Was ist neu

Serie Stripped 01 - Ich kam, sah und machte die Biege

Seniors
Beitritt
30.08.2001
Beiträge
852
Zuletzt bearbeitet:

Stripped 01 - Ich kam, sah und machte die Biege

Wie heißt es doch so schön? Willst du das Schwimmen erlernen, dann spring einfach ins kalte Wasser und paddel drauf los. Dann wird es schon funktionieren. Nun ja, die Leute reden häufig solchen Unsinn.

Im März 2000 machte sich meine damalige Frau aus dem Staub. Ein surfender LKW-Fahrer aus Ossiland hatte Anjas Herz erchattet, und als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, war sie auf und davon – Richtung Eisenach, was ungefähr so weit weg war wie die schottischen Highlands. Damit war die erste und einzige Beziehung, die ich bis dahin geführt hatte, im Eimer gewesen. Sechzehn Jahre für die Katzen, aber wenigstens hatte sie die Beiden nicht mitgenommen.

Ich war gezwungen, das Schwimmen quasi neu zu lernen, denn in dem Spint in der Umkleidekabine meines Herzens lag nur noch eine mottenzerfressene Badehose mit Seepferdchen-Abzeichen. Meine Flirtfähigkeiten waren im Laufe der Jahre auf das Ausstoßen gutturaler Laute zusammengeschrumpelt, und Kenntnisse in der Fraueneroberung waren mir so fremd wie das Paarungsverhalten von Glühwürmchen. Aber es galt die Maxime: Nutzt ja nix – ran an den Feind.

Tagsüber und vor allem abends kümmerten sich meine Freunde um das abgemagerte Häufchen Selbstzerfleischung, in den zwangsläufig einsamen Nächten unternahm ich nun meinerseits Streifzüge durch die unendlichen Weiten des Cyberspace, vornehmlich zur Aufführung einer übelkeiterregenden Selbstmitleidsshow. Aber ich arme Sau, der ich doch der große Verlierer des Berliner Mauerfalls war, der ich ein in der Menschheitsgeschichte nie dagewesenes Schicksal zu erleiden hatte – ich war in den obskuren Chatrooms nur einer unter vielen. Es war wie Tummelferien für Beziehungsneurotiker, masturbierende Bi-Frauen (nein, niemals, wirklich niemals hätte ich vermutet, daß es sich dabei um tageslichtuntaugliche Linksträger handelte) und Wesen beiderlei Geschlechts, die sich wohl selbst einer Heizdecke hingegeben hätten – Hauptsache, sie bekamen etwas Wärme. Meine digitalen Tränen versickerten in dieser Gemengelage beinahe unbeachtet in einem Meer aus Schmerz. Schöner Schlamassel.

