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Suppe

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13.04.2003
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Suppe

Die Suppe kocht langsam in ihrem Topf. Du stehst schweigend am Herd und lauschst den blubbernden Geräuschen. Du rührst sie herum und fischt mit dem Löffel nach einer Nudel um sie zu kosten.
Die Nudel ist ja nicht gerade al dente. Wieder mal ist ein Mahl mißlungen. Du denkst, du hättest sie gekocht. Du hast sie gewürzt, du hast eine Fertigsuppe nachgewürzt. Du hast sie zubereitet, hast das fäkalfarbene Pulver in Wasser gelöst. Nun willst du sie essen, willst aus ihr einen Teil von dir machen.
Du greifst zu den Topflappen, und mit ihnen trägst den silbrigen Topf ins Wohnzimmer. Du holst noch einen Suppenlöffel und läßt dich dann auf dem Sofa nieder. Du schaltest den Fernseher an. Es ist Acht Uhr, genau pünktlich zu den Nachrichten bist du fertig geworden. Du freust dich, dass du für ein 15-Minuten-Gericht nur eine halbe Stunde gebrauchst hast.
Du wühlst mit dem Löffel in der Suppe und findest eine Nudel. Sie heißt Sputnik, doch du hast ihren Namen längst vergessen. Beim Einkauf hast du dir wieder mal die größte Nudeltüte ausgesucht um ihren Inhalt in kleinen Mengen den unterschiedlichsten Fertigsuppen beizufügen.
Gebannt starrst du auf die grünen Bilder der Nachrichtensendung. Die Bilder wurden von Sputniks Kindern gemacht, doch du ahnst nichts von alledem und erkennst auf ihnen nichts. Vielleicht zeigt das Bild dein Auto, wie es von hoch oben erscheint, oder vielleicht wirst du gerade von diesem Satelliten beobachtet, während du ihre Bilder betrachtest. Du glaubst, du sähst die Bilder eines Krieges, aber vielleicht gibt es gar keinen Krieg. Du hast den Krieg nie gesehen. Du glaubst die Worte der Nachrichtensprecherin und kennst nicht mal ihren Namen.
Du beugst deinen Kopf zum Topf. Sie siehst nur noch die Suppe, die dich argusgleich mit hundert Augen anstarrt. Du erkennst nicht die Blicke der Suppe, du siehst nur wie sich dein Gesicht in den Fettaugen spiegelt. Du nimmst den Löffel und fischt ein paar Nudeln hervor und ißt sie genüßlich.
Der Ablauf unbekannter Bilder setzt sich fort. Tagtäglich rauschen sie an dir vorbei. Du hast die Schreckgespenster der Vergangenheit bereits vergessen. Frei bist du für den Horror der Gegenwart.
Durch deine Speiseröhre dringt eine seltsame Mischung aus Nudeln, Trockengemüse und pulverisierten Fleisch. Du ahnst nicht, dass sich gerade in dieser Suppe die gefürchteten Prionen eines kranken Rindes befinden könnten. Penibel meidest du schon seit ein paar Jahren Rindfleisch im Supermarkt. Du glaubst es zumindest. Du ahnst nichts von den ausgekochten Knochen eines Rindes, die du schlürfst. Längst ist deine Diät zur Gewohnheit geworden. Du weißt nicht, warum du es tust. Hast du die wegen dem Rinderwahn oder der Maul-und-Klauen-Seuche begonnen? Du fürchtest das Hornvieh, obwohl du es nicht kennst. Du fürchtest vieles, doch nicht diese Suppe.
Vor dir auf dem Schirm rekeln sich verhungernde Kinder. Du ahnst, dass sie sich wohl nach einer Suppe deiner die Augen reiben, aber du löffelst weiter als wäre nichts geschehen. Die Maz bricht ab. Du kennst nicht das Land der Hungernden. War es Afrika, der Irak oder das Takka-Tukka-Land? Du hast es vergessen, wie so vieles. Du hast vergessen, was gestern geschah, was du gestern getan hast. Du schaust in den Topf. An seiner Wand hat sich eine graue, trocken liegende Schicht gebildet, denn du hast schon ein ganzes Teil von ihr gelöffelt. Du hast aus ihr ein Teil von dir gemacht. Du weißt, was diese Suppe gestern getan hat. Sie spiegelte sich in der Dunkelheit an der metallenen Innenseite ihrer Tüte. Du hast die Tüte noch während des Kochens zum Abfall geworfen. Du sahst ihre blendende Innenseite nicht, du sahst nur das Bild der Suppe auf der leeren Hülle. Du ißt die Suppe. Sie kann nicht vergessen, sie wird gegessen. Du verschlingst ihre Erinnerung an das Gestrige und mit ihr das Gestern. Du leerst den Topf und leerst deinen Kopf.
