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Türen
Überall um mich herum ist Weiß, allgegenwärtig. Totale visuelle Harmonie, unterlegt durch beruhigende Klänge, die im Raum schweben. Mein Blick geht unbehindert Hunderte von Metern weit. Ich schwebe im weißen Nichts und spüre Boden unter meinen Füßen, schaue hinunter und vermeine weißen Fußboden zu erkennen.
Den Blick wieder aufrichtend, erkenne ich einige Meter entfernt eine Tür. Ebenfalls weiß, wie die Umgebung, aber ihr Weiß ist eine Nuance anders. Nur deshalb sehe ich sie. Neugierig schreite ich darauf zu. Sie steht einsam im Raum, vier kleine Fenster mit Butzenscheiben erlauben den Blick hindurch. Nur gehalten vom Türrahmen, der im Boden verankert zu sein scheint, ragt sie einsam wie ein Monolith aus dem Weiß ins Weiß. Da keine Wände vorhanden sind, kann ich hinter die Tür schauen und gewahre dort eine wunderschöne fremde Frau. Sie sitzt auf einer Holzbank, hält eine Schlange in der Hand und beobachtet liebevoll, wie sich das Geschöpf ständig um ihre Hände und Arme schlängelt. Dann schaut sie beiläufig zu mir herüber. Das Leuchten in ihren Augen ist Erkennen. Erwartungsvoll streckt sie mir die Arme entgegen. Das Lächeln ihres Gesichts lässt die Unbekannte von einem Moment zum anderen als Traumfrau erscheinen. Ich werde mir meiner Gefühle für sie bewusst. Meine Liebe zu ihr ist grenzenlos. Ich muss zu ihr. Aber die Tür ist verschlossen und zu massiv, um sie mit körperlicher Gewalt öffnen zu können. Ich schaue mich hilfesuchend um, doch noch immer bin ich allein, im Weiß gefangen. Wider besseren Wissens versuche ich, die Tür aufzudrücken. Es gelingt mir nicht. Meine Traumfrau hat zu lächeln aufgehört. Sie schaut traurig zu mir herüber und winkt. Verzweiflung greift nach meinem Herzen. Ich gehe auf die andere Seite der Tür und ziehe mit aller Kraft an der Türklinke, ohne Erfolg. Wieder wechsele ich zur anderen Seite und luge durch die kleinen, gewölbten Fenster zu ihr. Sie hat aufgegeben, hat sich von mir abgewandt und spielt weiter mit der Schlange, die inzwischen viel größer geworden ist.
Sieht sie denn nicht, dass sie Gefahr läuft, von der Schlange erdrückt zu werden? "Hallo Du, schöne Frau! Pass auf, die Schlange ist eine Würgeschlange, sie wird dich erdrücken." Ich schreie so laut ich kann, aber meine Stimme ist nicht zu hören, nur die Hintergrundmusik strahlt in endlosen Wiederholungen Beruhigung und Sanftmut aus und hüllt sie vollständig ein. Sie hört mich nicht, wendet sich wieder ab. Die Schlange wächst weiter, ihr Körper bedeckt nun fast vollständig die geliebte Fremde. Ich ziehe meine Stiefel aus und versuche damit die Fensterscheiben der Tür zu zertrümmern. Dabei schreie ich ungehörte Schreie der Verzweiflung. Schweiß rinnt mir von der Stirn. Die Tropfen fallen platzend aufs Weiß. Sie zischen, verätzen den weißen Boden und hinterlassen Weiß. Ich richte mich auf und schaue voller Befürchtungen erneut zu ihr. Doch sie ist nicht mehr dort.
An ihrer Stelle steht ein Mann, mit weißem Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Ich bin es. Er schaut zu mit rüber, erkennt mich und lächelt. Dann kommt er auf mich zu. Aber er kommt nicht durch die Tür, er geht daran vorbei, ignoriert die nicht vorhandene Wand. Verlegen strecke ich ihm die Hand entgegen, doch er übersieht sie, geht an mir vorbei und ich folge ihm mit den Augen. Da ist sie, meine Liebe. Sie steht dort und schaut uns an, lächelt. Wir gehen nun beide mit schnellem Schritt auf sie zu, versuchen das Tempo zu steigern. Doch so sehr ich mich bemühe, meine Bewegungen, unsere, spielen sich nur in Zeitlupe ab. Ich muss sie vor ihm erreichen. Zwischen ihr und uns erneut eine Tür, aber ich bin schneller. Jetzt weiß ich, hoffe, dass ich sie als erster passieren werde. Ein kurzer Moment der Freude. Ich bin als erster an der der Tür. Doch wieder ist sie verschlossen und alles Rütteln nutzt nichts. Durch die kleinen Butzenscheiben schaue ich zu ihr, sehe meinen Kontrahenten und erschrecke. Er ist bereits bei ihr, sie liegen sich in den Armen und gehen umschlungen ins ferne Weiß.
Seitdem sammele ich Schlüssel. In meinen Träumen habe ich Tausende von ihnen. Irgendwann werde ich auf die richtigen Türen stoßen.