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- 07.08.2002
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Survival of the fittest
Siegfried Katischik trat an die Felskante. Das Meer, lila leuchtend, breitete sich unter ihm bis zum Horizont aus. Er stützte sich auf seinen Wanderstab und warf einen kurzen Blick auf die Karte. So stand er da, seine Haut silbrig, einen schwarzen Rucksack, der sich flach an seinen Rücken presste und einen Wanderstab aus reinem Karbon. Den Blick auf seinen Arm werfend, versuchte er dort, wo seinen Unterarm ein Bildschirm umgab, einen Sinn zu erkennen. Der Monitor zeigte eine Karte und darauf seine ungefähre Position. Es war zum heulen. Sie zeigte nur einen flachen Bogen, den die Küste hier zum oberen Pol hin zog. Er aber suchte nach Möglichkeit einen Strand mit Flussmündung, welche von ein oder zwei Bergen umgeben war. Eine vielversprechende Stelle schien gute dreißig Kilometer nördlich von seiner Position zu liegen. Katischik hatte die Erfahrung gemacht, dass solche Stellen gewöhnlich die höchsten Gebote brachten und, was er immer bedachte, auch am besten zu verteidigen waren. Eigentlich hätte er dort direkt landen können, aber es hatte sich schon immer ausgezahlt etwas über die direkte Umgebung in Erfahrung zu bringen, bevor man seine 1000 qkm deklarierte. Man wusste woher der Fluss kam, ob dort die Gefahr von Überschwemmungen droht und ob die Küste vielleicht andere, besser Plätze bot und was für Tiere in dieser Region lebten. Er kannte andere Proklamatoren, die diese Maßnahmen ein paar Mal außer Acht gelassen hatten. Die meisten konnten nur noch Dumpingpreise für Ihre Gebiete verlangen und zwei waren unter mysteriösen Umständen umgekommen. Katischik hatte einen guten Ruf und seine Ausbildung beim Militär brachte ihm den Bonus, dass seine taktischen Analysen glaubhaft waren.
Für gewöhnlich steigerten Siedlergruppen um die proklamierten Siedlungsgebiete. Eigentlich steigerten sie nur um die Koordinaten dieser Stellen, denn bei der Menge an Planeten war es unwahrscheinlich, dass der Proklamator jemals erfahren würde, wenn sie unerlaubt sein Gebiet in Anspruch nahmen. Erfuhr er oder jemand anderes aber gegen alle Wahrscheinlichkeit davon, musste man mit heftigen Schwierigkeiten rechnen. Die Allianz schützte das Recht auf Land immer zuerst mit Waffengewalt und dann mit Verhandlungen. Die Siedler würden einfach von dem Gebiet gebombt, ohne zuvor die Möglichkeit zur friedlichen Räumung bekommen zu haben. Abgesehen von diesem Risiko ersparten sie sich durch das Ersteigern die gefahrvolle Suche, die Mühen und auch eine Menge Geld, da sie über Landungsplatz und Klimazone bereits detaillierte Informationen besaßen.
Daran dachte Katischik im Moment nicht. Er konzentrierte sich auf seine Instinkte und seine Fähigkeit des Überlebens, die er hier, in der Wildnis mehr benötigte, als sein Geld.
Zum unteren Pol knickte die Küste gegen die Drehrichtung ab und zog sich über eine Ewigkeit hin. Er meinte weiße Flecken dort auf der Karte zu erkennen, also kam diese Region nicht in Frage. Eis oder Schnee waren niemals gut. Eis bedeutet Gefahr für Ernte und damit den Menschen. Später, in vierzig oder fünfzig Jahren könnte man dort vielleicht Wintersport betreiben und die Grundstückspreise würden ins Unermessliche steigen. Bis dahin aber würde die Natur dort unberührt und einsam bleiben. Aus diesem Grunde wandte sich der Proklamator nach links, dem oberen Pol zu. Er sollte nicht länger als drei Monate auf diesem Planten verbringen, denn seine Frau war schwanger. Er wollte bei ihr sein und das Geld einer erfolgreichen Mission mitbringen. Vielleicht hatte seine Frau recht gehabt, als sie vor seiner Abreise feststellte, dass sie genügend Geld hätten und er nicht mehr auf solche Reisen gehen bräuchte. Katischik war trotzdem gegangen, denn es war sein Leben. Die Einsamkeit und erst die Herausforderung ließen in ihm die Lebensgeister erwachen. Er war für sein Alter ungewöhnlich erfahren und erfolgreich, wenn man ihn mit andere Proklamatoren verglich. Zurück zuführen war das auf seine Grundsätze: zum Beispiel, dass er immer eine Waffe bei sich trug, wenn er einen unbekannten Planeten betrat.
Eine schmerzhafte Erfahrung war, dass ein Partner stets in stressigen Situationen versagte. Katischik vertrat inzwischen die Überzeugung, dass ein Partner nur Probleme mit sich brachte, also verzichtete er auf einen.
Das Wichtigste aber war, dass die Sicherheit immer zuerst kam. Dazu zählte Katischik auch, dass er niemals auf unbekanntem Gelände seine Handschuhe abstreifte. Man weiß ja niemals was einen erwartete. Bisher hatte er auch keine Mission aufgegeben, denn er gab niemals nach, war ein echter Dickschädel, wie ihn seine Frau nannte. Katischik Senior hatte seinem Sohn beigebracht, dass es in jeder Auseinadersetzung nur einen Sieger geben konnte, und dieser Sieger würde sich durch Durchhaltevermögen auszeichnen. Sein Vater war ein Pionier gewesen und die Familie hatten auf einer Gelarplantage auf Gelar II, einem System um eine kleine, rote Sonne gesiedelt.
