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Subkutan

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01.06.2010
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Subkutan

Beldrog führte seine Männer ins Vergessene Tal. Einen Ort, über dessen Gefahren er sie bewusst im Dunkeln gelassen hatte. Denn es lag in seiner Absicht, sie auf die Probe zu stellen. Da sie erst kürzlich ein kraftzehrendes Scharmützel ausgetragen hatten, waren sie schlichtweg nicht auf derlei gefasst. Sobald sie eine bestimmte, unsichtbare Schwelle überquert hatten, spürte Beldrog die Nadelstiche feiger Blicke aus dem Hinterhalt.
Er schwang seine mit Dornen gespickte Keule bar jeder Muskelspannung und gab vor, keine Notiz von den zwei Dutzend Berserkern zu nehmen, die auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff lauerten. Beldrog würde nicht einmal versuchen, sie daran zu hindern. Im Gegenteil: seine Keule – von der man sich erzählte, er habe sie in Wahrheit aus den Körperteilen niedergerungener Feinde gefertigt – glitt ihm aus der Hand und senkte sich schwer in das vom Regen aufgeweichte Erdreich.
Ein Wimpernschlag verstrich, dann brach ein Sturm aus heiseren Kehlen und gewetzten Äxten los. Mit einiger Verzögerung zückten seine Mannen die Waffen und setzten sich zur Wehr. Ihren Bewegungen war jedoch nicht die geringste Leichtigkeit anzusehen. Dass sie den todbringenden Hieben entgingen, verdankten sie einzig dem Zufall oder der Trunkenheit ihrer Widersacher. Irgendwann vermochten sie ihre Position nicht länger zu behaupten, sie wurden unweigerlich zurückgedrängt. Die meisten von ihnen schienen nicht einmal mehr dazu in der Lage, ihre Schwerter in der einem Krieger angemessenen Manier zu handhaben. Beldrogs Ernüchterung setzte seiner Langmut ein vorzeitiges Ende. Mit einem flinken Rundumschlag befreite er die Seinen aus ihrer Zwangslage. Das Berserkerblut tropfte von seiner Keule wie von den Lefzen eines Wolfes. Jeder seiner Schützlinge vergalt es ihm mit einer wortlosen Geste der Demut.
„Vielleicht“, verkündete Beldrog gönnerhaft, „erlangt ihr eure Kräfte schneller zurück, nachdem ihr auf meine Kosten eine Nacht im Freudenhaus verbracht habt.“
Ein gemeinschaftlicher Freudenschrei blies die eben erlittene Schmach hinfort.
„Aber vergesst nicht“, fügte er mit Bestimmtheit hinzu, „wenn ihr mir erneut Schande bereitet, werdet ihr den Rest eures Lebens dort verbringen … allerdings nicht als Kunden.“
Er kostete ihre versteinerten Mienen einen Moment lang aus, bevor er sie mit einem Laut erlöste, der mehr Grunzen als Lachen war.

