Taaaalk, talk talk talk, taaaalk
Er findet die heißen Scheinwerfer ebenso unerträglich wie die Runde der Mitdiskutanten in der er sitzt.
Deren Vorsitz nimmt die bekannte, vormalige Nachrichten-Moderatorin und vorvormaliges Girlie-Journal-Model, Christiane Sabsen, ein, nun sonntag-abendliche, öffentlich-rechtliche Talkrundenleiterin. Sie stellt gerade die Gäste vor.
Maike-Corinna Hübler-Scheel, eine korpulente, ebenso fürchterlich schwitzende, aber mit freundlichem Dackelblick dreinschauende Abgeordnete der Öko-Bio-Ethno-Partei.
Dr. Hubert Stiefelspitz, denVertreter der demokratisch-sozialistischen Fraktion im Bundestag, ein dürrer, blasshäutiger, mit widerspenstigem Haar geplagter, nervös und zugleich kampflustig von einem zum anderen blickender Mittvierziger.
Natürlich der unvermeidliche Liberale, ein jovial-unverschämt in die Kamera lächelnder Betriebswirtschafts-oder-Jura-Absolventen-Typ namens Klaus-Franz Übelacker, der sich in seinem Sessel bereits breit gemacht hat und seine endlos langen Beine in Richtung der Öko-Tussie ausstreckt.
Einer von den Christlich-Konservativen Mitte, German Speckle sein Name, in unverkennbar schwäbischer Mundart „Grüß Gottle“ nuschelnd, und sich anschließend mit leicht angewidertem Blick seine Mundwinkel mit einem blau-grün gemusterten Taschentuch abwischend. Vermutlich rufen die schwäbischen Zischlaute eine verstärkte Flüssigkeitsabsonderung in seinen Mundwinkeln hervor, welcher er im Verlaufe der Sendung immer wieder mit Hilfe jenes blau-grün gemusterten Taschentuches Einhalt zu gebieten versucht.
Und je einen Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, Dr. Reinhold Schultbecker-Kleinhasseröder und Robert Frommler, zwei sich äußerlich sehr ähnelnde, sonst aber außergewöhnlich unscheinbare Typen, die die Regie wohl aus dramaturgischen Gründen nebeneinander gesetzt hat, in der Hoffnung auf den einen oder anderen verbalen Schlagabtausch.
Dann ist da noch Herr Bürger, der, der so sehr unter den glühenden Scheinwerfern leidet. Der Bürger wird zuletzt vorgestellt, als Überraschungsgast. Ist ja doch etwas Ungewöhnliches in der aktuellen Medienlandschaft, einen Menschen in einer Talkshow sitzen zu sehen der einfach – nun, einfach er selbst ist. Daher lohnt es auch nicht ihn näher zu beschreiben. Es könnte jeder von uns sein. Mann oder Frau, Rentner oder Arbeitsloser, Jungnazi oder Hip-Hopper. Einer wie der andere. Volk eben, Prolo, Stimmvieh, oder – der Wähler, der ganz genau weiß, was er will und seine Stimme demjenigen gibt, der ihn versteht und auch weiß was er, der Wähler will, und so weiter, und so fort, blablabla. Politikergeschwätz eben.
Alle sehen ihn erwartungsvoll, aber doch etwas von oben herab an. Wart nur Bürgerchen, wir werden dir hier schon beibringen wer das Sagen hat.
Die Schlacht beginnt.
Das Leitthema ist schnell vergessen, es geht sofort um die übliche Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung der verschiedenen, in ihren Elfenbeintürmen sitzenden und daher den totalen Überblick habenden so genannten Volksverdummer, ich meine Volksvertreter.
Man beginnt mit den üblichen Floskeln, die Moderation reißt kurz das Thema an, welches, wie gesagt, sofort vergessen ist. Man betet seine auswendig gelernten Zahlen herunter, breitet seine Argumente aus, die in tausend anderen Talkrunden, Interviews, Diskussionen mit und ohne Podium und sonstigen Wahrheitsfindungszirkeln schon mehrfach von sich gegeben wurden .Völlig aus dem Zusammenhang gerissenes Zeug, dem Thema nicht zuordenbar, Geschwätz einfach nur, unerträgliches Geschwätz.
