gewesen... Unter dem Applaus des Publikums fand er schnell wieder zu sich, hob die Waffe erneut und landete Treffer um Treffer, immer besser in seine neue Rolle findend. Plötzlich zuckte er zusammen,als sich erneut eine Hand auf seine Schulter legte.
„Hochwürden...“ begann der Funktionär der Faschingsgilde schüchtern.
„Was ist?“ gab der Pfarrer gereizt zurück.
„Der Bewerb ist vorbei. Sie haben gewonnen.“
„Wirklich?“ Der Pfarrer sammelte sich. „Es kam mir so vor, als hätten wir gerade erst angefangen...“
„Es dauert bereits zwei Stunden. Die anderen Teilnehmer haben schon vor geraumer Zeit aufgegeben. Die Tatsache, dass Sie vor jedem Schuss 'ich bring den Scheißkerl um' geschrien haben, mag dazu beigetragen haben, obwohl Sie damit unzweifelhaft einen Gutteil der Lacher auf Ihrer Seite hatten.“
„Schade. Es hätte ruhig noch weitergehen können. Habe ich wirklich 'ich bring den Scheißkerl um' gerufen? Das ist mir ein wenig peinlich...“
Mach dir nichts draus, er wird drüber wegkommen. Er ist hart im Nehmen, weißt du?
Wer sagt das die ganze Zeit?
Du weißt schon Bescheid, oder? Und jetzt genieß deinen Triumph, das hast du dir verdient.
Aber...
Bis bald.
Na dann, dachte der Pfarrer und nahm den Pokal entgegen. Es war schon Nacht, als die letzten Besucher das städtische Bräuhaus verließen und unter lebhaften Diskussionen nachhause strebten.
Szene 4:
Ein Blick auf den Kalender verriet, dass der dreiundzwanzigste Pröbstel im Anmarsch war. Schön langsam wurde es Zeit, die Girlandenkruzifixe aus der Schublade zu holen und sich würdig auf den höchsten Festtag im Jahr vorzubereiten. Die Aufregung, die es noch vor wenigen Jahren darum gegeben hatte, wirkte heute beinahe wie aus einer längst vergangenen Epoche. Der Pfarrer feilte an seiner Predigt und grübelte, wo in diesem Jahr (Evangelium nach Lukas) die Hupeneinsätze wohl am Besten zur Geltung kämen. Die Faschingsgilde hatte beschlossen, den Einfall aus dem Faschingsumzug für den Armbrustwettbewerb beizubehalten und gestaltete die Zielscheibe nun jedes Jahr nach dem Vorbild einer Kreuzwegstation (heuer: „Jesus begegnet seiner Mutter“; ein Treffer zwischen die Augen Marias sollte tausendfünfhundert Punkte bringen). Auch überall sonst erfüllte emsiges Treiben die Stadt.
„Schön, nicht wahr?“ sprach der Herr versonnen, als er auf das Geschehen hinabblickte.
„Wirklich gut. Hätte ich dir wenn ich ehrlich bin nicht zugetraut“, meinte der Teufel anerkennend und nippte an seinem Eiskaffee. „Vor allem das mit der inneren Stimme des Pfarrers – wirklich, wirklich gut.“
„Ich war es einfach leid, immer wieder dieselben sauertöpfischen Gesichter am Karfreitag zu sehen. Das gibt dem Ganzen einen gewissen Pfiff, und außerdem stehen Junior die Girlanden wirklich ausgezeichnet. Ich bin allerdings angenehm überrascht, wie flexibel alle auf die geänderte Datumssituation reagiert haben.“
„Das ist es ja gerade. Mit meinen Leuten könnte ich so etwas nie durchziehen. Allein diese schwarzen Messen! Ich habe selten derart dröge, bierernste Veranstaltungen erlebt, so völlig frei von jeglicher Spontanteität und Spritzigkeit. Meine Anhänger würden Humor nicht einmal dann verstehen, wenn er ihnen in Kinderbuchform erklärt würde, fürchte ich.“
„Jede Gemeinschaft bekommt das Idol, das sie verdient“, feixte der Herr.
„In Ordnung, bohr nur in meiner Wunde“, seufzte der Teufel resignierend, „manchmal frage ich mich, ob ich nicht zur Abwechslung einmal dich an vorderster Front werken lassen sollte...“
„Hmmm... Bring mich nicht auf Ideen...“
„Chef?“ unbemerkt hatte sich der oberste Erzengel genähert.
Der Herr seufzte. „Ja, Gabriel?“
„Ich will wirklich kein Spielverderber sein, aber wenn du deinen Blick bitte kurz hierhin richten könntest?“ Gabriel deutete auf den Vatikan.
