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Sumpf
Der Sumpf (Kurzgeschichte)
„Darf ich den Bogen mal anfassen?“, fragte Jakob.
Samuel nahm sich den dunkelbraunen Bogen, der über seinen Oberkörper hing, ab und übergab ihn zögernd.
„Wow, damit kann man sicher jemanden töten.“
„Klar, wenn die Pfeile spitz genug sind.“
„Aus welchem Holz ist das geschnitzt?“, fragte Jakob.
„Akazie. Hab ich im Wald gesammelt.“
„Hast du auch Pfeile dazu?“, fragte Jakob.
„Na klar, die sind im Lager. Das habe ich vorgestern gebaut. Ist nicht weit von hier. Lass uns da mal hingehen, dann zeig ich es dir.“
Sie standen von dem mit Moos bedecktem Waldboden auf und streiften sich die Erde von den Jeans. Es war ein heißer Junitag gewesen, der sich langsam zum Ende neigte. Die letzten rötlich gefärbten Sonnenstrahlen kämpften sich ihren Weg durch die, mit Blätter prall geschmückten, Buchen- und Eichenbäume.
„Hier lang“, sagte Samuel und machte eine Handbewegung.
Sie gingen abseits der Wege mitten durch den unaufgeforsteten Wald. An einer Stelle wurde das Unterholz so dicht, dass sich Jakob die Hände schützend vor den Kopf hielt um nicht einen Ast ins Augen zu kriegen. Samuel schienen die Äste nichts auszumachen. Er ging geradewegs durch das Dickicht und wurde von dem Gestrüpp am Kopf und an den Armen aufgekratzt.
„Hey, ist das da drüben nicht das Moor in dem der Hund von Frau Endwein verschwunden ist?“, fragte Jakob.
„Ja das ist das Moor. Geh nicht zu nah hin, sonst endest du noch wie dieser Köter.“
„Kanntest du den Hund? Ich bin früher of Gassi mit ihm gega...“, wollte er sagen und stolperte über einen toten Fuchs. Er sprang angeekelt einen Schritt zurück. Der Bauch des Tiers war offen und Gedärme hingen halb hinaus. Samuel drehte sich rasch um. „Wieso bist du denn so schreckhaft?“ Er hob einen Stock vom Boden auf und stocherte in dem Kadaver herum. „Eine Portion Spaghetti gefällig?“, fragte er mit einem grinsen und drehte die Gedärme auf dem Stock umher.
„Lass das man, das ist echt scheiße“, stöhnte Jakob.
Samuel schmiss den Stock mit einem Seufzer wieder auf den Boden und ging weiter. Er ging jetzt immer schneller und Jakob musste sich anstrengen um hinter ihm her zu kommen. Sie kamen an eine Lichtung an der sich ein aus Sträuchern zusammengesetztes Indianerlager befand. Daneben lag eine Kühltruhe auf dem Gras.
„So, da sind wir.“
„Und das hast du an einem Tag gebaut?“, fragte Jakob. „Ist ja echt spitze man. Und wo hast du die Kühltruhe aufgetrieben?“
„Die lag auch im Wald. Nicht weit von hier.“
„Wieso brauchst du überhaupt ne Kühltruhe. Bewarst du da deine Pfeile drin auf?“, sagte Jakob und grinste. Er ging auf die Truhe zu und öffnete sie. Er musste Kraft aufbringen, denn der Saugnapf lies nicht leicht locker. Die Tür schoss nach oben und ihm drang ein Gestank von Verwesung in die Nase. Er schaute auf einen entstellten Hundekadaver hinunter. Er war ausgelöst, die Gedärme lagen sorgfältig sortiert daneben. Die Grausamkeit brauchte ein paar Sekunden, bis sie Jakob erst richtig bewusst wurde. Es schockte ihn nicht, bis er den Gesichtsausdruck des Hundes sah und begriff: Er starb einen qualvollen Tod. Er drehte sich um und starrte Samuel verständnislos an. Samuel stand da mit gespanntem Bogen. Der Pfeil war an der Spitze dunkelrot gefärbt. Dann spürte Jakob wie der Pfeil problemlos in seine Brust eindrang. Er wollte schreien, aber brachte keinen Mucks heraus. Samuel kam auf ihn zu. Er verpasste ihm einen leichten Schubs und er fiel neben den Kadaver in die Box. Danach wurde es dunkel und er merkte, wie seine Sinne in einem Meer aus Schmerzen verblassten.