sun production
SUN PRODUCTION
Die Sonne lässt den Asphalt förmlich kochen; stellt alles Leben auf eine harte Probe. Grell sendet sie mit erbarmungsloser Kontinuität Licht und Hitze in jeden Winkel. Die zerbröckelnden Wände, übersäht mit Grafittis, verschwimmen am Ende der Straße zu einem flirrenden Dunst. Dicke Schweißtropfen kullern Jahns Stirn herunter. Sie bleiben kurz in den Augenbrauen hängen, fallen dann auf die Straße und verdampfen. Er nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche und wünscht sich in den klimatisierten Wagen zurück. Er fährt mit der Hand durch sein nasses Haar. Vor ihm liegt ein Areal, so groß wie 5 Fußballfelder, dass er besichtigen soll. Es ist 12 Uhr. High Noon.
Links und rechts ragen riesenhafte Bleiglasfenster in den Himmel, verstaubt und zersplittert. Wie Kirchenfenster brechen sie das Licht, lassen einen kleinen Einblick in das marode Innere der Hallen.
Das hier jemals Leben war, bezweifelt Jahn stark. Nur ein vergilbter Anschlag in einem verrotteten Schaukasten zeugt davon.
"Betriebsversammlung am 23.05.74, STOPPT DIE ENTLASSUNGEN" ist auf einem in großen Lettern zu erkennen.
Er wendet sich nach rechts, geht in eine kleinere Straße. Hier war er noch nicht mit dem Wagen. Er wechselt die Straßenseite, drückt sich entlang der Betonmauern, versucht so der Sonne zu entkommen. An seinem Rücken hat sich ein großer Schweißfleck gebildet, Tropfen laufen die Beine herunter. Bei einer Treppe bleibt Jahn kurz stehen. Er stellt seinen Aktenkoffer auf das verrostete Geländer und holt eine Sonnenbrille hervor. Die Gläser spiegeln seine verkniffenen Augen. Seine glänzende, sonst weiße Haut wirkt in ihnen braun.
Ein heißer Wind wirbelt Staub auf, treibt einige Papierfetzen vor sich hin. Glassplitter knirschen unter seinen Füßen. Er hätte einen Kollegen schicken sollen. Außerdem wundert er sich, wie man auf die Idee kommt, in so einer Gegend einen Vergnügungspark zu bauen. Er schüttelt wie zu Bestätigung dieser Gedanken den Kopf. Sofort spürt er einen stechenden Schmerz in der Schläfe.
Er zündet sich eine Zigarette an, zieht den Rauch tief ein und biegt in eine schmale Gasse zwischen einer Lagerhalle und einer Firma für Stoßdämpfer ein. Hier ist es fast angenehm schattig und kühl. Einige wenige Pflanzen haben der unwirtlichen Landschaft getrotzt, bohren sich durch den rissigen Beton. Auf einer Blechtonne sitzt ein Spatz. Erschrocken blickt er zu Jahn und verschwindet im grellen Blau des Himmels.
Am Ende der Gasse kommt er an eine Kreuzung. Beide Richtungen schauen fast identisch aus. Er wählt nicht den rechten Weg, da er sonst wieder auf die Hauptstraße kommt. Seine Füße tun weh und er sehnt sich nur noch nach Kühle und Entspannung. In seinem Kopf flirren die Gedanken. Seine Zunge klebt am Gaumen und als er ausspuckt, bleibt am Boden nur ein trauriger, weißer Fleck.
Die schmale Gasse, in der er läuft, reflektiert die Sonnenstrahlen. Gespeicherte Hitze dröhnt aus den Betonplatten. Jahn wischt sich den Schweiß von der Stirn und geht schneller. Er muss aus diesem Brutkasten herauskommen.
An einem schattenspendenden Vordach bleibt er stehen. Er öffnet seinen Aktenkoffer und zieht einen Plan des Geländes heraus. Er befindet sich in einem Gewirr von kleinen Wegen und Gassen, die sich wie ein Netzwerk zwischen den Hauptstraßen erstrecken. Nicht allzu weit von seinem jetzigen Standpunkt ist ein großer Platz. Er wurde noch von keinem der Firma besichtigt. Er nimmt einen Schluck lauwarmes Wasser aus seiner Flasche, packt den Plan wieder ein und geht los.
Nach einigen hundert Metern verwandelt sich die sonst durchgängige Betonschicht am Boden in ein Trümmerfeld. Der Belag ist regelrecht aufgeplatzt. Der Wind treibt Staub vor
sich her und Jahn wünscht nur noch sich in seinen Pool.