Es geht um irgendein neues Gesetz, das heute hätte verabschiedet werden sollen und das natürlich schon im Bundestag und Bundesrat und deren zugeordnete inneren und äußeren Ausschüssen und dieser und jener Konferenz und Expertenrunde, und selbstverständlich auch im Kabinett und der Koalition und dieser Fraktion und jener Opposition und allen -ionen dieser Republik durchgekaut wurde und letztlich doch nicht verabschiedet worden war.
Christiane Sabsen versucht immer wieder, sich mit ihrem bekannt verzweifelten Lächeln Gehör in der Runde zu verschaffen. Vergebens. Jeder, außer Herrn Bürger, meint, seine schon so oft gehörte, gesehene, gesendete, gewendete Meinung kundtun zu müssen.
6,7 Millionen potentielle Wähler sitzen da draußen an den Geräten.
Der Bürger sitzt ruhig und schwitzend da, überlegt, wie er wohl in diese Runde gekommen ist, einzig aufgrund eines Leserbriefes, den ersten übrigens den er je geschrieben hat, und in dem er sich beklagt, dass in den Talkshows nie jemand seinesgleichen , also ein einfacher Bürger, ohne Amt und Mandat, eingeladen würde. Ein Mann oder es hätte seinetwegen auch eine Frau sein können, jedenfalls einwirklicher, kleine Bürger aus dem Volk, ein wahrer Volksvertreter somit.
Und während er noch so grübelt und nachdenkt, auch überlegt was er wohl sagen wird, wenn er denn überhaupt etwas gefragt werden würde, und insgeheim hofft, man würde ihn übersehen und nichts fragen, oder seine Meinung zu einem Thema hören wollen, einem komplizierten Sachthema etwa, von dem er ohnehin nichts versteht, da wird es plötzlich still im Studio und alle Blicke richten sich auf ihn und alle Scheinwerfer und Kameras und die Blicke jedes Gastes und der Zuschauer auf den Bänken im Zuschauerraum und die von 6,7 Millionen Fernsehzusehern und potentiellen Wählern, die da draußen an den Geräten sitzen. Und er hat diese blöde Frage, die Christiane Sabsen an ihn gerichtet hat gar nicht richtig verstanden, weil er so in Gedanken versunken war.
Die Diskussion war bereits geraume Zeit gelaufen, sie hatte bisher ohne ihn stattgefunden. Er war nicht einbezogen worden, man hatte seine Meinung nicht abgefragt, des Öfteren hätte Herr Bürger etwas zu sagen gehabt, aber man hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen, hatte ihn ignoriert, hatte ihm das Wort abgeschnitten, ihn abgekanzelt mit kurzen, griffigen Totschlagargumenten. Geschulte Redner, in dutzenden von Rhetorikseminaren gedrillt, gegen einen, der vor Aufregung fast in die Hosen machte und dabei denen da doch mal richtig die Meinung sagen wollte.
Doch irgendwie verknüpft er plötzlich den Gedanken, den er eben gehabt hat mit dem was ihn Frau Sabsen gefragt hat und dem was die bisherigen Redner von sich gegeben haben und beginnt sofort hysterisch drauflos zu brüllen und seine Meinung, unbeholfen und unartikuliert zunächst, zu verbalisieren.
Schließlich ergeht er sich in heftige Attacken gegen die verhasste Funktionärsclique.
„…ihr habt doch alle einen an der Mütze, Wählerbeschiss ist das, ja Wählerbeschiss. Was wisst ihr schon vom einfachen Bürger, von denen auf der Strasse, von den Arbeitern, Arbeitslosen, Rentnern, wer auch immer. Gar nichts….“
Der Sozi versucht, ihm Einhalt zu gebieten, doch der Bürger namens Bürger schreit einfach weiter.
„Unterbrechen sie mich nicht ! Jetzt bin ich mal dran, ich bin ja sozusagen einer aus dem Volk, ja, ich bin das Volk ! Ist doch irgendwie bekannt der Spruch, oder ? Wir sind das Volk, ich bin das Volk, ich bin das Volk !! Ich bin ein Volksvertreter. Ein achtzig-millionstel, aber mehr als ihr hier alle zusammen.“
Nun ist er richtig in Fahrt, die Biotussi lächelt nun unverhohlen ob soviel Volksmutes und zeigt durchaus Sympathie während alle anderen inzwischen eine bedrohliche Position einnehmen, sich teilweise aus den Sitzen erheben. Münder öffnen sich, Worte versuchen sich einen Weg zu bahnen, doch noch dringt man nicht durch zu ihm.