„Ich bin dann mal afk“, sagte er lakonisch, ehe er sich mit einer weiteren Tüte Chips aus der Küche eindeckte. In Wirklichkeit war er kein legendärer, Ehrfurcht gebietender Krieger, auch brachte er nicht annähernd so viel auf die Waage wie sein imposanter Avatar. Stattdessen kämpfte er mit aller Macht gegen seinen Kollibri-Metabolismus an, indem er Abend für Abend tausende von Kalorien in sich hinein schaufelte. Er hieß Marcel und genoss die Übergangszeit zwischen Abi und Uni so, wie es die meisten seiner Artgenossen taten, wenn sie nicht ins Ausland flohen oder soziales Engagement heuchelten.
Seine Rückkehr an den Laptop sollte ihn mit etwa demselben Schreck erfüllen, den seine virtuellen Gesinnungsbrüder erlebt hatten. Er war nämlich auf weiter Flur allein.
„Haben die sich jetzt wirklich einfach so verpisst?“, murmelte er geknickt in das Mikrofon seines Headsets. „Kameradenschweine!“
Er musste damit unwissentlich eine magische Formel ausgesprochen haben. Denn plötzlich hatte er mehr Gesellschaft, als ihm lieb war. Eine ganze Horde von Untoten, die er in diesem Areal eigentlich nicht hätte antreffen dürfen, steuerte in trägem Gleichschritt, dafür erstaunlich koordiniert, auf ihn zu. Noch bevor Beldrog/Marcel eine clevere Strategie ersinnen konnte, hatten ihm die wandelnden Leichen jeden Fluchtweg abgeschnitten.
„Dann wollen wir mal!“, röhrte er selbstsicher, malträtierte anschließend Maus und Tastatur und schlug eine Schneise durch den Pulk. Ein ums andere Mal musste er einen Brechreiz herunterwürgen, den er sich nicht recht erklären konnte. Dann war es vollbracht. Er hatte sich abermals nicht von der zahlenmäßigen Überlegenheit eines Gegners beirren lassen. Seinen Triumph begoss er, relativ profan, mit einem Schluck Sprite.
Doch es war noch nicht ausgestanden. Die Texturen verschwammen unversehens, der Bildschirm wurde schwarz. Seine Online-Repräsentation war vorläufig auf sich allein gestellt. Anfangs starrte Marcel nur teilnahmslos vor sich hin. Dann jedoch begann es merklich in ihm zu brodeln. Der durch stickige Zimmerluft und unregelmäßigen Schlaf gedämpfte Zocker geriet außer sich.
„Was soll der Scheiß?“, brüllte er ungehalten, wischte seinen Softdrink vom Tisch und stand kurz darauf wie ein Ankläger vor seinem Laptop. „Wisst ihr überhaupt, wie lang ich mir den Arsch aufgerissen hab, um meine Figur auf den Level zu bringen?“
„Momentan“, ertönte eine computergenerierte Stimme, „bin ich der Einzige, der dich hören kann. Und ich könnte mich kaum weniger um deine lächerlichen Beschwerden scheren. Also langweile mich gefälligst nicht mehr damit!“
Marcel schmunzelte unwillkürlich. Er ging jede Wette ein, dass ihm einer seiner Teamkollegen mithilfe eines Stimmenverzerrers einen Streich spielen wollte.
„Bist du das, Nero44?“, fragte er amüsiert.
„Da muss ich dich leider enttäuschen.“ Die Stimme klang nun nicht länger künstlich. Marcel hatte eine Gänsehaut, weil er glaubte, dass ihr Besitzer mit ihm im Raum war. „Hast du dich allen Ernstes für diesen Unfug ausmustern lassen?“
Marcel stockte einen Augenblick. Seine Kehle war staubtrocken. Hatte er sich da verhört? Keiner seiner Zocker-Freunde konnte das wissen. Er kannte nämlich keinen von ihnen persönlich und hatte dieses Detail immer für sich behalten.
„Wie, bitte, was?“ Er bereute sein Gestotter sofort, schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Das“, versetzte der Andere dunkel lachend, „war nicht allzu überzeugend. Aber noch ist es nicht zu spät. Noch kannst du deine Fähigkeiten unter Beweis stellen.“
„Was genau soll das heißen?“, fragte Marcel mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen.
„Dass ich dir helfen kann, dein Potential freizulegen.“
Doch Marcel hörte ihn schon nicht mehr. Denn das Serverproblem war endlich behoben. Der Bildschirm hellte sich nur sehr langsam auf. Als würde sich jemand einen Spaß daraus machen, an Marcels Nervenenden zu sägen. Denn niemand hatte Beldrogs Wehrlosigkeit ausgenutzt. Er stand völlig unversehrt an derselben Stelle wie noch vor ein paar Minuten.
„Sorry“, sagte er kurz angebunden, „aber ich hab noch was Wichtiges vor. „Vielleicht können wir demnächst mal wieder quatschen.“
Endlich bin ich den Typen los.
„Nicht so schnell.“
Vor ihm tauchte unvermittelt ein neuer Spieler auf. Er versuchte mehrmals, diesem auszuweichen, doch der Andere kam ihm stets zuvor. Irgendwann gab Beldrog/Marcel auf.
„Wenn ich mich einmal vorstellen dürfte“, sagte der Fremde feierlich und deutete eine Verbeugung an.
Seine Worte hauchten den unter Blut und Innereien begrabenen Knochen der Untoten neues Leben ein. Wie ein selbstlösendes Puzzle für Ekelresistente krochen sie aufeinander zu, ehe sie sich beinahe gewaltsam wieder zusammenfügten. Sie nahmen Formen an, die zum Teil grotesker anmuteten als zuvor. Erst jetzt gewahrte Beldrog/Marcel, dass sie alle ein und dasselbe Gesicht trugen.
„Ich“, sprachen sie simultan, „bin Romes und werde dir eine neue Sicht der Dinge eröffnen … ob du nun willst oder nicht.“
„Und wenn ich nun so gar nichts dazulernen will?“
Beldrog/Marcel stürmte blindlings gegen die Übermacht an und schaffte es tatsächlich, einige der Duplikate von Armen und Beinen zu trennen. Doch sobald er sich verausgabt hatte, trampelten sie ihn einfach nieder und hätten ihn wohl zerquetscht, wenn ihr Anführer sie nicht mit einem kaum vernehmlichen Befehl daran gehindert hätte.
Er durchschritt die Reihen seiner Schergen und blieb vor Beldrog/Marcel stehen, auf den er geradezu wohlwollend hinabblickte, ehe er ihm die Hand reichte und mit einem Ruck auf die Beine half.
Romes klopfte ihm den Staub von der Kleidung, ging dann auf Abstand, als befürchtete er, sich bei Beldrog/Marcel mit etwas anzustecken.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, wollte dieser wissen.
„Spürst du es wirklich nicht?“ Beldrog/Marcel schüttelte den Kopf. „Deine Hand …“
Ungläubig inspizierte er sie, betrachtete jedes Pixel davon wie einen Fremdkörper, der erst seit Kurzem seinen Armstumpf zierte und an den er sich bislang noch nicht gewöhnt hatte.
„Ich weiß noch immer nicht, was …“, begann er, doch viel weiter sollte er nicht kommen, denn ein brennender Schmerz schnitt ihm das Wort ab.
Fassungslos beobachtete er, wie etwas, das einer Schlange glich, unter seiner Haut den Unterarm empor mäanderte und allmählich auf die Größe eines Tumors anschwoll, der den gesamten Arm zu verzehren drohte. Romes und seine Doppelgänger applaudierten, der Rhythmus ihres Beifalls schien den Parasiten anzufeuern. Dieser fraß sich nämlich immer schneller durch Muskeln und Sehnen, bis er unter matschigem Bersten an der rechten Schulter austrat und Augenkontakt zu seinem Wirt herstellte. Beldrog/Marcel vermochte seinen Blick nicht abzuwenden, was die schlangenartige Kreatur zum Anlass nahm, ihm mit ausgefahrenen Giftzähnen ins Gesicht zu springen.
Ehe er das Bewusstsein verlor, flüsterte ihm Romes etwas ins Ohr: „Hiermit bist du offiziell rekrutiert.“

