Mitglied
- Beitritt
- 16.03.2013
- Beiträge
- 92
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Supermarktabenteuer
Hans geht in den Supermarkt, nicht dass er etwas Bestimmtes dort kaufen will. Er trifft einen alten Schulfreund, den Dieter. Sie wechseln ein paar Sätze. Es ist so eine Art Unterhaltung, bei der sich beide nicht wohl fühlen.
„Und was machst du so?“, heuchelt Hans Interesse.
„Komme gerade aus dem Urlaub, 4 Wochen Dom Rep. Also, ist auch nicht mehr wie früher.“
„Ja.“ Hans nickt ein paarmal.
„Bin gerade am expandieren, hab ein neues Büro in Dubai. Du kennst doch meine Firma?
„Sicher.“
„Bla blabla bla bla ...“
„Was für ein Arsch“, denkt sich Hans, „der will ja nur angeben.“
„Also, hat mich sehr gefreut, dich mal wieder getroffen zu haben, … Peter!
„Ich heiße Hans.“
Mit einer Verabschiedung, die extra laut ausfällt, damit es auch jeder am Obststand mitkriegt, trennen sie sich unter dem Vorsatz, sich das nächste Mal aus dem Weg zu gehen.
Wie kalt es an der Kühltheke ist! Hans schließt die Augen und stellt sich vor, ein Pinguin zu sein. Da wird er von einem Eisberg gerammt, es war allerdings nur der Einkaufswagen von, richtig, unserem Großkotz von Schulfreund.
„Ach, das tut mir jetzt aber leid, Peter!“
„Nichts passiert.“
Als er schon einige Schritte entfernt ist, wirft Hans ihm einen Joghurt an den Hals.
„Was, was glaubst du denn was du bist? Also so etwas, blabla bla!“
Den Protest von Dieter so gut es nur geht ignorierend, sucht er sich schleunigst einen neuen Lebensraum.
Es ist ein Wühltisch Superangebote, diese Socken, Unterhosen und Werkzeugkästen. Er stellt sich auf die Ecke des Tisches, springt ab und nimmt ein Bad in den Babystramplern.
„Welch weicher und flauschiger Pool“, denkt sich Hans. „Wozu noch in die Karibik fliegen?“
Entsetzt kreischend rennen Mütter um ihr Leben. Einzelhandelskauffrauen kommen herbeigeeilt, sie werfen mit leeren Kartons und abgelaufener Ware. Es gibt nur einen Ausweg: Er taucht ab in die Tiefen des Wühltisches.
Nach 10 Metern stößt er auf einen Hohlraum. Hunderte nackter Babys sitzen rauchend und Poker spielend auf dem Fußboden. Was er denn so blöd gucke, fragt eines.
„Wer seid ihr und wo kommt ihr her?“, fragt Hans.
„Du kennst du doch auch die Geburtenrate in Deutschland, diese 1,4 Babys pro Familie. Hast du dich noch nie gefragt, was aus dem null komma sechsten Baby geworden ist und wo es nun steckt?“
„Nee, keine Ahnung.“
„Jungs, er weiß es auch nicht.“
Als der Abschied näher rückt, verspricht er noch, die Weltöffentlichkeit über die prekäre Lebenssituation der Wühltischsäuglinge zu informieren. Er denke da sogar an einen Fond. Hans holt tief Luft und taucht an die Oberfläche zurück. Dort haben sich die Wogen geglättet und es ist wieder Friede eingekehrt. Ohne Aufsehen zu erregen, stiehlt er sich aus dem Wühltisch.
Er steht in der Getränkeabteilung. Das viele Schwimmen hat ihn ziemlich durstig gemacht. Hans macht sich eine Flasche auf und trinkt sie auf ex. Da bemerkt er, dass er in der Drogerieabteilung steht, es hat sich nämlich um eine Flasche Shampoo mit Kiwiaroma gehandelt. „Hmm, lecker“, denkt er sich und steckt sich noch eine für später ein.
Jetzt kommt er zu den Zeitschriften. „Nee, nee, was für ein Gelästere und Geschmiere!“ Empört wirft er das Regal um. Dummerweise landet ein Stoß „Bild der Frau“ auf seinem großen Zeh. Er heult erbärmlich auf und beißt sich vor Schmerz in den Handrücken. „Um Himmels willen“ schreiend, kommt ihm so ein alter Mann mit Zwirbelbart zur Hilfe. Ihm sei das auch mal passiert, damals vor Stalingrad.
