Straßenbahn 7
Es ist morgens irgendetwas zwischen 6 und 7, es wird langsam hell und ich sitze - mal wieder - in der Straßenbahn, Linie 7, auf dem Heimweg nach einer durchzechten Nacht.
Mein Mund ist staubtrocken, mein Gesicht fühlt sich an, als hätte es jemand mit Sandpapier bearbeitet. Die laute Musik aus der Bar klingt wie ein auditives Nachbild in meinen Ohren. Meine Augen brennen und kratzen, ich bin unendlich müde. So müde. Wann ist die Euphorie der letzten Nacht auf der Strecke geblieben? Vermutlich ist sie nicht tageslichttauglich und hat sich bei Sonnenaufgang verabschiedet, einfach so, ohne Abschiedsgruß. Ich frage mich, ob der letzte Abend ein guter war und komme zu dem Schluss, dass nichts, das so einen schlechten Geschmack im Mund hinterlässt, gut sein kann. Eine verschwendete Nacht. Wieder.
Ich betrachte gedankenverloren meine Hände und stelle fest, dass sich anscheinend der Dreck aus sämtlichen Bars, die ich heimgesucht habe, unter meinen manikürten Fingernägeln angesammelt hat. Bardreck. Ich schäme mich und balle die Hände zu Fäusten, damit niemand meine schmutzigen Finger sehen kann. Als ob das irgendjemand interessieren würde!
Vermutlich ist auch mein Make Up total verschmiert. Oder weg. Irgendwo zwischen erster und letzter Bar von meinem Gesicht abgefallen. Nun ist der Lack ab und jeder kann mich sehen. Ich ziehe mir meinen Schal tiefer ins Gesicht. In der Straßenbahn befinden sich bereits viele Fahrgäste: arbeitendes Volk, Schüler und Senioren mit seniler Bettflucht. Ich habe das Gefühl, dass alle mich anstarren, mich durchschauen, missbilligen. Ich starre wie gebannt aus dem Fenster und gebe mich gleichgültig. Niemand sieht her. Hoffentlich sind wir bald da, ich bin so müde. Vielleicht kann ich ja heute schlafen?
Mir fällt ein, dass ich keine Milch für meinen Kaffee zu Hause habe und auch nichts zu essen, außer Instantsuppe. Das deprimiert mich, weil es bedeutet, dass ich heute noch einkaufen gehen muss. Außerdem ist morgen mein Urlaub zu Ende und ich muss wieder in die Tretmühle. Dieser Gedanke deprimiert mich noch mehr.
Mir ist kalt, meine Hände zittern und als ich aufstehe, um an meiner Haltestelle auszusteigen, schwanke ich ein bisschen. Natürlich ist mir das wieder peinlich, ich bilde mir ein, dass alle mich anstarren, mich auslachen. Aber niemand sieht her und keiner lacht.
Der kurze Fußmarsch bis zu meiner Wohnung fällt mir schwer. Ich renne fast, weil mir so kalt ist, aber ich komme trotzdem viel zu langsam vorwärts. Endlich bin ich da. Ich habe Schwierigkeiten, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Endlich drinnen, werfe ich erleichtert die Tür hinter mir zu. Sicher. Ich wasche mir den Dreck der vergangenen Nacht ab und falle todmüde ins Bett.
Die Gedanken in meinem Kopf haben, wie immer, nur darauf gewartet, dass ich mich ihnen ungestört widmen kann. Sie kreischen, sie wirbeln herum und wollen wieder dafür sorgen, dass ich mich ihnen schlaflos ergebe. Aber nicht heute - heute habe ich mir den seltenen Luxus einer Schlaftablette gleistet. Ich merke, wie meine Augenlider schwer und die Gedanken leiser und leiser werden. Stille.