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Straße der Sehnsucht

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07.10.2002
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Straße der Sehnsucht

Nachts stand ich gerne an dem Fenster, das mir einen kompletten Blick über die Stadt ermöglichte. Die Lichter der Nacht tänzelten vor meinen Augen, wurden kleiner und kleiner, bis sie am Horizont verschluckt wurden. Im Sommer war das Fenster geöffnet, ich konnte den Flieder riechen, der vor dem Haus wuchs, im Winter strömte mir eine angenehme Wärme entgegen, da sich direkt am Fenster eine Heizung befand. Tagsüber war der Blick auf diese Stadt ein anderer, fremd, distanziert, so, als würde ich kein Teil von alledem sein. Besonders angezogen fühlte ich mich von einer Straße die in die Stadt im Tal führte, sich wie eine Lichterkette schlängelte, um dann in einem Meer von Lichtern zu verschwinden. Der Blick auf diese Straße schmerzte mich fast, machte mir Sehnsucht, ein Teil von ihr zu sein, ein Teil der Lichterkette, ein Teil von denen zu sein, die sich auf ihr bewegten. Wohin führte ihr Weg? Die einen fuhren ins Licht, die anderen ins Dunkel der Nacht, dahin, wo die Straße für mich, für meinen Blick, endete.

„Schon wieder am Fenster, schon wieder die Straße anschauen?“, fragte mich mein Freund, der das Zimmer betreten hatte und mich aus meinen Träumen riss. „Ja, da würde ich jetzt gerne sein“, antwortete ich. Immer und immer wieder hatte er mir erklärt, dass wir diese Straße schon oft entlang gefahren waren und ich wusste es ja selbst, nur hatte sie da nie diesen Zauber, den ich empfand, wenn ich sie aus der Ferne sah. „Wir fahren da jetzt hin und dann wirst du sehen, dass diese Straße sich von keiner anderen unterscheidet.“

Er stellte das Motorrad an einer Nothaltebucht ab, während ich abstieg und mich zu einer Brüstung begab, die wohl im Falle eines Unfalles dafür sorgen sollte, nicht abzustürzen. Jetzt war ich ein Teil der Lichterkette, eine von denen, die sich darauf bewegte und ich spürte, wie sehr mich der Gedanke ernüchterte. Als mein Freund neben mir stand, legte er einen Arm um mich und fragte, „und, was ist jetzt so besonders hier?“. Nichts war besonders, das wusste ich ja schon vorher, ich wusste selbst nicht, warum diese Straße eine solche Anziehungskraft auf mich ausübte, immer dann wenn ich sie vom anderen Ende aus betrachtete und sie mich immer wieder mit einer solchen Sehnsucht erfasste. „Kann man von hier aus das Haus sehen, in dem du wohnst?“, fragte ich ihn. Und er zeigte es mir und wieder bekam ich diese Sehnsucht, da sein zu wollen, da, wo ich vor fünfzehn Minuten noch war.

Das ist jetzt zehn Jahre her und immer noch sehne ich mich danach, am anderen Ende zu sein und wenn ich da angelangt bin, dann sehne ich mich zurück.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ein Blick auf deinen Text ermöglichte es mir in dein Innerstes zu sehen. Und was ich da sah, waren Lichterketten die sich in ein Lichtermeer schlengelten zu dem du dich hingezogen fühlst, so lange du nicht da bist. Denn wenn du im Lichtermeer unten im Tal angekommen bist, willst du wieder zurück vor dein Fenster, dass dir einen Blick auf die Stadt ermöglichte mit der Lichterkette.
Mich würde interessieren, was passiert wenn man die Straße der Sehnsucht geradeaus weiter fährt und ob sie in einer Art Kreisverkehr endet, der eigentlich eine Sackgasse ist?
Dann wäre nämlich interessant wie sich das so anfühlt?
Könnte man dann von einer Strassenkette der Sehnsucht im Lichterfenster reden?
Ich setze mich schon mal vorsorglich auf das Mofa meines Freundes, denn hier wird um die Kurve getänzelt bis die Fliehkraft uns in die Wolken der Extase schickt.
Dein Tenfingers

 

Servus deja-vu!

Du zeichnest etwas, das in manchem von uns, die wir hier sitzen und schreiben, wahrscheinlich ähnlich vorhanden ist. Die Liebe zu einer inneren Sehnsucht nach etwas, das sich nicht erfüllt. Es ist dieses fehlende Angekommensein. Das formst du sehr schön aus, einerseits durch die Lichterkette die dich lockt und etwas verspricht das zu fehlen scheint und andererseits der Blick zurück ins Vertraute. Du beschreibst das Fehlen von etwas egal in welche Richtung du gehst. Vielleicht darf man irgendwann mal zwischen den beiden Sehnsüchten abbiegen und einen ganz anderen Weg gehen, wer weiß?

Lieben Gruß schnee.eule

 

Hallo tenfingers, hallo schnee.eule!

Vielen Dank für's Lesen meiner Geschichte und eure Antworten. Da ihr sehr gut nachempfinden konntet, was ich mit dieser Geschichte sagen wollte, erübrigen sich ja eigentlich weitere Worte meinerseits.

Liebe Grüße an euch beide
Déjà-vu

 

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