„Du meine Güte, was brüten sie denn jetzt wieder aus?“ stöhnte der Herr und wandte seine Augen Richtung Petersplatz.
Szene 5:
Das Kardinalskollegium erhob sich. Der Vorsitzende resümierte:„Somit halten wir fest: die in jenem Lande praktizierte unsägliche Verquickung zwischen Faschingdienstag und Karfreitag hat ehestmöglich beendet zu werden. Eine entsprechende Note wird noch in dieser Woche an die dortige Regierung ergehen. Noch irgendwelche Anmerkungen zum Thema?“
Wenn ich kurz etwas einwerfen dürfte: ich bin stark dafür, dass die unsägliche Verquickung zwischen Faschingdienstag und Karfreitag bleibt.
„Wer hat das gesagt?“
Schau nach rechts.
Der Vorsitzende drehte gehorsam den Kopf. Im Raum materialisierte sich hologrammartig ein – ja, was eigentlich? Die Erscheinung war so ehrfurchtgebietend, schrecklich, strahlend, gütig und gewaltig zugleich, dass eine Beschreibung schlechterdings nicht möglich war. Und sie trug einen rosafarbenen Faschingshut. Der Vorsitzende stutzte, holte das „Handbuch für den Vorsitzenden des Kardinalskollegiums“ aus der Seitentasche seiner Soutane und blätterte hektisch, von Zeit zu Zeit einen kurzen Blick auf die Erscheinung werfend. Mit einem Mal wurde er blass.
„Das darf nicht wahr sein, es gibt dich wirklich?“ entfuhr es dem Vorsitzenden. Die übrigen Kardinäle schwankten zwischen Verblüffung und mitfühlendem Kopfschütteln.
Du hättest wenigstens so tun können, als wärst du überzeugt davon. Egal. Kommen wir zum Punkt: ich möchte dir nahelegen, nicht auf eine Abschaffung der derzeitigen Verhältnisse zu dringen.
„Aber das kann doch nicht dein Ernst sein! Die Girlandenkruzifixe? Die Zielscheiben?“
Ja? Was ist damit?
„Es ist falsch! Es ist...“, rief der Vorsitzende in wachsender Verzweiflung.
Es ist eine Abwechslung zur ewig gleichen Litanei, den bedrückenden Messen und dem ganzen anderen Zinnober. Warum glaubt ihr bloß die ganze Zeit, dass mir das Freude macht? Ich... Was ist? Einen Moment, bitte...
Die Erscheinung fiel in sich zusammen.
Der Teufel tippte dem Herrn auf die Schulter. „Lass mich den Heiligen Stuhl beeinflussen! Bitte! Das wird spaßig!“
„Ich bin mitten in einer Besprechung! Du möchtest was genau, bitte?“
„Ich möchte das Teufelchen auf der linken Schulter des Vorsitzenden und seiner Helferlein sein. Bisschen aufhetzen. Du vertrittst deine Position und ich die entgegengesetzte. Einfach aus Prinzip.“
„Warum eigentlich nicht?“ sagte der Herr zu sich selbst und fing an zu schmunzeln. „In letzter Zeit passiert ohnehin sonst so gut wie nichts. Und Wechsel ergötzt, sagt der Lateiner...“ Er wandte sich an den Teufel: „Dann soll's so sein! Tu was du nicht lassen kannst und fahr das volle Programm. Wie in alten Zeiten...“
„Ähm, hallo? Bist du hier irgendwo?“ erkundigte sich der Vorsitzende schüchtern.
Verzeih, bin wieder da. Die Erscheinung materialisierte sich vor den entsetzten Augen des Kollegiums. Wo waren wir? Ah ja. Die Zielscheiben. Ich...
„Ich muss mit Nachdruck darauf hinweisen...“ startete der Vorsitzende einen letzten Angriffsversuch.
„So ist es gut! Lass dir von ihm nichts einreden!“ flüsterte plötzlich eine verführerische Stimme in sein Ohr.
„Das darf nicht wahr sein. Wer bist du jetzt wieder?“
„Ich bin der, der dir immer das sagt, was du im Grunde deines Herzens hören möchtest. Wenn deine Eltern sagen, du musst um acht ins Bett, sage ich: bring sie um! Wenn dein Chef von dir verlangt, ein hochkomplexes Projekt bis gestern zu erledigen, sage ich: gründe eine Belegschaftsvertretung! Wenn der Herr sagt, unternimm nichts gegen einen aus deiner Sicht desaströsen Zustand, sage ich: nimm ein Kruzifix und häng es verkehrt herum auf!“
„Ich bin der Vorsitzende des Kardinalskollegiums! Wie stellst du dir das vor?“
„'Wie stellst du dir das vor?' Himmel, bin ich euer Kindermädchen? Lass dich einfach drauf ein! Gib ihm Kontra! Dein Standpunkt ist richtig und ehrenvoll!“
„Richtig und ehrenvoll?“ wiederholte der Vorsitzende zweifelnd.
