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Sturm

Monster-WG
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18.06.2015
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Sturm

Der eigentliche Spass beim Schreiben ist doch die Lust an der Katastrophe.
Heiner Müller

Vera
Ich hab’ unter dem Baum gesessen, weil ich hab’ geweint, weil der Papa hat mit mir geschimpft, weil ich hab’ Kuchen genommen. Dort drüben war ich und hab’ geweint und niemand hat mich gesehen. Und dann ist der Wind gekommen, ganz fest und ich hab’ mich an den Baum gedrückt und es hat Hagel gegeben. - Weiss nicht. - Es hat das Zelt kaputt gemacht. Alle sind weg. In die Kirche, ganz schnell, und alle haben geschrien, so ganz laut. – Nein. Weiss nicht. Ich will zu Papa.

Vincent
Ich hatte die Fotos im Kasten und damit war mein Job getan. Danach stieg ich auf den kleinen Hügel da hinten. Ein solches Gewitter sieht man nicht alle Tage. Grandios. Zuerst die Wolken. Zersägte Gehirne. Schwarzer Blumenkohl. Kennen Sie Independence Day? Die Ufos schweben über den Städten und man weiss nicht, was die Aliens vorhaben? Etwa so. Das Licht war fantastisch. Als gäbe es zwei Sonnen, die sich zugleich verfinstern. – Ja, das Gewitter auch. Und nachdem alles vorüber war. Das Festzelt völlig zerfetzt. Der weisse Stoff im Matsch. Die Wiese übersät mit Hagelkörnern, dazwischen rote Pappteller. Kuchenstücke, angebissen und in Panik weggeworfen. Grandios.
Dann rannten auf einmal zwei Gestalten auf den Festplatz. Die suchen etwas, dachte ich mir, und ich habe mich gefragt, was es sein könnte. Muss was Wichtiges sein, dachte ich mir. – Ja, bevor sie ihn sahen. - Ein dunkles Bündel, unscharf und verschwommen. Es hatte sich in ein paar Ästen verfangen, die in den Fluss ragen. Ich zoomte. Kennen Sie Blow up? Etwa so. Das war schon krass. Sie können die Fotos gerne haben, wenn Sie möchten.

Erika
Eine furchtbare Tragödie. Aber es gab Vorzeichen. Ich habe in meinem Leben viele Katastrophen erlebt, das müssen Sie wissen, und stets gab es Vorzeichen. Vor jeder grossen Flut sind die Pottwale gestrandet, massige Menetekel, der grauenhafte Gestank liess keine Zweifel offen. Ich bin an der Küste aufgewachsen, müssen Sie wissen. – Heute? Schwarze Mückenschwärme, dicht über dem Boden und über dem Fluss, was sehr ungewöhnlich ist. Die Luft fühlte sich an wie ein heisser nasser Lappen auf dem Gesicht. Die Natur hielt inne und holte Atem für den grossen Befreiungsschlag. Wie oft habe ich erlebt, wie sich die Natur holt, was ihr gehört, wie sie mit ihrer Wucht unsere Zivilisation zersplittert und zerstört. Und heute war es wieder soweit.
Die Unglücksfamilie kenne ich nicht so gut, müssen Sie wissen. Aber dass das Kind alleine am Fluss spielen durfte, da fehlen mir die Worte. - Schreiben Sie das jetzt alles auf?

Hanspeter
Das Mädchen, das ich getauft habe, war äusserst ruhig. Normalerweise schreien sie ja, wenn das Wasser sie berührt, aber die kleine Jessica schaute mich bloss mit grossen Augen an und ich dachte mir, das sei ein ganz besonderes Kind.
Nach der Zeremonie gesellte ich mich zur Festgesellschaft, trank ein Glas Bowle. Ich unterhielt mich mit einigen Gästen über Politik und fallende Aktienkurse, über düstere Prognosen und mögliche Auswege. - Weshalb? Denken Sie, ich bete den ganzen Tag und die Welt sei mir egal?
Dann fielen die ersten Regentropfen. Rasch rückte die Front näher, die Pappeln, die sonst wie Lanzen in den Himmel ragen, krümmten sich, Hagelkörner schlugen ein. Wir rannten den Fluss entlang zurück zur Kirche, ich geriet in die Rosenbeete und die Dornen zerkratzten meine Beine.
Noch einmal davongekommen, dachten wir alle, als wir in der Kirche standen. Einige lachten. Doch auf einmal rief jemand: „Ich dachte, er sei bei dir!“ und wir ahnten, dass etwas nicht in Ordnung war.
Eine Wahrheit steht fest: Was immer ist, ist richtig. Und der Herr prüft uns in diesem Glauben. Gottes Taten sind zu gross, als dass wir Menschen sie verstehen könnten, aber vielleicht ist das gemeint: Trost sollen wir einander spenden in finsteren Zeiten, einander Halt geben, als Gemeinschaft stark sein.