Die Moderatorin hebt eine Hand, mit einem Kugelschreiber, der überflüssig ist, weil sie nie einen Kugelschreiber in der Sendung benutzt, aber es sieht halt intelligent aus. Der Kugelschreiber wackelt zwischen ihren zur Ermahnung erhobenen Fingern, aber sie kann sich, wie üblich, kaum Gehör verschaffen.
„Euch sollte man in ein Grube schmeißen und dann zuscheißen, alle wie ihr dasitzt.“, brüllt Bürger.
Gejaule und Geheule von der Oppositionsbank.
„Also höred se mal, des isch jetz unter unserem Niveau“, näselt der Schwabe.
Unbeirrt fährt Herr Bürger fort, nun da er freie Fahrt hat, freie Rede.
„Ist doch völlig egal ob Opposition oder Koalition oder sonst was, alles der gleiche Dreck. Ihr habt doch zwanzig Jahre lang die Karre so was von in den Dreck gefahren, dass es doch kein Wunder ist wenn die jetzigen Machthaber das nicht mehr auf die Reihe kriegen. Das die zu blöd zum Regieren sind, ist eine Sache, aber dass das der Mist aus zwanzig Jahren Hohl-Regierung ist, eine andere. Diese ganze Scheiß Wiedervereinigung und der Irakkrieg und das Wettrüsten und so weiter. Kostet doch alles unser Geld.„
Protest von der liberalen Fraktion, er bringe da wohl etwas durcheinander, doch ungehört verhallen Bübchens Übelackers Worte.
„Ihr verkauft die Leute für dumm, wenn ihr meint die merken das nicht. Und von wegen Vertrauen. Es gehen ja heute schon nur noch fünfzig Prozent zum Wählen. Das muss man sich vorstellen, fünfzig Prozent der Wahlberechtigten, die, die nicht wählen dürfen, Kinder , Greise, Knastbrüder und Irre gar nicht mitgezählt. Das heißt das sind weniger als die Hälfte vom eigentlichen gesamten Volk, die überhaupt wählen und von denen kriegt ihr vierzig Prozent der Stimmen, also die Regierung kriegt die. Das sind weniger als ein Viertel die euch wirklich wählen. Euch, die Regierung oder nächstes mal eben eine andere Regierung. Völlig Wurscht – rot, blau, grün, schwarz, gelb, braun – alles dieselbe Kacke.“
„Kollege, nun versuchen Sie mal ihre sicherlich begründeten Argumente auf eine anständige Weise.. „, versucht ihm der Gewerkschaftsvertreter, kollegial, wie es eben seine Art ist, beizustehen, allerdings mit müder, gelangweilter Stimme, denn in Wahrheit ist es ihm doch eher peinlich, dass der einer vom Volk ist, vielleicht noch Arbeitnehmer, vielleicht sogar Gewerkschafter? Doch der selbsternannte Volksvertreter lässt sich nun nicht mehr halten.
„Ich rede wie ich will, das ist die Stimme des Volkes. Genau, ordinär aber ehrlich. Lieber zehnmal Scheiße gesagt als einmal Scheiße gebaut.“
Und Herr Bürger steigert sich mehr und mehr in seine Verbalinjurien, verletzt den Roten und beschimpft den Liberalen, geifert über den Arbeitnehmervertreter und beleidigt den Gewerkschafter.
Längst hat er selbst den Faden verloren, nur noch Worte sprudeln aus ihm, Schaum tropft ihm von den Lippen, ebenso wie dem Konservativen, der ihn seinerseits verbal und schließlich auch körperlich zu attackieren versucht.
Die Situation entgleitet der Unterhaltungmeisterin vollends, das geneigte Publikum zeigt sich mehr und mehr begeistert, schlägt sich auf die Seite ihres Volksvertreters, begleitet seine Attacken mit zunehmenden Beifall, während es die Verteidigungsversuche der gewählten Parlamentarier mit Pfiffen und Buhrufen stört.