„Richtig und ehrenvoll!“ bestätigte die Stimme. „Du hast dein ganzes Leben lang Anordnungen befolgt, ohne den Sinngehalt groß zu hinterfragen. Jetzt hast du die einmalige Gelegenheit, deutlich zu machen, was du für richtig hältst. Komm schon! Was sich die letzten Jahre abgespielt hat, ist schlicht lächerlich, und du weißt das so gut wie ich!“
„Du hast recht. Ich muss einfach hart bleiben. Jetzt oder nie“, sagte der Vorsitzende mehr zu sich selbst und straffte sich.
Worauf?
„Bitte?“
Worauf musst du mit Nachdruck hinweisen?
„Darauf, dass diese Zustände unhaltbar sind und wir sie nicht dulden können und werden“, sagte der Vorsitzende mit fester Stimme, nachdem er sich kurz gesammelt hatte. Erwartungsvolles Schweigen im Kollegium.
Du gibst mir Widerworte? Deinem Herrn und Gott? Unter Umständen war es doch ein Fehler, von der Rachegott-Schiene abzugehen und mit der Barmherzigkeitsnummer anzufangen... Aber gut. Ich bin zwar allmächtig, aber eben auch von grenzenloser Güte. Was stört dich denn gar so sehr daran?
„Sag ihm, dass du es nicht verantworten kannst, wie das Andenken unseres Herrn Jesus Christus besudelt wird“, meldete sich der Teufel von der linken Schulter, „dass der Eindruck auf die anderen Religionen verheerend ist und wir zum Gespött der ganzen Welt werden.“
Der Vorsitzende, befeuert von den in seinem Hirn nachklingenden Worten, gab die Botschaft an den Herrn weiter, der resignierend die Schultern hob. Ich weiß, wir haben das im Kollegenkreis eingehend erörtert. Jeder von uns ist mit den derzeitigen Zuständen unzufrieden und hätte gerne etwas mehr Abwechslung, aber interessanterweise steigen überall die hohen Funktionäre auf die Barrikaden. Der Ayatollah ist kurz vorm Durchdrehen...
„Und außerdem: wer sagt, dass die Leute das freiwillig und mit Freuden machen?“ bohrte der Teufel weiter. „Für mich sieht das viel eher nach einem von der Obrigkeit geschickt für sich genutzten Gruppenzwang aus, um das Versagen der Regierung bei der Kalenderreform zu übertünchen.“ Der Vorsitzende replizierte.
Na schön, das hier führt im Moment zu nichts. Der Geduldsfaden des Herrn war augenscheinlich zum Zerreißen gespannt. Vorschlag zur Güte: wir lassen die Leute entscheiden und nehmen das Ergebnis wie es kommt. Aus. Ende. Die Diskussion fängst langsam an, mir Kopfschmerzen zu bereiten. Wir hören uns.
Die Erscheinung kollabierte erneut, blieb diesmal aber verschwunden.
„Und jetzt?“ Der Vorsitzende wirkte ein wenig ratlos ob des scheinbar leichten Siegs.
„Jetzt packen wir's an“, sagte der Teufel voller Tatendrang, „wir setzen sofort den Schrieb an die Regierung auf, in dem wir auf die unhaltbaren Zustände hinweisen und nehmen Bezug auf die durch das aktuelle Konkordat so hervorragenden Beziehungen zwischen Regierung und Heiligem Stuhl.Weiters erklären wir, dass wir natürlich den größten Respekt vor dem demokratischen Willensbildungsprozess haben und es für uns kein Problem darstellt, wenn sie es zum Thema eines Volksentscheids machen. Damit lassen wir ihnen ein Hintertürchen.“
„Und wenn die Volksabstimmung danebengeht?“ zweifelte der Vorsitzende.