Ungefähr einen Monat nach dem Wegfall der Steuerklasse Drei traf ich dann in einem Chatroom auf Bettina. Sie war damals siebenundzwanzig Jahre alt, hatte einen zweijährigen Sohn und kam aus Leipzig. Wir tauschten Bilder aus. Während ich jedoch auf meinem Photo in das Objektiv starrte, erschien mir das ihre spontan wie eine Mogelpackung. Ihre Frisur war so eine Art Pagenschnitt, und sie hielt den Kopf schräg nach unten geneigt, so daß die dem interessierten Beobachter zugewandte Gesichtshälfte fast gänzlich durch ihre Haarsträhnen verdeckt wurde. Die Person auf dem JPEG hätte alles sein können: Angelina Jolie, Angela Merckel oder Helga Feddersen, die sich posthum im Internet herumtrieb. Aber es war Bettina, wie sich dann auch bald für mich herausstellen sollte.
Natürlich bot sie mir auch ein Photo ihres Filius an, und natürlich wollte ich das haben. Nicht etwa, um durch einen infamen Schachzug – Tina, dein Junge, also ich muß sagen, der ist wirklich süß – ihr Herz zu gewinnen, sondern ganz einfach deshalb, weil ich Kinder immer schon mochte. Ich erhielt auch dieses Bild, und als sie mich fragte, wie ich den Kleinen denn fände, antwortete ich:
„Tina, dein Junge, also ich muß sagen, der ist wirklich süß.“
Das Eis war gebrochen, und auch wenn ich in meiner Verfassung alles andere als eine neue Beziehung im Kopf hatte, tat es der geschundenen Hinterbliebenenseele doch ganz gut, Anklang beim anderen Geschlecht zu finden.
Wir gingen vom Chatten auf´s Telefonieren über. Beim ersten Gespräch war ich gespannt wie ein Flitzebogen. Leipzig lag in Sachsen, soviel geographisches Wissen nannte ich dann doch mein eigen. Und das Sächsische ist nun einmal sowas von gar nicht mein Ding... Was mochte mich wohl erwarten?
Gudden dooch, liebor Rolf, ich bin´s, de Beddina...
Gott sei Dank blieb mir diese unliebsame Überraschung erspart. Ich konnte sie verstehen.
Einige Abende gingen telefonromantisch ins Land, dann lud sie mich ein. Ich könne sie doch mal besuchen kommen. Über´s bevorstehende Wochenende. Und bis Montag bleiben. Da hatte ich nämlich Geburstag. Ich sagte zu.
Am nächsten Tag erhielt ich eine Mail von ihr. Ein Gedicht. Sie hatte sich in mich verliebt. Ich erfuhr, daß sie ihrer Mutter von mir erzählt hatte, und daß diese sich ja so freue. Einen Pflaumenkuchen würde sie uns Turteltäubchen backen. Dumpf erinnerte ich mich, aus einem mir unerfindlichen Grund mit Bettina über Pflaumenkuchen gesprochen zu haben. So´n Blechkuchen, mit viel Sahne oben drauf.
Unversehens taumelte ich von der Rolle des Verstoßenen in die Rolle des Begehrten. Monate später hätte ich mir das gefallen lassen, aber im April 2000 war das noch ein wenig verfrüht. Also, was tun? Hinfahren? Oder absagen?
Anständigerweise hätte ich ablehnen sollen. Im Prinzip konnte der Besuch nur Ungemach bedeuten, und da ich zum damaligen Zeitpunkt auch nicht den geringsten Gedanken an sexuelle Aktivitäten verschwendete, schien die Reise kaum fruchtbringend sein zu können.
Ich sagte trotzdem nicht ab, vielleicht auch wegen der fast schon unheimlichen Duplizität der Ereignisse. Anja hatte im Internet einen Ossi kennengelernt, und jetzt lernte Rolf im Internet ebenfalls eine Ossi kennen. Vor etwas mehr als einem Monat hatte sich meine Nochangetraute gen Osten aufgemacht, und ich war soeben dabei, es ihr gleichzutun.
Go East, life is loveful there...
Als es auf den 21. April, meinen Anreisetag, zuging, trübte eine erste kleine Wolke unser junges Glück. Es ging um die Frage, wo ich in ihrer Wohnung nächtigen würde. Logi, auf der Couch natürlich. Das hatte ich ihr selbst vorgeschlagen, und ich hätte es ihr auch dann vorgeschlagen, wenn mir der Sinn nach mehr als Pflaumen im Teig gestanden hätte. Ein Gentleman weiß, wie man sich zu benehmen hat. Notfalls hätten wir vor Ort dann immer noch wie die Tiere übereinander herfallen können.
Damals aber bestand ich auf meinem individuellen Artenschutz. Dem widersprach Bettina zwar nicht, aber sie drängte auf einen Gehegetausch. Ich sollte in ihrem Bett schlafen, schließlich sei ich ja der Gast. Sie würde es sich derweil auf der Couch gemütlich machen.
Das war ein beunruhigender Gedanke. Ich sah sie förmlich nächtens zu mir kriechen.
Ich kann nicht schlafen – Meine Füße sind so kalt – Da ist eine Mücke im Wohnzimmer – Ich will SEX!
Mein unbeugsamer Wille verschaffte mir schließlich den Sieg. Getrenntes Schlafen. Ich Couch, du Bett.

