Was ist neu

Stundendiebe

Mitglied
Beitritt
05.11.2012
Beiträge
12

Stundendiebe

Wir können beide nicht alleine sein, haben es versucht.
Aber wir haben zu viele Messer in der Schublade, um uns etwas kochen zu können, haben zu viele Flaschen im Kühlschrank, um Musik zu hören, haben einen Föhn zu viel, um ein Bad zu nehmen und einen zu großen Berg an Tabletten angesammelt, um uns ins Bett zu legen.

Doch wir können auch nicht unter Menschen, weil uns jedes Wort weh tut, wir unsere Kiefer zu jeder Silbe zwingen müssen, um am Ende doch vor dem Nichts eines Gesprächs zu stehen, das wir so schon viel zu oft geführt haben – mit unterschiedlichen Menschen oder mit denselben, wer weiß das schon?

Und deswegen haben wir uns gesucht, stapfen durch den knisternden Schnee und genießen die Geräusche, die er nicht mehr gehen lässt und in sich aufsaugt wie ein gieriger Säugling. Wir müssen gehen, immer weiter gehen, von Bank zu Bank, von Zigarette zu Zigarette, von Bar zu Bar durch die Nacht, die unser einziger Verbündeter ist und manchmal doch unsere größte Sorge.

"Ich habe verlernt, alleine zu sein", du sprichst aus, was wir beide denken und ich antworte dir nicht, weil es keine Antwort gibt und diese die einzig Richtige ist.
"Ich konnte das mal wirklich gut, stunden- und tagelang, einfach alleine sein."
Und auch darauf bleibe ich stumm und spüre an deinem gleichmäßigen Atem neben mir und den wintertanzenden Rauchwolken, die sich zwischen uns vereinen, dass du Nichts anderes erwartet hast.

Die nächste Bar, der nächste Tresen, ein eingespieltes Team, obwohl wir keine Übung haben, keine Generalrobe abhielten, keine gemeinsame Vergangenheit in diesen Dingen des Lebens kannten. Doch wir sind eine Einheit, bestellen routiniert wie ein Zwillingspaar die Drinks, die uns näher an den Morgen bringen, die uns dem nächsten Tag einen Schritt entgegenstoßen, ohne uns eines Blickes zu würdigen.

Wodka, braune Flaschen, eine Gurke in deinem Gin-Tonic, für einen Moment treffen sich unsere Gläser, für einen Herzschlag unsere Augen, für eine Nacht pulsieren unsere Herzen in perfekter Harmonie, ohne von sich zu lassen, ohne von sich lassen zu können, weil die Loslösung das Ende bedeutete.

Blicke ruhen auf unseren Schultern, die meisten auf deinen schmalen, weißen, die eindringlichsten auf meinen, von der südlichen Sonne eines fremden Kontinents braungetränkten Schultern und wir spüren ihre Fragen auf unserer Haut, hören ihre unausgesprochene Sehnsucht in unseren Ohren, fühlen ihr Verlangen auf unseren Seelen, die viel zu alt sind für unsere jungen Körper.
"Wenn ich aufs Klo gehe, werden alle Frauen einen Schritt näher kommen und sich doch nicht trauen, etwas zu sagen."
Deine Worte zaubern ein Lächeln auf meine Lippen.
"Und wenn ich aufs Klo gehe, werden alle Männer über dich herfallen wie die Schakale und doch wissen, dass ihr Krieg bereits verloren ist."
"Dann müssen wir wohl zusammen bleiben, bis die Sonne uns trennt."
Einer dieser Sätze, für die man dich küssen müsste.

Doch ich küsse dich nicht, werde es nie tun und du wirst es nie tun, eine unsichtbare Barriere – von der Vergangenheit gezogen und unserer letzten Hoffnung auf die Zukunft konserviert.