„Wird sie nicht, dafür sorgen wir schon“, wiegelte der Teufel ab, „wir ziehen eine Kampagne auf, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Die Menschen werden an unseren Lippen hängen. Das einzig unsichere ist wie hoch wir gewinnen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr...“
„Verlass dich auf mich.“
Szene 6:
Der Sondergesandte hielt kurz inne und blickte sich um, als er auf den Bahnhofsvorplatz trat. Dann atmete er durch, schloss den Griff um seinen Koffer und stieg in ein Taxi zur Botschaft des Heiligen Stuhls in der Stadt. In Gedanken spielte er die Kampagne durch, wie er sie auf der Reise in groben Zügen mit einer sonderbaren, kleinen, auf seiner linken Schulter sitzenden Gestalt besprochen hatte. Obwohl ihn der Vorsitzende des Kardinalskollegiums gewarnt hatte, hätte nicht viel gefehlt und der Sondergesandte hätte beim Anblick des schelmisch grinsenden Teufels laut aufgeschrien. Im Verlauf der Reise aber war ihm sein eloquenter, auch Alltagsthemen warmherzig erörternder Begleiter fast ans Herz gewachsen. Trotzdem blieb ein dunkler Schatten auf den Gedanken des Sondergesandten, wenn er an die einschmeichelnde und doch kaum merklich stichelnde Stimme des Teufels dachte. Vorsichtig lugte er nach links. Nichts. Er glaubte aber fest daran, dass die kleine Figur bald wieder auftauchen würde, spätestens dann, wenn es gegen die Entscheidungsgremien ernst werden würde.
Der Sondergesandte hatte seine Unterlagen fein säuberlich vor sich geordnet. Ihm gegenüber saß als Vertreter der Regierung ein gepflegter Herr im Nadelstreif, mit säuberlich gebundener Krawatte, adrett drapiertem Stecktuch und einer seltsamen kleinen Gestalt auf seiner rechten Schulter. Der Sondergesandte stutzte.
„Das darf jetzt nicht wahr sein!“ zischte es auf Höhe seines linken Ohrs. Von unguten Ahnungen erfüllt, drehte der Sondergesandte langsam seinen Kopf.
Gut, damit war zu rechnen gewesen. Dennoch fing die Situation schön langsam an, dem Sondergesandten zu entgleiten. Seinem Gegenüber ging es augenscheinlich ähnlich, zumindest gemessen an dessen Reaktion, als er auf seine rechte Schulter blickte.
„Was willst du hier?“ flüsterte der Sondergesandte angespannt.
„Beruhig dich“, gab der Teufel zurück, „Ich habe ja gesagt, dass wir uns eher früher als später wiedersehen werden. Wir müssen jetzt überlegt vorgehen. Nicht, dass ich dir das alleine nicht zutrauen würde, aber sicher ist sicher.“
„Und wer ist der andere Schultertyp?“
„Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass der Alte versucht, mich mit meinen Waffen zu schlagen. Es ist aber nichts, womit nicht zurechtzukommen wäre. Darf ich vorstellen: Gabriel, der Sidekick des Herrn.“
„Du liebe Güte!“ entfuhr es dem Sondergesandten.
„Du liebe Güte!“ entfuhr es dem Regierungsvertreter.
„Jetzt stell' dich nicht so an. Noch nie eine göttliche Eingebung gehabt?“ entgegnete Gabriel.
„Um ehrlich zu sein, ich habe mir noch nie richtig Gedanken darüber gemacht...“ stotterte der Regierungsvertreter.
„Macht nichts. Pass auf: tu einfach was ich dir sage und sprich mir im Wesentlichen nach. Wir kriegen das schon hin.“
„Wenn du das sagst... Wer ist eigentlich der Zwerg mit Strohhut und Cocktailglas auf der Schulter des Sondergesandten?“
„Strohhut? Tatsächlich. Er wird immer wunderlicher... Das ist der Satan höchstpersönlich, du darfst dich geehrt fühlen.“
„Schon gut, nur keinen Druck aufbauen...“
„Wird auch nicht so heiß gegessen wie gekocht. Gehen wir's an!“
„Der Heilige Stuhl blickt mit Sorge auf die unglückliche Verquickung eines heidnischen Volksfestes mit einem der höchsten Kirchenfeste“, fing der Sondergesandte an. „Es kann nicht sein, dass das Leiden unseres Herrn zum Gegenstand eines Faschingsumzuges verkommt, der...“
„Jetzt stellt euch nicht so an“, fiel ihm der Regierungsvertreter ins Wort. „Es nimmt euch doch keiner etwas weg. Und ein bisschen heitere Auflockerung hat noch keinem überkommenen, verkrusteten Brauchtum geschadet.“
„Überkommenes, verkrustetes Brauchtum? Entschuldigt bitte, dass die Passion Christi etwas Ernsthaftes ist, das nicht durch Clownsnasen und Faschingsumzüge lächerlich gemacht werden sollte.“
„Papperlapapp. Ernsthaftigkeit hin oder her, die Leute gehen doch nur in die Kirche, weil es sich so gehört. Für das, was dahintersteht, interessiert sich in Wahrheit kein Mensch mehr“, wiegelte der Regierungsvertreter ab.
