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SWA
Ich blicke auf den verschmierten Grund des Whiskeyglases, in dem sich gerade eine kleine Fliege verzweifelt versucht zu ertränken und bin immer noch nicht annähernd besoffen genug, um die Nacht traumlos zu überstehen, obwohl mein Geldvorrat schon zur Neige gegangen war. Teilnahmslos patsche ich auf den von Erbrochenem und billigen Wodka klebrigen Bartresen aus laminiertem Holz und hoffe darauf, dass der Keeper mir noch ein Glas, oder am besten die ganze Flasche hinstellt. Natürlich werde ich enttäuscht. Ich höre wie hinter mir eine Flasche, die ich hätte trinken können, auf einem Schädel zerbricht und drehe mich um. Der Raum ist schummerig beleuchtet, dreckig und mit Menschen gefüllt, die niemand irgendwo treffen will und sollte. Einer davon bin ich.
In einer stetig größer werden Lache Blut liegt ein schmächtiger Mann mit großer Platzwunde und etwas eingedellter Stirn, der eine ärmellose Jeansjacke mit irgendeinem Rockerclubsymbol trägt.
Ich überlege, ob ich seine Leiche plündern und die Jacke an mich nehmen sollte, wenn der Laden leerer geworden ist.
Dann drehe ich mich wieder zum Tresen um und - der Alkohol hat wohl doch schon ein bisschen Wirkung gezeigt - wirble noch ein kleines Stückchen weiter. Vor mir, da steht die wunderschönste Frau der Welt. Wirklich einfach nur wunderschön. Mit perfekter, blasser Haut, einem ebenen, gottgleichen Gesicht, golden glänzenden Haaren, die ihr bis zu Hüfte reichen und so aussehen, als ob sich ein Sonnenaufgang in makellosem Bernstein bricht. Da wo normale Frauen Augen haben hat sie zwei Teiche aus geschmolzenem Saphir. Sie blinzelt, dann lächelt sie mich an. "Fick mich. Fick mich hart, fick mich wann immer du willst, wo immer du willst. Ich gehöre dir. Ich gehöre dir!" Ihre Stimme klingt wie ein Symphonie von Beethoven im Quadrat.
Ich beuge mich etwas unkontrolliert immer weiter nach vorne. Dann halte ich kurz inne und erbreche mich auf ihre hautenge Jeans. Sie kichert nur und hebt meinen Kopf mit ihren langen, grazilen Fingern, ich spucke einen Rest Kotze aus und nuschle: "Was zur Hölle willst du von mir?" Etwas Erbrochenes noch aus meinem Mund.
Ich will noch etwas sagen wie, dass ich einem verwesten Rotwild ähnele und sie schließlich gerade angekotzt habe, doch irgendwie habe ich gar keine Lust mehr zu sprechen.
Ich ähnele nicht nur einem verwesten, sondern auch einem auf der Straße verwesten Rotwild. Man weiß gar nicht wie viel im Körper kaputt gehen kann, bis man in einen schweren Autounfall verwickelt wird. Ich habe keine Ahnung was genau in mir zerstört wurde, ich weiß nur, dass mein linkes Auge viel zu tief hängt, ebenso wie die Schulter, ich humple und meine Lunge funktioniert kaum noch zur Hälfte. Die andere Hälfte ist dafür besser geteert als die Autobahn, auf der ich meine Anatomie-Kenntnisse erweitert habe. Nicht, dass ich vorher viel schöner gewesen wäre, ich habe ein dumpfes Gesicht, das für Gewalt gemacht ist. Nach wie vor verstecke ich es gerne hinter einer Matte aus strähnigen schwarzen Haaren.
Die Göttin vor mir lächelt wieder und streicht mir über die Wange, diese brennt danach wie Feuer. Dann entfernt sie sich langsam von mir und verwandelt sich in Sternenstaub und eine fette, verlebte Hure mit pechschwarzen Haaren und einem Lippenstift, dessen Farbton dem von geronnenem Blut gleicht. Sie wendet sich angewidert von der Kotze und enttäuscht von dem mageren Inhalt meiner Brieftasche ab. Über ersteres hätte sie vielleicht noch hinwegsehen können.
