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Sweat, Baby, Sweat!
Viel zu früh warte ich mit einem Mango-Lassie in der Hand vor dem sagenumwobenen Indietainment-Club. Schon viele Geschichten über „krasse Parties“ und „geile Musik“ habe ich im Vorfeld von Freunden und Bekannten gehört. Heute nun kann ich meine eigene Geschichte erfinden und in Umlauf bringen. Ich schaue auf die Uhr und bin genervt von meiner steten Überpünktlichkeit. Nur selten verspäte ich mich und wenn, dann aus wichtigen Gründen und nicht etwa, weil ich igendwo noch „hängen geblieben“ bin.
Der Typ, der mir von der anderen Straßenseite zuwinkt, scheint hingegen in der Zeit hängen geblieben zu sein. Ich tippe auf die Skate-Punk-Szene Ende der Neunziger Jahre, aber aus der Entfernung ist das schwer einschätzbar. Nachdem er über die Straße auf mich zu sprintet und dabei trotzdem fast von einem zu irgendeiner Filmabend-Veranstaltenden-Langweiler-Studenten-WG fahrenden UNO-Roller überfahren wird, schaue ich in die rotunterlaufenen aber freundlichen Augen des Mittzwanziger Clubbesitzers. Nach einem kurzen Frage-Antwort-Spiel, ob ich denn „die sei, die heute Garderobe macht“ öffnet mir Christian die Türen zu seinem Disco-Tempel. Er versteht die Ironie meiner Sätze nicht und findet das Wort „Disco“ unangemessen, schließlich sei das hier ein „Club“. Mir ist diese Bezeichnung ebenso egal, wie die Garderobe, die ich heute hier machen soll. Eigentlich bin ich nur aus Spaß hier und nicht etwa, weil ich diesen Job hier längerfristig machen will. Christian sage ich das natürlich nicht. Stattdessen erzählt er mir wiederholt, wie müde er doch sei. Ich weiß genau, dass sich hinter dem Gähnen bestimmt eine spannende Geschichte von einer abenteurlich durchzechten Nacht verbirgt, in der sich allerhand erzählenswertes ereignet hat, aber da ich diese hingekotzten Bitte-Frag-mich-doch-warum-Aussagen schon immer gehasst habe, frage ich schon aus Prinzip nicht weiter nach. Ich mache mich lieber erstmal mit dem schmalen Schacht vertraut, den mir Christian als meinen heutigen Arbeitsplatz vorstellt. Zwei lose montierte Stangen an der Wand, ein paar Kleiderbügel und tausend Papiernummern. Was hat sich dieser breitgespritzte Nacht-Hampelmann dabei nur gedacht? Egal, ich nehme die ganze Sache hier ja sowieso nicht ernst und male mir erst garnicht das bevorstehende Chaos von abgefallenen Nummern, Jacken und Taschen aus. Die ersten Stunden lehne ich gelangweilt an der Wand und nehme Tom-Tailor-Daunenjacken und zentnerschwere Tussentaschen entgegen. Was nehmen die denn bloß alles zum Tanzen mit? Steine? Bücher? Ming Vasen? Ich kann mich (noch) nicht beschweren, denn das partyhungrige Publikum ist wirklich nett und bleibt auch dann freundlich, als ich im Textil- und Nummernchaos die Übersicht verliere und auch schonmal die falsche Jacke zum richtigen Typ herausgebe. Die Quoten-Assis, die jedes hilflose weibliche Wesen, das irgendwo alleine rumsteht, ansprechen, fehlen auch hier nicht. Ununterbrochen schwellen neben den letzten Bierresten auch unverständliche und uninteressante Worte aus den rotzverschmierten Fressen heraus. Da ich nichts von dem verstehe, was sie mir sagen oder sagen wollen, nicke und lächle ich einfach. Zu oft kam ich durch meine Jobs in Bars und Cafés mit solch temporär sprachunbegabten Saufnasen in Kontakt und immer habe ich sie entweder ignoriert oder gelächelt. Angst hatte ich nie vor ihnen. Im Grunde habe ich noch nie Angst vor anderen Menschen empfunden. Ich fühle mich nie unwohl nachts allein an einer parkbankbreitsitzenden Gruppe juveniler Schulabbrecher vorbeizugehen oder an einem Sonntag-Abend mir mit einer Horde Hooligans das Zugabteil zu teilen. Viemehr habe ich erlebt, dass selbst gefährlich wirkende Bomberjacken-Träger einem freundlich dabei helfen, das Fahrrad in den Zug zu tragen. Vielleicht hatte ich bis jetzt einfach nur Glück.