„Und wenn ein Pfarrer mit Perücke und Hupe die Messe liest, fangen die Menschen an, sich für das Dahinterstehende zu interessieren?“ konterte der Sondergesandte, dem die Sache immer mehr Spaß zu machen begann. „Wenn sie Faschingsumzüge mit einem geschminktem Heiland am Kreuz sehen, begreifen sie die eigentliche Bedeutung?“
„Sie stellen sich zumindest die Frage, was zur Hölle das alles soll. Und sie fangen wieder an, nachzudenken. Die Leute sind im Grunde nicht die alles ungefiltert aufnehmenden, jeden Schwachsinn nachblökenden Schafe, die ihr gerne hättet.“ Auch der Regierungsvertreter schien immer besser in Fahrt zu kommen.
Plötzlich begann der Teufel zu wachsen und stand mit einem Mal in seiner natürlichen Größe im Raum. „Jetzt hör aber auf!“ rief er zornig, an Gabriel gewandt. „Nachdenken und hinterfragen gut und schön, aber bitte alles im vorgegebenen Rahmen. Du findest nirgends in der Heiligen Schrift einen Sadduzäer im Clownskostüm! Noch nicht mal in den Apokryphen!“
„Heilige Schrift, Heilige Schrift!“ schleuderte Gabriel, nun ebenfalls seine lebensgroße Form innehabend, dem Teufel entgegen. „Die Heilige Schrift ist ein tendenziös zusammengebasteltes Sammelsurium von propagandistischen Texten, das weißt du so gut wie ich!“
„Wie bitte?“ meldete sich der Sondergesandte verstört.
„Ach komm, werd' erwachsen“, murmelte der Teufel verärgert.
„Mach dir keine Sorgen, wir reden später drüber!“ rief Gabriel dem verzweifelten Sondergesandten zu. „Zurück zum Thema: es ist auch völlig egal ob es in der Heiligen Schrift steht oder nicht, Tatsache ist, dass noch nie so viele Leute in der Kirche waren – oder etwa nicht?“
„Fragt sich nur für wie lange, und das kann ich dir genau sagen: so lange, bis es den Leuten wieder langweilig wird. Das einzige, das dann bleibt, ist ein affig aussehendes Clownskostüm des Pfarrers, das sich farblich mit den Kirchenfenstern schlägt.“
„Das einzige, das hier affig aussieht, ist dein Strohhut“, konterte Gabriel beleidigt.
„Werd' jetzt nicht persönlich, in Ordnung?“
„Bemerkung zurückgezogen. Können wir uns darauf einigen, dass wir uns zur Zeit nicht einig sind?“
„Können wir. Gehen wir auf ein Bier?“
Wo Sekunden zuvor noch Gabriel und der Teufel gestanden hatten, waren nun lediglich ein gleißender Lichtschein sowie eine dunkle, schwefelige Rauchsäule zu sehen. Ratlos standen der Sondergesandte und der Regierungsvertreter im Raum und blickten sich an. Beide meinten, ein leises „wir hören uns!“ im Ohr zu haben.
Szene 7:
Vor dem Plakat standen zwei ältere Herren und diskutierten lebhaft. Das Sujet war denkbar einfach gehalten: ein traurig dreinblickender Messias hing, von Faschingsgirlanden umrahmt, am Kruzifix. Darunter waren in Blockbuchstaben die Worte „Muss das sein?“ zu lesen.
„Was wollen sie denn jetzt schon wieder?“ stöhnte der eine.
„Ich glaube, das hängt mit der letzten Karfreitagspredigt des Pfarrers zusammen“, warf sein Begleiter ein.
„Mhm. Die Torte im Gesicht des Heilands war vielleicht eine Wenigkeit über das Ziel hinausgeschossen.“
„Mag sein. Aber wenigstens kann man wieder in die Kirche gehen, ohne befürchten zu müssen, sofort einzuschlafen.“
„Hmm... Eigentlich, so ganz unrecht haben sie ja nicht“, sinnierte der erste, „bislang hat mir noch niemand schlüssig erklärt, aus welchem Grund genau der Pfarrer eine rot-weiß gestreifte Soutane mit grünen Tupfen tragen muss, von der Torte im Gesicht des Heilands ganz abgesehen, einschlafen hin oder her.“
„Bislang hast du auch noch nie danach gefragt“, entgegnete ihm sein Kollege.