Gelar II war so dicht am Zentralgestirn, dass Landstriche regelmäßig von Sonnenwinden verwüstet wurden. Die Menschen dort hatten als einzigen Schutz ihre Gelarhaut. Ihre Lebensgrundlage war einzig das Gelar. Ein Gewächs, mache sagten auch, es sei ein Tier, von ungewöhnlichen Ausmaßen und Form. Es war etwa 10 Meter lang und 2 Meter hoch, hatte die Form eine Halbkugel und saugte seine Nährstoffe aus dem Boden und den Sonnenwinden. Um sich aber gegen die Strahlung zu schützen, produzierten sie eine ölige Flüssigkeit, die langsam ihre Oberfläche überfloss um dann am Boden zu erstarren. Bald nach der Ankunft bemerkten die ersten Siedler, dass diese Flüssigkeit elastischer und wiederstandsfähiger war als Latex oder jede andere Form des Kautschuks. Sie begannen diesen Stoff zu exportieren und beschäftigten sich mit der Züchtung der Gelar.
Doch Gelar II drohte bald die Evakuierung, denn Krankheiten wie Hautkrebs nahmen zu und drohten die Bevölkerung auszurotten. Bald schon sank die Siedlerzahl von fast vierzigtausend auf zweitausendfünfhundert.
Ein echter Pionier aber verlässt keinen Planeten, auf dem er sein erstes Haus gebaut hat, schon gar nicht Katischik Senior. Er kaufte preiswert die benachbarten Parzellen auf und gehörte bald zu den fünf größten Gelar Herstellern überhaupt. Damals konnte man damit kaum reich werden, da Gelar nur zur Herstellung von Verhütungsmitteln gebraucht wurde. Die Situation veränderte sich schlagartig als ein Siedler bei der Gelarernte ausrutschte und in ein Fass mit der öligen Flüssigkeit fiel. Die dunkle, braune Flüssigkeit reagierte mit dem Schweiß des Mannes, verfärbte sich silbern und legte auf die Haut. Der Mann lag fast einen Tag bewusstlos im Sonnenwind und überlebte dank seiner neuen Schutzschicht. Sofort badeten alle verbliebenen Bewohner im Gelaröl. Zwar mussten sie die Körperöffnungen später mit Hilfe der stärksten Laser öffnen, aber dann hatte man eine zweite, fast unverwundbare Haut.
Auch Siegfried Katischik trug diese silberne Haut. Er hatte sogar Teile seines Gaumens mit Gelaröl bestrichen, um so einen Schutz vor verschluckten Insekten zu haben. Weil eine echte Gelarhaut ein Leben lang hält und Siegfried auf seinen Tastsinn nicht verzichten wollte, hatte er die Gelarhaut an seinen Handgelenken zerschnitten und konnte so die Haut dort wie Handschuhe an und abziehen, wie er es benötigte.
Abgesehen von der Unverwüstlichkeit des getrockneten Gelars, hielt es durch seine silberne Färbung den Träger kühl, und durch mikroskopische Kapillaren auch trocken. Katischik hatte seine Haut mit 20 bekommen, einen Tag bevor er zum Militär wechselte und die einzige Hautpartie, die nicht geschützt war, waren seine Lippen. Alle seine Freundinnen hatten darauf bestanden und auch seine Frau legte viel Wert darauf.
Die zentrale Sternenarmee hatte das Potential der Gelarhaut damals sofort erkannt, und es gab Gerüchte, nach denen es Tests gegeben hatte, in denen die Gelarhaut sogar Raumanzüge ersetzten konnte. Das hielt Katischik zwar für einen Scherz, aber er vertraute sein Leben jederzeit diesem zweiten Überzug an.
Nun wandte er sich zum oberen Pol und folgte dem Küstenverlauf. Von Zeit zu Zeit maß er die Tiefe des Wassers. Sie sollte mindestens 250 Meter betragen, da sonst die Schiffe nicht landen konnten. Siegfried lächelte beim Gedanken, was ihm bei seiner ersten Wasserung passiert war. Denn wenn ein Schiff aus dem Orbit sich einfach in den Ozean fallen lässt, dann wird Besatzung und Passagier gleichermaßen in die Knie gedrückt. Zuerst wird sie ordentlich beim Atmosphärenflug durchgeschüttelt und dann, beim Eintauchen ist die Verzögerung dann massiv. Der Aufschlag war so hart, dass Katischik zwei Rippen gebrochen waren, da er gerade unfreiwillig sein Frühstück der bordeigenen Wiederverwertung zur Verarbeitung übergab. Er wurde heftig mit dem Brustkorb gegen die Keramikkante des Waschbeckens geschleudert und die brach ihm die Rippen. Als er wieder zu sich kam, lag er in seinem Bett und seine zukünftigen Frau stellte sich ihm als Krankenschwester vor.
Heute war er mit einem landgestützten Shuttle gelandet, da eine Wasserung nur dann zu empfehlen ist, wenn man sicher sein kann, dass keine 200 Meter durchmessende Meeresfrucht im Hornpanzer unter der Oberfläche dümpelt. Solche Unfälle waren nicht so selten wie es vielleicht anmutet. Wenn man berücksichtigt, dass dieses Meer im Licht der kleinen Sonne blau flurseziert und im Licht der roten Sonne lila glänzt, dann ist auch eine Schildkröte in den Ausmaßen einer Kleinstadt nicht unvorstellbar. Weil es zu jeder Beute auch immer einen Jäger gibt, nahm man vernünftigerweise von solchen Manövern Abstand.
Soweit sein Auge reichte wurde die Küstenlinie von Klippen gebildet. Immer wieder stiegen sie an, bis sie sich auf einige hundert Meter über das Meer erhoben, um dann wieder abzufallen, um sich oft auf einige Meter der Wasseroberfläche zu nähern. An diesen Stellen mündeten oft Bäche in kleinen Fällen ins Meer. Dort sprudelte und leuchtete das Wasser in einem etwas helleren Lila und winzige Fische spielten um die Luftblasen herum. Als er gegen Mittag an eine solche Stelle kam, unterzog er das Wasser einer genaueren Untersuchung. Zuerst steckte er ein kleines Stück Holz hinein, welches er zu diesem Zweck immer bei sich führte. Es zerfiel nicht sofort. Dann nahm er ein winziges Stück Trockenfleisch und warf es in das Wasser. Als auch dieses keine Reaktion hervorrief, fasste er mit den Gelar bewehrten Fingern hinein. Er spürte die angenehme Kühle und die Geschwindigkeit des Baches. Er roch noch einmal daran, dann nahm er eine Handvoll langsam in den Mund. Es schmeckte etwas nach Eisen und Kupfer, aber sehr angenehm. Er schluckte ein paar Tropfen und wartete auf die Reaktion seines Magens. In dieser Zeit betrachtete er die Fische, die im Meer um den Wasserfall spielten. Sie leuchteten auch, aber in einem hellen, fast sonnenfarbenen Gelb. Als einige Minuten vergangen waren, und er immer noch lebendig war, beschloss er seinen Wasserschlauch zu füllen. Er hielt ihn in den Wasserfall und unterbrach so den Fluss ins Meer. Es dauerte nur einen Moment, dann war der Schlauch gefüllt und das Bach ergoss sich wieder über den Rand. Als Katischik wieder nach den Fischen schaute, schwammen sie nur noch matt leuchtend, tot im Meer und wurden schon fortgespült. Er schüttelte den Kopf und wunderte sich: Das kann doch eigentlich nicht sein, dachte er laut und setzte seine Wanderung fort. Die Zustimmung zu seiner Feststellung blieb stumm.