Isabelle
Catering Le Canard. Französischen Spezialitäten. Aber nur zu verdienen ein bisschen Geld, weil ich bin Studentin, en réalité. Jahr von Austausch. - Je ne sais pas. Ist nicht die erste Gewitter gewesen seit Entstehung von die Welt. Ein bisschen von Wind. Der – le tente - war ein bisschen defekt. War nicht schlimm. Aber alle machen wie die Apocalypse. Alle rennen wie die Hühner. Tous les Hipsters mit die grosse iPhone. Chez nous wir würden tanzen in die Regen in diese Situation. – Unfall? Il y a eu un accident? Mon dieu!

Nick
Der arme Julian. Da kriegt er dieses süsse Mädchen und macht ein grosses Fest, alle fröhlich und so und dann stirbt ein Kind. Hat ja niemand gewusst, dass die überhaupt eingeladen waren, die Eltern. Ich meine, so unter uns, die machen es einem nicht gerade einfach, sie zu mögen. - Nicht, dass Sie jetzt meinen, ich... Das ist natürlich sehr, sehr traurig. Ich stehe noch immer unter Schock, das können Sie mir glauben.
Sie müssen sich das mal vorstellen. Wir stehen alle am Flussufer und sehen zu, wie der Vater seinen Jungen beatmet, und können nichts tun. Der Kleine sah aus, als sei er aus Wachs, die Haut war so ganz grau. Der Vater hat nicht aufgehört mit dem Beatmen, ich meine, mir war klar, dass das nichts mehr bringt, aber da geht man ja nicht hin und sagt, er solle es sein lassen. Schliesslich kam dann die Ambulanz.
Eine wirklich furchtbare Geschichte. Für mich war es ja auch schlimm. Ich habe die ganze Zeit über nicht gewusst, wo meine Tochter ist. – Wie? Ach so. Klar. Ich rufe sie.

Vera
Ich hab’ gesehen, also es ist der Hagel gekommen und alle sind gerannt. So alle zusammen. Ich hab’ gesehen, die sind voll in den kleinen Bub gerannt. Und dann ist er umgefallen. Und dann ist er in den Fluss gefallen, so platsch, und niemand hat es gemerkt. Und dann hab’ ich die Augen ganz fest zugemacht. Weil ich hab’ Angst gehabt, der Bub kann nicht schwimmen. Der ist noch ganz klein, der Bub. Dann hab’ ich gewartet und ich hab’ nicht mehr hingesehen und ich hab’ noch mehr weinen müssen und plötzlich ist der Papa gekommen. Er war nicht mehr böse. Er hat mich ganz fest gedrückt, der Papa.

 

Hallo Peeperkorn,
ich will gar nicht viel sagen, jedenfalls nicht im Moment. Ich habs grad in einem Rutsch gelesen und mein erster Eindruck ist halt einfach so, dass ich es grandios fand.
Das setzt sich aus so vielen Schichten und Perspektiven zusammen, und erst ganz zum Schluss da entpuppt sich dann noch eine Schicht, die man so nicht erwartet hätte.
Wenn mir noch was Wichtiges einfällt, meld ich mich noch mal.
Hab ich wrklich sehr gerne gelesen.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo Peeperkorn

Hab ich ebenfalls gern gelesen.

Wenn man eine Geschichte in diesem Stil aufzieht, ist es wichtig, den Figuren unterschiedliche Stimmen zu geben. Das gelingt dir auch, in ihren kurzen Aussagen bekommt (fast) jede Figur etwas Individuelles, sowohl was den Inhalt, als auch was den Stil des Gesagten angeht - der Fotograf, der die Umgebung sehr blumig beschreibt, die Esoterikerin, der Pfarrer.