Ich muss raus aus der Bar, bekommen hätte ich sowieso nichts mehr und die Frau war zu viel. Die Tür, durch die ich stolpere, ist aus verrostetem Eisen und hängt nur noch in einer Angel. Als ich in die nach Abgasen und lange toten Dingen riechende Nachtluft trete erblicke ich einen Penner, der in der Gosse in seiner eigenen Kotze erstickt. Normalerweise hätte ich gewartet, bis es zu Ende mit dem armen Säufer gewesen wäre, doch heute will ich einfach nur weg. Ich haste die spärlich beleuchtete Straße entlang, links und rechts sind verfallene Backstein - und Betonfassaden. Eine eitergelb leuchtende Laterne zerspringt vor meinen Augen in einem Funkenregen, von weit weg ertönt der Schrei einer Frau. Noch bevor ich die nächste Straße erreicht habe, haben sich mir drei vierzehnjährige Nutten angeboten. Eine meinte mir offenbaren zu müssen, dass sie eigentlich gar kein Mädchen ist.
Ich ziehe meinen Mantel enger zu und verstecke mich bis zur Nasenspitze hinter dem hohen Kragen.
Der Mantel ist aus Gummi, das wie Leder aussieht, ich habe nicht mal das Glück echte Tierhaut stehlen zu können. Vor mir ist eine etwas stärker befahrene Kreuzung, in regelmäßigen abständen fahren aus Rost bestehende Autos möglichst schnell vorbei, noch weiter vorne ragen Häuser aus Stahl und Glas in den Himmel empor, der seltsam kalt wirkt. Wie durch ein Wunder regnet es dort.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung steht eine Gestalt, die so gar nicht in die Szenerie passt. Schon wieder verdammt. Ich verlangsame meinen hinkenden Gang und blicke die Göttin. Sie lächelt und winkt, ich bleibe stehen. Sie kommt auf mich zu, beginnt zu rennen. Ihre wallende Haarpracht wird durch den Wind zerzaust und eine Aura der Wärme und Liebe umgibt ihren zierlichen Körper. Ich überlege kurz ob ich die Arme ausbreiten soll, doch ich kann immer noch nicht glauben, dass sie zu mir will. Letzten Endes tue ich es doch. Ihr Lächeln wird breiter.
Weder sie noch ich sehen den Achtachser, der von rechts angefahren kommt. Er reißt ihren Körper ein paar Meter mit, bevor er unter die Räder rutscht. Ihr Kopf wurde schon vom Aufprall zerschmettert, doch als sie dann vollständig unter dem laut hupendem, aber nicht anhaltendem Laster verschwunden ist und ich mit einem lauten Knack ihre Wirbelsäule brechen höre, weiß ich, dass sie wohl nicht überlebt hat. Vollends frustriert stelle ich fest, dass der Laster eine Spur aus Blut, blutigen Klumpen und blutigen Knochensplittern hinter sich herzieht.
Ich versuche gar nicht erst ihr Gesicht zu suchen, denn das wäre so wie wenn man Apfelmus zu Äpfeln zusammensetzen wollte.
Ich beschließe mich in die kaltblaue Stahlhölle des Bankenviertels zu begeben, die vor mir liegt. Ohne Grund oder Motivation, ich habe aber nicht das Gefühl, dass in dieser Nacht irgendetwas einen Grund braucht. Dort wird man mich entweder als eine Art Dorftrottel ansehen, der die gehobene Gesellschaft belustigt, oder man wird mich erschießen. Auf dem Weg passiere ich mehrere dilettantisch angefertigte Ganggraffitis und ziemlich viele verdammt unauffällige Jugendliche mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen, die anderen im vorbeigehen Beutel mit gelbbraunen Kristallen zustecken und dafür ein paar kleine Scheine entgegen nehmen. Sie handeln wohl mit Kristallen.