Er folgte den Klippen den ganzen restlichen Tag. Der Wald, der einige Meter von der Bruchkante entfernt endete, veränderte sich kaum. Nur wenn die Klippen sehr hoch wurden, schien es, als zöge sich der Waldrand weiter zurück und gab von dort einen Blick ins Landesinnere frei. Katischik machte einige Aufnahmen von dem leicht gewölbten Land und machte sich Notizen über die Lage und die Ausmaße von Tälern und Hügeln. Alles schien vom Wald bedeckt, nur einige Hügelspitzen waren mit einem blaugrünen Kraut bewachsen, dass an Spargelpflanzen erinnerte. Der Küstenstreifen selbst war entweder steinig oder von völlig unbewachsener Erde bedeckt. Als Katischik bemerkte, dass die hellere Sonne zu sinken begann, hielt er Ausschau nach einem geeigneten Lagerplatz.
Die Klippe flachte im weiteren Küstenverlauf langsam ab, bis nur noch 14 Meter zwischen Landsteg und Wasseroberfläche lagen. In Richtung Landesinnere stieg langsam ein Hügel an, der bald von dichtem, blau-grünen Wald bewachsen war. Katischik hatte die Gezeiten beobachtet und da er auf trockener Erde stand, hielt er diesen Ort für geeignet, ein Lager zu errichten. Er wählte gerne solche Orte. Zum einen konnte man vor Gefahren aus dem Meer auf den Hügel flüchten und das Meer war selten gefährlich. Zum anderen konnte man jeder Landgefahr ins Meer entkommen, auch wenn hier die Brandung schon hart gegen die Mauer aus Naturstein krachte. Einige Meter weiter schien die Brandung aber weniger stark und ein kleiner Bach ergoss sich dort ins Meer. Katischik schaute über den Rand hinweg und erkannte wieder die gelben Fische, die sich unter seinen Füssen in der Gischt tummelten.
Katischik wollte etwas ausprobieren. Da der Bach nur sehr klein war, aber schon ein kleines Flussbett hatte, war es für Katischik ein Leichtes den Lauf zu unterbrechen indem er einfach ins Wasser trat. Sofort staute sich das Wasser und begann auch bald über seinen Stiefel zu laufen. Die kurze Unterbrechung aber hatte bereits gereicht um die Fische zu töten. Interessant, resümierte Katischik und begann sein Lager aufzuschlagen. Man stimmte ihm zu, doch war er zu sehr beschäftigt, um das zu bemerken.
Sein Zelt bestand aus einem Aluminiumgeflecht, welches mit Gelar überspannt war. Man hatte es schwarz und braun eingefärbt, um eine gewisse Tarnung zu gewährleisten. Es war ein flacher Bogen, der in seiner gedrückten Form kaum vom Untergrund unterscheidbar war. Es hielt trocken und es bot gerade genügend Platz für einen Mann und das nötigste Gerät.
Katischik überprüfte seine kleine Waffe und legte seinen Wanderstock neben sich. Im Ernstfall war er wohl die ernstzunehmernste Waffe, da das Material so gut wie unzerstörbar und sowohl spitz, als auch ausnehmend dünn war. Er hatte einmal beobachtet, wie ein Proklamator in einer Kneipe in einer Schlägerei mit einem Siedler geraten war. Während sein Gegner mit einem Viehtreiber zuschlug, hatte der Proklamator nur einen Karbonwanderstab. Siegfried erinnerte sich nur ungern an das Bild, das der Siedler nach dem Kampf abgegeben hatte.
Zusätzlich befand sich im Griff des Stabes ein Kompass und eine Signalpistole mit fünf Schuss.
Katischik schaute zu den beiden Sonnen auf. Die größere, hellere war dabei unter zu gehen. Er holte sein Strahlungsmessgerät heraus und beobachtete, wie sich das Spektrum veränderte. Die Intensität des sichtbaren Lichtes nahm deutlich ab, während die Röntgenstrahlung fasst unvermindert blieb. Die dunklere Sonne lieferte nun also die Energie für die Flurosenz des Ozeans. Siegfried beschaute sich seine silberne Haut und lächelte: „Da kannst du so viel scheinen wie du willst, mich kriegst du nicht tot.“ Eine Herausforderung mit Folgen. Dann nahm er seine getönte Schutzbrille und setzte sie auf. Er schaute wieder auf das Wasser, weil er eine Bewegung bemerkt hatte. Zwei vogelähnliche Wesen flogen übers Meer. Er hatte sie nicht kommen sehen, aber da sie unglaublich schnell waren, war das auch nicht verwunderlich. Sie jagten in einigen hundert Metern Entfernung kaum einen Fuß über dem Wasser hintereinander her. Von einem Moment zum anderen begann der vordere auf der Oberfläche zu laufen. Sofort schossen Fontänen in die Höhe. Siegfried, der das Schauspiel staunend verfolgte, schätzte, dass sie wohl mindestes ein Meter hoch waren. Seine Geschwindigkeit wurde dadurch natürlich gemindert, aber der Verfolger geriet in ganz andere Probleme. Die Wasserfontänen nahmen ihm die Sicht, so das auch er sein Tempo drosselte. Er kam trotzdem immer näher an den Gejagten heran, so das Siegfried schon auf den Jäger tippen wollte. Dann aber setzte der vordere Vogel einen Schritt aus und die nächste Fontäne schoss um so kräftiger in die Höhe. Sie traf den Verfolger am Kopf. Der stieg unkontrolliert auf und überschlug sich. Seine Geschwindigkeit war immer noch gewaltig als er daraufhin auf die Wasseroberfläche schlug. Während der Gejagte nun an Höhe gewann und davon flog, ging der Jäger jämmerlich in den Fluten unter.