Nach und nach baut sich das Geschehen dann für den Leser zusammen, auch hier streust du geschickt immer genauere Informationen in die Aussagen mit ein, sodass im Kopf des Lesers langsam ein Bild entsteht, was denn passiert ist. Beim Übergang von Isabelle zu Nick wird das sehr deutlich, vielleicht eine Spur zu deutlich - da musst du aufpassen, dass es dann nicht zu konstruiert wirkt, dass die "Technik" hinter der Geschichte nicht zu sehr in den Vordergrund rückt. Vielleicht liegt das auch daran, dass beide Stimmen eher kurz sind (relativ zu den anderen) und das Funktionale so mehr durchscheint wie bei den anderen. Vielleicht wäre das anders, wenn beide längere Passagen bekommen würden.

Ich finde es einen gelungenen Kniff, den Leser zunächst auf eine vermeintlich falsche Fährte zu locken. Am Ende erfährt man, dass nicht die Naturgewalten, sondern die rücksichtslose Masse für den Tod des Kindes verantwortlich ist. Ich finde das auch klug gemacht, das Mädchen als erste und letzte sprechen zu lassen, das gibt der Geschichte eine schöne Klammer.

Einzig Nick hat mir als Stimme nicht so gut gefallen. Hier erfährt man zwar, dass ein Kind gestorben ist, aber sonst ist das Gesagte sehr beliebig.

Das ist sehr, sehr traurig, ich stehe noch immer unter Schock.

Ist hier wohl eine Floskel; jemand, der wirklich unter Schock steht, würde vermutlich nicht so sprechen. Es klingt kühl, distanziert.

Man ruft immer die Ambulanz, auch wenn man weiss, dass es zu spät ist.

Man wählt den Notruf, wen soll man sonst rufen?

Insgesamt finde ich das einen guten und kurzweiligen Text, eine schöne Idee.

Grüsse,
Schwups

 
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Lieber Peeperkorn,
ich denke immer, dass ich keine Horror- und Fantasy-Geschichten brauche, der Horror des Alltags ist mir genug. Diese Einschnitte im Leben eines oder mehrerer Menschen, das Resultat eines kleinen Momentes der Unachtsamkeit. Keinen trifft eine Schuld, nicht den Fotografen, der das Geschehen aus der Ferne sieht und es nur als grandioses Szenarium wahrnimmt, nicht Erika, die eine Vorahnung hat, nicht den Pfarrer, der schwadroniert und sich den weltlichen Dingen zuwendet, nicht die gleichgültige Angestellte des Catering-Unternehmens, nicht den Vater des Mädchens, nicht die Eltern, die erst in der Kirche bemerken, dass ihr Kind nicht bei ihnen ist, aber sie alle oder nur einige von ihnen

sind voll in den kleinen Bub gerannt. Und dann ist er umgefallen. Und dann ist er in den Fluss gefallen, so platsch, und niemand hat es gemerkt.

Die eigentliche Katastrophe, auf die du hinweisen möchtest, ist wohl, dass niemand etwas gemerkt hat, erst als es zu spät war. Und dann versucht man zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Man ruft immer die Ambulanz, auch wenn man weiss, dass es zu spät ist.

Peeperkorn, ich tue mich schwer mit deiner Geschichte.
Zum Inhalt:
Wenn ich den Inhalt richtig lese, so ist Folgendes geschehen:
Ein kleines Mädchen sitzt allein weinend am Baum in der Nähe des Flusses. Es kommt ein Gewitter auf, das Zelt wird beschädigt, es hagelt, alle Taufgäste laufen zur Kirche, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Vater des Mädchens sieht sein Kind nicht. Dieses kleine Mädchen beobachtet, wie die Menge einen kleinen Jungen überrennt und er in den Fluss fällt. Alle anderen sehen das nicht oder wollen das nicht sehen. Erst in der Kirche bemerken die Eltern, dass ihr kleiner Junge nicht bei ihnen ist. Der Fotograf sieht vom Hügel das kleine Bündel am Fluss im Geäst hängen.

Meine Fragen zum Inhalt:
Kann es wirklich sein, dass ein Vater, eine Mutter ihr Kind (die Tochter) nicht sucht, sondern mit den anderen vor dem nahenden Gewitter in die Kirche rennt?
Dasselbe gilt für die Eltern des kleinen Jungen.
Kann es sein, dass Erwachsene so viel Panik vor einem herannahenden Gewitter entwickeln, dass sie einen kleinen Jungen überrennen, der dann in den Fluss fällt? Das Gewitter hält den Fotografen übrigens nicht davon ab, auf den Hügel zu gehen und von dort das Geschehen zu betrachten, zu fotografieren.