Ich hing selbst einmal eine kurze Zeit auf Meth fest, doch irgendwann war ich zu arm, um mir selbst das zu kaufen. In Beschaffungskriminalität konnte ich nicht abdriften, da ich schon in ganz normaler Kriminalität steckte und der Erlös daraus ja ganz offensichtlich nicht ausreichte.
Zwischen diesem Haufen Scheiße, in der ich mein bisheriges Leben verbracht habe und dem Bankenviertel ist ein etwa 400 Meter langes Rasenfeld, durch dessen Mitte ein breiter, ordentlich gepflasterter Weg führt. Weder das Viertel der Banken, noch das meinige hat eine so fulminante Grenze zu einem der anderen Stadtteile, doch die Beziehung der beiden war schon immer eine außerordentlich liebevolle. Ohne das Sicherheitspersonal zwischen den Finanzhäusern, die Rasenfläche, die bestimmt ein Minenfeld ist und die fünf Meter hohe Mauer, die sich vor mir erstreckt, wäre wahrscheinlich schon jeder halbwegs ehrlich verdiente Dollar dieser Stadt in den Händen von Kindern, die gerade genug Kristalle in den Blutbahnen haben, um die Hälfte des Wortes "Raubmord" mit weniger als zwei Fehlern zu buchstabieren - und das sind verdammt viel Kristalle. Ihren Mangel an Zähnen machen diese Fehlgeburten der Hölle durch Schusswaffen mehr als wett.
Das Tor in der Mauer ist immer geöffnet, schließlich leben wir in einem freien Land. Als ich es passiere blicken mich die beiden in dunkelblaue schusssichere Westen gekleideten Wärter ungefähr so an, wie sie die Klumpspur hinter dem Achtachser betrachten würden, doch sie richten ihr Steyr AUGs nicht auf mich. Das sind österreichische Sturmgewehre, die zwar nichts sonderlich gut können, aber verdammt cool aussehen.
Einer der beiden murmelt etwas wie "Nee, der ist nicht lustig genug, der wird erschossen."
Natürlich könnte ein besonders cleverer Junkie in ein anderes Viertel gehen, um von da einen Raubzug ins Bankenviertel zu starten, aber allein schon die Prämisse, dass der Junkie clever sein muss schließt diese Eventualität aus.
Seltsamerweise ziemlich frohen Mutes gehe ich in den direkt aus London stammenden, nieselnden Regen, der in Filmen immer seinen Auftritt hat, wenn Kapitalisten nachts ihre düsteren Geschäfte abwickeln.
Direkt nach der Mauer gelangt man auf einen weitläufigen, aber spärlich beleuchteten Platz, in dessen Mitte eine Statue von Justitia über das Rechtssystem wacht. Oder zumindest über das System, das einige Leute im Gefängnis verschwinden lässt und andere eben nicht, beheimatet im Gerichtsgebäude, mir genau gegenüber. Die Banken und teuren Restaurants verteilen sich dahinter auf eine Handvoll Straßenzüge.. Ein paar zugekokste Broker, die vielleicht 30 sind, legen gerade ein dickes Bündel 100 Dollar Noten auf die weiter runterhängende Seite der Waage von Justitia. Ich beachte sie nicht weiter und wende mich nach links. Vor mir liegen die stählernen Höhepunkten der geschmacklosen Klotzarchitektur, in denen reiche Leute Millionen für lichtdurchflutete, kühle Wohnungen ausgeben, genau so wie es sich für einen Banker des Bankenviertels ziemt. Ich dränge die Frage, was ich hier eigentlich will, beiseite und steuere wahllos das erstbeste Gebäude an. Aus dem Eingang kommt gerade ein gut aussehender Mann mit einstmals zurückgegelten, doch nun zerzausten Haaren und wuchtet eine Tasche in den Kofferraum eines Taxis. Zwei Leute sprechen ihn an, doch er wimmelt sie gehetzt ab.