„Survival of the fittest“ was der erste Gedanke, den Siegfried fasste. Er wurde begierig aufgenommen, aber nicht von Siegfried, denn der machte sich etwas beruhigt über seine Ration her. Vögel deuteten auf einen reichen Schatz an natürlichen Nahrungsressourcen hin. Er hatte schon auf einem Planeten gesessen, wo das einzig Essbare eine bittere Wurzel gewesen war, die Blähungen verursachte. Er erinnerte sich mit Schrecken daran, dass sein Verdauungsapparat nach zwölf Monaten Wurzeldiät, scheinbar aus Gewohnheit, weitere drei Monate Gase produzierte, die jedem Normalsterblichen die Sinne nahmen. Das war keinen Monat vor seiner Hochzeit gewesen. Nun saß er eine halbe Ewigkeit von seiner schwangeren Frau entfernt auf einer Klippe und schaute in den Wald, der seicht anstieg. Der schmale Grat, der unbewaldet war, zog sich an der Bruchkante über Kilometer auf der Klippe hin. Siegfried konnte sich vorstellen, dass dies einmal ein Hang eines Berges gewesen war, bevor er langsam vom Meer und anderen Naturkräften abgetragen worden war.
Der Wald, auf dessen Rand er nun blicke, erschien ihm undurchdringlich und schwarz. Er hatte auf vielen Planeten viele solcher Wände aus Pflanzen und Gestrüpp gesehen. Mehr als einmal hatten ihn dabei Augen in den verrücktesten Farben angeblickt. Dieser Wald erschien aber merkwürdig leblos. Nichts schien darin zu wohnen, abgesehen von den Pflanzen und doch fühlte er sich beobachtet. Siegfried hatte schon in früher Jugend diesen Instinkt bis zur Vollendung entwickelt. Seine Erfahrung lehrte ihn, dass überall und immer mit Dingen zu rechnen war, die etwas anderes waren, als man sie kannte. Trotzdem lächelte er, denn er erinnerte sich daran, wie er seine Frau einmal auf einen Campingausflug mitgenommen hatte. Es war nichts Spektakuläres gewesen. Sie waren nur eine Stunde von der Strasse entfernt gewesen und mit dem Vierradjeep auch weniger als zwei von der nächsten Stadt. Trotzdem hatte sie furchtbare Angst gehabt. Vor Schlagen und Eulen, vor Mäusen und Spinnen. Zuerst hatte Siegfried gedacht, es würde nach ein oder zwei Stunden aufhören. Nachdem aber ein Eichhörnchen seine geliebte Frau in Panik versetzt hatte, brach er dieses Experiment ab und brachte sie zurück in die Zivilisation. Dort fand sie sich auch sofort mit traumwandlerischer Sicherheit zurecht und zeigte ihm seine Mängel in dieser Umgebung auf. Denn er geriet in einem Nobelrestaurant sehr schnell in eine ganz ähnliche Panik. Überall wurde man beobachtet und umschwänzelt. Das schien seine Frau zu genießen, wie er den Duft jeder neuen Welt einsog und genoss. Auch wenn er in diesem Moment der Erinnerung bemerkte, wie sich der Geruch der Luft schlagartig veränderte. Es roch nicht mehr wie in dem Kleiderschrank seiner Mutter, sondern süßlicher, sinnraubend. Er spürte wie sein Geist anfing ziellos zu werden und sein Wille begann zu schwinden. Benommen tastete er nach seinem Rucksack. Sein Gleichgewichtssinn versagte seinen Dienst und er kippte aus dem Sitzen zur Seite. Zu seinem Glück lag er direkt neben seinem Gepäck. Nur einen Handgriff später drückte er sich eine Maske aufs Gesicht, die ihm gefilterte Luft zur Verfügung stellte. Sein Wille kehrte zurück und er konnte seine Aufmerksamkeit mühelos auf das Ding richten, was sich langsam aus dem Wald schob. Die kleine Sonne ließ es fast schwarz erscheinen und seine Form fand keine Entsprechung unter den Katischik bekannten Tieren. Es stand auf drei Füssen, wobei der eine, hintere Lauf ungewöhnlich dick und stark anmutete. Dieser stand aus dem Leib des Tieres fast horizontal heraus und schien den Körper vor sich her zu schieben. Die beiden vorderen Beine waren kleiner und stützten den Leib ab. Sie schienen aus mehr Gelenken zu bestehen als Katischik in seinem ganzen Körper unterbrachte. Direkt über diesen Beinen begann ein lanzenartiger Auswuchs der nur sichtbar wurde, wenn das Monster den Körper etwas zur Seite drehte. Augen aber konnte Katischik nicht erkennen. Während er sein Gegenüber musterte, versuchte er möglichst ruhig zu liegen und unauffällig nach seinen Waffen zu tasten. Leider lag er auf seinem Wanderstock und die kleine Schusswaffe war zu weit entfernt. Katischik überdachte seine Situation: Offensichtlich wurde er angegriffen. Wenn es zum Kampf kam, war er die ersten Sekunden unbewaffnet. Der Angreifer schien, trotz seiner langsamen Bewegungen, zu großer Schnelligkeit fähig. Zumindest zu einem großen Sprung. Kaum zwei Meter hinter Katischiks Rücken fielen Klippen zehn Meter steil ins Meer.