Danach stieg ich auf den kleinen Hügel da hinten. Ein solches Gewitter sieht man nicht alle Tage. Grandios. Zuerst die Wolken.

Dieser Inhalt kommt mir leider recht konstruiert und deshalb unglaubwürdig vor. Zumal es sich ja um zwei Elternpaare handelt, die ihre kleinen Kinder vergessen bzw. im Gewitter allein lassen.

Mir gefällt, wie du das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven darstellst und die Personen dabei recht gut charakterisierst. Du wählst die gesprochene Sprache, so wie die Menschen eben reden. Da muss der Leser dann auch akzeptieren, dass Sätze wie raugerissene Fetzen, die nicht zusammenpassen, wirken

Das Licht war fantastisch. Als gäbe es zwei Sonnen, die sich zugleich verfinstern. – Nein, das Gewitter selbst nicht, erst wieder, nachdem alles vorüber war,…

Peeperkorn, deine bisherigen Texte hatten meist auch eine Intention. Es kann natürlich sein, dass du nur diese kleine traurige Geschichte erzählen willst, dann brauchte ich nicht nach deiner Absicht zu fragen.

Aber die Charakterisierung deiner Personen legt nahe, dass du mit deiner Geschichte auch eine Meinung transportieren möchtest. Ist es, dass wir alle nur mit uns selber zu beschäftigt sind, das Geschehen nur von unserer Warte aus betrachten und interpretieren, nur an uns selber denken, nur uns in Sicherheit bringen wollen, ohne Rücksicht auf andere? Ist es das? Diese Erkenntnis wäre allerdings trivial. Und damit wäre dein Text für mich zu moralisierend und letztendlich zu oberflächlich. Aber, wie gesagt, vielleicht interpretiere ich etwas in deine Geschichte hinein, was du so nicht gemeint hast.

Noch eine Kleinigkeit:

Muss was wichtiges sein,
(et)was Wichtiges
übersäht
übersät

Lieber Peeperkorn, diesmal habe ich deine Geschichte mit gemischten Gefühlen gelesen. Ich freue mich auf deine nächste.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Peeperkorn

Ich muss barnhelm widersprechen, wie oft habe ich bei Medien-Meldungen über Familientragödien mir schon gedacht, wie ist so etwas möglich, dass ein dreijähriges Kind in Begleitung in den reissenden Fluss fällt, oder dass ein Kinderwagen unbemerkt auf die Gleise rollt? Aber es ist einfach Tatsache, dass sich solche Unglücke ereignen, bei denen scheinbar jegliche Sorgfaltspflicht ausserkraft gesetzt wurde. Diese Geschichte ist bittere Realität.

Wenn Menschen in Panik geraten, regieren die eigenen Urinstinkte, sprich - das eigene Überleben wird zuerst gesichert, vor allem da bei den beiden Elternteilen eine falsche Annahme ("ich dachte, er sei bei dir") das Unglück begünstigten.

Mir gefiel ebenfalls der sukzessive Aufbau der Geschichte durch die richtig gesetzten Infohappen und die klare Unterscheidung der Charakter durch ihre Aussagen. Beim Fotografen wähnte ich mich beinahe als Zuschauer von "Creature Comforts", aber nur kurz, am Ende war die Beklemmung dann durch den Bogen mit Vera wieder da. Also das war schon gut gemacht, hat mir gefallen, schrecklich, wenn erwachsene und zivilisierte Menschen bei derartigen Ereignissen, wo der Verstand gefragt wäre, plötzlich zu rücksichtslosen Viechern werden.

Gern gelesen,
Gruss dot

 

Hallo Peeperkorn,

ich schließe mich Novak an, hab’s auch in einem runtergelesen und fand es toll. Ein paar Sätze sogar ganz besonders:

Zuerst die Wolken. Zersägte Gehirne. Schwarzer Blumenkohl.
Die Luft fühlte sich an wie ein heisser nasser Lappen auf dem Gesicht. Die Natur hielt inne und holte Atem für den grossen Befreiungsschlag.

Isabelle hat mich trotz der ernsten Thematik und der Ahnung, dass da etwas Schlimmes passiert ist, sehr amüsiert. Alle rennen wie die Hühner. Tous les Hipsters mit die grosse iPhone.

Auch dass du mit Vera anfängst und mit ihr wieder endest, gefällt mir. Ein Kreis, der sich schließt.