Sein virtueller Tod kappte die Verbindung zwischen Beldrog und Marcel ein für alle Mal. Marcels in das Spiel ausgelagerter Geist fuhr mit einer solchen Wucht in seinen Körper zurück, dass er vom Stuhl kippte und auch in der Realität eine Weile außer Gefecht war.
Langsam rappelte er sich auf. Sein Laptop war schrottreif. Doch Marcel hatte gerade andere Sorgen, als das Universum oder die Herstellergarantie dafür zu verfluchen. Er war groggy, fasste sich an die Stirn, als müsste er Teile seines Hirns in den Schädel zurückschieben. Mit pochenden Schläfen schlurfte er ins Bad und prüfte im Spiegel, ob sein Körper noch einigermaßen intakt war. Dem war nicht so: sein rechter Arm war nichts weiter als ein zerfledderter Hautlappen, der an seinem Torso herabhing. Kurz spielte Marcel mit dem Gedanken, ihn zu amputieren. Seine Selbstverstümmelungsfantasie musste aber erst einmal warten, weil ihn zwei Dinge daran erinnerten, dass er in Lebensgefahr schwebte: seine stark blutende Schulterwunde und das Geräusch von etlichen umfallenden Gegenständen im Nebenraum, begleitet von einem unverkennbaren Zischen.
Seine einzige Chance war das Badezimmerfenster. Für einen neuerdings Invaliden mit jahrelanger Sportabstinenz aber ebenso eine nicht geringe Herausforderung. Mit dem noch brauchbaren Arm riss er es auf, wobei die Scheibe klirrend zu Bruch ging.
„Natürlich …“, brummte er verdrossen. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Doch das brauchte er gar nicht. Denn die Schlange – oder was auch immer das Ding war – schnappte bereits nach seinem rechten Pantoffel.
„Erstick dran!“, schrie er mit wutverzerrter Miene, ehe er der Kreatur seinen Hausschuh ins Maul rammte und unbeholfen durchs Fenster nach draußen hechtete. Er kam unsanft auf. Glaubte, sich etwas verknackst zu haben.
Doch das Adrenalin ließ ihn keinen weiteren Gedanken daran verschwenden. Er drückte seinen Oberkörper so weit nach oben, dass er sich auf einem Bein, dann auf beiden abstützen und schließlich wieder aufrecht stehen konnte. Mit einem Tempo, das ihn zum perfekten Übungsobjekt für angehende Diebe gemacht hätte, schleppte er sich die Straße entlang und merkte erst, wie unbelebt sie war, als er die nächste Kreuzung erreichte. Alle Ampeln standen auf Rot, andere Passanten und Fahrzeuge suchte er weit und breit vergebens. Marcel wollte sich eine kurze Verschnaufpause gönnen, als das Zischen dezibelschwanger zurückkehrte. Es schien aus allen Richtungen zugleich zu ihm vorzudringen.
„Shit, was jetzt?“, raunte er.
Die Antwort bestand in einem gewaltigen Schatten, den das Reptil wie einen Giftschwall vorauswarf. Tatsächlich lähmte dieser Anblick Marcel vorübergehend. Wie lange konnte er diesem gefräßigen Ungeheuer noch davonlaufen, bis es zu ihm aufschließen und ihn bei lebendigem Leib verschlingen würde? Er lehnte kraftlos an einer Wand, wollte sich hier und jetzt ergeben, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war das schwache Flackern eines Barschildes zu erkennen. Den Namen konnte Marcel allerdings nicht ausmachen.
„Was hab ich schon zu verlieren!“, sagte er sich, ehe er hinüber humpelte und eine quietschende Stahltür aufriss. Alles verstummte und starrte ihn gereizt an.
„Hör schon auf, die ganze Wärme rauszulassen!“ rief ihm jemand zu.
Marcel trat ein. Die Tür schloss sich ganz von selbst hinter ihm. Die Barbesucher gingen nun wieder all jenen Tätigkeiten nach, die Marcel gerade unterbrochen hatte: sie tranken, schrien oder fummelten aneinander herum, als gälte es herauszufinden, ob der jeweils Andere womöglich eine billige Raubkopie war. Nur einer von ihnen ignorierte ihn nicht. Er war ungefähr in Marcels Alter, jedoch nicht annähernd so schmächtig gebaut wie er.
Wie ein guter Freund winkte er ihn zu sich herüber. Seine Augen begannen zu leuchten, als Marcel unmittelbar vor ihm stand.
„Äh, kennen wir uns?“, fragte dieser schüchtern.
„Noch nicht. Aber ich schätze, wir spielen im selben Team. Lass mich dir ein Bier ausgeben.“ Er gab der Bedienung das entsprechende Zeichen.
„Im selben Team?“, wiederholte Marcel verwirrt. „Ich glaub, du verstehst da was falsch. Ich bin nicht, ich mein, ich steh nicht … klar fühl ich mich irgendwie geschmeichelt, aber …“
Sein Gegenüber musste lauthals auflachen, hämmerte mit der Faust auf den Tresen.
„Du glaubst, ich will dich anmachen, oder?“
Marcel nickte.
„Du Witzbold! So einen wie dich können wir hier ziemlich gut gebrauchen, wenn die Stimmung mal im Keller ist.“
„Was meinst du damit?“
„Ich meine“, entgegnete der Andere, während er sich vom Barhocker erhob und einen Arm um Marcel legte, „dass wir im selben Team sind – sprichwörtlich. Romes hat uns beide rekrutiert und hierher gebracht.“
Marcel löste sich aus der oberflächlichen Umklammerung, taumelte zwei Schritte zurück. Ihm wurde kurzzeitig schwarz vor Augen.
„Romes? Hast du da grade Romes gesagt?“
„Jepp. Warum sollten wir sonst alle hier sein?“
„Da hast du wohl Recht“, sagte Marcel. „Aber kannst du mir vielleicht nochmal sagen, wieso genau er uns herbestellt hat?“
„Wir sollen ihm helfen …“, er nahm einen besonders großen Schluck, ehe er weitersprach, „äh, wie hat er dich eigentlich rekrutiert?“
Marcel wusste nichts darauf zu erwidern.
„Na, komm schon!“, hakte der Andere nach. „Schlange oder Wolf?“
„Schlange?“, sagte Marcel zögerlich, und fürchtete, damit seinen unmenschlichen Verfolger zu beschwören.
„Spitzenmäßig! Dann schätzt er also dein strategisches Denken …“
Marcel schüttelte den Kopf.
„Das … wird mir alles zu viel“, stotterte er. „Ich glaub, ich geh jetzt besser.“
Er war im Begriff, die Tür aufzustoßen, als der Andere ihm lässig nachrief: „Du weißt schon, dass deine Schlange da draußen auf dich wartet. Und wenn sie dir bis hierher gefolgt ist, dürfte sie inzwischen die Ausmaße eines Kleinwagens haben. Viel Glück dabei, diesem Ding auszuweichen! War nett dich kennenzulernen!“
Marcel verharrte auf der Stelle. Dann drehte er sich um.
„Woher weißt du das alles?“
„Tja“, sagte der Andere gelassen, „ich lass mich eben auf Romes und seine Lehren ein. Ich kann ihn ständig zu mir sprechen hören – auch jetzt gerade.“
„Aha, und was genau will er von uns?“
Marcel ließ sich nun auf einem Barhocker nieder.
„Es geht um so eine Art Schlacht, die im Verborgenen stattfindet. Aber nicht nur hier, sondern überall auf der Welt, gleichzeitig. Irgendwas von wegen ‚die Menschheit muss ihre Unschuld bewahren und darf nicht herausfinden, wie die Welt wirklich funktioniert‘. Ich hab’s nicht so ganz verstanden … oh, du bist wohl wieder voll einsatzbereit.“
„Kapier ich nicht.“
„Na, mit deinem Arm ist jetzt wieder alles paletti.“
Marcel blickte an sich herab. Sein Arm war vollständig wiederhergestellt. Um sicherzugehen, dass er sich das nicht einbildete, öffnete und schloss er mehrmals die rechte Hand.
„Und was heißt das?“, wollte er wissen.
„Dass du dich Romes gleich beweisen kannst. Das Gemetzel geht nämlich jeden Augenblick los!“
Marcel konnte Romes‘ Einfluss nun unmittelbar spüren. Seine Stimme war ein Instrument, das dezent im Hintergrund seiner Wahrnehmung spielte und jede seiner Bewegungen lenkte. Sie übertönte das Gekreisch, ließ Marcel die Gliedmaßen ausblenden, die wie missgebildete Jonglierbälle durch den Raum geschleudert und von niemandem wieder aufgefangen wurden.
Er ergriff die Kehle eines seiner Widersacher mit beiden Händen. Schraubstöcke, die sich um die Luftröhre schlossen und dem Feind einen letzten Atemzug gewährten, ehe dieser leblos zusammensackte. Die Augen des Unterlegenen brachen nicht, vielmehr blitzte darin etwas auf, das Marcel in seinem Tun bestärkte. Er würde weiter töten, auslöschen und vernichten, um den Fortbestand der Welt zu sichern.