Im Fernsehen siehst du die Mächtigen, wie sie sich alle versammeln, die Herrscher von Europa. Du kennst wenige beim Namen und keiner kennt dich. Du senkst dein Haupt und schaust auf die Suppe. Sie kennt dich. Sie reden von der Einfuhr von transgenen Gewächsen. Ohne es zu Wissen, kostet du das veredelte pflanzlichen Eiweiß einer Sojabohne, die deine Suppe angedickt hat. Du ahnst nichts von dem, was für diese Suppe getan wurde, wie die großen Staatsmänner über ihre Inhaltsstoffe berieten, wie hunderte von Menschen an ihrer Erschaffung arbeiteten. Du glaubst du hast sie geschaffen, du hast ihr kochendes Wasser gegeben. Letztlich bist auch du nur ihr Diener. Es ist deine selbst gewählte Aufgabe, sie dir einzuverleiben.
Du hast schon längst vergessen, was letztes Jahr geschah. Wie die Feinde der Gene ein Feld zerstörten. Die Suppe weiß es, sie ist ein Spiegel des letzten Jahres. In ihr ruht die Ernte eines Jahres um verschlungen zu werden. Vielleicht hast du dich gefreut über die aufgebrachten Leute, hast ihnen zugestimmt, während du hier auf dem Sofa saßt und die geächtete Ernte gegessen hast, ohne es auch nur zu ahnen.
Die Bilder eines Tages rauschen an dir vorbei. Du vergißt vieles. In der Suppe setzen die Schallwellen der Nachrichtensprecherin ein mikroskopisches Schauspiel in Gang, das dir wie so vieles verborgen bleibt. Ewig konserviert die Suppe in ihren winzigen Schwingungen die Laute der Kriege und Konferenzen. Sie könnten ewig als Wellen durch die Suppe gleiten, wenn du sie nicht essen würdest. Du konsumierst die Nachrichten, machst aus ihnen ein Teil von dir. Du machst sie nichtig, indem du sie vernichtest. Dann sind sie Nichts wie du.
Langsam zehrt dein Magen an der nun lautlosen Suppe. Die Bausteine einer Suppe lagern sich in dir ein. Sie wird ein Teil von dir.
Die Nachrichten enden mit einem Wetterbericht. Du hast die Suppe gegessen. Du beschließt ohne es zu wissen selbst zur Suppe zu werden. Du gehst ins Bad, ziehst dich aus und läßt Wasser in die Wanne. Der Tag soll in einem Bad enden. Deine Haut weicht auf. Milliarden kleiner Hautschuppen trüben das Wasser. Langsam löst du dich im Wasser auf. Noch ehe du ernsthaft zu schwinden beginnst verläßt du wie immer mit verschrumpelten Fingern die Wanne. Deine Suppe läßt du frei. Langsam bahnt sie sich ihren Weg durch die Kanäle und findet in der Kläranlage ihre Töpfe. Etwas, was vorher ein Teil von dir gewesen war, wird dort als Klärschlamm absinken. Du aber weißt nichts von deinem langen Weg und beginnst dich abzutrocknen wie jedes mal, obwohl du nicht mehr der selbe bist. Langsam wirst du zur Suppe.
Der Klärschlamm wird auf die Felder getragen. Der reifende Hartweizen zieht ihn herauf in die Körner und die Hartweizennudeln finden sich in den Suppen der Massen wieder. Du wirst zur Suppe, begehrt und gegessen. In der Suppenküche der Bahnhofsmission wirst du kochen, obwohl du dort nie landen wolltest. Eine junge Nonne spricht ihr Gebet bevor sie die Suppenkelle in dich taucht:
„Du bist für uns alle gestorben.“

