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Täuschungen
Täuschungen
Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werden, befällt mich Verlegenheit; ich werde rot, stammele, ich, der ich sonst als sicherer Mensch bekannt bin.
Ich beneide die Leute, die sagen können: ich bin Maurer.
Friseuren, Buchhaltern und Schriftstellern neide ich die Einfachheit ihrer Bekenntnisse, denn alle diese Berufe erklären sich aus sich selbst und erfordern keine längeren Erklärungen.
Doch wie soll ich mich erklären, wie soll ich verdeutlichen in welchem Gewerbe ich tätig bin?
Harte Arbeit ist es, sein Brot zu verdienen und dabei angewiesen zu sein auf meine Mitmenschen.
Jeden Morgen, noch früh bevor die Sonne aufgeht, mache ich mich auf den Weg.
Wie ein Verbrecher schleiche ich mich aus dem Haus, aus meiner bescheidenen Wohnung.
Gekleidet wie immer, Anzug, Krawatte, Hut und Aktentasche.
Seit längerem trage ich auch immer eine kleine Reisetasche mit mir.
Schnellen Schrittes verlasse ich das nur zu gut bekannte Wohnviertel, seit Jahren bin ich hier zuhause.
Ich bin auf dem Weg zum Hauptbahnhof, schaue mich mehrmals noch um, nur um zu sehen, ob ein Nachbar mir nachblickt.
Erleichtert erreiche ich die Seitenstrasse, welche auf die Hauptstrasse führt.
Der größten Gefahr bin ich entronnen, trotzdem habe ich es weiterhin eilig.
Nicht um eine Straßenbahn zu erreichen, nein, denn das Fahrgeld dafür könnte ich zur zeit nicht aufbringen.
Ich schaue nicht mehr zurück, kann ich mir doch sicher sein, dass ich zu dieser zeit auf dieser Strasse keinen Bekannten treffe.
Den Hauptbahnhof habe ich fast erreicht, ich steuere auf den Nebeneingang zu.
Von dort aus gelangt man am unauffälligsten zu den Toilettenräumen.
Meine Reisetasche liegt schwer in der Hand.
Ich öffne die Tür der Herrentoilette und verschwinde hinter einer der Türen.
Nun beginnt das alltägliche Procedere.
Ich stelle meine Tasche auf die Toilette, öffne sie und entnehme einen an einem Band befestigten Spiegel, welchen ich an den Kleiderhaken hänge.
Noch so manch andere Utensilien befördere ich ans Tageslicht, bevor ich mich entkleide.
Sorgsam lege ich Anzug, Krawatte und Hut aufeinander.
Ich steige in eine alte Cordhose, ungebügelt, aber trotz allem hart und steif.
Löcherig ist bereits der Stoff und auch die Farbe ist kaum noch zu erkennen.
Das mag wohl am Schmutz liegen.
Schließlich streife ich mir ein Hemd über, bereits zerrissen.
Socken werde ich heute nicht benötigen, würde es regnen würde das Wasser sofort durch meine Schuhe dringen.
Ja, die Sohlen sind abgelaufen und das Leder ist rissig.
Angekleidet bin ich, nun beginnt er wichtige Teil. Mit meinem Rest Schuhcreme bearbeite ich mein Gesicht. Routiniert wie jeden Morgen, auch Hände, Arme und mein Haare werden nicht verschont.
Anschließend blicke ich in den Spiegel.
Zurück blickt ein armer alter Mann, vom Leben gezeichnet, hoffnungslos.
Mein Leben, denke ich, das soll mein Leben sein? Aber es ist mein Leben...ich habe keine Chance mehr, bin an den Rand der Gesellschaft gekommen, werde als Abschaum beschimpft...habe keine Chance mehr auf ein normales Leben.
Ich führe ein Leben voller Lügen, nach Außen bin ich der korrekte und adrette Versicherungsmakler geblieben, jedenfalls dann wenn ich mich in meinem Wohnviertel bewege.
Beginnt meine Arbeit verstecke ich mich...keiner soll sehen, was aus dem gutbürgerlichen Jens Hartdorf geworden ist...
Aber was hätte ich tun sollen...ich dachte damals es wäre meine – unsere – einzige Chance.
Wir führten ein normales Leben, waren glücklich zusammen so kurz nach unserer Hochzeit.
Verschwendeten keine Gedanken an die Menschen, die nicht so glücklich waren wie wir, an die Menschen, die Tag für Tag auf die Hilfe anderer angewiesen waren.
Damals ging ich an einem Bettler vorbei ohne ihn zu beachten – ganz ihm Gegenteil ich dachte immer noch: Warum suchst du dir keine Arbeit – Arbeit ist für jeden da...
Und heute bin ich selber einer von diesen...von diesem Abschaum, der aus jeder Stadt verschwinden soll, den die Leute nicht sehen wollen...
Damals hätte ich es nicht geahnt, wir waren glücklich als unser erstes Kind geboren wurde, nur 12 Monate nach unserer Hochzeit, ein Wunschkind, unser gemeinsamer Traum.
Meiner Frau ging es sehr schlecht nach der Geburt doch sie erholte sich langsam, doch das Leben unseres Kindes hing an einem seidenen Faden, nur eine komplizierte Operation konnte unsere kleine Emily retten.
Diese Operation war sehr kostspielig und wurde von der Krankenkasse nicht bezahlt.
Ich sehe noch heute die Augen meiner Frau vor mir, als sie sagte: „Du musst das Geld auftreiben, unser kleiner Schatz darf nicht sterben, nimm einen Kredit auf, such Dir einen zweiten Job, aber bitte lass unsere Emily nicht sterben.“
Wir hatten bereits einen Kredit für das Haus aufgenommen und die Bank wollte uns keinen zweiten gewähren.
Ich war verzweifelt, sah immer wieder diese flehenden Augen meiner Frau vor mir.
Und dann war es so einfach...ein einziger Eintrag im Computer musste verändert werden...und schon war das Geld auf meinem Konto...
Ich konnte doch nicht ahnen, dass Tage später diese Kontoprüfungen anstanden...schnell wurde ich verdächtigt und entlarvt, meine Geschichte interessierte keiner.
Es gab einen Eintrag in die Personalakte und einen Eintrag wegen Geldunterschlagung in mein Führungszeugnis.
Keine Chance auf einen neuen Job.
Die Operation konnte nicht bezahlt werden unsere Tochter starb.
Meine Frau zerbrach an ihrem Tod und verlies mich einige Monate danach.
Ja, das ist mein Leben, aber es muss weitergehen...
...flink nehme ich den Spiegel ab, verstaue ihn in meiner Reisetasche und verlasse die Toilette.
Der Weg zu den Schließfächern ist kurz, aber schnell soll es gehen.
Ich stelle meine Tasche in eines der leeren Fächer, nehme noch ein bereits vorgefertigtes Pappschild und einen Plastikbecher an mich, bevor ich das Fach verschließe.
Mein Arbeitstag beginnt. Müde und langsam schlurfe ich in Richtung Einkaufspassagen, welche direkt am Bahnhof beginnen.
Die Geschäfte haben noch nicht geöffnet. Ich begebe mich an meinen üblichen Platz.
Setze mich hin, stelle mein Schild auf und rücke den Becher zurück.
Ja, so sieht es aus.
Wie soll ich das bloß anderen Menschen erklären, Menschen, die Berufen nachgehen, welche keine längeren Erklärungen erfordern.