- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Strandnacht
Strandnacht
Er sah sie hinaus gehen. Alleine. Robert saß auf dem Sofa und trank sein Bier, große Dosen, wie immer. Er kümmerte sich nicht um Sophie.
Manuel wusste nicht warum er zur Tür ging, um nach Sophie zu sehen. Was auch geschehen war, es ging ihn nichts an. Jemand stolperte ihm entgegen, aus der Toilette heraus, auf den Flur, auf die Terrasse. Dorthin übergab dieser jemand sich. Manuel war schlecht.
Sophie saß dort draußen, in einer dunklen Ecke, auf einem grünen Plastikstuhl. Er glaubte sie schluchzen zu hören. Sicher war er sich nicht, die Wellen, die auf den nahegelegenen Strand klatschten waren zu laut.
Er trat hinaus. Der Andere spülte mit Rotwein den üblen Geschmack in seinem Mund weg, torkelte wieder hinein, stürzte sich ins Getümmel. Es war nicht sein Haus. Ihm war trotzdem schlecht.
Sophie blickte starr in die Dunkelheit und schluchzte lauter. Der Himmel, sternenklar, erhellt von einem vollen, weißen Mond. Sollte er hingehen? Sollte er?
Sie blickte ihn kurz an, es dauerte einige Augenblicke bis sie erkannte wer es war, der dort von hinten an sie herangetreten war. Enttäuschung in ihren Augen. Sie versuchte zu lächeln, es misslang. Schwarze Linien, verwischt auf weißer Haut. Sie hatte geweint.
„Komm“, sagte sie.
Sophie ging voraus, er folgte ihr. Still, gefügig. Gemeinsam gingen sie zum Strand. Es war nicht weit, einige Minuten lang spürte er den knirschenden Sand unter seinen Schuhen. Das Tosen wurde lauter, die Luft war lau, über ihnen funkelnde Punkte und der fahle Mond.
Er war ganz ruhig. Eigentlich, das wußte er, hätte er aufgeregt sein müssen. Was geschah hier, sollte er sich fragen. Was wollte sie von ihm, sollte er sich fragen. Auf lang erträumtes sollte er hoffen. Aber er fragte sich nicht, dachte gar nicht. Sophie ging vor ihm durch die Nacht zum Strand. Ihre blonden Haare flatterten im Küstenwind. Es war eine laue Frühlingsnacht. Er hatte ein Kondom dabei.
Sie blieb stehen. Plötzlich. Er stellte sich neben sie, rechts. Die linke Hand streckte er aus. Machte man es nicht so?
„Ist es nicht schön hier“, sagte sie.
Er nickte. Dann fiel ihm ein, dass sie das nicht sehen konnte und er sagte: „Ja“
Seine Hand hing in der Luft. Er drehte seinen Kopf und blickte Sophie an. Ihre Konturen waren zu erkennen. Ihr Kinn mit der kleinen Narbe, ihre Haare, ihre Augenhöhlen in denen ihre kornblauen Augen lagen, die eben noch geweint hatten. Im Augenwinkel linste er nach unten. Sein Hand blieb allein.
„Wollen wir uns an die Brandung setzen?“, fragte sie ohne ihn anzublicken.
„Ja“, sagte er und sein Herz klopfte dabei.
In der rechten Hosentasche lag es. Neu. Gekauft vor einer Woche in einem Bahnhofsklo für eine Mark.
Der Sand war kalt, Nässe stieg durch seine Jeans. Ihr musste es ähnlich gehen. Ihre Hose war weiß und viel dünner, fiel ihm ein. Sie würde dreckig werden. Beide schwiegen. Seine Hände lagen in seinem Schoss.
„Hast Du eine Freundin?“, fragte sie.
„Nein“, sagte er und befühlte das Ding in seiner rechten Hosentasche.
„Findest Du mich hübsch?“, fragte sie.
„Ja“, sagte er. „Sehr sogar.“ Das hörte sie nicht. Eine Welle brach sich im selben Moment.
Das Licht des Leuchtturms streifte sie für den Bruchteil eines Augenblicks. Sie weinte noch immer, ganz leise jetzt.
„Er findet das nicht.“
Stille. Es gab dazu nichts zu sagen. Wieder der Leuchtturm.
„Er hat gestern mit ihr geschlafen.“
Stille. Leuchtturm.
Sie weinte wieder lauter. Er schluckte, seine Hände wühlten im Sand umher.
„Dabei liebe ich ihn doch so sehr.“
„Ich weiß“, flüsterte er ganz leise.
Sie weinte jetzt heftig. Ihr Körper schüttelte sich leicht, sie zitterte. Sie musste frieren, so alleine am Strand. Und dann tat sie ihm plötzlich Leid...
Und er hasste sich dafür, dass sie ihm leid tat und er tat sich selber leid.
„Sophie“, versuchte er und schwieg. Es gab nichts zu sagen, nicht für ihn. Nur die Worte der anderen. Worte, die nicht seine gewesen wären und darum blieb er still. Er hatte Mitleid mit ihr, diesem schönen, zarten Mädchen, das Enttäuschungen dieser Art nicht gewohnt war. Wie sollte sie wissen, wie man damit umzugehen hatte? Gab es einen besseren Lehrer als ihn? Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr behutsam um die Schultern.
„Lass uns nach oben gehen. Du erkältest dich noch.“
Er erhob sich, reichte ihr die Hand, die sie ergriff. Seidige Finger, die die seinen umschlossen. Für Sekunden kehrten schlecht verborgene Träume in seine Gedanken zurück. Hoffnungen, Wünsche ohne Wurzeln in der Wirklichkeit.
„Warte“, sagte er und griff in seine Hosentasche, holte ein Taschentuch hervor, gab es ihr. Sie nahm es.
„Danke“, antwortete sie. Ein Kuss. Feuchte Spuren auf der Wange, ihr Kuss, ihre Tränen.
In seiner Faust war das Ding, das er mit dem Tempo aus der Tasche geholt hatte. Er schleuderte es aufs Meer hinaus. Er würde es nicht brauchen. Nicht hier, nicht heute. Niemals.
„Was war das?“, fragte sie.
„Nichts. Nur eine Glücksmünze für dich“, log er und sein Gesicht lächelte aufmunternd dabei.
Dann gingen beide zurück zum Haus.