Ich habe wirklich gar nüscht zu meckern, gern gelesen!
RinaWu

 
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Liebe Novak

Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat, vor allem auch, dass sich der Text in einem Rutsch lesen lässt. Ist ja ein ziemliches Konstrukt und da ist schwierig abzuschätzen, ob alle Infos am richtigen Ort sind. Besten Dank für deinen Kommentar

Lieber dotslash

Besten Dank auch für deine Anmerkung. Vor einiger Zeit hat eine Frau im Kanton Tessin ihr Kind im Auto vergessen, das dann durch Überhitzung verstarb. Das hatte ich Hinterkopf als ich an der Geschichte gearbeitet habe.
Ich habe mir für die Geschichte zwei Aufgaben gegeben: a) klar voneinander unterscheidbare Charaktere plausibel erzählen lassen. b) den Leser die Geschichte rekonstruieren lassen. Es freut mich, dass dir das entsprechende Ergebnis gefallen hat.

Hallo RinaWu

Auch dir herzlichen Dank für den Kommentar. Ich war mir nicht sicher, ob Isabelle in diesem Schreckensszenario gut aufgehoben ist, schön, dass sie dich zum Schmunzeln gebracht hat.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

Liebe barnhelm

Vielen lieben Dank für die kritische Lektüre meines Textes. Die Fehler habe ich korrigiert. Zu den wichtigen Dingen:

Kann es wirklich sein, dass ein Vater, eine Mutter ihr Kind (die Tochter) nicht sucht, sondern mit den anderen vor dem nahenden Gewitter in die Kirche rennt?
Dasselbe gilt für die Eltern des kleinen Jungen.
Kann es sein, dass Erwachsene so viel Panik vor einem herannahenden Gewitter entwickeln, dass sie einen kleinen Jungen überrennen, der dann in den Fluss fällt? Das Gewitter hält den Fotografen übrigens nicht davon ab, auf den Hügel zu gehen und von dort das Geschehen zu betrachten, zu fotografieren. Dieser Inhalt kommt mir leider recht konstruiert und deshalb unglaubwürdig vor.

Ja, der Inhalt ist konstruiert, keine Frage. Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob man mir die Sache abkauft. Leider ist die Realität selbst diesbezüglich oftmals unglaubwürdig. In Autos vergessene Kinder, etc. Aber ich sehe deinen Punkt schon, vor allem weil es sich ja um zwei gleichzeitige Fälle handelt. Ich dachte, wenn Vera wegläuft und Nick sie ja schliesslich findet, also vorher gesucht hat, dann sei das nachvollziehbar, und ich habe das nicht in der selben Kategorie eingeordnet wie den Unfall. Du aber schon, und so kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die ganze Sache für dich unplausibel wirkt.

Mir gefällt, wie du das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven darstellst und die Personen dabei recht gut charakterisierst. Du wählst die gesprochene Sprache, so wie die Menschen eben reden.

Danke. Das war mir wichtig.

Aber die Charakterisierung deiner Personen legt nahe, dass du mit deiner Geschichte auch eine Meinung transportieren möchtest. Ist es, dass wir alle nur mit uns selber zu beschäftigt sind, das Geschehen nur von unserer Warte aus betrachten und interpretieren, nur an uns selber denken, nur uns in Sicherheit bringen wollen, ohne Rücksicht auf andere? Ist es das? Diese Erkenntnis wäre allerdings trivial. Und damit wäre dein Text für mich zu moralisierend und letztendlich zu oberflächlich.

Das war nicht wirklich meine Absicht. Ich habe gehofft, den Text differenzierter angelegt zu haben. Und generell möchte ich mit meinen Texten keine Meinungen transportieren. Letzteres tue ich, indem ich meine Meinung möglichst klar formuliere - aber das ergibt keinen literarischen Text.

Nochmals ganz herzlichen Dank für deine Kommentare.