Kaum war er bei diesem Punkt angelangt, veränderte sich die Situation rapide. Keine fünf Meter entfernt, die lanzenartige Nase auf Katischiks Kopfs gerichtet, spannte das Tier seine Muskeln. Im nächsten Moment zog sich der hintere Lauf zusammen, das Tier glitt zurück und dann stießen die Vorderläufe den Leib etwas in die Höhe. Katischik sah den Rest der Bewegung nicht, denn er riss die Arme unter seinen eigenen Körper, stieß sich vom Boden ab und sprang in Richtung Zelt. Ein schwerer Körper stieß nur einen Sekundenbruchteil später gegen seine Schulter und schleuderte ihn in Richtung Klippe. Katischik spürte durch das Gelar, dass sich das Tieres rau und ledrig anfühlte. Zu seinem Glück war das Gelar aber stabiler als die lebendige Haut des Angreifers, und so riss diese mit einem Geräusch von trockenem Papier. Sowohl mit der schnellen Bewegung als auch mit dem anschließenden Schmerz schien der Jäger nicht gerechnet zu haben. Er rollte, völlig den Halt verloren, auf die Klippe zu und Katischik sah nur noch, wie die Lanze hinter der Kante verschwand. Er hörte noch drei dumpfe Schläge und ein Klatschen. Dann erfüllte wieder das Rauschen der Wellen die Luft und Katischik war sich sicher, dass das Meer sich dieser Angelegenheit vertrauensvoll annehmen würde. Denn die Brandung stärker geworden. Siegfried konnte sich auch keine Gedanken mehr darüber machen, denn der süßliche Geruch lag immer noch über seinem Rastplatz wie ein Fluch. Durch den Sprung seiner Atemmaske beraubt und nun völlig überrascht von der Betäubung, hatte Katischik keine Möglichkeit des Widerstandes mehr. Er fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, keine dreißig Zentimeter vom Fall in die tödliche Brandung entfernt.
Als er erwachte stand nur noch die große, leuchtende Sonne am Horizont und brannte auf ihn herab. Die Luft roch wieder nach dem Kleiderschrank seiner Mutter und sein Kopf fühlte sich an wie ein Daunenkissen. Er drehte sich langsam, in Erinnerung an die Kante, um. Er konnte fast senkrecht zum Wasser schauen, was seine Kopfschmerzen noch viel schlimmer machte. Dann aber raffte er sich auf und begann seine Ausrüstung zu untersuchen. Scheinbar war alles vollständig und intakt. Er bemerkte auch die tiefen Spuren des Angreifers. Scheinbar waren seine Füße mit einer Art von Huf ausgestattet, der nagelartige Auswüchse trug. Damit wurde dieses Tier noch viel gefährlicher, als Katischik angenommen hatte. Doch diese Betäubung passte so gar nicht zu dieser Art der Jagd. Ein Tier mit solchen Fähigkeiten rechnete nicht mit einem wehrlosen Opfer. Katischik konnte sich aber keinen Reim darauf machen, also packte er seine Sachen zusammen und machte sich mit mehr Vorsicht auf den weiteren Weg. Zuerst blieb der Weg flach und gut begehbar. Bald erreichte er wieder einen dieser kleinen Wasserfälle. Doch als er ins Wasser schaute waren dort keine Fische, die in der Gischt spielten. Er zuckte mit den Schultern und begann das Bachwasser zu untersuchen. Wieder in der Reihenfolge Holz, Fleisch, Finger testete er die Reaktion und wieder blieb sie aus. Als er jedoch den ersten Schluck im Mund hatte, brannte es wie Feuer. Er spuckte es aus und brüllte vor Schmerz. Seine Zunge quoll etwas an und er nahm einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Der kühlte etwas und die Schwellung hielt inne. Er steckte seinen Zeigefinger in den Mund und betastete die Zunge. Der Gaumen war unversehrt, weil er mit Gelar versiegelt war. Katischik schüttelte den Kopf und traf eine Entscheidung, mit der er schon lange kämpfte. Aus seinem Gepäck kramte er eine kleine Dose hervor und öffnete sie. Auf dem Deckel befand sich ein kleiner Pinsel und das Innere war mit schwarzem, unbehandeltem Gelar gefüllt. Er betrachtete es nachdenklich, dann hob er es zum Mund und streckte unter Schmerzen seine geschwollene Zunge aus. Langsam fuhr er in die Dose und das Gelar überdeckte bald die ganze Wunde. Er merkte wie es sich verfestigte und einen Schutzmantel über dem rohe Fleisch bildete. Die Schmerzen ließen nach und die Schwellung nahm ab. Bald war das Gelar getrocknet und die Zunge wieder auf fast normale Größe geschrumpft.
Von dem Schmerz und dem Schreck erschöpft ließ sich Katischik zu einer weiteren Pause nieder. Er spürte wie das Gelar begann, seinen Schweiß nach außen zu transportieren. Die dünnen Kapillaren saugten die salzige Flüssigkeit von der Haut und ließen sie an der Luft verdunsten, das Gefühl war erfrischend und gab ihm einen Teil seiner Kraft zurück. Sein Blick schweifte über das Meer und endete bei seinen Füssen, die auf dem Boden lagen. Doch was seine Aufmerksamkeit dort erregte, war ein kleiner, silberner Stein. Er nahm ihn in die Hand und drehte ihn langsam. Es schien als ob, dachte Katischik, aber es konnte kaum sein. Kurzes Wühlen in seinem Rucksack förderte einen Ein-Dollarstück großen Apparat zu tage. Den legte er flach auf seine Handinnenfläche und legte darauf diesen Stein. Doch nichts geschah. Er beobachtete noch kurz seine Erfolglosigkeit und warf dann den Stein ins Meer. Wäre auch zu schön gewesen, überlegte Katischik. Dann räumte er wieder alles in seinen Rucksack und machte sich wieder auf den Weg.
