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Tücken der Technik
„Schau mal Schatz, wir haben jetzt auch so einen Thermomix!“ Meine Mutter fängt mich direkt an der Haustür ab und schleift mich eilig an den Ort des Geschehens. Der gelangweilte Gesichtsausdruck meines Vaters lässt vermuten, dass weniger wir, sondern vielmehr meine Mutter jetzt auch so einen Thermomix hat. Meinen Vater kann ich mir sowieso nur schwer vor diesen Zwergenportiönchen vorstellen, die das neue Must-have der Hobbyküche ausspuckt. Wegen der stetig sinkenden Geburtenrate scheinen Kochtöpfe, in die Nahrung für eine ganze Familie passt, überflüssig zu werden. Stattdessen stellt die moderne Hausfrau vegane Dips in überschaubaren Größen her. Auch meine Mutter möchte nun Teil dieser Bewegung werden, hat aber noch mit der ein oder anderen Tücke ihres neuen Küchenwunders zu kämpfen.
„Wie funktioniert das denn jetzt?“, fragt sie mich wie selbstverständlich. Als hätte ich vorsichtshalber seit Wochen die Bedienungsanleitung hoch und runter gelernt und nur auf meinen großen Auftritt gewartet.
Allgemein holen Mütter und Väter gerne ihre in die Welt gesandten Arbeiterbienen zurück in den elterlichen Bienenstock, um von draußen erworbenem Wissen über Elektrogeräte zu profitieren. Seit wir unsere Füße nicht mehr unter ihren Tisch strecken, sind wir zu Tausendsassas geworden, die jedes Problem mit einer lässigen Handbewegung lösen. Auch von Dingen, von denen wir noch nie im Leben gehört haben, werden von uns umfassende Kenntnisse erwartet. Wir sind doch schließlich diese jungen Wilden, die das alles erfunden haben! Wir haben halt einfach vergessen, unsere zurückgelassenen Familien ausreichend über das neue Jahrtausend zu informieren und müssen uns jetzt nicht über die Kluft zwischen uns und den einfachen Leuten wundern. Dadurch sind deutsche Haushalte mittlerweile zu einem florierenden Wirtschaftszweig geworden, in dem rund um die Uhr schwarz arbeitende Kinder Großaufträge ihrer Eltern bearbeiten. Die Eltern wiederum schauen staunend dem professionellen Treiben zu und wundern sich, warum mit der heutigen Technik eigentlich noch keine Zeitreisen möglich sind.
Wenig professionell hantiere ich inzwischen an den vielen Knöpfen herum und klicke mich durch diverse Untermenüs von Untermenüs.
„Warum dauert das denn so lange?“, hakt meine Mutter nach. Das ist mal wieder typisch. Das Ding steht seit 2 Wochen als reines Dekorationsobjekt auf der Küchenablage. Kaum bin ich dann aber da, um das Ganze zu erklären, muss alles innerhalb von fünf Minuten picobello laufen.
„Ich muss halt auch erst mal schauen“, versuche ich sie zu vertrösten und meine allmählich aufsteigende Panik, als Tochter zu versagen, zu verbergen.
„Schau du doch auch mal in die Bedienungsanleitung“ Ich drücke ihr den 50-Seiten-Wälzer in die Hand und hoffe, dadurch etwas Beistand zu gewinnen. Meine Mutter steht jetzt teilnahmslos neben mir und schaut aus dem Fenster. Scheinbar hält sie die Bedienungsanleitung für ein geheimes Buch, das man unter keinen Umständen öffnen darf.
Wie ein verrückter Professor drücke ich auf allen möglichen Tasten herum und versuche, das Biest irgendwie zu zähmen. Vermutlich ist ein Gerät, das nicht über mindestens zwanzig verschiedene Knöpfe verfügt, heute nichts mehr wert. Sicher wieder so ein Geniestreich der Knopf- und Tastenindustrie, die sich jetzt eine goldene Nase verdient.
„Machst du da auch nichts kaputt?“, möchte meine Mutter mit skeptischem Blick wissen. Inzwischen hat sie sich doch dazu hinreißen lassen, die Bedienungsanleitung aufzuschlagen und aktiv ins Geschehen einzusteigen. Als Team lesen und drücken wir wie die Weltmeister. Kein Knopf ist uns zu klein, kein Untermenü zu versteckt. Es ist schön.
„Beim Grill müsstet ihr einfach nur die Gasflasche aufdrehen“, hören wir entfernt die Stimme meines Vaters. Für ihn ist das Verspeisen von leicht kokelig gegrilltem Fleisch sowieso die einzig erstrebenswerte Form der Ernährung.
„Haben wir hier schon draufgedrückt?“, fragt meine Mutter.
„Mindestens hundert mal“, antworte ich und drücke trotzdem noch einmal drauf. Vielleicht habe ich den Knopf vorher einfach noch nicht im richtigen Winkel oder mit dem korrekten Schwung bedient. Das Piepen, das bei jedem Tastendruck entsteht und anfangs noch nach dem aufregenden Geräusch eines neuen Küchenzeitalters klang, hat sich mittlerweile in ein nerviges Dauerpiepen verwandelt. So müssen sich verirrte Wanderer fühlen, die sich in den Weiten der Everglades jeden Moment am Ziel wähnen, in Wirklichkeit aber die ganze Zeit im Kreis laufen.
"Für neunhundert Euro hätte ich aber erwartet, dass das Teil wenigstens nicht so laut ist." wirft mein Vater wenig hilfreich ein.
Langsam öffnet sich die Küchentür und eine in eine grüne Strickjacke gekleidete ältere Frau tritt herein. Meine Oma! Sie muss das gehässige Piepen bis in ihre Wohnung im oberen Stockwerk gehört haben.
„Die Liesel hat auch so einen Thermomax“, verkündet sie wissend und nach nicht mehr als drei Handgriffen läuft der Thermomix - meinetwegen auch Termomax, meine Oma ist jetzt sowieso eine Heilige, die dieses beängstigende Gerät nennen darf, wie sie will - als hätte es diese ganzen Knöpfe und Untermenüs nie gegeben. So schnell, wie sie gekommen war, verschwindet unsere Heldin wieder ins Dunkel des Flures.
"Verstellt bitte nicht wieder die ganze Waschmaschine. Ich mag das nicht.", hören wir noch aus der Ferne.