Streuner sucht seinen Namen
Streuner sucht seinen Namen
oder
die Kunst vom lieben und geliebt zu werden
Nun, wie beschreibe ich euch Streuner? Wie der Name schon sagt, ein wahrer Streuner. Er behauptet ein reinrassiger Galgo espanol zu sein, wie es sich für spanische Straßen gehört:
Nun ja, von seinem Aussehen her, war sein Vater wohl eher ein Podenco-Mix, aber das macht in dieser Geschichte eigentlich auch nichts zur Sache. Genau genommen ist es auch egal, ob es sich um einen Hund, eine Katze, ein Meerschweinchen oder einen Menschen handelt. Aber es ist nun einmal Streuner passiert, und davon erzähle ich euch heute:
Streuner zählte zu einem der vielen Straßenhunde Spaniens. Er war etwas kleiner und zierlicher als viele seiner Mitstreiter, daher auch viel magerer. Wenn es einmal etwas Leckeres in der Mülltonne gab, waren die anderen meißt schneller oder stärker als er.
Viele der Hunde rotteten sich zu richtigen Rudeln zusammen. Von Streuner jedoch wollten diese nichts wissen:
"Du bist viel zu schmächtig, was wollen wir mit dir?!"
"Hau ab!"
"Geh weiter, hier gibt es nichts für dich!"
knurrten sie immer, wenn Streuner sich ihnen näherte.
Richtige Freunde hatte Streuner nicht. Genau genommen hatte er niemanden, bis auf den alten schwarzen Kater, doch zu dem kommen wir später.
Vor ca. einem Jahr wurde Streuner irgendwo zwischen zwei Mülltonnen mit seinen fünf Geschwistern in irgendeiner Gasse zur Welt gebracht. Doch die Erinnerung an sie und seine Mutter waren nur noch verschwommen. Machmal, wenn er sich abends unter eine Brücke zum schlafen legte, kurz bevor er ins Traumland reiste, waren die Erinnerungen ganz deutlich:
Eine stolze Galga war seine Mutter gewesen. Sie sorgte so gut für ihre Welpen, wie es ihr möglich war. Gehungert haben sie nur selten.
Aber Hundekinder trennen sich nunmal sehr schnell von ihrer Mutter, ihren Vater kennen sie meißt gar nicht.
So machte auch Streuner sich nach wenigen Wochen auf, die Welt zu erobern. Anfangs kehrte er ab und an zu seiner Familie zurück, doch irgendwann war seine Mutter verschwunden und fortan war er auf sich gestellt.
Auch jetzt sollte Streuners Leben noch einmal eine Wendung nehmen, doch davon ahnte der kleine Hund noch nichts, als er sich wie viele Abende zum schlafen legte.
Wie jeder Hund (und fast jede Katze) drehte er sich zuvor dreimal im Kreis. Ihr müsst wissen, dass ist für die Tiere wie euer Abendgebet. Damit bitten sie ihren Schutzengel besonders wachsam zu sein und alles Böse fern zu halten.
Streuner wollte gerade die Augen schließen, als er leise Samtpfoten und einen vertrauten Geruch wahrnahm.
"Ach, guten Abend Kater!"
Es näherte sich ihm mit ruhigen Schritten ein großer, schwerer, schwarzer Kater.
"Guten Abend Streuner", schnurrte er "wie war dein Tag?"
"Mmh",seufzte Streuner "das Übliche!" Sein Magen knurrte laut. "Ups!" er lächelte den Kater verschmitzt an.
"Hier!" eine große Forelle platschte vor dem Hund nieder, "die ist mir zufällig zwischen meine Krallen gesprungen!" maunzte der Kater.
"Wow, danke!" schmatze Streuner.
Streuner bewunderte den Kater, weil dieser so alt und weise war. Er wusste auf alles eine Antwort und auch die größten und mächtigsten Rudelführer zeigten großen Respekt vor ihm.
Streuner war überzeugt, dass der Kater so alt war wie die Welt, mindestens!
Stundenlang konnte er ihm zuhören, wenn er alte Geschichten über die Menschen erzählte. Er wusste so viel über sie. Immer wenn Streuner ganz besonders traurig und einsam war, versteckte er sich vor der Welt. Der Kater fand ihn, kuschelte sich an ihn und erzählte davon, wie dumm die anderen Hunde seien und das er, Streuner, etwas ganz besonderes sei und das Leben eine ganz besondere Überraschung für ihn bereit hielt, er müsse nur Geduld haben.
Satt und zufrieden schaute Streuner den Kater an: "Erzählst du mir etwas über die Menschen?"
"Mmh, die scheinen es dir besonders angetan zu haben, was? Also weißt du, die Menschen haben für jeden den sie lieben ein Zauberwort!"