Als die große Sonne den höchsten Stand überschritten hatte, stand Katischik gerade auf einem Berg und betrachtete den weiteren Küstenverlauf. Er hatte eine geeignete Stelle gefunden. Eine Bucht, welche an ihrer Mündung ins Meer kaum vierzig Meter breit war. Das war zwar etwas wenig, aber Katischik schätzte, dass eine gute Sprengung den Durchgang auf die erforderlichen 60 Meter erweitern konnte. Die Bucht hatte einen etwas breiteren Landstreifen der das Wasser umgab, und daran schlossen sich Hügel an, die Platz für den Anbau von Pflanzen bieten würden. Er war zufrieden und begann von einem der Berge die Vermessung. Da aber die Bucht langgestreckt ins Landesinnere reichte, wurde sie von einem anderen Hügel halb verdeckt. Wenn es nicht mit einem großen Schritt geht, dann muss man viele kleine machen, sagte sich Katischik, der sich auf die Wanderung ins Landesinnere freute. Den Karbonstock in der einen Hand und das Fernrohr in der anderen machte er sich auf, um auf den anderen Hügel zu kommen. Zuvor merkte er sich eine Stelle, wo ein großer Baum genau am Wasser stand. Sollte der Pegel steigen oder fallen, so würde Katischik es bemerken.
Drei Stunden später saß er auf der nächsten Hügelkuppe und untersuchte die Hügelhänge, nach Anzeichen für weitere Seen oder Flüssen, die sich wertsteigernd auswirken würden. Da wandelte sich der Tag plötzlich in Nacht. Durch die Linsen des Fernrohrs deutete es sich kurz als Nebel an um dann in totale Verdunkelung zu kippen. Sofort nahm Katischik die Sehhilfe herunter und sah mit eigenen Augen wie sich eine riesige Wolke aus dem Wald erhob und sich in seine Richtung bewegte. Fern und dunkel drohte ein tiefes Geräusch mit der Ankunft einer Plage. Katischik hatte von solchen Phänomenen von anderen Proklamatoren gehört, war aber nicht vorbereitet. Schnell suchte er seine Schutzbrille und setzte sie auf. Dann nahm er seine Atemmaske, die den Rest seines Gesichtes verdecken sollte. Gerade als er das Gummi festgezurrt hatte, so das die Maske nicht mehr rutschte, trafen die ersten Ausläufer der Wolke an seinem Standort ein. Winzige Tiere setzten sich auf den Boden, die Bäume und auf Katischik. Zuerst nur wenige, dann immer mehr und zum Schluss saßen so viele allein auf seiner Brille, dass Katischik nichts mehr sah. Zwar wischte er immer wieder die Plagegeister vom Glas, aber hinter dieser ersten Schicht sah er nur diesen Nebel aus Milliarden winzigen Körper und Schatten, die das Licht fast völlig verdeckten. Er hörte auch ein Kratzen und Schaben, dass von seinen Schultern kam. Diese Viecher begannen seine Gelarhaut zu zerfressen. Er erinnerte sich an einen kleinen Bach, der kaum fünfhundert Meter entfernt verlief. Vielleicht, wenn er Glück hatte, war dieser so giftig und ätzend wie der Bach am Morgen. Katischik begann behutsam in die Richtung zu gehen, in der er den Bach vermutete. Durch die künstliche Dunkelheit konnte er nicht einmal seinen Kompass auf dem Unterarm erkennen. Trotzdem, nach einigen Minuten stolpern und taumeln fand er diesen Bach. Er legte sich in das Bett, die Tatsache ignorierend, dass wieder Fische sterben würden, und rollte sich in dem Wasser. Tatsächlich schienen die kleinen Tiere weniger zu werden, auch wenn Katischik eigentlich nicht mit einem echten Erfolg gerechnet hatte. Nun erkannte er die Ausmaße der Wolke. Kein Lichtstrahl fand den Weg zu ihm, und wenn er sich bewegte, stellte er fest, dass es war, als wolle er durch Sirup schwimmen. Trotzdem wollte er nicht aufgeben. Er wusste, wenn diese Plagegeister nicht innerhalb von zwei Tagen verschwinden würden, müsste er jämmerlich verdursten, wenn bis dahin seine Gelarhaut hielt. Wenn nicht, da war er sich sicher, würde man ihn bei lebendigem Leibe auffressen. Er hatte aber schon die Orientierung verloren und war sich ebenso sicher, dass er auch den Weg zum See nicht finden würde. Also lag er einfach im ätzenden Bach und hoffte, dass diese Maßnahme seiner zweiten Haut weniger schadete, als die Angriffe der Wolke. Tatsächlich kam ein leichter Wind auf und trieb die Tiere aufs Meer hinaus, so das er bald wieder die Sonnen sah. Doch die Große drohte bereits mit ihrem Untergang. Katischik schauderte bei dem Gedanken, diese Phänomen den Siedlern erklären zu müssen. Ganz abgesehen davon, dass er wohl dieses Raubtier nicht unerwähnt lassen sollte. Er sah schon seinen Gewinn bei dieser Mission schmelzen.
Dann, als er nur noch wenig dieser Tiere in der Luft sah, es lagen viele Millionen auf der Erde, stand er auf und nahm kurz die Atemmaske ab. Die Luft war sauber und schmeckte nach Wald. Sofort spürte er ein Kribbeln auf den Lippen, wo sich einige der Tiere schnell niedergelassen hatten, das bald unangenehm wurde. Praktisch im gleichen Moment quoll schon Blut aus Tausenden winzigen Wunden. Er schlug sich hart auf den Mund und versuchte die Tiere abzuschütteln. Die meisten fielen auch wirklich ab, aber einige wenige hatten sich schon tief in das Fleisch gefressen und waren nicht mehr zu entfernen. Katischik entschied sich schnell und legte sein Gesicht in den Bach. Die Augen waren noch durch die Brille geschützt, aber in seinen Lippen und Nasenlöchern fraßen sich die kleinen Biester tiefer in ihn hinein.
Ihr werdet schon eine Schwachstelle haben, die wir ausnutzen können, drohte er den winzigen Angreifern. Als die Säure in seine offenen Wunden floss, schrie er vor Schmerzen. Er war sich sicher, dass er so die Tiere aus seinem Körper tilgen würde. Einige Sekunde später zog er sein Gesicht zurück und behandelte unter Qualen die offenen Stellen mit dem verbliebenen Gelar. Er hatte mit seinen Befürchtungen also recht gehabt. Wenn er, während er in der Wolke gewesen war, auch nur eine ungeschützte Stelle an seinem Körper gehabt hätte, würde nun eine leere Gelarhülle diesen Planeten zieren.
