Tür zu es zieht!
Es ist kalt. Es regnet und ich bin müde. Zu müde um aufzustehen. Was vielleicht daran liegt, dass es kalt ist und regnet, aber ich weiß auch, dass sich der Regen heute noch verziehen wird. Denn jeder Mensch, egal ob unterer, oberer oder mittlerer Klasse, alle können sich etwa ein Bild von dem machen, was passieren wird an diesem Tag; jedoch nur, wenn man sich in der Mittelklasse bewegt.
"Mittelklasse, immer noch besser als ein Stehplatz, zumindest im Zug", dachte ich mir auf der Rückfahrt, als ich so da saß, weil einige meiner Mitschüler etwa 150 km vom Düsseldorfer Hbf bis zu einem Provinzbahnhof nahe Kleve stehen mussten. Hätte ich sie sitzen lassen sollen?
Mich für sie opfern sollen?
Aber was mache ich denn hier? Bin ja schon am Ende.
Es beginnt doch alles am Provinzbahnhof oder an der Schule, in der Stadt, in der auch der Provinzbahnhof liegt.
Ich habe also doch den Weg aus meinem Bett zur Schule gefunden und warte jetzt nur noch auf den Rönö, der immer ein wenig verspätet kommt, was aber weniger daran liegt, dass er morgens nicht den Weg aus dem Bett findet; eher ist es die Inkompetenz unserer Schule und des Busunternehmens, die ja eigentlich dafür sorgen sollten die Schüler (die gar nichts anderes wollen als zur Schule zu kommen) pünktlich zur Lieferfrist anzuliefern.
Da ist er. Er steigt aus dem Bus, um zu sehen, dass ich ihn sehe. Er wollte nämlich erst blau machen, dieser Schuft. Bonn sei ihm nicht aufregend genug und er wolle auch nicht rauchen an diesem Tag, sagte er, und wo ist eigentlich sein Pausenbrot.
"Ach ja, heute ist ja Ausflug, da haben wir ja keine Pause."
Habe ich Bonn erwähnt? In dieser Stadt gibt es ein Museum. Ein gutes, altes, deutsches Museum. Schön, nicht? Wir fahren also ins Museum, mit dem Zug, um zu sehen, was wir früher alles im Krieg getan haben. Ja, ich weiß, ich hätte England nicht den Krieg erklären sollen. Ja, und das mit den USA, das war auch nicht so korrekt. Was soll's, ich hab mich ja schließlich schon tausend mal dafür entschuldigt und ich zahle täglich Steuern für das, was ICH einst getan habe.
Sagte ich schon, dass es regnet? Ja, das tut es und nicht zu knapp. Den ganzen Weg von der Schule bis zum Bahnhof, aber nur bis zum Bahnhof, denn als wir ankamen hörte es auf. Ich mein', warum sollte es regnen, wenn wir schon angekommen sind, dann werden wir ja eh nicht mehr nass.
Warum gibt es eigentlich immer noch so viele Raucher? Ich bin doch erst in der zehnten Klasse und meine Mitschüler doch auch. Und das kann ich sagen, da rauchen einige. Das wäre ja auch eigentlich nicht das Problem, auch wenn sie schon süchtig sind, doch wie oft habe ich in den letzten Tagen bei der Planung unserer Bonnfahrt diese Fragen gehört:
„Dürfen wir denn im Zug rauchen?“
„Wenn wir nicht rauchen dürfen, dann fahren wir nicht mit!“
Das Schlimme ist nur, dass die Lehrer da die "Ich-schau-mal-nicht-hin-dann-sehe-ich-auch-nichts-und-mache-mich-auch-nicht-strafbar"-Meinung vertreten. Da stehen insbesondere rauchende Schüler drauf, weil sie so schon zeigen können, wie erwachsen sie sind, vor ihren Lehrern. Da wird schon mal die ein oder andere Zigarette mehr angezündet.
Schon zwei Bahnhöfe weiter sah es im Zug aus wie in einer schwedischen Dampfbadsauna. Da half es auch nichts mehr sich in ein anderes Abteil zu setzen, dabei saß ich schon im Nichtraucherbereich.
Man, wie spaßig. Da hätte gerade beinahe jemand seinen Kopf an einem Baum gelassen, den er während der Fahrt weit aus dem Fenster gestreckt hatte. Nicht, dass ich das gut finden würde, wenn jemand seinen Kopf verliert oder etwas demoliert, so hätte die Fahrt sehr zu meinem Wohlwollen jedoch ein jähes Ende gefunden und der Rönö fänd das auch gut.
Irgendjemand will wohl nicht, dass ich dieses unglaubliche Erlebnis, dieses Museum zu besichtigen, verpasse. Da hätte es wohl auch nichts genutzt, wenn ich mich beim Umstieg im Düsseldorfer Hbf vor den nächsten Zug geschmissen hätte; er wäre wohl kurz vor meinem Aufprall schnell noch auf ein anderes Gleis gewechselt oder einer der Lehrer hätte sich todesmutig nach alter Bodyguardmanier vor mir vor den Zug geschmissen, um mich zu retten. Nein, ich denke es gäbe keine Möglichkeit sich diesem Ausflug zu entziehen.
Wir fahren weiter und das Einzige, was mich noch am Leben hält, sind die Gedanken an eine Geschichte, die man mal schreiben könnte. Doch was lässt da meine eben errichteten Luftschlösser zerfallen? Eine sich immer wieder wiederholende Klingelmelodie. Das kam vom Eingang und es hörte einfach nicht auf. Der Schaffner gab an, dass die Tür einen Defekt habe und als dann die Durchsage vom Lokführer kam, dass dieser Zug nicht weiterführe, ehe das Problem behoben sei, machte sich in mir wieder dieses Gefühl breit. Das Gefühl, was mir sagte: „Los komm, reiß einen Witz, ich hätte da einen“, und ehe ich mich versah: “Tür zu, es zieht.“
Bisher hatte noch nie jemand das getan, was ich gesagt hatte und schon gar nicht ein zweistöckiger Bummelzug. Doch an diesem Tag brachte mir diese Freudsche Fehlleistung doch noch die ersehnte Fahrt ins Glück. Das hab ich mir wieder mal selber verbockt.