In den frühen Morgenstunden des 21. April brach ich auf, in der Reisetasche eine Decke, frische Unterwäsche, Utensilien für die Morgentoilette und – einen Fußball aus Lederimitat für den Kleinen, für 7,95 DM beim Bezahlen der Tankfüllung an der DEA gleich mitgekauft. Für Bettina hatte ich eine von Weihnachten übriggebliebene Pralinenauslese dabei. Das mag billig erscheinen, aber ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß nicht der Wert eines Geschenkes zählt, sondern die Idee, die sich hinter dem Geschenk verbirgt. Und außerdem wollte ich einfach nicht mehr Kohle ausgeben. Punkt.
Die Fahrt nach Leipzig zog sich. Ungefähr Höhe Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg – also keine zehn Minuten von meinem trauten Heim entfernt – befiel mich bereits die erste Müdigkeitsattacke. Die Nächte der letzten Wochen waren nicht gerade erholsam gewesen, und angesichts der noch ewig langen Strecke, die vor mir lag, sah ich mich schon wie ein Klon von Sylvester Stallone mit auf Halbmast hängenden Augenlidern vor meiner Holden stehen.
Adrian! Adriiiaaannnn!
Die Cassetten, die ich mitgenommen hatte, waren randvoll mit guter Mucke, und so wurde mir die Zeit nicht gar zu lang.
Es war annähernd 15 Uhr, als ich Leipzig erreichte. Den Anfahrtsweg hatte ich mir selbst mühsam aus Internet und Straßenkarte zusammengeklaubt, aber es gab innerhalb der Stadt ein entscheidendes Routenleck. Ich schnappte mir das Handy und rief Bettina an.
„Hallo Bettina, ich bin´s, Rolf. Bin jetzt in Leipzig.“
„Oh, das ging aber schnell.“
„Ja, geht so, ne? Du, sag mal, ich weiß jetzt gerade nicht weiter, mußt mir mal schnell helfen.“
Ich nannte ihr den Namen der Straße, die ich gerade befuhr.
„Kenn ich nicht“, war ihre Antwort.
„Wie, kennst du nicht?!“
Die dämliche Straße war fast so breit wie eine dreispurige Autobahn, und das konnte selbst in der Metropole Leipzig nicht die Regel sein. Wie um alles in der Welt konnte Bettina diese Straße nicht kennen?
Puppe, du hast mich doch hoffentlich nicht in die Wüste geschickt, oder?
Geschichten über Fakes und grandios gescheiterte Dates kamen mir in den Sinn.
Bettina war gar nicht Bettina, sondern Bert. Er materialisierte sich soeben auf meiner Windschutzscheibe.
Lord Vader, wir empfangen soeben eine Nachricht...
Commander, holen Sie sie mir auf den Schirm...

Ein korpulenter Mann mittleren Alters, der nur mit Feinrippunterwäsche bekleidet vor dem Rechner hockte, gelbe Schweißränder unter den Achseln, unrasiert, ungestutzte Fußnägel mit schwarzem Trauerrand, eine Hand auf der Tastatur, die andere durch den Eingriff der gelbgesprenkelten Unterhose geschoben und ein gewaltiges Ding massierend... schätzungsweise 20 x 5 cm, denn im Internet waren nur Männer ab Größe Walfischpenis aufwärts vertreten, und 20 x 5 war Standard.
Bei Telefonaten benutzte er einen Stimmenverzerrer.
Wie nun, wenn statt Bettina ein erektionsgeplagter Bert die Tür öffnen würde?
Ah, da isser ja, der Wessi. Los, komm rein. Hose runter. Bück dich!
Meine anale Entjungferung hatte mit ungefähr denselben Worten eine Karrikatur von Dr. Joseph Mengele vorgenommen, damals im örtlichen Kreiswehrersatzamt. Aber Dr. Mengele hatte immerhin seinen gummigeschützten Zeigefinger dazu benutzt.
Lord Vader, wir haben Inteferenzen. Die Übertragung bricht ab.
Commander, manövrieren Sie das Schiff aus dem Asteroidengürtel.