Katischik kniete sich auf die Erde und bemerkte dabei ein leises Knacken, als sein Knie den Boden berührte. Er sammelte einige der Tiere ein und legte sie in ein Schälchen. Sie alle schienen noch zu leben.
Er fühlte sich schrecklich. Sein Gesicht brannte unter der zweiten Haut, und auch wenn das frische Gelar die Wundheilung beschleunigte, war sein Mund taub und seine Zunge geschwollen. Er fühlte sich schrecklich, als er langsam den Berg herab zum See stieg.
Damit werde ich wohl nicht reich, stellte er fest, als er über die Bucht schaute. Seine Kosten würde er reinholen, aber mit Gewinn war nicht mehr zu rechnen. Die Siedler würden eine Menge mehr Arbeit und Ausrüstung benötigen, um hier zu siedeln, als Katischik eigentlich gedacht hatte. Zu viele Überraschungen. In diesem Moment ging die große Sonne unter. Der Tag war kurz hier und auch das dürfte den Preis drücken. Am besten waren Planten mit zwei Sonnen, die einen langen Tag ermöglichten. Doch die kleine Sonne würde in nur wenigen Stunden ihrer großen Schwester hinter den Horizont folgen.
Katischik dachte bitter daran, wie er die nächsten Wochen damit verbringen musste, um diese Bucht überhaupt für sich zu deklarieren. Denn die 1000 qkm gehörten kartographiert, mit Landmarken versehen und ordentlich photographiert. Alles in allem würde er mindestens vierzig Tage damit verbringen. Katischik hatte noch Glück. Auf anderen Planenten war er nach 40 Tagen noch nicht auf eine so gute Stelle in solcher Lage gestoßen. Er hätte jedoch lieber länger auf einem freundlichern Planenten gesucht, als auf diesem Hinterlistigen. Er konnte es sich nicht mehr aussuchen. Das Geld war investiert und Katischik war entschlossen, es wieder herein zu holen. Diese Stelle eignete sich trotz allem hervorragend für erste Siedlungsversuch, wenn man von der Fauna absah, die nicht sehr einladend auf ihn wirkte. Vielleicht, überlegte er, sind diese winzigen Tiere ja irgendwie wertvoll. Er schüttelte den Kopf, wohl kaum.
Er setzte sich an das Wasser der Bucht und betrachtete das Bild. Er hatte sich vor einiger Zeit an das Bild gewöhnt, dass zwei oder mehr Sonnen im Wasser verursachen. Da gab es die schönsten Farben und die filigransten Formen. In diesen Momenten aber gab es nur die kleinen Röntgensonne, die ihr kaltes, blaues Licht auf den Planeten schickte. Er nahm die Atemmaske ab und gerade als er einen tiefen Zug Meerluft nehmen wollte, bemerkte er den süßlichen Geruch wieder. Sofort setzte er die Maske auf und wandte sich um. Den Wanderstock zum Schlag erhoben beobachtete er den Waldrand. Er war nicht so dunkel und dicht wie auf den Klippen. Vielmehr schien es als würde sich der Wald hier langsam zum Wasser tasten, und oben auf den Klippen von der Bruchkante zurückweichen. Katischik aber erkannte keine Bewegung, auch wenn das Gefühl beobachtet zu werden, stärker war als zuvor. Er ging in die Knie und fixierte den Waldrand. Dann nahm er seinen Wanderstock und richtete ihn auf die Bäume. Mit einem Schnalzen kippte der Kompass nach oben weg und gab einen Kaliber 55 Lauf frei. Katischik dreht noch an einem Rädchen, dann feuerte er eine rot leuchtende Kugel in den Wald. Selbst durch seine selbstverdunkelnde Brille erschien sie grell und von beißender Helligkeit. Als sie auf ihrem Weg den Wald stückweise erhellte, konnte Katischik nichts lebendiges erkennen. Dann, mit einem Schlag, explodierte die Kugel an einem Baum. Dieser fing sofort Feuer. Der Proklamator überlegte was nun zu tun sei. Er richtete sich wieder auf um besser zu sehen was dort nun vorging. Natürlich war es nicht in seinem Interesse wenn dieser Wald abbrannte, oder? Die Frage war berechtigt. Ohne Wald kein Versteck, ohne Versteck kein Jäger, ohne Jäger keine Gefahr. Und Gefahr musste er bezahlen. Das Feuer erlosch langsam wieder. Mit gelinder Enttäuschung nahm Katischik zur Kenntnis, dass sich seine Probleme wohl nicht so einfach aus der Welt schaffen ließen. Ganz in der Nähe empfand etwas ganz ähnlich.
Als Vorschlag kann man das Brandroden den Siedlern ja unterbreiten, dachte Katischik. Er ging auf den Wald zu. Als er zwischen ein paar Bäumen stand, bückte er sich nach der Erde. Sie war warm und weich. Er wühlte etwas, fand aber keinen Sand oder Stein. Lächelnd kehrte er ans Wasser zurück. Es war mehr als eine dünne Humusschicht. Das erlaubte die Brandroddung, da dieser Boden auch noch nach langer Zeit bebaubar war. Er ließ sich direkt am Wasser nieder. Es war kein Sandstrand. Nur einige kleine, runde Steine markierten den nur zwei Meter breiten Strandabschnitt, wo Meer und Land aufeinander trafen. Das Meer hatte er noch nicht untersuchen können. Zwar sprach das Planetenfreigabepapier von einem Ozean mit ungewöhnlich hohem Salzgehalt und zum Teil, aufgrund von organischen Verbindungen, fester Konsistenz, aber Katischik hatte noch nicht die Möglichkeit gehabt, ihn selbst in Augenschein zu nehmen. Vorsichtig näherte er sich den Wellen, bis sie seicht seine Stiefel umspülten. Etwas, so schien es Katischik, wartete. Er beugte sich zum Wasser und füllte ein kleines Glas mit der trüben Flüssigkeit. Sie leuchtete lila und als Katischik sie in die Sonne hielt, konnte er hindurchschauen. Dabei bemerkte er nicht das Rauschen, das langsam anschwoll. Er stand auf dem Trockenen und als er bemerkte, dass vor ihm bereits zehn Meter Strand lagen, war es schon fast zu spät. Das Wasser wich immer schneller in die Bucht zurück. Katischik versuchte aufs Meer zu schauen, doch die Hänge versperrten die Sicht.