Als er an dem Platz ankommt, stockt ihm der Atem. Er ist zehnmal so groß, wie er erwartet hat. Der Boden besteht inzwischen nur noch aus Staub, zwischen dem an manchen Stellen schwarze Platten durchschimmern. In der Mitte steht ein riesiger, schwarzer Kubus. Seine Wände sind völlig glatt, wie poliert schimmert er in der Hitze.
?Großer Gott? murmelt Jahn, geht etwas näher.
Genau in der Mitte der vorderen Wand schimmert eine große, silberne, quadratische Tür. Ihr Glanz ist blendend, wirft einen Lichtpunkt auf den sandigen Boden.
Er geht auf die Tür zu.
?Wer hat das gebaut? denkt er.
Zu der Tür führen fünf schwarze, glatte Stufen. In ihr kann er das verzerrte Spiegelbild eines Mannes mit Anzug und silbernen Aktenkoffer erkennen. Er steigt die Treppe hinauf und blickt an der Wand entlang, die wie ein Gebirge vor ihm aufragt. Nirgends ist eine Alterungserscheinung zu sehen. Die schimmernde Tür hat nicht einen Kratzer.
Sie ist durch ein großes, goldenes Vorhängeschloss versperrt. Er denkt nicht lange nach sondern holt Hammer und Meißel, die er extra für diesen Zweck eingesteckt hat aus seinem Aktenkoffer.
Mit wenigen Schlägen hat er das Schloss aufgebrochen und zieht die Tür auf. Sie gleitet lautlos nach außen.
Innen bietet sich ihm ein fantastischer Anblick. Der ganze Raum ist perfekt quadratisch, schwarz und leer. Nur in der Mitte ragt eine runde, schwarze Säule zur Decke. Sie ist in ein sanftes, milchiges Licht getaucht, dass aus dem Nichts zu kommen scheint. Er macht einige vorsichtige Schritte in das Innere. Hinter ihm schließt sich die Tür geräuschlos.
Er bemerkt es nicht, geht wie magisch angezogen auf die Säule zu. Sie scheint ihm perfekt. Als ob Gott selbst sie konstruiert hätte. Nahtlos verschwindet sie im Boden, streckt sich mächtig und doch völlig glatt in die Höhe. Er geht mit andächtigen Schritten auf sie zu.
Sein Handy beginnt zu klingeln. Ohne den Blick von der Säule abzuwenden nimmt er es aus der Hosentasche und schaltet es aus.
In der Mitte der Säule, etwa auf Brusthöhe, befindet sich eine kleine Einbuchtung, in der ein silberner Hebel schimmerte. Vorsichtig streckt er die Hand nach ihm aus. Als er ihn berührt, fühlt er die tiefe, vibrierende Energie, die von der Säule ausgeht. Er legt die Finger um den kalten Stahl. Dann schließt er die Augen.
Der Hebel gleitet lautlos und leicht nach unten. Nichts passiert. Jahns Hand zuckt zurück. Er ist über seine Faszination erschrocken. Er hatte alles um sich vergessen, die Hitze, den merkwürdigen Kubus in dem er sich befand. Seine ganze Umwelt war wie ausgeblendet.
Sobald seine Hand die Vertiefung verlassen hat, beginnt die Säule leicht zu zittern. Dann vibriert die ganze Oberfläche, kleine Wellen bilden sich in der schwarzen Ebenmäßigkeit. Es ist, als ob sie schmilzt. Dann schließt sich die Einbuchtung und der Hebel ist verschwunden. Die Säule steht nun wieder da wie zuvor. Groß, schwarz glatt und mächtig,
Was nun aber geschieht, lässt Jahn erzittern. Ein tiefes Dröhnen wabert von den Wänden zu dem Zentrum des Raums. Es steigert sich immer weiter, fast kann man die Luft sehen. Er hält sich den Kopf, fällt vor der Säule auf die Knie. Er zittert am ganzen Körper. Das Dröhnen steigert sich immer weiter, schwillt an. Dann bebt die Erde. Danach ist Stille.
Jahn liegt auf dem Boden. Er steht so schnell er kann auf und rennt zu der Tür. Sie gleitet mühelos auf.
Draußen ist tiefste Nacht. Er stolpert, fällt in den Staub. Mit verzerrtem Gesicht blickt er ungläubig nach oben. Ein kalter Wind treibt den Sand vor sich her. Nur der Boden ist noch warm. Am Himmel aber sind die Sterne zu sehen, kalt und fern. Er rappelt sich auf, rennt weiter weg, stolpert wieder und schaut voller Entsetzen auf den schwarzen Kubus. Ein großes, rotes Neonschild strahlt an der Vorderwand 'SUN PRODUCTION' in die tiefe Stille der Nacht.
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