Glücklich an diesem Abend werde ich wohl erst sein, wenn er vorbei ist. Mittlerweile ist es fast sieben Uhr früh. Ich bin müde und rolle genervt die Augen, als um diese Zeit immernoch Leute kommen um ihre Jacke abzugeben. Ich könnte umkippen vor Müdigkeit und Langeweile und versuche mich krampfhaft zu erinnern, wann ich das letzte Mal die Nacht durchgemacht habe. Es ist schon eine Weile her. Selbst an Silvester waren wir drei Stunden nach dem Grande Finale wieder zu Hause.
Ein schwules Pärchen mit Glitzer im mädchenhaften Gesicht steht knutschend vor mir. Ich beneide sie ein bisschen um ihre nächtliche Ausdauer, sehen sie doch nicht viel älter aus als ich. Irgendwie scheine ich hier die Einzige zu sein, die jetzt lieber schlafen würde. Und ich weiß auch warum. Den ganzen Abend über haben sich gemischte Gruppen aufs Damenklo verzogen, um sich dort was zu mischen. Das weiße Pulver hängt ihnen immernoch an den Nasen, als sie grinsend und torkelnd aus dem von breitgetretenem Klopapier geebneten, versifften Strullerraum hinausstürzen. Mir kommt das alles vor wie in einem der zahlreichen Pro- und Anti-Drogen-Filme, die in den Neunzigern dank Jugendarbeitslosigkeit und No-Future-Einstellung zuhauf über den Bildschirm flimmerten. Als ich nach endlosen Stunden nun selbst mal den „Ort“ benutzen muss, fühle ich mich selbst benutzt, als ich die Rinnsale aus Pisse und Kotze sehe und mittendrin eine junge Frau, die sich vor dem Spiegel mit Unmengen an Haarspray und Schminke die letzte Dröhnung gibt. Sie lächelt mich an und gibt mir mit einem sächsischen Akzent zu verstehen, dass sie gleich zur Arbeit muss. Wahrscheinlich Friseurin oder Textilverkäuferin bei KIK. Ich schwanke zwischen Respekt, den ich ihr für diesen Mut und dieses Durchhaltevermögen entgegenbringen sollte und grenzenloser Fremdscham, das diese Drogenmutti derart vernebelt auch noch Geld erwirtschaftet, um sich die nächste Schwitzparty leisten zu können..
Obwohl ich meist in der Nähe der wunderschönen Droge Alkohol gearbeitet habe, hatte ich nie das Bedürfnis mich vor oder während der Arbeit voll laufen zu lassen. Viel zu groß war meine Angst, mir würde schlecht und Niemand Anderes könne für mich den Ausschank übernehmen. Ich glaube, in dieser Hinsicht bin ich ein bisschen konservativ eingestellt, obwohl das besoffene Treiben nüchtern zu ertragen schon mal in latente Aggressivität umschlagen kann. Ein zu kurz geratener Typ mit gegelten Haaren und Schnurrbart glotzt mir unentwegt in den Ausschnitt als er über die Trennung von seiner Freundin erzählt. Jetzt sei er mit einer Bekannten im Club, um sich abzureagieren. Insgeheim hofft er, dass da heute noch was geht und wagt es mir sogar allen Ernstes einen Dreier vorzuschlagen. Ich beschimpfe ihn mit allen Worten, die ich zuvor von ein paar Jugendlichen in der Bahn mitbekommen habe. Als mir keine mehr einfallen, denke ich mir neue auf, und bin über meine eigene Kreativität zu solch später Stunde überrascht. Zum Glück verzieht sich der notgeile Bock mit entschuldigender Geste und Hundeblick.
Ein wenig melancholisch verbringe ich die letzten Minuten im meinem kuschligen Chaos-Schacht. Ich frage mich mal wieder, was ich hier eigentlich mache, denn ich bin keine zwanzig mehr und habe mir eigentlich schon vor einem Jahr geschworen, nie wieder nachts in irgendwelchen Spelunken zu arbeiten. Nachdem mir Christian gegen neun Uhr morgens 60 Euro in die Hand drückt und mir sagt, dass wir in Verbindung „über Mandy“ bleiben, weiß ich ganz genau, dass ich diesen Club und seinen scheinbar ´doch nicht so müden Besitzer kein zweites Mal wiedersehen werde. Nachdem ich die Türen zum morgendlichen Feierabend öffne, werde ich vom hellen Tageslicht fast erschlagen. Ich fühle mich fertig und körperlich kaputt. Trotzdem steuere ich vor dem Heimweg noch einen Bäcker an und freue mich, dass ich mir seit langer Zeit mal wieder den Luxus von einem heißen Kakao und einem Croissant leisten kann. Mit dem restlichen Geld werde ich M. zum Essen ins feinste vegane Restaurant der Stadt einladen.