„Die Presse, das ist die vierte Gewalt!“, warnt er Hans. „Noch schlimmer als das dritte Reich! Glaub mir, ich war beim zweiten Weltkrieg dabei. Erste Sahne war das nicht! Null Chancen hatten wir, gegen den Ami! Minus ein Grad in Stalingrad, manchmal sogar Minus Zwei.“
Hans hört sich gern die Geschichten von alten Opas an. Erst recht weil er weiß, dass sie immer weniger werden.
Opa nimmt Hans unter dem Arm und sie humpeln Richtung Kasse Zwei. Dort hockt so ein käsiger Junge, es ist sein erster Tag heute. „Ausgerechnet zu mir“, denkt er sich und kaut auf seinen Nägeln. Ihm stehen Schweißperlen auf der Stirn. „Geht doch weiter, geht doch weiter“, denkt er. Aber da ist es schon zu spät, und sie stehen direkt vor ihm. Der angehende Verkäufer wird immer kleiner und kleiner und schmilzt schließlich auf seinem Hockerchen, bis nur noch eine Pfütze von ihm übrig ist.
„Man kann es ihm nicht übelnehmen“, sagt Opa Zwirbelbart, „ist schon ein verdammt harter Job an der Kasse.“ Er wisse das, er wäre damals auch mal an der Kasse gehockt, ihr wisst schon, kurz vor Stalingrad.
Er bedankt sich beim Opa für die Hilfe und hockt sich aufs Förderband. Eine rasante Fahrt beginnt! Er hat gar nicht gedacht, wie gefährlich und geradezu heimtückisch solche Förderbänder sein können: Erst kracht eine Lawine von Zigaretten auf ihn nieder. Dann muss er Dutzenden Kaugummistreifen ausweichen. Sie sind von Praktikantinnen, die eine einschlägige Berufskillerinnenkarriere hinter sich haben, gleich Ninjasternen auf ihn geschleudert worden. Er duckt sich gekonnt, als eine Hubbabubbarolle krachend an der Wand zerschellt. Aber er kann auch was, hat er nicht einen Abendkurs Guerillakampftechnik an der hiesigen Volkshochschule absolviert? Der Inhalt einer Tiktak-Dose wird zur Munition, die er aus der Backentasche auf die Killergirls abfeuert. Eine wird sofort tödlich verletzt, die andere flüchtet und rennt gegen die Scheibe, sie hat nämlich gedacht, da wäre nur Luft, aber nun macht es halt: „Dong“.
„Warum nur?“, kreischt sie.
„Ihr habt doch angefangen“, meint Hans dazu.
Mit dicken Kullertränen in den Augen schaut sie ihn an.
„Wir hatten so viele Pläne. Wir wollten irgendwann unseren eigenen, kleinen Laden aufmachen, nur Thelma und ich. Aber dieser Tötungsdruck, er ist einfach immer da, egal was man tut.“
„Habt ihr es mal mit professioneller Hilfe versucht?“, will Hans wissen.
„Es war ein Personal Coach namens Dieter. Er hat uns geraten, es erst mal im Einzelhandel zu versuchen.“
„Dieses Schwein!“
„Dann ist er mit unserer Kohle in die Dom Rep abgehauen.“
„Du, ich muss jetzt gehen, dass Band ist gleich zu Ende.“
Endlich am Ende des Förderbands angekommen, springt er mit Hilfe einer Plastiktüte ab, und schwebt zu Boden. Hans landet sanft auf dem Gras und ist gerettet.
Als er aus dem Supermarkt schreitet, sieht er Dieter seinen Porsche Cayenne beladen.
„Was soll's“, denkt er sich, geht zu ihm hin und entschuldigt sich für den Joghurtanschlag.
„Na, dann woll'n wir mal ein Auge zudrücken, aber die Rechnung der Reinigung kriegst du von mir zugeschickt, Peter!“
„In Ordnung“, meint Hans und hilft ihm beim Einladen.
„Ist doch nicht so ein übler Kerl, dieser Dieter.“
Denkt er zumindest.
Vielleicht hätte Hans den Kopfsprung am Wühltisch dann doch lieber bleiben lassen sollen.