Ihre Blicke schieben uns zurück auf die Straße, ein Griff in die Tasche, zwei Zigaretten und ein Feuerzeug, ich lege beide in meinen Mundwinkel und zünde sie zeitgleich an, reiche eine an dich weiter – auch ein neu entdecktes Ritual, so selbstverständlich wie das Atmen und einst auch die Liebe, bevor wir ihr den Rücken zuwandten, jeder auf seine eigene Weise. Der Dezember dringt durch unsere Reisverschlüsse, möchte unsere Haut erreichen, doch wir verscheuchen ihn mit unserem Rauch, blasen ihm unsere Verachtung entgegen, eine Verachtung, die ihm und jedem anderen Monat und jedem anderen Jahr gilt, das noch kommen mag. Zwei Zigaretten lösen sich von zwei Händen, segeln glitzernd durch die Dunkelheit wie ein Neujahrsfeuerwerk, schlagen auf dem Asphalt auf wie Meteoriten und zerstäuben doch mit einem kaum wahrnehmbaren Zischen und nicht dem Knall, den sie verdient hätten.
Ein neuer Tresen, neue Menschen, manche altbekannt, manche fremd wie die Sahara. Sie umringen uns, sprechen plötzlich auf uns ein und wir umarmen sie, trinken mit ihnen, lachen mit ihnen – und doch merken sie nicht, dass wir zu laut sind, zu lustig, zu schnell, in einem eigenen Tempo leben, uns einen Kokon teilen, in dem nur wir Platz haben und der mit dem ersten Sonnenstrahl platzen wird wie eine Seifenblase.

Doch bevor wir zurück müssen in unsere beendeten Leben werden wir rauchen, werden wir trinken, werden wir uns in den Armen liegen und die Gedanken des anderen aussprechen, werden wir tanzen als wäre es die letzte Nacht auf Erden, werden wir uns gegenseitig die Burger-Soße von den Wangen streichen, werden wir uns in der U-Bahn aneinander kuscheln und uns nicht mehr trennen wollen, im Wunsch vereint für immer auf den Plastiksitzen durch den dunklen Tunnel zu brausen.
Und doch wir trennen uns irgendwann, müssen uns trennen, müssen die Seifenblase zum Platzen bringen, müssen zurück in unsere getrennten Leben.

Aber bis dahin kämpfen wir ein letztes Mal, auch wenn wir verlieren.
Und wer weiß, vielleicht sind wir genau dafür geboren.

 

Hallo immanuelrouven,

ich gebe maria.meerhaba recht, die Rubrik "Seltsam" würde deine Geschichte gut schmücken, das solltest du noch hinzufügen, damit der Leser weiß, worauf er sich einlässt ;)

Ansonsten mag ich deine Geschichte sehr. Also, ich mag es, wie du schreibst. Ja, sicher, da fehlt der Hintergrund. Wer sind die zwei? Mal klingt es so, als seien sie schon ewig zusammen, mal hört es sich an wie eine verdammt beeindruckende Begegnung, die aber nur für sehr kurze Zeit begrenzt ist. Wie sind sie sich begegnet? Warum küssen sie sich nicht? Wodurch sind beide blockiert? All das lässt du im Dunkeln. Und ich verstehe, wenn das so manchen Leser stört. Mich stört das aber nicht. Ich habe mich durch deine Geschichte, oder eher deine Momentaufnahme treiben lassen und fand es gut.

Doch wir können auch nicht unter Menschen, weil uns jedes Wort weh tut, wir unsere Kiefer zu jeder Silbe zwingen müssen, um am Ende doch vor dem Nichts eines Gesprächs zu stehen, das wir so schon viel zu oft geführt haben – mit unterschiedlichen Menschen oder mit denselben, wer weiß das schon?
Das kenne ich zu gut. Nicht in diesen Ausmaßen, aber ich verstehe, was du hier sagen willst.