 

Kleine Entwarnung an die Moderatoren: das hier wird kein Textdumping.
Dieser und der andere Text werden auf absehbare Zeit die einzigen sein, die ich hier einstelle.
Leider habe ich vergessen, ihn der Horror-Rubrik zuzuordnen.
Mittlerweile bin ich für diesen Text einfach betriebsblind geworden. Ich harre eurer Verrisse.

 

Hi tutorialslave,

in dem Text stecken ein paar gute Ideen, aber er hat auch eine Menge Probleme aus meiner Sicht. Ich glaube, die lassen sich am besten an Beispielen festmachen, also lege ich gleich los mit einem Zitate-Marathon:

Subkutan
Hmm ... die Schlange war unter Marcels Haut, ich schätze damit kann man den Titel rechtfertigen. Aber ich finde es immer besser, wenn der Titel wirklich das Wesentliche des Textes auf den Punkt bringt. Worum geht's hier? Eine geheimnisvolle Person, die Computerspieler mit übernatürlichen Mitteln für irgendwelche undurchschaubaren Zwecke rekrutiert. Irgendeinen Kampf, der im Geheimen tobt und der normalen Menschen verborgen bleibt. "Subkutan" ist medizinischer Jargon, das ist ziemlich weit von diesen Sachen entfernt.
Also ich meine, wenn Star Wars "Kleiner piepsender Roboter" heißen würde, dann könnte man auch sagen, ja gut, da kommt einer drin vor, passt doch - aber es wäre wohl trotzdem nicht der optimale Titel, oder?

Er schwang seine mit Dornen gespickte Keule bar jeder Muskelspannung und gab vor, keine Notiz von den zwei Dutzend Berserkern zu nehmen, die auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff lauerten.
Der ganze Anfangsteil macht auf mich einen angestrengten Eindruck - der ist irgendwie mit aller Macht auf "Fantasysprache" gebürstet, damit der Leser nicht gleich merkt, dass es sich um eine Videospielszene handelt. Grundsätzlich finde ich den Ansatz nicht verkehrt, aber es erscheint mir insgesamt übertrieben und an manchen Stellen produziert es Stilblüten, wie das "bar jeder Muskelspannung" hier. Erstens könnte sich das so, wie es formuliert ist, auf die Keule beziehen, zweitens ist Muskelspannung die Voraussetzung für jede Art von Bewegung, auch eine langsame oder schwache, es passt also auch inhaltlich nicht.

Ein Wimpernschlag verstrich, dann brach ein Sturm aus heiseren Kehlen und gewetzten Äxten los.
Noch eine Stilblüte. Ich finde Metaphern ja gut, aber die müssen stimmig sein. Stürme brechen nicht aus Äxten los, gewetzt oder ungewetzt.

Stattdessen kämpfte er mit aller Macht gegen seinen Kollibri-Metabolismus an, indem er Abend für Abend tausende von Kalorien in sich hinein schaufelte.
Wenn das von den kleinen Vögeln abgeleitet ist, heißt es Kolibri, aber ich hab den Begriff bisher noch nicht gehört. Ist das so was wie Schilddrüsenüberfunktion, wo der Stoffwechsel viel mehr Energie verbraucht als normal?

Er hieß Marcel und genoss die Übergangszeit zwischen Abi und Uni so, wie es die meisten seiner Artgenossen taten, wenn sie nicht ins Ausland flohen oder soziales Engagement heuchelten.
Meinst du echt Artgenossen? Das klingt, als ginge es um eine Tierart. Altersgenossen würde besser passen.

Eine ganze Horde von Untoten, die er in diesem Areal eigentlich nicht hätte antreffen dürfen, steuerte in trägem Gleichschritt, dafür erstaunlich koordiniert, auf ihn zu.
Gleichschritt setzt Koordination voraus. Deshalb funktioniert diese Formulierung für mich nicht.

„Dann wollen wir mal!“, röhrte er selbstsicher, malträtierte anschließend Maus und Tastatur
Du benutzt häufig Adverbien, um wörtliche Rede genauer zu beschreiben, und das ist eigentlich fast immer unnötig. "Dann wollen wir mal" klingt schon von alleine nicht gerade ängstlich oder verunsichert, da braucht es das hinterhergeschobene "selbstsicher" nicht, um dem Leser den richtigen Eindruck zu vermitteln.

Anfangs starrte Marcel nur teilnahmslos vor sich hin. Dann jedoch begann es merklich in ihm zu brodeln. Der durch stickige Zimmerluft und unregelmäßigen Schlaf gedämpfte Zocker geriet außer sich.
Okay, bis hierher gab es eigentlich nur kleine Stil-Mäkeleien, aber jetzt stoßen wir auf ein Beispiel für eins der größeren Probleme, die der Text hat. Die Erzählperspektive ist meiner Meinung nach schlecht gewählt. Du hast einen allwissenden Erzähler, der die Figur von außen betrachtet, und sie ohne große Sympathie beschreibt - man hat stellenweise den Eindruck, der Erzähler rümpft die Nase über Marcel. Nun ist der Marcel vielleicht auch nicht unbedingt ein Sympathieträger. Aber wir befinden uns in einer Horrorgeschichte, und er ist unser Protagonist. Das heißt, wenn das Ganze hier einigermaßen funktionieren soll, dann müssen wir als Leser mitempfinden können, was in Marcel vorgeht - besonders später, wenn wirklich horrormäßige Sachen passieren, aber auch hier, wo er sich nur über die verlorene Internetverbindung ärgert, ist das wichtig.

Guck dir die Beschreibung der Emotionen mal genau an. "Es begann merklich in ihm zu brodeln". "Merklich" benutzt jemand, der von außen drauf guckt. Wenn ich mich ärgere, dann sage ich nicht "ich werde merklich wütend" - mein eigenes Empfinden ist immer "merklich" für mich. Ich würde dir zu einem personalen Erzähler raten, also ganz nah an der Figur dran bleiben, und seine Empfindungen aus seiner Sicht beschreiben - das funktioniert für Horrorgeschichten eigentlich immer am besten. Dafür müssten aber auch solche Umschreibungen wie "Der durch stickige Zimmerluft und unregelmäßigen Schlaf gedämpfte Zocker" rausfallen. Das ist Marcel oder er oder in dem Onlinespiel von mir aus auch Beldrog. Aber der sieht sich selbst bestimmt nicht durch diese Brille, die der Erzähler hier aufhat.

„Was soll der Scheiß?“, brüllte er ungehalten,
Na bloß gut, dass du das "ungehalten" da eingebaut hast. Wenn einer "Was soll der Scheiß" brüllt, nehme ich ja sonst an, der wäre bester Laune! :p
Ehrlich, vertrau mir. Adverbien zur wörtlichen Rede kannst du in 99% der Fälle in die Tonne treten. Die wörtliche Rede selbst muss deutlich machen, wie der Sprecher emotional drauf ist.

„Wisst ihr überhaupt, wie lang ich mir den Arsch aufgerissen hab, um meine Figur auf den Level zu bringen?“
Ich spiele selbst nicht so viel am Computer - aber "Figur" hört sich für mich falsch an. Im Kontext von Spielen redet man da doch eher von seinem "Charakter". Und der Duden erlaubt zwar auch "der Level", aber für mich klingt das Level "richtiger" bzw. gewohnter.

„Bist du das, Nero44?“, fragte er amüsiert.
Finde das überflüssige Adverb (und dann töte es!)

„Hast du dich allen Ernstes für diesen Unfug ausmustern lassen?“
Die Geschichte spielt also vor der Abschaffung der Wehrpflicht? Da spricht ja im Prinzip nichts dagegen, es hat mich nur gewundert, weil die Beschreibungen des Computerspiels schon auf sehr hochentwickelte Grafik und so was schließen lassen, so dass ich angenommen habe, die Geschichte spielt in der Gegenwart - wo es nicht mehr nötig wäre, sich ausmustern zu lassen, wenn man keinen Wehrdienst leisten will.