Herr Bürger, nun auf dem Höhepunkt seines Hasses angekommen, lässt nun endgültig die Sau raus, speit aus was viele denken, sich bisher keiner zu formulieren wagte:
„Irgendwo wird doch wohl noch so ein RAF-Überlebender rumlaufen oder einer von diesen Bin Laden-Typen. Die sollten sich mal euch vorknöpfen. Das wär' mal ein lohnendes Ziel. Gleich sechs auf einen Haufen, da spart man sogar noch Sprengstoff.“
Das Publikum, eben noch laut applaudierend und johlend vor Begeisterung ist augenblicklich still.
„Damit die Prioritäten mal wieder richtig gesetzt sind“, fügt Herr Bürger mit sich überschlagender Stimme hinzu.
Er will fortfahren, doch damit ist er nun einen verbalen Schritt zu weit gegangen.
Alles konnten sie ertragen,
ohne nur ein Wort zu sagen.
Aber wenn sie dieses hörten… (frei nach Wilhelm Busch)
Einzig die Alternative Hübler-Scheel reagiert mit einem mühsam unterdrückten Grinsen, schüttelt dann aber doch aus Solidarität mit der restlichen Politiker- und Funktionärsclique bedenkenschwer das Haupt.
Die Schlacht kommt nun zum Höhepunkt.
Der Liberale springt auf wie ein von einem Gummiband abgeschossenes U-Häkchen und brüllt :
„Das ist ja wohl unglaublich, sie fordern hier öffentlich zu Mord auf…..!!“
Der Konservative hat Mühe zwischen dem schäumenden Speichel, der aus seinem zitternden Mundwinkel tropft, die richtigen Worte zu pressen. Arbeitgebervertreter und Gewerkschafter stürzen in seltener Einigkeit auf Bürger zu und brüllen auch auf ihn ein. Der Sozi solidarisiert sich mit den Kollegen von der Volksvertretung und kommt Herrn Bürger nun ebenfalls gefährlich nahe.
So nahe war der Bürger der Politik nie.
Christiane Sabsen, wie immer heillos überfordert, wenn mehr als zwei Personen gleichzeitig agieren, verliert völlig das Konzept und versucht mit lauter werdender Stimme die Runde wieder zum Sitzen zu bewegen. Man weiß nicht, ob sie das macht, um dem Bürger zu Hilfe zu eilen oder weil sie sich aus dem Sendekonzept gebracht sieht, oder weil es einfach ihre Aufgabe als Moderatorin ist oder warum auch immer.
Jedenfalls platzt dem Bürger jetzt der Kragen und die Angst vor den Angriffen der Politiker auf ihn, den Bürger verleiht ihm die Kraft, plötzlich und völlig unerwartet für das Podium, aufzuspringen und dabei dem, inzwischen auf Nasenlänge an ihn herangekommenen, Liberalen mit seinem hochschnellenden Kopf das Nasenbein zu zertrümmern. Er hört das knackende, knirschende Geräusch des brechenden Knochens, spürt den Zusammenprall an seiner Schädeldecke, doch will nur noch nach vorne, nur noch weg, er spürt sofort etwas Warmes auf seiner Schädeldecke, weiß nicht, ist es sein Blut oder das Übelacker’sche, der inzwischen von diesem unvermittelten Schmerz getroffen, gleichzeitig nach oben und hinten springt, dabei den schwäbisch-konservativen Parlamentarier mit seinen hochgerissenen Armen in den Leib stößt und diesen wiederum zum rückwärtigen Umfallen veranlasst, jener schwergewichtige Mann fällt in die Platte des Glastisches, welche unter lautem Krachen in tausend Scherben zerbirst, ebenso wie die Getränkegläser, welche auf dem Tischchen stehen, und die Scherben des Tisches und der Wassergläser schwirren wie kleine Geschosse auf die umstehenden Personen zu und dringen in die Haut des einen oder anderen, so unter anderem in die Brust der Moderatorin, welche nun fürchterlich kreischt, weil gleichzeitig Blut, wohl aus der Nase des Liberalen oder aus dem Handgelenk des Konservativen auf ihr hell-beiges Leinenkleid spritzt, aber man weiß nicht, ob sie deswegen schreit oder weil sie selbst von