Strangers
Mit weit geöffneten Augen lag ich in meinem provisorisch zusammengebauten Bett und starrte an die Decke. Ich war wie so oft mitten in der Nacht aufgewacht.
Ich setzte mich auf und strich mir eine Haarsträhne aus dem schweissgebadeten Gesicht.
Dann kletterte ich aus dem Bett und zog mir eine dünne Jacke an, die ich einen Tag zuvor am Strand gefunden hatte. Barfüssig tapste ich aus meiner Hütte.
Es würde mir bestimmt gut tun, wenn ich den heissen Quellen einen kleinen Besuch abstatten würde. Vielleicht konnte ich dann wieder schlafen.
Draussen war es nachts meist doch recht kühl und ich war froh, hatte ich diese Jacke, auch wenn sie die Kälte nur notdürftig von meinem Oberkörper fernhielt.
Ich stand vor der Hütte und tastete im Dunkeln nach einer der Fackeln, die ich bereitgelegt hatte.
Nach kurzem suchen hatte ich sie dann in der Hand, ging nochmal kurz rein und zündete sie an einer der noch brennenden Kerzen an.
Sie fing sofort Feuer und ich ging wieder raus. Ich machte mich auf den Weg.
Zwischen den Bäumen sah ich bereits den aufsteigenden Dampf der Quellen. Ich ging darauf zu und blieb ein paar Meter davor stehen. Kurz liess ich meinen Blick über die Umgebung schweifen und vergewisserte mich, ob ich auch wirklich alleine war. Es schien niemand in der Nähe zu sein.
Ich streifte meine Kleider vom Körper, liess ihn in das warme Wasser gleiten und tauchte kurz unter. Dann strich ich meine Haare nach hinten und lehnte mich zurück. Sogleich überkam mich eine wohltuende Müdigkeit und ich schloss die Augen. Ich verlor mich in meinen Träumen und nahm meine Umwelt kaum noch wahr.
Plötzlich wurde ich durch das Geräusch eines knackenden Astes aus meinen Gedanken gerissen und zuckte zusammen. Ich sah mich erschrocken um und wollte gerade aus dem Wasser steigen, als ich eine Gestalt zwischen den Bäumen hervortreten sah. Schnell liess ich mich wieder in das Wasser herabsinken und blickte kurz zu meinen Kleidern, die nur einen Steinwurf von mir entfernt waren. Und doch konnte ich sie nicht mehr erreichen ohne mehr von meinem Körper preis zu geben als ich wollte.
Aus Reflex verschränkte ich die Arme vor meinem Oberkörper um diesen vor den Blicken des Fremden zu wahren, die inzwischen aus dem Schatten der Bäume hervorgetreten war.
Ein junger, kräftig aussehender Mann. Gross, mit dunklen, kurzen und zerzausten Haaren. Seine Augen strahlten etwas geheimnisvolles aus. Er sah wirklich gut aus. Mein Blick blieb an ihm hängen. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte nicht wegschauen. Langsam schritt er auf mich zu. Ich riss mich zusammen und versuchte ihn mit finsteren Blicken abzuwehren, die mir aber wahrscheinlich ziemlich misslangen. Denn er liess sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil. Jetzt grinste er sogar ein wenig. Er blieb vor der Quelle stehen und sah mich eine Weile nur still an.
Die Stille wurde langsam richtig unangenehm und bevor ich überhaupt richtig darüber nachdachte, was ich eigentlich tat schnellte eine Frage über meine Lippen.
„Wer bist du?“
Es war ein misstrauischer Unterton in meiner Stimme zu hören, aber das war mir egal. Er sollte ruhig merken, dass ich ihm nicht traute.
Er gab keine Antwort. Dann tat er etwas, dass meinen Atem stocken liess. Er zog sich aus.
Endlich konnte ich meinen Blick von ihm lösen und schaute erschrocken weg.
„Wa-was tust du da??“, rief ich stotternd.
Noch ehe ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, spürte ich wie das Wasser aus der Ruhe gebracht wurde und kleine Wellen trafen auf meinen Körper.
Mein Kopf schnellte in die Richtung des Fremden. Er war doch tatsächlich in das Wasser gesprungen. Mein Mund klappte auf und ich starrte ihn fassungslos an. Ich schaffte es nicht, seinen Körper nicht anzustarren. Perfekte Muskeln zierten ihn. Wieder musste ich mich sammeln. Was dachte er sich dabei? Er kannte weder mich, noch kannte ich ihn.
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, er solle sich etwas anziehen. Aber dann fiel mir ein, dass ich ja selbst nichts anhatte und ich musste diesen Drang wohl oder übel runterschlucken.
Er sah mich immer noch grinsend an und seine Augen bannten mich, so dass ich wieder nicht wegschauen konnte.
Dann setzte er sich in Bewegung und schwamm auf mich zu. Unwillkürlich wollte ich zurückweichen, doch hinter mir war eine Felswand. Also schlang ich meine Arme enger um meinen Oberkörper und sah ihn wie erstarrt an.
Er hielt wenige Zentimeter vor mir an und stützte sich mit seinen Händen links und rechts von meinem Körper ab. Immer noch waren seine Augen auf meine gerichtet.
Ich hielt den Atem an. Sein Gesicht kam immer näher. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut und schluckte. Seine Lippen berührten meine nun schon fast. Doch er hielt inne und grinste mich frech an. „Ich brauche dich. Du musst mir helfen! Ohne dich werde das nicht schaffen…“, hauchte er mit samtener Stimme und streifte meine Lippen, während er das sagte.
„Ich w-was?“, stammelte ich. Doch ich sollte keine Antwort mehr erhalten.
„Hallo? Ist da jemand?!“
Ich schreckte hoch und sass kerzengerade im Bett. Ich blinzelte und sah mich verwirrt um.
Hatte ich etwa nur geträumt? Aber was hatte das zu bedeuten?
„Bitte, ich brauche Hilfe!“, erklang es erneut, jedoch schwächer als zuvor. Ich horchte ungläubig auf.
Ich stand auf und folgte den Rufen der Stimme. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.
Ich ging nach draussen und suchte die Umgebung ab.
Und da stand er. Er sah mich nicht, da er mir den Rücken gekehrt hatte. Sein T-Shirt klebte ihm, nass vor Blut am Körper. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Langsam ging ich auf ihn zu.
Er schien mich zu hören und drehte sich um. Als er mich sah, weiteten sich seine Augen kurz überrascht.
„D-du?“, stammelte er. Er sammelte sich kurz. Dann huschte ein erleichtertes Lächeln über seine Lippen. Er sah mich wieder mit demselben Blick wie in dem Traum an.
„Ich brauche deine Hilfe.“, sagte er noch, bevor seine Knie nachgaben und er komplett das Bewusstsein verlor.