"Ein Zauberwort?" staunte Streuner.
"Ja, ein Zauberwort mein kleiner. Sie nennen es: NAMEN!
Es macht dich zu etwas ganz besonderem. Mit diesem Zauberwort finden sie dich aus tausend anderen heraus. Manche Namen gibt es zwar doppelt, aber trotz allem lässt es jeden einzelnen zu etwas ganz Besonderem werden. Denn wenn du einen Namen hast, weißt du, dass dich jemand sehr, sehr lieb hat!"
Müde sank Streuners Kopf, einen Namen, ja den hätte er auch gern, seinen eigenen Namen.
Am nächsten Morgen war der Kater fort.
Streuner streckte sich und beschloss ein bisschen durch die Vorgärten zu stromern. Um diese Uhrzeit fielen meißt ein paar Happen von den Touristen ab, die auf den schönen Terrassen der Ferienhäuser frühstückten.
In einem kleinen Garten spielten ein paar kleine Menschen mit einem großen runden Ding, das von der Erde hochtischte wenn man es warf.
Diese kleinen Menschen mochte Streuner besonders gern. Sie traten nicht nach ihm, ja streichelten ihn manchmal sogar. Er setzte sein sympathischstes Lächeln auf, wedelte kräftig mit seiner Rute und sprang in das Spiel mit ein.
"Oh schau mal!" rief sofort der kleine Mensch mit den langen, hellen Haaren.
"Ist der süß!" rief der andere.
"Mama, Mama!"
Ein großer Mensch trat aus der Tür.
"Oh Backe!" dachte Streuner und duckte sich schon mal. Aber es passierte nichts, ganz im Gegenteil: der große Mensch schaute ihn an und sprach mit sanfter Stimme: "Hey Kleiner, wer bist du denn?! Siehst hungrig aus, warte hier!
Kinder, passt auf, dass er nicht wegläuft!"
"Mmh, ob Kinder schon ein Name ist", grübelte Streuner, während er sich wohlig den Kopf kraulen ließ.
Der große Mensch kam wieder raus und reichte Streuner Wurst und eine Schale mit Wasser. Ja, das ließ er sich schmecken. So mochte er die Menschen ganz besonders.
"Dürfen wir ihn behalten, Mama!" bettelten die Kinder.
"Nun, da müssen wir Papa fragen! Jens, kommst du bitte mal!" rief die Mutter.
Ein noch größerer Mensch trat heraus.
"Vati schau mal. Dürfen wir ihn behalten?"
Jens schaute sich den Hund an:"Nun, wir wollten uns zu Hause eh einen neuen Hund holen. Also, wenn er euch gefunden hat, warum nicht!" Er kraulte Streuner hinter den Ohren. "Dann überlegt euch mal einen schönen Namen für ihn!"
Streuners Herzchen hüpfte vor Freude: "Ich bekomme einen Namen. Ich werde ganz doll lieb gehabt. Ja, hier möchte ich bleiben!"
Die Kinder beratschlagten sich:
Bello, nein, dafür ist er zu schmächtig.
Lucky, nein, zu einfallslos.
Merlin riefen sie verzückt.
Die Mutter lächelte: "Meint ihr nicht, Merlin steht eher für weise und edel? Ich finde Fly passt gut!
Fly war gerührt: Sein Zauberwort war von nun an Fly!
Am nächsten Tag sollte er mit der Familie Heim reisen. Er besaß schon seine eigene Decke und ein Kuscheltier.
Aber vor seiner Abreise musste Fly noch etwas erledigen. Nachts schlich er sich raus:
"Hallo Kater!" er wusste wo er seinen Freund suchen musste.
"Hallo Kleiner!" schnurrte der Kater.
"Kater, du musst mitkommen. Ich habe ganz liebe Menschen gefunden. Die haben schon ein Zauberwort für mich. Mein Name ist jetzt Fly!" freute er sich.
"Nein Fly, mein Platz ist hier. Weißt du, es wird ein neuer Streuner kommen und was soll der ohne meinen Rat machen? Du gehst deinen Weg von nun an ohne mich!"
Fly war ein wenig traurig, er mochte den Kater doch so, aber er verstand auch seine Absicht!
"Dann möchte ich dir etwas schenken! Ich schenke dir dein Zauberwort, damit ich dich immer wieder finde. Dein Name ist fortan Merlin. Der große Mensch sagt, dass ist edel und weise, und das bist du. Ich hab dich nämlich furchtbar lieb!"
"Danke kleiner! Ich werde dich nie vergessen!" sagte Merlin, seine Stimme zitterte dabei!
by Ramona Neumann