 
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Hallo Maglor!
Was die Suppe so aus einem machen kann! (Werde es mir nächstes Mal überlegen ob ich nochmal eine Fertigsuppe esse.) Deine Idee ist klasse, dein Schreibstil gefällt mir.

"Du wirst zur Suppe, begehrt und gegessen. In der Suppenküche der Bahnhofsmission wirst du kochen, obwohl du dort nie landen wolltest. Eine junge Nonne spricht ihr Gebet bevor sie die Suppenkelle in dich taucht:
„Du bist für uns alle gestorben.“

Mh, das Ende entäuscht mich ein wenig. Sie ist doch nicht total zur Suppe geworden, außer ein paar Hautpartikel oder? Irgendwie paßt das Ende nicht, habe aber momentan auch kein Vorschlag parat. (Außer vielleicht die letzten zwei Sätze weglassen?)
Aber warte was die anderen sagen...(vielleicht bin ich zu müde...)
Trotzdem gut gelungen!

Gruß Joker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Maglor,
diese Geschichte ist mir irgendwie bisher entgangen.
Da hättest du mir ja ganz schön den Appetit verdorben,wenn ich denn Fertigsuppe essen würde. Aber deine Geschichte über die Suppe ist ja zu anderem Fraß kompatibel, und ob man nun als Big Mac oder als Suppe endet, einerlei.
Jedenfalls bin ich beeindruckt von deinen Herleitungen aus einem so alltäglichen Vorgang.
Ich nehme an, du hast deine(n) Prot recht bewusst am Ende zum Märtyrer gemacht in seiner Einfalt. Leider habe auch ich nicht ganz begriffen warum.
Als Abwandlung des Todes am Kreuz durch Christus finde ich den Vorgang des Suppe essens doch zu alltäglich für ein so mystisches Bild. Da hätten wir ja tausende von Märtyrern.
Aber vielleicht klärst du uns da ja noch auf.
Jedenfalls hat mir deine Geschichte wirklich ausgezeichnet gefallen.

Lieben gruß, sim

 
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Es ist eine Art Schmaler Grat zwischen Nihilismus, Materialismus, und Antropotheismus (ich bin ja so schlau).
Der Mensch ist auch nur eine Suppe, doch die Suppe ist alllmächtig.
Im Grunde ist es der Gipfel der Unwissenheit, das Martyrium von dem keiner wußte.
Nach der scheinbarer rein materiellen Gegenwart, die dem DU_erzählten vorher verborgen war, erfährt er von nnoch verborgeneren Dingen.
Letzten Endes ist es jedoch nur eine eschreibung der Realität. Es geschieht jeden Tag!
MfG Maglor

 

Hallo Maglor,

nicht schlecht, die Geschichte. Hat sehr viele philosophische Anklänge, die zum Nachdenken anregen. Allerdings solltest Du sie nach Rechtschreib- und Satzbaufehlern nochmal überarbeiten.
Ansonsten hat mir die Geschichte gut gefallen. Ich sitze - wenn ich mir das genau überlege - auch oft so da wie Dein Protagonist und esse eine Suppe während ich Nachrichten gucke... ;) Aber das Problem mit dem Rindfleisch hab ich Gott sei Dank nicht... :D

Grüßle,
stephy

 

Geschrieben von stephy
Aber das Problem mit dem Rindfleisch hab ich Gott sei Dank nicht... :D
@ stephy
Das Glaubst du vielleicht!
Alles lauert im Verborgenen.
MfG Maglor

 

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