Bert verschwand wieder von meiner Windschutzscheibe.
„Ok, Bettina, ich frag einfach mal ein paar Leute. Das find ich schon.“
Gesagt, getan. Da ich auf der Route 66 des Wilden Ostens nicht halten konnte, bog ich einfach an der nächsten Ampel links ab. Als Montagskind mit einer bescheidenen Portion Glück ausgestattet, fuhr ich direkt in ein Gewerbegebiet mit Endzeitatmosphäre, das problemlos als Kulisse für den neuen Mad Max-Streifen hätte herhalten können. Hier war kein Blumentopf zu gewinnen, geschweige denn ein Native Speaker anzutreffen.
Doch halt, was war das? Einsam zog eine junge Frau mit Kinderwagen ihre Kreise. Die Sache war klar: sie drehten tatsächlich gerade Mad Max IV, und in dem Kinderwagen war kein Baby, sondern ein Haufen Bierdosen.
Ich hielt neben der Verirrten und fragte nach dem Weg. Sie beschrieb ihn mir, und auch wenn ich oftmals das Gefühl hatte, sie spräche Klingonisch, so hörte ich doch die entscheidenden Informationen heraus. Die Bierdosen plärrten los, und ein Blick in den Kinderwagen überzeugte mich davon, daß da ordnungsgemäß ein kleiner Wonneproppen lag. Nicht gerade bester Laune, aber eindeutig ein Mensch. Meine Hoffnung auf den neuen Mad Max verdünnisierte sich.
Weiter ging´s. Die Frau hatte mich extrem gut unterrichtet, denn nach kurzer Zeit hielt ich bereits am Ziel meiner Reise. Es war eine Art Bungalow mit gittergeschützten Fenstern und einem ausladenden Balkon im ersten Stock. An der Mauerecke hing ein Schild:
Dr. med. Hassenichgesehn, Arzt für Allgemeinmedizin
Bettina hatte mich auf den Arm genommen. Ich nahm das Handy und rief sie erneut an, in der festen Absicht, ihr den Gehörgang zu zerschreien. Sie meinte nur, das könne nicht sein, bei ihr wohne kein Arzt.
„Ja, wie? Die Hausnummer stimmt, die Straße stimmt, die Stadt stimmt... ich steh davor, und da hängt ganz eindeutig ein Schild von ´nem Arzt.“
„Dann bist du da irgendwie falsch.“
Ach was!
Sie fragte mich, ob ich nicht an einem Autoverleih vorbeigekommen wäre. Ja, war ich tatsächlich. Dahinter hätte ich links abbiegen müssen, dann bis zur Tankstelle, da wieder links und dann gleich auf der rechten Seite, da wär´s dann schon.
Supi, gab es hier in Leipzig zwei Straßen mit gleichem Namen, die nur einen Steinwurf auseinander lagen? Irgendwie unwahrscheinlich, aber da ich schon mal hier war, fuhr ich den Weg zurück und nahm die beschriebene Route.
An der Tanke fuhr ich links. Ja, da war die gleiche Straße noch einmal. Auch die Hausnummer gab es. War aber kein Bungalow mehr. Ging eher Richtung Plattenbau.
Ich blickte die Hausfassade hinauf. Dritte Etage, hatte Bettina mir gesagt. Da, war da nicht ein Gesicht hinter der Gardine? Schwer zu sagen, aber ich hätte ganz sicher da oben gestanden und runtergesehen.
Ich stieg aus dem Wagen. Da mir die Sache nicht ganz geheuer war, ließ ich die Tasche erst einmal zurück. Konnte ich später immer noch holen.
Ich klingelte an der Tür. Schnell noch mal unter den Armen riechen – ok, alles paletti.
Der Summer ging. Ich trat ein. Wieder kam mir der Krieg der Sterne in den Sinn. Luke Skywalker ist auf dem Dagobah-System gelandet und wird vom alten Jedi-Meister Yoda unterrichtet. Bevor Luke eine dunkle Höhle betritt, wird er noch von Yoda ermahnt:
Doch, du wirst Angst haben. Du wirst Angst haben!
Ich war wie Luke und stieg die finstere Höhle hinauf. Plötzlich und unerwartet tauchte aus dem Dunkel eine Gestalt auf. Darth Oma. Hätte ich mein Lichtschwert dabei gehabt, dann hätte ich ihr den Kopf abschlagen können. So aber mußte ich das völlig unmotivierte Gekeife der älteren Dame über mich ergehen lassen.
Eingeschüchtert ob dieser Emotion schob ich mich an ihr vorbei und beruhigte sie mit einem Ich will zu Bettina. Sie ließ mich passieren – ich hatte es gespürt, es war noch etwas Gutes in ihr.
Schließlich stand ich oben. Der große Moment war gekommen.
Mein Herz pochte, aber das lag überwiegend an der Treppensteigerei. Marlboro 100 taugten scheinbar wenig als Dopingmittel.
Ich war darauf gefaßt, gleich umärmelt zu werden. Grundsätzlich sind diese mediterranen Begrüßungszärtlichkeiten überhaupt nicht nach meinem Geschmack, aber Bettina hatte mich in einer Mail ausdrücklich darum gebeten, mich bei meiner Ankunft in die Arme nehmen zu dürfen. Da konnte ich ja schlecht Nein sagen.
Die Wohnungstür ging auf, und da stand sie nun vor mir. Mein erstes Internetdate. Du lieber Himmel! Es war eindeutig die Frau auf dem Photo, aber irgendwie so... anders!
Natürlich, ich war nicht hier, um eine Frau zu erobern, ihr Aussehen konnte mir doch völlig egal sein, und ich selbst hatte auch noch nie den Wettbewerb zum Gesicht des Jahres gewonnen... und dennoch...