Das Rauschen wurde nun auch von einem Donnern übertönt. Katischik überlegte nicht lang. Er steckte das Glasröhrchen ein und begann zu laufen. Er musste den Hügel erreichen, den er abgestiegen war. Er glaubte, dass die meerabgewandte Seite zwar steiler aber sicherer sein würde, wenn der Tsunami auf die Küste träfe. Doch er hatte noch nicht den Waldrand erreicht, da stieg die Welle schon so hoch, dass er sie über die Felsen sehen konnte. Er rannte schneller, erreichte den Wald und wurde nicht langsamer. Er kontrollierte mit einem Griff den Sitz seiner Atemmaske. Denn er war sich sicher, dass er wohl einige Zeit unter Wasser verbringen würde. Die Maske war zwar ursprünglich gebaut worden, um Luft zu filtern, doch der Produzent versprach auch unter Wasser über 30 Minuten eine gesicherte Luftversorgung. Mit einem ohrenbetäubenden Schlag prallte die riesige Welle gegen das Land. Der Eingang zur Bucht, bei Normalpegel kaum 40 Meter breit, wurde in der Höhe schnell breiter und so rannte die Welle nun ins Landesinnere. Katischik suchte sich einen großen Baum. Der Größte, den er fand, war witzigerweise an der Vorderseite etwas verbrannt. Um so besser, beschloss Katischik. Er umfasste mit seinem Wanderstock den Stamm und presste sich so eng wie möglich an die Rinde. Sie war erstaunlich weich. Doch bevor er sich darüber wundern konnte, traf ihn das Wasser. Es kam nicht langsam, stieg nicht. Es war eine Wand, gespickt mit Bäumen und Erde trieb sie eine Wolke aus Dampf vor sich her. Der Sturm allein erschütterte den alten Baum noch nicht. Katischik aber hatte schon Mühe, nicht fortgerissen zu werden. Dann traf die Wand den Baum, praktisch im gleichen Moment entwurzelte sie ihn und riss ihn mitsamt Katischik fort.
Siegfried verlor die Orientierung und klammerte sich verzweifelt an den Baum. Bald reichte seine Kraft nicht mehr, er löste den Griff und wurde zum Spielball der Fluten. Auch die Macht des Wassers verlor an Kraft und als Katischik spürte, wie er auf den Boden aufschlug, nahm er seinen Stock und rammte ihn tief in den Grund. Das Wasser versuchte noch eine Weile ihn mit sich zu ziehen, doch war es schon zu schwach. Als es ablief lag Siegfried auf dem Bauch im Schlamm und umklammerte den Wanderstab, den er in seiner Verzweifelung bis zur Hälfte in die Erde getrieben hatte. Als er sicher war, dass die Gefahr gebannt war, richtete er sich auf und überschaute die Katastrophe. Die meerseitigen Hänge waren gerodet und die Bäume lagen verstreut auf dem kahlen Fels oder schwammen in der Bucht. Hat auch was Gutes, beschloss Katischik, jetzt muss ich das nicht mehr machen. Etwas ganz in seiner Nähe dachte, dass sich nicht alle Probleme auf einen Schlag lösen lassen, aber vielleicht mit einem Zweiten.
Siegfried erkannte am Ufer etwas Leuchtendes. Er bewegte sich langsam und vorsichtig wieder zum Wasser hin. Er schaute ob vielleicht irgendwo Tiere lagen oder noch besser sein Rucksack. Nichts außer Bäume und Äste war zu sehen. Er schüttelte betrübt den Kopf. Nun musste er zu seinem Gleiter zurück und die Ersatzausrüstung holen. Als er am Ufer stand, erkannte er viele tausend Perlen die dort verstreut lagen. Sofort beugte er sich zu ihnen und nahm eine in die Hand. Sie war fest und groß. Er hatte seinen Analysator verloren, so dass er nur sein Wissen gebrauchen konnte. Um die Oberfläche der Perle zu untersuchen, zog er langsam den Gelarhandschuh aus. Er nahm sie zwischen zwei Finger und rollte sie langsam. Dabei geschah etwas merkwürdiges. Sie zerfiel in viele winzige Splitter, die sich in seine Haut bohrten. Das Meer veränderte im gleichen Augenblick die Farbe. Es wurde gelb und leuchtete taghell. Während sich die Perlensplitter in seinem Blutkreislauf auflösten, erkannte Katischik, wer ihn da die ganze Zeit beobachtet hatte. Als seine Beine den Dienst versagte und er krachend auf den Steinstrand fiel, kristallisierte sich ein letzter Gedanke heraus, den zu fassen Siegfried alle Mühe hatte: Survival of the fittest. Er lächelte, als auch sein Herz aufhörte zu schlagen: Er hatte die Handschuhe ausgezogen, das war sein letzter Fehler gewesen, aber nicht sein einziger.
Epilog:
Hinweise auf Katischik selber wurden bei späteren Proklamierungs- oder Siedlungsversuchen nicht gefunden. Wohl aber fand man deutliche Spuren seiner Anwesenheit auf diesem Planeten, der später Katischiks Rache genannt wurde. Die Wasserfläche wurde zwei Jahre später mit einer meterdicken Gelarschicht überzogen vorgefunden.
Alle 342 später registrierten Siedlungsversuche scheiterten vollständig. Insgesamt gelang es nur 23 Personen den Planenten wieder lebendig zu verlassen. Sie waren der Versuch der australischen Ureinwohner, den Planeten zu besiedeln. Die Allianz hatte ihnen den Besitz an Katischiks Rache zugesprochen, in der Hoffnung, ihnen würde eine dauerhafte Besiedlung und damit eine Erschließung der riesigen Gelarvorkommen gelingen.
Die 23 Mitglieder der Expedition antworteten auf die Frage, warum sie nicht geblieben seien, dass der Planet sich selbst gehöre und er nicht zu teilen gedenke.
Damit wurde der Planet Katischiks Rache interplanetarisches Schutzgebiet und nicht wieder betreten. Sieg für den Planeten.