„Sorry“, sagte er kurz angebunden, „aber ich hab noch was Wichtiges vor. „Vielleicht können wir demnächst mal wieder quatschen.“
Endlich bin ich den Typen los.
„Nicht so schnell.“
Den Satz würde ich an deiner Stelle kursiv machen, damit deutlich wird, dass es sich um Gedanken Marcels handelt, dann ist es beim Lesen leichter zu verstehen.

Ungläubig inspizierte er sie, betrachtete jedes Pixel davon wie einen Fremdkörper, der erst seit Kurzem seinen Armstumpf zierte und an den er sich bislang noch nicht gewöhnt hatte.
„Ich weiß noch immer nicht, was …“, begann er, doch viel weiter sollte er nicht kommen, denn ein brennender Schmerz schnitt ihm das Wort ab.
Fassungslos beobachtete er, wie etwas, das einer Schlange glich, unter seiner Haut den Unterarm empor mäanderte
Die Stelle funktioniert für mich leider überhaupt nicht, weil nicht klar getrennt ist, was im Spiel passiert und was in der Realität. Erst schaut er auf die Pixel seiner Hand, also handelt es sich wohl um Beldrogs Hand im Spiel, dann spürt er Schmerz - das muss also der reale Marcel sein. Dann beobachtet er die Schlange, aber ab da ich habe keine Ahnung, ob im Spiel oder in der Realität. Wenn die Schlange echt ist, dann nimmt Marcel das viel zu unbeeindruckt hin. Ich meine, wenn etwas passiert, was gegen die Naturgesetze verstößt, verdammt beängstigend ist UND weh tut, dann erwarte ich vom Protagonisten mehr Reaktion als nur "den Blick nicht abwenden können". Das ist die erste Stelle, wo die Geschichte zeigt, warum sie in Horror steht - aber bei mir ist beim Lesen nichts angekommen. Das ist nicht gruselig, weil der Protagonist keine Emotionen zeigt, und noch nicht mal eklig, weil es alles irgendwie klinisch beschrieben wird. Da muss sich bei einer Überarbeitung unbedingt was tun.

unter seiner Haut den Unterarm empor mäanderte und allmählich auf die Größe eines Tumors anschwoll, der den gesamten Arm zu verzehren drohte.
Tumore können alle möglichen Größen haben. Die eignen sich nicht als Vergleichsgegenstand.

Sein virtueller Tod kappte die Verbindung zwischen Beldrog und Marcel ein für alle Mal. Marcels in das Spiel ausgelagerter Geist fuhr mit einer solchen Wucht in seinen Körper zurück, dass er vom Stuhl kippte und auch in der Realität eine Weile außer Gefecht war.
Wie bitte? Sein Geist war die ganze Zeit in das Spiel ausgelagert, und das verrätst du erst jetzt? Ist das ein normales Feature von diesem Spiel, also befinden wir uns hier auf Science-Fiction-Territorium? Oder ist das ein Teil vom Romes' Magie? Dann hätte Marcel da aber auch schon vorher reagieren müssen, und zwar ziemlich fassungslos ...

Mit pochenden Schläfen schlurfte er ins Bad und prüfte im Spiegel, ob sein Körper noch einigermaßen intakt war. Dem war nicht so: sein rechter Arm war nichts weiter als ein zerfledderter Hautlappen, der an seinem Torso herabhing. Kurz spielte Marcel mit dem Gedanken, ihn zu amputieren. Seine Selbstverstümmelungsfantasie musste aber erst einmal warten, weil ihn zwei Dinge daran erinnerten, dass er in Lebensgefahr schwebte: seine stark blutende Schulterwunde und das Geräusch von etlichen umfallenden Gegenständen im Nebenraum, begleitet von einem unverkennbaren Zischen.
Okay, an der Stelle habe ich mich dann gefragt, ob du in Richtung Horrorgroteske gehen willst. Also ob diese extreme Gleichgültigkeit des Protagonisten gegenüber einer schmerzhaften und verdammt noch mal auf übernatürliche, völlig unerklärliche Weise zustande gekommen (!) Verletzung hier ein Zeichen absurden Humors sein soll, oder ob das wieder nur ein Symptom dafür ist, dass es dir mit diesem Text einfach nicht gelingt, Horror - oder irgendeine Emotion - zu transportieren.
Also Groteske wäre sicher eine Richtung, in die das gehen kann - aber wenn das dein Ziel war, gehst du nicht weit genug, und der Rest des Textes zieht nicht mit in diese Richtung. Das hier wirkt wie unfreiwillige Komik.

„Natürlich …“, brummte er verdrossen.
Hey, unser alter Freund ist wieder da, das überflüssige Adverb. Ich hatte ihn gar nicht vermisst!
Ein Lesetipp: Stephen King, "Das Leben und das Schreiben". Nicht alles, was da drin steht, ist der Weisheit letzter Schluss, aber das Kapitel zu diesem Thema finde ich immer noch großartig. "Adverbien sind menschlich, sagte er/sagte sie ist göttlich." :)

Mit einem Tempo, das ihn zum perfekten Übungsobjekt für angehende Diebe gemacht hätte,
Das ist daneben. Solche Sachen müssen in den Kontext passen. Du schreibst hier über eine Figur, die um ihr Leben flieht, vor einem Monster, das sich auf unerklärliche Weise aus einem Computerspiel manifestiert hat. Das ist die Sache, auf der der Fokus liegen muss. Interessante Vergleich und so - gerne! Aber wenn du ausgerechnet an dieser Stelle etwas von Übungsobjekten für Diebe faselst, was mit der Sache, auf der dein Fokus liegen soll (Schlangenmonster!) absolut nichts zu tun hat, ist das tödlich für die Konzentration beim Lesen, und sorgt nur dafür, dass ich die Gefahr, die du vermitteln willst, nicht mehr ernst nehmen kann.

Marcel wollte sich eine kurze Verschnaufpause gönnen, als das Zischen dezibelschwanger zurückkehrte.
Das ist ja mal eine Wortschöpfung aus dem Frankensteinlabor ... :hmm:
Und dahin sollte sie auch schleunigst zurückkehren, bevor ich die Fackeln und Mistgabeln hole! Du brauchst auch an dieser Stelle kein Adverb. Aber wenn du unbedingt eins haben willst, dann tut es auch eins für den Hausgebrauch, wie z.B. "laut".

„Shit, was jetzt?“, raunte er.
Okay, erstens: Dein Protagonist führt ziemlich viele Selbstgespräche, das würde sich vielleicht besser machen, wenn er bestimmte Dinge bloß denkt.

Zweitens: Abgesehen von den Adverbien schmückst du deine wörtliche Rede sehr gern mit Alternativen zu "sagte". Das ist nicht unbedingt ratsam. Manchmal überfliegt man einen zu überarbeitenden Text und sieht in den Dialogen "sagte, sagte, sagte, sagte, fragte, sagte, sagte", und denkt sich: Mist, so viele Wortwiederholungen, da muss ich etwas tun.

Aber "sagte" ist eines der wenigen Worte, wo die allgemeine Regel, dass Wiederholungen vermieden werden sollten, nicht zutrifft. Ein Text, wo statt sagte "röhrte", "raunte" etc. steht, wirkt beim Lesen viel nerviger als einer, wo fast überall "sagte" steht. "Sagte" ist von der Funktion im Satz her eigentlich kein Wort, es ist fast so was wie ein Teil der Interpunktion. Es vermittelt nur die Information: Dies war ein gesprochener Satz. Das kann sich ruhig wiederholen - Kommas und Punkte setzt man ja auch andauernd, ohne zu denken, dass der Text dadurch langweilig wird. Wenn du statt "sagte" etwas anderes nimmst, dann kommt dem Wort, was eigentlich nur diese "diese Worte wurden gesprochen" Funktion hat, plötzlich viel mehr Bedeutung zu. Da muss man sich dann eine ganz spezielle Art vorstellen, wie die Worte gesprochen werden, das ist quasi eine detaillierte Regieanweisung fürs Lesen. Und die will ich als Leser gar nicht immer haben, ich mache mir ja eigene Vorstellungen beim Lesen. Lange Rede, kurzer Sinn: Mehr sagen, weniger röhren, kreischen, zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpressen, oder was auch immer es an farbigen Umschreibungen gibt.

„Es geht um so eine Art Schlacht, die im Verborgenen stattfindet. Aber nicht nur hier, sondern überall auf der Welt, gleichzeitig. Irgendwas von wegen ‚die Menschheit muss ihre Unschuld bewahren und darf nicht herausfinden, wie die Welt wirklich funktioniert‘.
Tut mir leid, aber diesen Teil finde ich regelrecht schlampig. Du hast eine Geschichte, in der dem Protagonisten etwas sehr sehr Rätselhaftes passiert. Um aufzuklären, was da eigentlich los ist, müsstest du eigentlich weit ausholen, es würde womöglich ziemlich komplex werden, und eventuell mehrere Szenen erforden, um bestimmte Dinge zu zeigen. Dafür hat es Potenzial für eine spannende, ungewöhnliche Geschichte.
Aber ich habe den Eindruck, das war dir zu viel Arbeit. Statt dessen speist du deine Leser mit einer Figur ab, die aus dem Nichts auftaucht, nur um diese halbgaren Expositionsbröckchen von sich zu geben und dann wieder zu verschwinden.
Das geht besser!

Marcel konnte Romes‘ Einfluss nun unmittelbar spüren. Seine Stimme war ein Instrument, das dezent im Hintergrund seiner Wahrnehmung spielte und jede seiner Bewegungen lenkte. Sie übertönte das Gekreisch, ließ Marcel die Gliedmaßen ausblenden, die wie missgebildete Jonglierbälle durch den Raum geschleudert und von niemandem wieder aufgefangen wurden.
Er ergriff die Kehle eines seiner Widersacher mit beiden Händen. Schraubstöcke, die sich um die Luftröhre schlossen und dem Feind einen letzten Atemzug gewährten, ehe dieser leblos zusammensackte. Die Augen des Unterlegenen brachen nicht, vielmehr blitzte darin etwas auf, das Marcel in seinem Tun bestärkte. Er würde weiter töten, auslöschen und vernichten, um den Fortbestand der Welt zu sichern.
Ja, der Schluss ist auch so huschhusch, Hauptsache wir kommen schnell zum Ende, egal ob der Leser etwas versteht.

Ich würde dir empfehlen, dich zunächst mal weniger auf die Sprache zu konzentrieren. Natürlich ist es gut, wenn man Formulierungen findet, die nicht ausgelutscht sind, ungewöhnliche Bilder, intensive Beschreibungen. Und ich sehe, dass du dir in der Hinsicht wirklich Mühe gibst. Aber meiner Meinung nach musst erst mal eine Ebene weiter unten ansetzen.