Bettina trug ein schlabbriges T-Shirt und eine ausgewaschene Jeans. Hey, das paßte sogar, ich hatte auch keinen Anzug an. Sie hatte eine etwas fülligere Figur. Die Brüste in Bauchnabelhöhe schienen nicht in Körbchen gehüllt zu sein - zwee gewaldsche Freischwingr. Wirklich schlimm aber waren die Puschen... grün und orange leuchtete es mir vom Boden entgegen, und wenn ich mich recht erinnere, hatten die Teile ein grobkariertes Muster.
Ich trat über die Schwelle, und während sie mit puterrotem Gesicht ihre Arme um mich legte, mimte ich die Bronzestatue von Karl Marx. Dann gab sie mir einen sozialistischen Bruderkuß und ließ mich frei.
„Hallo“, sagte ich.
„Hallo“, sagte Bettina. Sie war richtig verlegen. Und das wegen mir.
Scheiße, ich war völlig konsterniert, rührte die Buchstaben in meinem Schädel durch, mischte noch mal kurz nach und quatschte das Erstbeste, das mir einfiel.
„Das ist ja ´n Ding, oder?“
„Was?“
„Na, daß wir uns jetzt wirklich sehen. Komisch, findest du nicht auch?“
„Mhm.“
Ich sah mich um. Links lag die Küche. In Deutschland hat jede Küche einen Kühlschrank. Also wußte ich, daß dort der Pflaumenkuchen, den meine Schwiegermutter in spe extra für den Wessi gebacken hatte, seiner Bestimmung harrte. Mich überkam ein unsinniges Gefühl der Verpflichtung, so wie vor vielen Jahren, als ich einmal in Gesellschaft statt Zucker Salz in den Kaffee gestreut und die Brühe trotzdem runtergewürgt hatte.
Na, mal sehen...
Wir gingen ins Wohnzimmer. Da stand die Couch, fleischfarben. Hol mich der Teufel, aber die hatten meine Eltern vor über zwanzig Jahren bei sich in der Bude stehen. Und schon damals hatte ich das grauslich gefunden.
Ich setzte mich wie eine züchtige Jungfer auf die Couchkante, Bettina hockte sich in einen Sessel. Sie sah mich nicht an, starrte unverwandt auf den Boden – vielleicht hypnotisiert durch die gleißenden Farben ihrer Puschen – und beließ es ansonsten dabei, eine knallrote Gesichtsfarbe zu produzieren.
Irgendwie war das ja mein Part. Aber ich kam gar nicht dazu, schüchtern oder verlegen zu sein. Da saß ich nun, abgemagert bis auf die Knochen, totenblasses Gesicht und übermüdete Glubschaugen, und sie tat so, als wäre ich der Womanizer schlechthin.
Während wir uns anschwiegen, betrat ihr Sohn die Bühne. Er kam ins Wohnzimmer gedackelt, stutzte kurz und blickte mich dann unverwandt an. In der rechten Hand hielt er einen überdimensionierten Legobaustein.
„Willst du was trinken?“ Bettina konnte doch noch sprechen.
„Ja, gerne. Was hast´n du?“
„Apfelsaft, Wasser, kann auch ´nen Kaffee kochen.“
Kaffee kochen? Nein, dauerte zu lange. Mein Arschlochentschluß stand nämlich fest. Weg hier. Nur wie?
Sag es ihr – Nein – Feige Sau – Na und?!...
Sie holte mir ein Glas Apfelsaft. In der Zwischenzeit nahm ich Kontakt zu ihrem Sohn auf.
„Naaaa?“ grinste ich ihn an.
Er starrte nur.
„Halloooo“, lächelte ich gewinnend und bewegte meine Hände wie Windmühlenflügel – nun, eigentlich sah es wohl eher so aus, als würde ich an den Brüsten seiner Mutter spielen. Dazu singt man dann regelmäßig:
Wie das Fähnchen in dem Wind...
Aber auch das ließ den Knirps völlig kalt. Er verzog keine Miene.
Für ein paar Sekunden spielten Sohnemann und ich das auf zwei Duellierende reduzierte Finale von Spiel mir das Lied vom Tod nach, dann kam Bettina mit dem Getränk.
„Danke“, sagte ich und schüttete das kalte Naß wie ein Halbverdursteter hinunter.
Ich hatte eine Spitzenidee, wie ich meine Flucht gestalten würde. Eigentlich war es nur der schlechte Witz... aber mir war so, als wäre mir in meinem Leben nie etwas Besseres eingefallen.
„Du, ich hab nicht mehr genug Zigaretten. Da hinten an der Ecke ist doch die Tanke. Ich glaub, ich fahr da noch mal schnell welche holen.“
Bettina nickte nur. Ich weiß nicht, ob sie was geahnt hat. Mir kam es jedenfalls nicht so vor. Sie sagte nichts, und mit einem Dankesgebet wegen der noch im Auto liegenden Tasche – das Verlassen ihrer Wohnung mit Tasche hätte ich ihr wohl kaum vernünftig erklären können – stürzte ich das Treppenhinaus hinunter. Darth Oma war verschwunden; sie hatte sich wohl auf ihren Sternzerstörer zurückgezogen und kloppte `ne Runde Skat mit dem Imperator.
Ich bemühte mich, den Weg zu meinem Auto in einer unverdächtigen Geschwindigkeit zurückzulegen. Eine Stimme in meinem Inneren sagte mir unmißverständlich, daß ich beobachtet wurde.
Ich stieg ein, fummelte nervös mit dem Schlüssel an der Zündung herum, startete den 75 PS starken Boliden und brauste davon.