Peeperkorn

Lieber Schwups

Dein Kommentar hat für mich genau die richtige Flughöhe und hilft mir sehr. Vor allem die Bemerkung zum Verhältnis von Textlänge und Funktion einer Passage finde ich subtil und lehrreich. Ich werde die entsprechenden Passagen überdenken und dies auch für künftige Texte im Kopf behalten.
Ich kann ebenfalls nachvollziehen, dass dir Nicks Stimme nicht so gut gefallen hat. Dessen Neigung zu Floskeln ("Ich bin geschockt") und vermeintlich tiefen, in Wirklichkeit aber trivialen Einsichten ("Man ruft immer die Ambulanz"), war Absicht. Vielleicht wäre das anderer Stelle besser zur Geltung gekommen - denn in einem hast du Recht: Nick ist vor allem Informationsträger und muss für den Leser das Puzzle zusammensetzen - bis dann Vera das letzte Teil hinzufügt. Wenn ich über meinen Schreibprozess nachdenke, dann war es wohl meine Ungeduld und der Wunsch, den Text bald fertig zu haben, die dazu geführt haben, Nick kein stärkeres Profil zu geben.

Ganz herzlichen Dank für deine sorgfältige Lektüre

Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

doch, doch! Ich finde Isabelle ist da gut aufgehoben. Ich finde das einen gelungenen Kontrast zu der Betroffenheit, Esoterik, Gottesfürchtigkeit und Besorgnis der anderen. Das macht den Text ausgewogener. Jedenfalls geht es mir beim Lesen so.

Gute Nacht
RinaWu

 

Liebe RinaWu

Besten Dank auch noch für deinen ergänzenden Kommentar.

Die Geschichte ist nun entsprechend den Anmerkungen von Schwups leicht überarbeitet, d.h. die Passagen von Isabelle und Nick sind etwas länger und Nick - hoffentlich - etwas profilierter.

Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

ja, Nick klingt jetzt besser, finde ich. Nicht, dass er davor doof geklungen hätte, aber jetzt liest es sich runder. Eine sehr gute Geschichte :)

RinaWu

 

Eine Wahrheit steht fest: Was immer ist, ist richtig.
Hanspeter​

Schöner und kürzer kann ein Pfarrer, der zudem trefflich Hanspeter heißt –

(Johannes + Peter, „Gott ist Gnädig“ [hebr. Johanan, gr. Johannes] + „Fels“ [Petros], der wahrscheinlich auch noch evangelisch ist, wenn es dort heißt, „ein feste Burg ist unser Gott“) -,

die ganze Rechtsphilosophie Hegels zusammenfassen.

Aber nicht nur beim Schreiben findet man in der Katastrophe seinen Spaß, den fand man immer schon auf den Märkten mit ihren öffentlichen Hinrichtungen, zu denen das gemein(d)e Fußvolk nicht mal hinbefohlen werden musste (mein J, wat’n Satz widder!), solange man nicht persönlich betroffen war. Die heutige Haltung vertritt m. E. hier Vincent -

(Vinzenz [Vincentius, zu vincere, „siegen“])

Ich hatte die Fotos im Kasten und damit war mein Job getan.
auf dass man genussvoll daheim oder im Kino der Katastrophe folgen kann, wozu die Sensationslust - nicht unbedingt die Lust am Untergang - kommt
Ein solches Gewitter sieht man nicht alle Tage. Grandios. …
Wie nebenbei: Nicht erst heute wird an der grandiosen Klimaveränderung gearbeitet. Schließlich hat der Ärmste der Armen immer noch ein kindliches Vergnügen am westlichen Lebensstandard …

Und zu dem Vergnügen gesellt sich die Entrüstung

Aber dass das Kind alleine am Fluss spielen durfte, da fehlen mir die Worte. …
Die freilich von Erika stammen. (Erika, weibl. Form des Erich [= mächtig/Herrscher])

Da ist die Austauschschülerin (oder das Au-pair-Mädchen?) Isabelle ( [sp. für Elisabeth; angeglichen an Bella, „die Schöne“], Elisabeth [hebr. „Gott hat (es) geschworen“ oder „Gott ist mein Eid“]) bringt’s auf den Punkt. Selbst in der Panik muss es immer größer und besser sein

Aber alle machen wie die Apocalypse
Also gleich die letzten Tage der Menschheit …

Und der andere Vater - Nick Nikolaus ([gr. nike, „Sieg“, und laos, „Volk“]) der Contenance und Ordnung wahrt

Hat ja niemand gewusst, dass die überhaupt eingeladen waren, die Eltern. Ich meine, so unter uns, die machen es einem nicht gerade einfach, sie zu mögen. - Nicht, dass Sie jetzt meinen, ich[…]...
Und ist doch nix besser als die beklagten …
Für mich war es ja auch schlimm. Ich habe die ganze Zeit über nicht gewusst, wo meine Tochter ist

Und um den geradezu neo-religiösen Kreis zu schließen, heißt das Kind des Nick „Vera“, der Glaube – symbolisiert vor allem durch das unpersönlichste Personalpronomen, die dritte Person Einzahl, die seit der Bibelübersetzung Luthers das Subjekt schlechthin ist und von Freud als psychische Instanz dem Ich gegenübergestellt wird.