Und deswegen haben wir uns gesucht, stapfen durch den knisternden Schnee und genießen die Geräusche, die er nicht mehr gehen lässt und in sich aufsaugt wie ein gieriger Säugling.
Das allerdings ist ein bisschen unlogisch. Wie können die beiden Geräusche genießen, die der Schnee nicht mehr gehen lässt? Bei aller Poesie, das funktioniert für mich nicht.

werden wir uns gegenseitig die Burger-Soße von den Wangen streichen, werden wir uns in der U-Bahn aneinander kuscheln und uns nicht mehr trennen wollen, im Wunsch vereint für immer auf den Plastiksitzen durch den dunklen Tunnel zu brausen.
Das wiederum gefällt mir richtig gut. Da fängst du dieses Gefühl ein, einen Moment oder eine Nacht nicht verstreichen lassen zu wollen.

Wie gesagt, ich weiß nicht, ob ich deine Geschichte verstanden habe, aber gepackt hat sie mich.

Viele Grüße
RinaWu

 

immanuelrouven


Hallo!

Du warst längere Zeit nicht hier aktiv. Inzwischen hat es, neben anderen Neuerungen, auch technische Änderungen gegeben.
Zum Beispiel: Die Rubriken sind weggefallen. Zur Sortierung kann nun der Autor (auch nachträglich) dem Text bis zu drei Stichwörter zuordnen.
Klicke dazu, ganz unten, unter dem letzten Beitrag auf dieser Seite, den Button „Stichworte bearbeiten“ an.

Gruß

Asterix

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

danke für das feedback, das mit den kategorien ist mir wirklich nicht klar gewesen, hab ich angepasst. ja, der fehlende "hintergrund" ist mir durchaus bewusst und die unklarheiten, die bestehen bleiben. aber es ging mir in erster linie hier gar nicht darum, eine "handlung" zu erzählen sondern eher einen moment und ein grundgefühl einzufangen. das kann man mögen - muss man aber nicht :-) ich mag es persönlich selbst sehr gerne. ab und an.
sehr viel zu verstehen gibt es wohl nicht. also es gibt keine tiefere wahrheit sondern einfach nur den moment. VG, IR

sinnlos ist aber kein sehr nettes wort...
ich kann verstehen, dass manche leute immer einen roten handlugnsfaden benötigen, um sich durch eine story zu hangeln. fehlt hier halt, ist mir klar. ist ja auch keine geschichte mit einleitung, klimax, twist, (happy) end sondern eher das begleiten eines moments. aber versteh ich, wenn leute das nicht mögen oder damit nichts anfangen können.
VG

 

Hallo, immanuelrouven,

Vielen Dank für deine bemerkenswerte Geschichte!

Am liebsten lasse ich sie jetzt unkommentiert, sage nur, dass ich sie sehr gerne gelesen habe und sie in den kommenden Tage bestimmt noch ein paar mal lesen werde.

Viele Grüsse,
Herr Schuster

 

Hallo Herr Schuster!

Solche Beiträge helfen dem Autor in seinem Schaffen nicht weiter.
Einsatzkritiken, verbale likes, sind hier nicht erwünscht.

Gruß

Asterix

 

Hallo immanuelrouven,

auch wenn ich maria.meerhaba & co. durchaus verstehen kann – mir in meiner aktuellen Laune hat es gefallen. Besonders der erste Absatz offenbart mir einen Beziehungshorror. Gut gelungen.

Es gibt auch Stellen, die zu überarbeiten sind. Diese hier zum Beispiel ist unlogisch:

"Ich habe verlernt, alleine zu sein", du sprichst aus, was wir beide denken und ich antworte dir nicht, weil es keine Antwort gibt und diese die einzig Richtige ist.
Streiche diesen Widerspruch, denn das ist wahrlich ein Widerspruch und als solcher plakativ und flach wie nur was. >> "Ich habe verlernt, alleine zu sein."[neue Zeile:]Du sprichst aus, was wir beide denken. – Fertig. Der Rest ist verkrampft-manieriertes Geschwurbel.

Feile noch dran. Lohnt sich. Zu wünschen bleibt ein Tick mehr konkrete Handlung, da muss ich den anderen rechtgeben.

Viele Grüße
-- floritiv

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

danke :-) das stimmt auf jeden fall und wird geändert.
VG

hallo herr Schuster,
danke vielmals für das Feedback, schön zu hören.
VG

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom