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Stumme Worte
Stumme Worte
Ihre letzten Worte trafen ihn wie Pfeile, durchbohrten seine Seele, trafen ihn im Innersten. Das hatte er nicht von ihr erwartet, es war schrecklich und zugleich schön.
Sie hatte Schluss gemacht, wollte nicht mehr, wollte die Welt nicht mehr, ihn nicht mehr und war gegangen.
Isabelle, die Schöne, Isabelle, die Stumme war gegangen und hatte ihn allein gelassen.
Das konnte und durfte nicht sein, er war der Starke, das Sprachgenie, derjenige der Andere in den Boden reden konnte. Sie hatte er geliebt, sie, die nicht sprechen konnte und ihr Leben lang stumm gewesen war, alleine mit den Händen zu sagen, was sie wollte. Nun würde sie selbst das niemals mehr machen können.
Sie hatte es geschafft ihn stumm zu machen; ihre Worte hallten in seinem Herz gegen die Wände seines Inneren und spielten sich gegenseitig Echos zu, die nicht leiser wurden.
Er schloss die Augen und sah ihr Bild aufleuchten, sah ihr zierliches Gesicht und ihren Mund, aus dem noch nie ein Wort erklungen war, eine wertlose Waffe mit der, wie alle geglaubt hatten, keiner verletzt werden konnte.
Ihn hatte sie verletzt, vielleicht den ersten Mensch in ihrem Leben, sie hatte es geschafft die stummen Worte zu verpacken, sie zu verwandeln in schreckliche Waffen, Pfeile, die in ihn hinein trafen wie Widerhaken um ihn nie wieder loszulassen.
Er ging durch die leeren, dunklen Straßen, vorbei an beleuchteten Schaufenstern deren Reklamen ihn wie riesige grinsende Fratzen anschauten und ihn auszulachen schienen.
Pascal der Gescheite, Pascal der Redekünstler war besiegt, war verletzt, hatte sich treffen lassen von den Worten eines stummen Mädchens.
Er fing an zu rennen, stolpernd über das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes, vorbei an der Schule und durch die finstere Allee. Seine Beine fühlten sich schrecklich schwer an, ihre Worte fesselten ihn und nahmen einen immer größer werdenden Teil in ihm ein.
Keuchend erreichte er die Brücke am Fluss und lehnte sich weit über das hölzerne Geländer um sein Spiegelbild im dunklen Wasserteppich tief unter ihm zu sehen. Ein bleiches mondförmiges Gesicht sah ihm entgegen, rundherum mit winzigen hell leuchtenden Punkten umgeben, die der sternklare Himmel widerspiegelte.
Er sah auf und wollte schreien, ihr Gesicht bedeckte den Nachthimmel, lächelte auf ihn herab und verlor sich kurz darauf in Tausenden von glitzernden Sternen, die ihn blendeten. Sie verschwand und ließ ihn zum zweiten Mal allein.
Pascal liefen die Tränen über die Wangen, es waren süße Tränen, süß wie ihre Worte und giftig wie das was geschehen war.
Er riss den Mund auf soweit er konnte, wollte die Waffe benutzten, die er immer benutzt hatte um sie dieses eine Mal zurück zu holen, sie vom Himmel zu schießen.
„Isabelle du Schöne, Isabelle du Stumme.....“
Doch zu hören war nur das Plätschern des Flusses. Erstarrt blickte er auf und begriff das Unmögliche: Sie hatte ihn nicht nur verletzt, sie hatte ihn auch geliebt und seine Stimme für immer mit sich genommen......
Der Himmel zerbarst in ohrenbetäubender Stille, fiel wie eine schwere Decke auf ihn und Isabelles Gesicht beugte sich über ihn und gab ihm einen letzten Kuss.