Als erstes muss klar sein: In dieser Szene passiert x, y und z, da sind die Figuren A und B involviert, und das Ganze läuft so und so ab. Dieses nackte Gerüst, der grundlegende Ablauf der Handlung, das muss erst mal stehen, und stabil verankert sein, so dass für den Leser erkennbar ist, was das sein soll, bevor du dazu übergehen kannst, das ganze farbig zu verkleiden und mit Special Effects auszustatten.

Konkret: Es bringt mir nichts, wenn du eine außergewöhnlich Beschreibung wie "missgebildete Jonglierbälle" einbaust, wenn ich keine Ahnung habe, was du damit beschreiben willst. Wessen Gliedmaßen fliegen da durch die Gegend? Wen bekämpft Marcel? Inwiefern trägt das zur Rettung der Welt bei, und wie kommt er dazu, plötzlich alles, was Romes behauptet, für bare Münze zu nehmen? Das ist alles nicht klar. Und dann endet die Geschichte - nach meinem Eindruck, bevor sie richtig losgegangen ist.

Zusammengefasst: Nach meinem Eindruck gibt es zwei große Probleme mit dem Text. Das eine ist die verworrene Handlung, die sich dem Leser nicht wirklich erschließt. Das andere ist die Erzählperspektive, die zu weit weg vom Geschehen ist, um einen emotional mitzureißen. Die ganzen Sprachanmerkungen sind Kleinigkeiten (und teilweise auch Geschmackssache).
Aber an diesen zwei Sachen müsstest du wirklich arbeiten, wenn die Geschichte richtig funktionieren soll - unabhängig davon, ob du eher Richtung Groteske oder "ernsthafte" Horrorgeschichte gehen willst.

Ich hoffe, damit kannst du etwas anfangen. Grundsätzlich finde ich die Idee, dass jemand in einem Videospiel plötzlich auf eine übernatürliche Macht stößt, die ihn dann gegen seinen Willen in einen echten Kampf mit irgendwelchen anderen fremdartigen Mächten hineinzieht, schon irgendwie cool, ich würde mir auch überarbeitete Versionen der Geschichte auch auf jeden Fall noch mal anschauen. Aber in der Fassung hat es für mich leider gar nicht funktioniert.

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Perdita,

vielen Dank für die Ausführlichkeit, mit der du dich meiner Geschichte gewidmet hast.
Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich sie verfasst habe.
Und sie wurde von Uwe Post für eine Golem-Veröffentlichung abgelehnt (btw: ist der hier noch manchmal anzutreffen?). Er hatte an meinem Schreibstil nicht so viel zu bemängeln wie du, was wohl auch daran gelegen haben mag, dass er sich dazu nur kurz in Email-Form geäußert hat. Aber darüber hinaus hatte er mir das Problem mit dem Schluss und auch noch das mit dem scheinbar unbesiegbaren Bösewicht aufgezeigt.

Ich glaube fast, zu dem Zeitpunkt, als ich so schrieb, haben meine Texte am "form over substance"-Syndrom gekrankt. Ich habe zu viel Wert auf Formulierungen gelegt, sodass die Story als solche fast ins Hintertreffen geraten ist. Ich weiß nicht, wieso ich auf diese Art überkompensieren musste. Und wenn ich meinen Stil mit Wortkrieger-Größen wie dir, Novak, Proof, Schwups oder Quinn vergleiche, habe ich noch immer den Eindruck, meine Formulierungen seien nicht "hochwertig" genug. Dennoch danke ich dir dafür, dass du nochmal den Finger auf diese Wunde gelegt hast.

Das abrupte Ende lässt sich wohl auch durch die damalige Zeichenbegrenzung der Ausschreibung erklären, zu der ich die Geschichte eingereicht hatte. Aber das wäre natürlich bloß eine billige Ausflucht.

Ich werde mich daran machen, die von dir angesprochenen Makel auszumerzen.


Beste Grüße
ts

Edit: Was ist von den folgenden Titeln zu halten:
- Der Rekrut
- Die Rekrutierung
- Lass uns Krieg spielen / Spiel Krieg
- Teach me war

 

Hallo maria.meerhaba,

auch an dich geht mein aufrichtiger Dank für die Zeit, die du mit meiner Geschichte verschwendet hast.
Wenn ich derzeit ein bisschen flüssiger wäre, wenn ich mehr Vertrauen in die deutsche Post hätte und eure Adressen kennen würde (kennte?), würde ich für all diese wohldurchdachten Kommentare glatt ein paar Fresskörbe rumschicken. Aber verbuchen wir das mal unter der Kategorie "What if?". In einer Alternativ-Realität passiert das sowieso schon, vielleicht sogar jetzt gerade.

Dass du meiner Geschichte zumindest in Sachen Prämisse und Stil (zumindest dem anfänglichen, der bewusst auf Fantasy getrimmt war) was abgewinnen kannst und selbst von einigen inhaltlichen Aspekten nicht total angewidert warst, erfreut mich durchaus.

Ja, da hab ich den werten Marcel wohl wirklich etwas zu distanziert / stoisch / comicbuch-cool dargestellt. Das wird auf jeden Fall behoben.


Beste Grüße
ts

P.S. Der zweite Teil deines Nicknames, ist das irgend so eine Wortkreation wie "Wadde hadde dudde da?", sprich: Kindergarten-Sprech für "mehr haben", um dein überhebliches Autoren-Ego hervorzuheben (womit ich natürlich nicht andeuten will, dass du selbst überheblich wärest)? Wenn ja, zieh ich den Hut. Und selbst wenn nicht, wirst du dir sicher was Schlaues dabei gedacht haben. Immerhin hat's meine Synapsen befeuert. ;)

 

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