Ich betrete das Gebäude, rechts von mir ist ein Ebenholz Tresen, hinter dem ein alter Portier in Uniform sitzt. Der Rest der Eingangshalle ist krampfhaft warm erleuchtet, der Boden ist in Crystal Meth Farben marmoriert und weiter hinten hängen austauschbare Bilder über Lounge Möbeln.
Der Portier sagt: "Sind sie Einwohner des Hauses, Sir?" Er spricht nicht so affektiert, wie ich es von einem Portier erwartet hätte. Ich drehe mich zu ihm, wahrscheinlich hat er schon die Hand über dem Knopf, der ein Dutzend Sicherheitsmänner mit coolen Sturmgewehren in Halle springen lassen würde. Die billige Pistole in meiner Manteltasche fühlt sich gut an.
Ich grunze ein "Ja", und setze meinen Weg fort. Fast rutsche ich auf einer roten Spur ohne Klumpen aus, die von den Aufzugschächten vor mir zur Tür führt.
Die Aufzüge sind mehr als ich jemals zum drin wohnen gehofft zu haben habe, aber seltsamerweise erfüllt mich das nicht mit Bitterkeit. Ich drücke irgendeine Taste und blicke dabei in die düsteren Augen des Portiers, bis sich die Türen von einem angenehmen Piep-Ton begleitet schließen. Der Boden ist aus goldbraunen Marmorfliesen, die Wände bestehen bis etwa zur Hälfte aus laminiertem, sich in kaminfeuergleichen Formen windendem Holz, und dann bis zur einer einzigen Lampe bestehenden Decke aus Spiegeln. Der Aufzug hält an und ich steige mit dem etwas schwermütig machendem Gedanken, dass ich in dem Fahrstuhl niemals etwas interessantes erleben werde, aus.
Wände, Boden, Decke und, mit Ausnahme der in Naturtönen gehaltenen Bilder und sporadisch verteilten Pflanzen auch alles andere im Gang, sind weiß. Links neben mir befindet sich ein Treppenhaus, in das ich gehe, um zumindest grob abzuschätzen in welchem Stock ich mich befinde. Ich blicke hinunter und entdecke einen Frauenkörper, der auf dem Bauch liegt. In ihrer Seite steckt eine Kettensäge und ihr ganzer Körper wird von einer dunklen Blutlache eingerahmt. Kurz überlege ich, ob ich hinunter gehen sollte, aber ich kenne das Gesicht der Frau sowieso schon. Die gleichen nihilistischen Gedankengänge, die mich überhaupt erst in diesen Teil der Stadt geführt haben, werden langsam zu ausgeprägten Abendspaziergängen. Ich wende mich ab und gehe wieder in den Flur, wende mich nach rechts und humpele ziellos weiter. Ich versuche die erstbeste Tür einzutreten und scheitere am hochwertigen Schloss. Noch einmal werfe ich mich dagegen, um mich dann abzuwenden und zum Ende des Ganges zu laufen, an dem eine Feuerleiter oder ein Balkon hinter einer Glastür wartet. Natürlich geht der Alarm nicht los, als ich sie öffne. Nichtsdestoweniger habe ich keine Ahnung, was ich auf der Feuerleiter tun soll, also krame ich in meiner Manteltasche und fische eine alte, halb leere, schon mehrfach nass gewordene Packung Zigaretten heraus. Nachdem ich mir eine in den Mund geschoben habe, stelle ich fest, dass ich kein Feuerzeug habe, also blicke ich in den von den Industriegebieten verrauchten Nachthimmel und werde das Gefühl nicht los, dass diese Situation bezeichnet für meine ganze verkackte Existenz ist; ich habe eine Kippe im Mundwinkel, aber weder Feuerzeug noch Plan wo ich die Nacht verbringen soll. Wie immer eigentlich.
Kurz überlege ich, reinzugehen, doch anstatt dessen sinke ich einfach an der Glastür herunter und warte auf den Schlaf.