„Das tut nichts zur Sache. Ich frage jetzt. Und ich möchte jetzt eine Antwort.“
„Du bist bloß leicht beeinflussbar, das ist alles. Wenn hier kein Plakat hängen würde, kämst du nie im Leben auf die Idee, nach irgendetwas zu fragen.“
„Möglich. Trotzdem bleibt ein gewisser schaler Nachgeschmack.“
„Was ist denn das nun wieder?“ erkundigte sich ein Passant.
„Irgendjemand hat anscheinend etwas gegen die innovativen Karfreitagspredigten.“
„Wurde auch Zeit! Unmöglich, sowas!“
„Erlauben Sie mal, was nehmen Sie sich heraus?“ empörte sich eine resolute Mittvierzigerin.
„Was ich mir schon längst hätte herausnehmen sollen! Das ist doch alles krank!“ ereiferte sich der Passant.
Der Auflauf wurde größer und größer, immer mehr Leute blieben stehen und schlugen sich auf eine der beiden Seiten. Keiner bemerkte den gutsituierten Herrn mit adrett drapiertem Stecktuch und einem kleinen Wesen auf seiner rechten Schulter, der sich eilig vom Schauplatz entfernte.
Versunken standen der Teufel und der Sondergesandte einige Tage später am Fenster der Botschaft des Heiligen Stuhls und betrachteten den Hauptplatz, auf dem vor einem ähnlichen Plakat eine riesige Menschenmenge stand und erbittert diskutierte.
„Na bitte, das wird ja. Wir sollten Megafondurchsagen lancieren“, schlug der Teufel vor.
„Megafondurchsagen? So wie die jetzt grade?“ fragte der Sondergesandte und deutete mit dem Kopf die Hauptstraße hinunter.
„Verflucht. Gut, diesmal waren sie schneller. Was bringen sie denn?Aha, den üblichen Käse von wegen Auflockerung und alte verstaubte Traditionen erneuern. Kein Problem. Weißt du, was wir jetzt machen?“
„Ehrlich gesagt, nein.“
„Flugblätter. Wir kleistern die Stadt zu, bis sich nichts mehr bewegt.“
„Aber Flugblätter entwerfen und drucken dauert! Und viel Zeit haben wir nicht mehr.“
„Du solltest mich inzwischen kennen. Ich wäre nicht ich, hätte ich nicht schon eine Kleinigkeit vorbereitet. Wirf mal einen Blick nach oben.“
Der Sondergesandte folgte der Armbewegung des Teufels und erspähte am Horizont mehrere Flugzeuge, die sich rasch näherten. Über der Stadt öffneten sich die Ladeluken und gaben unzählige sanft auf die Erde niederschwebende Flugblätter frei.
„Alle Achtung, du bist wirklich gut“, staunte der Sondergesandte.
„Das ist erst der Anfang“, antwortete der Teufel zufrieden.
Szene 8:
Tage zogen ins Land. Die Stadt glich mittlerweile einem buntscheckigen Teppich aus Plakaten und Transparenten, die sich für oder gegen die Kalenderreform aussprachen, klanglich unterlegt von Durchsagen und auf Propagandaveranstaltungen in die Welt geschleuderten Brandreden. Die regelmäßig von beiden Seiten in Auftrag gegebenen Umfragen wiesen etwa eine Woche vor der geplanten Abstimmung zum Thema beide Parteien etwa gleichauf aus. Es versprach, spannend zu werden.
In einem kleinen Büro brütete der Cheforganisator der Pro-Kalenderreform-Kampagne über Ideen für den letzten Großangriff. Die bisherigen Themen schienen gut anzukommen. Jetzt galt es, den Sack zuzumachen. Gerade schickte er sich an, einen brillanten Einfall zu notieren, als er plötzlich ein leises Räuspern vernahm.
Der Cheforganisator schreckte hoch. „Wer zum Teufel bist du und wie bist du hier hereingekommen?“
„Volltreffer, gratuliere“, entgegnete der Teufel, „wie ich sehe, machst du deinen Job ziemlich gut – ich hätte dir ein Angebot zu unterbreiten.“
„Okay,das war jetzt etwas unvermittelt. Kommst du immer so schnell zur Sache?“
„Zeit ist Geld, weißt Du. Es wäre folgendes: Ich bräuchte jemanden, der meine Contra-Kalenderreform-Kampagne in der Schlussphase noch ein bisschen aufmöbelt. Den letzten Großangriff fährt. Kurz: ich dachte dabei an dich.“
„Dir ist aber bewusst, dass ich die Gegenkampagne mache?“
„Warum?“ fragte der Teufel.
„Wie, warum?“
„Warum machst du die Gegenkampagne?“
„Was heißt, warum mache ich die Gegenkampagne? Weil ich mich mit den Zielen der Bewegung identifizieren kann und...“
„Papperlapapp. Du redest wie alle, die Angst vor sich selbst haben. Gehe in dich. Wäre es dir nicht viel lieber, in einer Stadt ohne Pfarrer in Clownskostümen und Torten an unpassenden Stellen zu leben?“
„Also eigentlich stört es mich nicht wirklich, muss ich sagen...“
„Ach bitte, das glaubst du doch selbst nicht! Hör auf dein Herz! Würdest du nicht viel viel lieber eine harte Kampagne gegen etablierte Verhältnisse fahren? So richtig nach Herzenslust angreifen? Lass dir das mal durch den Kopf gehen. Außerdem habe ich was für dich, wenn du dich für uns entscheidest.“
„Ich wüsste nicht,was du mir anbieten könntest, damit... Oh mein Gott, ist das ein Stück Schokoladenkuchen?“
„Mit Streuseln und Smarties obendrauf, so wie du ihn gern hast.“
„Verdammt.“ Die Rädchen im Hirn des Cheforganisators begannen fieberhaft zu rotieren. „Gut, gut, ich mache es! Warum bin bloß so schwach?“
„Und wenn du so stark wie zehn Elefanten gewesen wärst, hättest du gegen mich keine Chance gehabt. Gut. Ich brauche nur die Ideen von dir, die Umsetzung lass meine Sorge sein.“
„Wir haben noch eine knappe Woche, wie willst du das anstellen?“
„Darüber mach dir keine Gedanken, ich habe Mittel und Wege. Bekommst du eine fulminante Schlusskampagne bis morgen hin? Fetzige Plakate, knallige Durchsagen?“
„Herausfordernd, aber machbar. Verlass dich auf mich.“
„Perfekt. Wir sehen uns dann morgen.“
„Alles klar“, sagte der Cheforganisator, ehe er bemerkte, dass er allein im Raum war.
Szene 9:
Es war, als läge die Stadt im Krieg. Kein kleiner, begrenzter Flächenbrand, sondern eine Apokalypse fast biblischen Ausmaßes. Die Stimmung hatte sich nahezu vollständig gegen die Kalenderreform gedreht, Bekundungen zu ihren Gunsten waren de facto nicht mehr zu hören. Die Gegenseite drehte dafür noch einmal richtig auf. Der Cheforganisator hatte ganze Arbeit geleistet. Noch am Tag vor der Abstimmung wogten Protestzüge durch die Straßen, jeder Widerstand wurde im Keim erstickt. Gabriel agierte zunehmend hilflos und zog sich schlussendlich resignierend aus dem Geschehen zurück.
Grinsend stand der Teufel am Panoramafenster der Hölle und rieb sich die Hände. Der Sondergesandte neben ihm wirkte etwas unsicher und sah insgesamt ein wenig verloren aus.
„Das wird, das wird!“ freute sich der Teufel.
„Mag sein, aber war die letzte Rede wirklich notwendig?“ wandte der Sondergesandte zögernd ein.
„Was meinst du?“
„Du weißt schon, die doch recht drastischen Untergriffe gegen die städtische Pfarrei. Auch wenn wir auf verschiedenen Seiten stehen, gehören wir doch zum selben Schlag. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die ganze Angelegenheit auch ohne derartige Ausfälle geregelt hätte werden können.“
„Ich bitte dich! Wer hat denn angefangen? Wir geben diesen Bastarden doch nur zurück, was ihnen zusteht!“
„Aber heißt es nicht bei Matthäus 'Was ihr also von anderen erwartet,das tut auch ihnen'?“
„Meine Güte, jetzt komm mir bloß nicht damit! Das ist für mich die einmalige Chance, dem Alten endlich mal zu zeigen, wo der Bartel den Most holt. Gut, mit diesem Ziel wirst du dich nicht vollständig identifizieren können. Egal. Wir stehen vor einem beispiellosen Triumph. Mach einfach die Augen zu, denk an was schönes und klammer den Rest aus. Ich bring dich nach Hause.“
Die Erscheinung des Sondergesandten wurde blasser und verschwand schließlich ganz. Zufrieden wandte sich der Teufel wieder dem Geschehen in der Stadt zu. Der morgige Abstimmungstag konnte kommen.