Es werde Licht und es ward Licht, heißt „es“ bei Luther, womit dieses unbekannte höhere Wesen, dass wir wohl alle verehren ... ach, schweigen wir lieber!

Und dann ist der Wind gekommen, ganz fest und ich hab’ mich an den Baum gedrückt und es hat Hagel gegeben. - Weiss nicht. - Es hat das Zelt kaputt gemacht.
und erst mehr als 120 Generationen später übersetzt Martin Buber „Licht werde“ und „Licht ward“.

Einmal schnappt übrigens die Fälle-Falle zu

Wir rannten den schmalen Weg de[n] Fluss entlang zurück zur Kirche,
, was selbstverständlich etwas sehr trivial und pingelig unter all den großen Namen wirken muss.

So viel oder wenig für heute vom

Friedel

 

Lieber Friedel

Einmal schnappt übrigens die Fälle-Falle zu.

Tja, da merkt man mal wieder, dass Deutsch nicht meine Mutterprache ist. :) In der Schweiz darf man im Dativ den Fluss entlang laufen. Habe ich korrigiert.

Zum Satz von Hanspeter. Da habe ich schon erwartet, dass du die entsprechende Quelle aus deinem Hut, bzw. dem sich darunter befindlichen Lexikon zauberst:

All nature is but art, unknown to thee;
All chance, direction, which thou canst not see;
All discord, harmony, not understood;
All partial evil, universal good:
And, spite of pride, in erring reason's spite,
One truth is clear, Whatever is, is right.


Alexander Pope, An Essay on Man, Epistle 1.​

Wie immer ein Vergnügen!

Herzlich
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

ich habe kaum etwas an dringend Verbesserungswürdigem gefunden bei dieser Geschichte. Der Stil, jeweils aus der Sicht der Beteiligten zu schreiben, ist seit dem (für meine Begriffen völlig überzogenem) Hype um Schenkel's Tannöd, salonfähig geworden.
Dir gelingt es auf fast schon leichtfüssige Weise, in aller Knappheit (offensichtlich ein Markenzeichen von dir, nicht zu viele Worte zu machen) einen dramatischen Sachverhalt zu beschreiben und damit eine Geschichte zu erzählen. Gut gemacht!

Ja, so ist die Welt, jeder sieht etwas anderes, weil jeder andere Lebensschwerpunkte hat. Würde man all diese sog. Zeugen ein Jahr später befragen, hätten sie vermutlich einiges mehr an kollektivem Wissen und ihre Aussagen wären "vollständiger" einheitlicher, weil sie im Laufe der Zeit all das in ihren eigenen Film aufgenommen hätten, was nur die anderen gesehen bzw. erlebt haben. Zeugen sind stets mit höchster Vorsicht zu sehen.

Mir gefällt daher besonders, dass du das Bruchstückhafte darstellst. Jeder hat nur das wahrgenommen, was er wirklich meinte, erkannt zu haben (denn selbst das muss ja nicht die Wirklichkeit gewesen sein) und da ist noch keiner der Zeugen drunter, der mehr berichtet als seine Erlebnisse.

Die Momentaufnahme kurz nach dem Abtransport des Jungen. So stelle ich mir das vor.

Interessant finde ich, dass dir in dieser Kürze sogar noch eine Pointe gelingt. Der Sturm, der überhaupt nicht die unmittelbare Ursache für den Tod des Kindes war. Am Ende stehen alle als Täter da, sehr fies und brillant gemacht.

Der einzige Kritikpunkt ist Hanspeter. Der redet mir mindestens einen Satz zu viel und zu lang über den Glauben. Den hätt ich mir da nicht so geschwätzig gewünscht, eher mehr gebrochen. Einerseits hat er begriffen, was für eine menschliche Katastrophe passiert ist, andererseits versteckt er sich sofort hinter seinem Amt und seinem Glaubenskorsett. Das kommt nicht deutlich genug zu Tage.

Das war ja auch der Grund, weshalb wir uns heute versammelt haben:
Diesen Satz fand ich zuviel des Verlogenen.