Ziemlich genau um Mitternacht kam ich dann zuhause an. Da Bettina meine Handynummer nicht kannte, hatte sie mich unterwegs nicht anrufen können. Aber ich war mir sicher, daß während meiner Flucht eine Mail an mir vorbeigezischt war und jetzt auf mich wartete.
So war es dann auch. Ich hatte mit Schmähungen und Beleidigungen gerechnet, aber der Tonfall war überraschend nett. Sie fände es schade, daß sie mir nicht gefallen habe. Und ich hätte ihr doch sagen sollen, daß ich wieder fahren werde. Viel Glück wünsche sie mir noch.
Ich schrieb noch eine kurze Entschuldigung, erklärte es damit, daß ich noch nicht so weit sei. Und das war nicht einmal gelogen. Sechzehn Jahre kloppt man nicht mal eben in die Tonne. Ich fühlte mich fast so, als hätte ich Anja betrügen wollen.

Mein erster imaginärer Schwimmunterricht war also nicht gerade von Erfolg gekrönt. Der Bademeister zog mich an den Ohren aus dem bodenlosen Wasser, trat mir kräftig in den Allerwertesten und jagte mich mit der Weisung, demnächst gefälligst mit Schwimmflügeln zu erscheinen, davon.
Ich verkroch mich eine Weile zuhause, und im feierlichen Gedenken an den Terminator schwor ich der Welt und mir selbst:
I´ll be back!

 

JAWOLL!!! Wir sprechen eine Sprache!Richtig gut!
Nick Hornby - mässig und Torrance - gefallend!
Superlative allerorts!
Weitermachen!

So...das war nötig.


J

 

Hi Jacko...

Einen extrem verschwitzten Dank, Neffe von Erwin.

Die Story habe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge geschrieben. Schön, wenn´s gefällt.

Will mal nicht nur aus Eigennutz hoffen, daß demnächst ein bißchen mehr Musik im Serienbereich drin ist. Wäre schade... nein, bitter!!!, wenn Onkel Erwin keinen Auftritt mehr hätte.

See you in Boston :D

THX
Somebody

 

Hallo Somebody,

und davon gibt es jetzt eine Serie? Wow, geil! :thumbsup:
Hat mir gut gefallen der Reinfall...ähm Versuch wieder in Zweisamkeit zu leben. Die ironisch lakonische Art des Protagonisten gefällt mir ausnehmend gut. Du hast sehr viel Witz in diese Sache gebracht, daher liest es sich gut und verlangt nach Fortsetzung, auf die ich mich echt schon freue.
Fazit: kurzweilige urkomische Geschichte ist dir da gelungen.

Lieben Gruß
elvira

 

Ich wollte Deine Gefühle nicht verletzten, Somebody.
Aber bei witzigen Stories bin ich verhältnismäßig unsensibel.

Mea Culpa.

Jack

 

Just me...

@ Lakita

Freut mich sehr, daß es dir gefallen hat. :)
Fortsetzung folgt, versprochen. Allerdings habe ich Bib nicht ohne Grund gebeten, die Klamotte im Genrethread „Alltag“ unterzubringen. Kann gut sein, daß es nicht immer was zu Lachen gibt. Aber ich geb mir Mühe... :)

@ Jack

Öhm... hast du doch auch gar nicht. Wäre ja ein bißchen schizzo von mir, die Story zu posten und mich dann zu beschweren. Die wirklich tiefgehenden Dinge behalt ich eh für mich.

Also nix Culpa, und wenn du drüber lachen kannst oder dich unkontrollierbarer Spott befällt... ist völlig ok! :D

THX
Somebody

 

Kuckuck...ich schon wieder!
Ich spotte nie.
Meine Empfehlung deiner Story wird das beweisen...har har.