einem Glassplitter getroffen ist; Der Bürger wendet sich nun vehement nach rechts in Richtung des Studioausgangs zu, dabei muss er den Arbeitgebervertreter passieren, der sich inzwischen auf der Flucht vor Scherben und Schergen wieder in seinem Sessel verborgen hat, und beim Übersteigen jenes Sessels tritt der Bürger dem Dr. Schultbecker-Kleinhasseröder in den Unterleib und hört in dem Lärm aus Applaus und Pfeifen und Schreien und Johlen, teils aus dem Publikum, teils aus dem Auditorium, und dem Klicken und Surren der Kameras, ein Geräusch wie das Platzen einer Melone – oder wie es eben klingt wenn ein Hoden zertreten wird, auch wenn dies aus Versehen geschieht, und er sieht nur aus den Augenwinkeln, wie dieser sich zunächst schmerzverzerrt in seinem Sitz zusammenkrümmt und vor Pein nicht mehr plärren kann, aber dann plötzlich die Arme hochreißt, diese dem Gewerkschafter mitten auf die Kehle schlägt und jener davon wohl tödlich getroffen nach hinten über den hinter ihm stehenden Sitz fällt und sein Gewerkschafterleben live im öffentlich-rechtlichen Deutschen Fernsehen aushaucht, noch bevor sein Kopf den Laminatfußboden des Studio 1 der Berliner United Film krachend berührt, und der Bürger, dem ultimativen Chaos entfliehend, läuft nun geradewegs auf den Studioausgang zu, dort wo die zwei Sicherheitsleute stehen, von denen einer gerade, während er in sein vor seinem Mund und um seinen glattgescherten Kopf hängendes Mikro irgendwelche Anweisungen brüllt, versucht einen Revolver aus einer versteckten Revolver-Tasche seiner Jacke zu ziehen, dabei vom Bürger gerempelt wird, und sich versehentlich eine Kugel aus seinem dummerweise und unvorschriftsmäßig bereits entsicherten Revolver in die Milz jagt, an deren Verletzung er später versterben wird und somit der zweite Tote innerhalb von zwanzig Sekunden in einer Live–TV-Show werden wird, und der andere ihn mit einem Sympathiebekundungslächeln ansieht und, wie der flüchtende Herr Bürger zu bemerken glaubt, sogar einen kleinen Schritt zur Seite macht, nicht um vor ihm in Deckung zu gehen, sondern um ihm, dem ebenfalls Gequälten aus dem Volke, den Weg nach draußen freizumachen und dieser rennt durch diese Studiotür vorbei an irgendwelchen anderen Fernsehleuten, die das Chaos noch gar nicht einordnen können und ihn daher passieren lassen, ins Freie, raus aus der Scheinwerferhitze und dem Gestank von Schweiß und Blut und Erbrochenem und Abgeordnetenspeichel und dem Lärm und Johlen und Kreischen, und plötzlich steht er allein auf dem Parkplatz des Studiogeländes und er schaudert, vor Kälte und weil er plötzlich den Regen bemerkt, der durch sein Hemd dringt, die Haut kühlt und auch seine Haare benässt und ihm übers Gesicht läuft und auf einmal ist es da ganz ruhig und er hört überhaupt nichts mehr von dem Lärm drinnen, weil die schwere, metallene Tür fällt nun zu und die dicken Betonmauern lassen keine Geräusche mehr durch von dem was da drin gerade geschieht und was Fernsehgeschichte schreiben wird und…
…er steht im Regen und spürt seinen Puls langsamer werden. Sein Atem wird flacher, der Gestank verflüchtigt sich, die Gedanken ordnen sich. Er genießt die kühlende Nässe auf seiner Haut und er wartet, ob er wohl bald aufwachen wird.
Herr Bürger geht langsam in die Dunkelheit zum Parkplatzausgang. Gleich morgen früh, sobald er aus diesem schrecklichen Traum aufgewacht ist, wird er das Bild-dir-gefälligts-eine-Meinung-Magazin kaufen. Da wird er dann lesen, ob das nur ein Traum war, ob er in Erfüllung gegangen ist oder ob es doch wieder nur ein Alptraum war.