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Tötet Norah.
„Ich bring sie um!“ Jerry warf dem davon fahrenden Wagen einen Stein nach. Er sah dem Auto nach bis es um die Ecke fuhr, hob dann die Hand und streckte den Mittelfinger in die Luft. „Schlampe!“, schrie er in den Nachthimmel. Er sah einige kleine Sterne empört aufblinken, bevor sie sich hinter die dünne Wolkendecke zurückzogen.
Jerry fuhr sich durch das dunkle Haar und sank zu Boden. „Verdammte Schlampe!“ Wütend schlug er auf den Boden ein. Seine Augen wurden glasig und er drosch weiter auf das Gras ein. „Verdammte Schlampe“, wiederholte er und dann lief die erste Träne über seine Wange.
Er stand im Keller als er die Haustüre hörte. Seit einer Woche hatte er mal wieder Zeit gefunden Gitarre zu spielen. Als die Haustüre geöffnet wurde, stellte er sein Spiel ein und lauschte. Neben dem Rauschen des Verstärkers konnte er Schritte hören. Schritte, die sich über die geflieste Diele zur Treppe bewegten. Jetzt konnte er eine Stufe knarren hören.
Vorsichtig hängte er die Gitarre in die Halterung und schaltete den Verstärker aus. Wenn das Norah war, dann konnte sie was erleben. Jerry schlich durch den Keller zur Treppe und blieb schließlich in der dunklen Diele stehen.
Sie musste im Schlafzimmer sein und irgendwas im Schrank suchen, wenn ihn seine Ohren nicht täuschten. Außerdem fiel Licht durch den Türspalt auf die Galerie. Er beschloss hier auf sie zu warten. Irgendwann musste sie ja wieder herunter kommen. Jerry setzte sich in den Korbstuhl neben der Treppe und legte seine Hände in den Schoß.
Im Schlafzimmer wurde die Schranktüre zugeschlagen. Er könnte ihr ja helfen ihre Sachen zu packen, dann ginge es schneller. Aber das war für ihn doch zuviel des Guten.
Jerry betrachtete seine Hände. Zarte Hände, die noch nie irgendwelche schwere Arbeit verrichtet hatten. Die meiste Zeit lagen sie auf seinem Schreibtisch und trommelten vor sich hin. Ab und zu gaben sie kurze Zeichen, die ein Leben komplett verändern konnten. Für ihn war das eine härtere Aufgabe als ein Haus zu bauen.
Die Schlafzimmertür öffnete sich und die Schritte hasteten zum Badezimmer. Bestimmt konnte sie nicht auf ihre Beautyutensilien verzichten, die sie im Laufe der zweijährigen Beziehung angehäuft hatte. Bezahlt hatte sie natürlich er.
Jerry schüttelte den Kopf ob seiner eigenen Dummheit. Wie hatte er nur so lange auf Norah hereinfallen können? Sein Bauchgefühl täuschte ihn sonst nie. Aber Norah hatte ihn überlistet. Sie hatte sich bei ihm eingenistet und einiges an Zwist in die Familie gebracht. Jerry’s Vater hatte ihn immer gewarnt, sie wäre nicht gut für ihn.
Und jetzt wollte sie ihn verlassen. Einfach so, ohne jeglichen Grund.
Jerry erhob sich und ging zum Fenster. In der Dunkelheit machte er einen Wagen vor dem Haus aus. Der Form nach musste es Norah’s Mercedes sein. Und irgendjemand saß am Fahrersitz. Das glaubte er zumindest. Er drehte sich um und sah einen Schatten aus dem Badezimmer huschen, zurück ins Schlafzimmer. Jerry’s Entschluss stand fest, Norah würde ihn niemals verlassen. Er zog die Schublade der Komode auf und zog die Pistole heraus. Du verlässt mich nicht, dachte er und schraubte den Schalldämpfer fest. Dann setzte er sich zurück in den Lehnstuhl.
Das Licht im Schlafzimmer erlosch und die Schritte kamen wieder die Treppe herunter. Mitten in der Diele blieb der Schatten kurz stehen. Jerry betrachtete den Schatten. Die Person setzte sich wieder in Bewegung, auf dem Weg zur Tür. Jerry spannte den Abzug. Das leise Klicken lies die Person erstarren. Sie drehte sich um und versuchte mit ihren Augen die Dunkelheit zu durchdringen.
„Ciao, Norah!“, flüsterte Jerry und drückte ab.
Ein leises Plopp und die Person sackte zusammen. Jerry erhob sich und ging zu dem leblosen Körper. Er kniete sich neben die Leiche und erstarrte. Er hatte soeben einen Mann erschossen. Nicht Norah. Er sprang auf und hastete durch die Diele, riss die Haustür auf und rannte auf den Wagen zu. Jerry sah noch, wie Norah ihre Zigarette aus dem Fenster warf und ihm erschrocken entgegenstarrte. Dann drückte sie das Gaspedal durch und raste davon.
Jerry erhob sich, klopfte den Staub von seinem Anzug und griff nach seinem Handy. Er tippte die Nummer automatisch und kurze Zeit später meldete sich eine leise Stimme.
„Ich brauche jemanden der sauber macht“, sagte Jerry und legte auf. Dann überlegte er kurz. Es bräuchte nur einen weiteren Anruf und die Sache wäre erledigt. Tötet Norah, et finito. Aber er steckte das Handy wieder in die Tasche. Er ging auf die Straße und hob Norah’s Zigarettenstummel auf. Der rote Lippenstift war deutlich am Filter zu erkennen. Jerry küsste den Stummel und warf ihn dann in die Mülltonne.