 

Hi Some!

Irgendwie schon torrance-like, diese Geschichte. Tragik-komisch und unterhaltsam geschrieben.
Du hast bezüglich des realen Erlebnisses dahinter mein volles Mitgefühl, aber lachen musste ich trotzdem. :D
Vor einer solchen Erfahrung war ich bislang zum Glück gefeit, bei mir hat es beide Male gepasst als ich meine Internetkontakte getroffen habe - die zweite Beziehung war in der Hinsicht so ideal wie man es sich nur wünschen kann und wurde bekanntermaßen nur durch höhere Macht beendet .......
... aber so sehe ich, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass es auf Anhieb klappt. ;-)

Bin gespannt auf Deine nächsten Episoden. :-)

Ginny

 

Also Ginny...

eine Original-Sombody Geschichte als <Echt Torrance-mäßig> zu bezeichnen ist ja ungemein sensibel!:D

 

Hey Somebody,

kann mir gut gefallen dein kleiner Ausflug ins Singleleben. Einiges davon kommt mir echt gekannt vor (Nein. Ich werde jetzt hier nicht näher drauf eingehn ;) )
Läßt sich gut und flüssig lesen, der Humor wurde einem nicht wie ein Baseballschläger über den Kopf gezogen... hat mir gefallen
:thumbsup:

 

@ Ginny

Supi, wenn du lachen konntest. :)

Und klar, selbstverständlich ist kaum etwas im Leben. Im vorliegenden Fall mach ich da aber auch drei Kreuze - allein die Puschen... :eek:

Angesichts dessen, was du andeutest, verzichte ich auf meine bemüht witzigen Antworten und danke dir ganz einfach für das Lesen des ziemlich langen Textes. :)

@ Pandora

Dir kommt davon etwas bekannt vor? Was denn? :D

Na, im Ernst, auch dir sei gedankt, Jurykollegin. Dumpf donnernde Kalauerschlachten sind auch nicht so mein Ding (mein absoluter Favorit in Sachen Humor ist Loriot); wenn´s nicht gar so platt ´rüberkam, bin ich ja zufrieden. :)

THX
Somebody

 

Wenn mir eine Geschichte überhaupt nicht gefällt, ist eine geharnischte Kritik rasch zur Hand des Rächers aller frustrierten Laien-Kritiker.
Wie anders, wenn mir eine Geschichte gefällt - was schreibt man da?
"Super Geschichte! Bussi!"?
Ich belasse es einfach bei: Mit der Story ist dir ein großer Wurf gelungen - und zwar deshalb, weil sie erstens unspektakulär und zweitens auf lakonische Weise anrührend ist.
JackTorrance hat den Vergleich mit Nick Hornby gebracht und ich muss dem zustimmen: Das liest sich wirklich wie vom Meister hochderoselbst!
Was mir besonders gefällt: Es wäre einfach gewesen, sich über Bettina lustig zu machen, und ein weniger begabter Autor hätte dies auch gewiss nicht unterdrückt, um ein paar billige Lacher zu erzeugen und den Ich-Erzähler auf ein Podest zu erheben. Zum Glück vermeidest du dies - die Story wirkt dadurch unmittelbarer.
Selten habe ich auch bislang Anspielungen auf StarWars gelesen, die sich in die Geschichte einfügten und nicht verkrampft wirkten. Wunderbar!

Fazit: Extrem unterhaltsame, gleichsam niveauvolle Geschichte ohne jeglichen Makel, die Lust auf mehr macht.

 

Hallo Rainer,

hey, vielen Dank für diese positive Kritik :)

Nick Hornby sagt mir zwar etwas, auch habe ich schon einmal ein Buch von ihm in der Hand gehalten, aber noch nie darin gelesen. Wird wohl mal Zeit, daß ich mir eines von ihm kaufe. Ich fasse es einfach mal als Riesenkompliment und Motivation auf.

Was mir besonders gefällt: Es wäre einfach gewesen, sich über Bettina lustig zu machen, und ein weniger begabter Autor hätte dies auch gewiss nicht unterdrückt, um ein paar billige Lacher zu erzeugen und den Ich-Erzähler auf ein Podest zu erheben.
Da stimme ich dir absolut zu – sich auf Kosten anderer lustig zu machen, kann schnell ins Niveaulose abdriften. Ist fast immer eine heikle Gratwanderung, solche Geschichten zu schreiben. Aber ich neige dazu, mich selbst nicht so furchtbar ernst zu nehmen und, und das ist ein ganz guter Schutzmechanismus gegen zu einseitige Darstellungen.
Freut mich auf jeden Fall, daß du es so aufgenommen hast.