Leitartikel des Städtischen Tagesanzeigers:
Erdrutschsieg – Kalenderreform bleibt
Gestern ging also die mit immenser Spannung erwartete Abstimmung über die Beibehaltung der Kalenderreform und damit auch über die weitere gemeinsame Abhaltung von Karfreitag und Faschingdienstag über die Bühne. Und womit nach den letzten Umfrageergebnissen nun wirklich niemand gerechnet hatte, traf die Stadt mit voller Wucht: ein fulminantes Votum für die Entstaubung von Althergebrachtem. Fünfundneunzig Prozent der Wähler entschieden sich dafür, die Kalenderreform nicht wieder rückgängig zu machen. Was zuletzt von den Gegnern als „Schlacht um das Abendland“ hochstilisiert worden war, erwies sich als beispiellose Fehlinterpretation der öffentlichen Meinung.
Wer in den letzten beiden Tagen durch die Straßen spazierte, musste allerdings unweigerlich zu dem Schluss gelangen, dass die Stadt den neuen Verhältnissen nahezu geschlossen ablehnend gegenüberstand. Was umso erstaunlicher war, als sich ebendiese Verhältnisse in den vergangenen Jahren recht sicher etabliert zu haben schienen. Anfangs begegnete man den Änderungen eher skeptisch – zu unerhört schienen ein Pfarrer in Clownsschuhen oder ein den Kreuzweg nachstellender Faschingsumzug. Entsprechend angespannt war die Stimmung seitens Pfarre und Regierung im darauffolgenden Jahr, doch zu Unrecht, wie sich erwies. Die Neuerungen wurden – überwiegend sogar von den Bürgern selbst – bereitwillig fortgeführt. Alles schien sich in Wohlgefallen aufzulösen, bis man an höchster kirchlicher Stelle auf die Situation aufmerksam wurde und ein Eingreifen für nötig hielt. Die Konsequenzen bestanden in erbittert geführten Kampagnen, bei denen die hauptsächlichen Repräsentanten beider Lager von sonderbaren, auf deren Schulter sitzenden Gestalten sekundiert wurden.
Die von den Gegnern der Reform betriebene Materialschlacht ließ die öffentliche Meinung jedoch letztlich umschwenken. Der dem liberalen, aufgeklärten Journalismus verpflichtete Redakteur stellte sich bereits mit Sorgenfalten auf der Stirn auf einen die Wankelmütigkeit seiner Mitbürger bitter beklagenden Artikel ein. Im Endeffekt wurde daraus ein Artikel, in dem der dem liberalen, aufgeklärten Journalismus verpflichtete Redakteur nicht recht weiß, wie er das Ergebnis und die dieses bedingende Stimmungslage einzuschätzen habe. Egal. Freuen wir uns, dass die Dinge kamen, wie sie kamen und hoffen wir, dass der demokratische Souverän solche Volten nicht etwa bei der für das Ansehen der Stadt so eminent wichtigen Wahl zur Narzissenkönigin in einem Monat hinlegt.
Epilog:
Missmutig faltete der Teufel die Zeitung zusammen und sah den Herrn vorwurfsvoll an. „Du hattest da deine Hände im Spiel, gib's doch zu!“
„Zugegeben. Aber du musst verstehen, dass die Sache zu wichtig für mich war, um sie dir kampflos zu überlassen“, schmunzelte der Herr.
„Das ist in gewissem Maße unbefriedigend“, maulte der Teufel, „ich kann tun was ich will und falle immer wieder auf die Nase. Schön langsam fange ich an, die Freude daran zu verlieren, weißt du?“
„Vorschlag zur Güte: wir nehmen uns die nächste Abstimmung oder sonst was Vergleichbares in der Stadt vor. Ich verspreche, dass ich mich mit übernatürlichen Eingriffen zurückhalte und sie nicht in größerem Ausmaß einsetze als du. Können wir gerne vertraglich fixieren. Und am Ende gewinnt der Stärkere. Und das bin nicht notwendigerweise ich.“
„Wirklich? Kein Flachs? Keine gekreuzten Finger?“
„Versprochen. Tob' dich aus.“
Der Vorsitzende des Komitees zur Wahl der Narzissenkönigin staunte nicht schlecht, als sich vor ihm plötzlich eine gehörnte Gestalt materialisierte, die einen Strohhut trug.
„Was zum...“ stieß er perplex hervor.
„Könntet ihr zumindest einmal anders reagieren? Vielleicht mit 'Hallo, nett dich zu sehen. Wie geht's'? Egal. Hör zu, folgender Vorschlag...“