Ansonsten freue ich mich sehr , dass du hier bei den Wortkriegern bist, deine Geschichten sind eine echte Bereicherung und geradezu Erholung in Anbetracht mancher Neuzugänge. ;)


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo Peeperkorn,

Ich musste erst zweimal hinschauen, bis ich gemerkt habe, dass es sich um eine ältere Geschichte von dir handelt. Ich war richtig verblüfft, dass sie jetzt nochmal aufgetaucht ist. Das Verkopfte, Konstruierte hast du ja vollkommen abgelegt zugunsten des unmittelbar Fesselnden deiner letzten beiden Texte. Ich halte das für einen Fortschritt. Der Versuch, ein Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, ist zum Üben sehr hilfreich. Ich kriegte mal so eine Augabe in einem Schreibseminar. Es hat aber einfach etwas Künstliches. Als Drehbuch für ein Hörspiel könnte ich es mir vorstellen. Dass du dich super in deine Protagonisten hineinfühlen kannst, das ist unbestritten. Wo du jetzt stehst, ist ein guter Platz. Ja ich weiß, du willst noch weiter.

Gruß
wieselmaus

 
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Hallo lakita

Das ist ja mal eine Überraschung. Schön, dass du diesen Text ausgegraben hast.


ist seit dem (für meine Begriffen völlig überzogenem) Hype um Schenkel's Tannöd, salonfähig geworden.

Kenne ich gar nicht, werde ich zumindest mal googeln. Das ist ja so ein angenehmer Nebeneffekt dieses Forums. Ich habe inzwischen mindestens drei Bücher gelesen, deren Titel ich hier aufgeschnappt habe.

Mir gefällt daher besonders, dass du das Bruchstückhafte darstellst. Jeder hat nur das wahrgenommen, was er wirklich meinte, erkannt zu haben (denn selbst das muss ja nicht die Wirklichkeit gewesen sein) und da ist noch keiner der Zeugen drunter, der mehr berichtet als seine Erlebnisse.

Ja, das nehme ich aus dieser Geschichte mit. Das unzuverlässige Erzählen, das Perspektivische jeder Erzählstimme, auch wenn es nur eine ist. Die Aufgabe, die ich mir hier gestellt habe, war, aus diesen Bruchstücken ein möglichst organisches Ganzes zu schaffen. Das ist mir, glaube ich, nicht ganz gelungen (siehe den Kommentar von wieselmaus). Aber die einzelnen Stimmen, die gefallen mir schon immer noch.

Der einzige Kritikpunkt ist Hanspeter. Der redet mir mindestens einen Satz zu viel und zu lang über den Glauben.

Ja, wenn ich das so lese, auch mit dem zeitlichen Abstand, gebe ich dir Recht. Ich habe den Satz gestrichen. Passt jetzt besser.


Ansonsten freue ich mich sehr , dass du hier bei den Wortkriegern bist, deine Geschichten sind eine echte Bereicherung und geradezu Erholung in Anbetracht mancher Neuzugänge. ;)

Danke sehr! Umgekehrt passt das auch sehr gut und ich fühle mich wohl hier. In Bezug auf mein Kommentieren kann ich noch lernen, zum Beispiel, mich nicht von manchen Neuzugängen provozieren zu lassen :) . Aber das kommt gut, denke ich.


Liebe wieselmaus

Das Verkopfte, Konstruierte hast du ja vollkommen abgelegt zugunsten des unmittelbar Fesselnden deiner letzten beiden Texte.

Ich akzeptiere sowohl das Lob als auch die Kritik an diesem Text hier. :)

Der Versuch, ein Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, ist zum Üben sehr hilfreich. Ich kriegte mal so eine Augabe in einem Schreibseminar. Es hat aber einfach etwas Künstliches.

Du hast das durchschaut und auf den Punkt gebracht. Ich habe mir halt die Aufträge jeweils selbst gegeben und tue das immer noch. Nur beim Inhalt lasse ich mir jeweils freie Hand. Für mich war das Schreiben dieses Textes eine sehr gute Erfahrung und ich mag das Ergebnis noch immer, auch wenn ich ebenfalls der Meinung bin, dass das in dieser Kürze künstlich wirken kann. Ich glaube auch nicht, dass ich meine nächsten und vor allem längere Texte in dieser Montagetechnik verfassen werde.

Merci für eure Anmerkungen und ich grüsse euch ganz herzlich

Peeperkorn

 

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