Fazit: Extrem unterhaltsame, gleichsam niveauvolle Geschichte ohne jeglichen Makel, die Lust auf mehr macht.
Mein Fazit: eine extrem aufbauende Kritik. Nochmals: Danke!

Ach ja, kurz noch zu StarWars: beim Schreiben läuft stets ein Film vor meinen Augen ab, und da waren diese Szenen plötzlich da. Daß du sie als geschmeidig integriert ansiehst, finde ich natürlich klasse.

THX,
Some

 

War gut und interessant.
Stilistischer Kommentare muß ich mich allerdings wegen des zu persönlichen Inhalts enthalten.

r

 
Zuletzt bearbeitet:

Hehe, die Geschichte muntert mich immer wieder auf. Sorry, für dich war das damals wohl nicht ganz so witzig, aber lass dir gesagt sein, dass sich die Leserschaft prächtig amüsiert. :D
Übrigens: Wäre die Geschichte nicht real, käme mir das mit der Tasche die im Auto gelassen wurde zu konstruiert vor.

Welcher Satz mir nicht so gefällt:

Ach du meine Güte, die war ja nun mal überhaupt nicht mein Typ.
Zu viel "tell", zu wenig "show". Kommt so plump. Ich würde ihn streichen. Durch die nachfolgenden Sätze wird ja klar, dass Bettina nicht so recht den Vorstellungen entsprach bzw der Leser bastelt sich das automatisch selbst zusammen. Direkt zu sagen, dass sie nicht dein (ich setz dich jetzt ausnahmsweise mit dem Ich-Erzähler gleich) Typ war, nimmt da irgendwie die Luft raus. Ich kann's schwer beschreiben, aber mir missfällt der Satz bei jedem Lesen auf's Neue.

Ansonsten: Klasse, wirklich. Auch nach dem wiederholten Lesen immer wieder für einige Lacher gut.

Ginny

 

Wie konnte dieses göttliche Machwerk an mir vorübergehn?
Ich hab lang nicht mehr so gelacht. Und am Ende ziehst du einen wieder auf den Boden des harten Lebens.

Du hast mir die Story aber mal RL erzählt :D.

Genial. Ich möchte die Erstveröffentlichungsrechte, bitte.

 

Huch, wer kramt so spät bei Nacht und Wind...

@ Ginny

Hehe, die Geschichte muntert mich immer wieder auf.
Ja, wie? Wo bleibt dein Mitleid? :D

Wäre die Geschichte nicht real, käme mir das mit der Tasche die im Auto gelassen wurde zu konstruiert vor.
Hehehe... sollte ich jemals die Geschichte mit der Null-Diät-Friseuse niederschreiben, würdest du mir wohl gar kein Wort mehr glauben. Das war einfach nur... unirdisch!

Ich würde ihn streichen.
Hm, echt jetzt? Ich glaub, ich belasse es bei einem einfachen "(Ach) Du meine Güte..." Sonst müßte ich das nachfolgende auch noch umpinseln. Bin doch faul :D
Änderung mach ich morgen, weil ich grad keinen Schnüff hab, die Originaldatei auf meiner Platte rauszukramen und zu überarbeiten.

ich setz dich jetzt ausnahmsweise mit dem Ich-Erzähler gleich
Na gut, ausnahmsweise...

Ansonsten: Klasse, wirklich.
Dankeee! Bezeichnenderweise erfreust du dich immer wieder an meinem realen Leid, statt auf das fiktionale Sheep Wars zurückzugreifen... :p

@ Chef

Wie konnte dieses göttliche Machwerk an mir vorübergehn?
Hehe... vielleicht zuviel Oettinger?

Ich hab lang nicht mehr so gelacht.
Hey, cool! Danke! :)

Du hast mir die Story aber mal RL erzählt :D
Huch... da hatte ich wohl zuviel Oettinger :D

Genial. Ich möchte die Erstveröffentlichungsrechte, bitte.
Nimm hin, den Kram :)
Damit begleiche ich dann den weiland von mir weggezischten Kasten Bier :D

THX
Some

 

Das nehm ich als mündlichen Vertrag.
:kuss:

 

Köstliche Geschichte ... eine Frage dazu: Wo sind denn Folgen 2 bis 99?
Irgendwie durchschau ich dieses Serienkonzept nicht ganz ...

lg,

hilde (blond :D )

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom