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Stimmen

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04.02.2003
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Stimmen

Stimmen

Da waren sie wieder – die Stimmen in ihrem Kopf. Drei Tage hatte Annabel jetzt Ruhe gehabt und sich schon der Hoffnung hingeben, die Stimmen nie wieder zu hören. Was sollte sie nur tun? Wurde sie verrückt?
Das Wirrwarr an Stimmen blieb, auch wenn sie ganz krampfhaft an andere Sachen dachte. Manchmal waren sie sogar da, während sie mit anderen sprach. Dann konnte Annabel sich kaum noch konzentrieren. Sie stockte beim Sprechen, was ihr von ihrem Gegenüber meist komische Blicke einhandelte.
Diese Stimmen – dieses Durcheinander in ihrem Kopf. Sie hielt das nicht mehr aus!
„Verdammt, haltet endlich die Fresse!“, schrie sie und schlug mit ihrer Stirn gegen die Wand. Erst leicht, dann immer stärker. Sie fühlte, wie etwas ihre Stirn hinunterlief. Es war warm – Blut. Doch noch immer waren die Stimmen da und ließen sich nicht vertreiben. Ein letztes Mal schlug sie heftig mit ihrem Kopf gegen die Fliesen, dann brach sie zusammen und weinte.

Blinzelnd öffnete Annabel die Augen. Alles war so grell. Sie schloß die Augen wieder. Dann hörte sie eine Stimme.
„Frau Gartner, sind sie wach? Öffnen sie bitte die Augen. Können Sie sich an gestern Abend erinnern?“
„Wo bin ich denn? Im Krankenhaus?“ Sie war verwirrt.
„Sie sind hier in der psychiatrischen Abteilung des Luther-Krankenhauses. Gestern Abend gegen 9:00 wurden sie bei uns eingewiesen. Man hatte sie auf der Toilette des Restaurants „Waldblick“ gefunden. Sie hatten einen Nervenzusammenbruch.“, erklärte ihr die Ärztin, die neben ihrem Bett stand.
„Oh!“, war das einzige, was Annabel dazu einfiel.
„Frau Gartner, was ist passiert? Woran können Sie sich noch erinnern?“
„Stimmen. Da waren überall Stimmen. In meinem Kopf. Sie gingen nicht weg, wurden immer lauter. Ich hab es nicht mehr ausgehalten.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir behalten Sie erst einmal eine Weile hier und dann bekommen wir das alles in den Griff. Schlafen Sie noch ein wenig.“, sagte die Ärztin und ging.
Annabel spürte einen Kloß in ihrem Hals, merkte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Sie war also doch verrückt. Ihr Kopf schmerzte und sie spürte ein leichtes Pochen an ihrer Stirn. Als sie an die pochende Stelle faßte, ertastete sie ein Pflaster. Langsam stand sie auf, ging ins Bad und sah sich ihr Gesicht im Spiegel an. Scheinbar hatte sie ein Platzwunde, die genäht worden war. Ihr halbes Gesicht war blau. Was hatte sie nur getan?
Der Schmerz in ihrem Kopf wurde stärker, das Pochen breitete sich über das ganze Gehirn aus. Fast war es als würde jemand eine riesige Pauke in ihrem Schädel schlagen. Annabel merkte, wie ihr die Sinne schwanden. Mit wackligen Beinen legte sie sich wieder hin.
Die Paukenschläge wurden jetzt von einem tiefen Brummen begleitet. Mit beiden Händen faßte sie sich an den Kopf und drückte zu. Wenn doch nur endlich Ruhe in ihrem Kopf wäre. Dann hörte sie es wieder. Das Wispern, das zu dem bekannten Stimmengewirr wurde. Lauter und immer lauter. Annabel schrie so laut sie konnte.
Die Ärztin riß die Tür auf und Annabel bekam schon gar nicht mehr richtig mit, wie ihr das Beruhigungsmittel gespritzt wurde.

„Frau Gartner, wir können Ihnen nur helfen, wenn sie mit uns reden. Erzählen Sie mir bitte, wann das alles angefangen hat.“, sagte der junge Assistenzarzt, der seit einer viertel Stunde vergeblich versuchte, Annabel zum reden zu bringen.
Die junge Frau sah den Arzt an. Er lächelte aufmunternd und Annabel fing an zu reden.
„Es sind diese Stimmen in meinem Kopf. Die machen mich wahnsinnig. Es ist nicht so, daß ich etwas konkretes höre, vielmehr so ein Gemurmel und Stimmengewirr. Verstehen Sie, wie in einem Raum voller Menschen. Man hört sie, aber versteht nur einzelne Brocken. Und sie gehen nicht weg.“
„Wann hat das denn begonnen? Können Sie sich an ein bestimmtes Ereignis erinnern, das der Auslöser gewesen sein könnte?“
„Auslöser? Nein, weiß ich nicht. Zuerst war da immer nur ein leichtes Summen. Das war mal da und dann auch wieder weg. Das hat zwar genervt, aber ich hab mich darum nicht weiter gekümmert. Ich weiß gar nicht mehr... Ach doch, vor sechs Monaten oder so hat das angefangen. Es war so eine Art Hintergrundgeräusch. Nach einiger Zeit wurde da dann immer häufiger und vor allem lauter. Ich erkannte dann, daß das nicht nur einfach ein Geräusch war, sondern Stimmen. Wie schlimm es jetzt ist, sehen Sie ja. Sonst wäre ich wohl kaum hier.“
„Gibt es in Ihrer Familie Vorfälle von psychischen Erkrankungen?“
Nicht daß ich wüßte. Wieso? Bin ich verrückt? Was ist das? Was geschieht mit mir?“, fragte Annabel wieder den Tränen nahe.
„Aufgrund der Untersuchungen müssen wir wahrscheinlich davon ausgehen, daß sie eine schizophrene Erkrankung haben. Das Stimmenhören ist für Schizophrenie ein typisches Symptom. Vermutlich ist die Erkrankung noch in einem Anfangsstadium. Wir werden Sie mit Psychopharmaka, speziell mit einem Neuroleptikum behandeln, das verhindert, daß sie weiterhin Stimmen hören. Die weiterführende Therapie werden wir später mit Ihnen besprechen. Hören Sie denn zur Zeit Stimmen?“
„Nein, Gott sei Dank habe ich gerade Ruhe. Wann beginnen Sie mit der Behandlung?“
„Da Sie momentan symptomfrei sind, beginnen wir heute abend mit einem niedrigdosierten Präparat.“

Annabel goß sich ein großes Glas Wasser ein, nahm eine Tablette aus dem Röhrchen und legte sie auf ihre Zunge. Wenn sie nicht viel Wasser beim Tablettenschlucken trank, bekam sie die Tablette nicht runter.
Seit drei Monaten nahm sie jetzt regelmäßig die „Schweigetabletten“, wie sie das Neuroleptikum nannte. Stimmen hatte sie nur noch einmal im Krankenhaus gehört, woraufhin die Dosis von dem netten Arzt erhöht wurde. Annabel fühlte sich wohl. Keine Stimmen mehr, die sie verwirren konnten. Was dachte sie da eigentlich? Verwirren? Diese scheiß Stimmen hatten sie fast verrückt gemacht. Sie war so unsagbar froh, daß sie ihren Kopf wieder für sich allein hatte.
Annabel. Was war das? Sie drehte sich um. Hatte sie jemand gerufen? Aber wer sollte sie rufen, es war niemand da. Annabel. Sie rannte zum Fenster. Vielleicht einer ihrer Freunde. Langsam zog sie die Gardine beiseite. Keiner zu sehen. Wollte sie hier jemand verarschen? Plötzlich begann ihr der Kopf zu brummen. Annabel... Annabel... Annabel... Ein starkes Stechen schoß durch ihr Gehirn. Sie mußte sich setzen. Annabel. Du warst ein böses Mädchen. Du wolltest uns zerstören. Warum hast du das getan? Voller Angst vernahm sie die Stimme. Etwas war anders als früher. Während sie sonst immer nur ein Gewirr von Stimmen gehört hatte, sprach jetzt jemand mit ihr. Sie hörte genau hin. Ruhe. Nichts. Gar nichts. Nicht einmal mehr das Brummen. Annabel beruhigte sich wieder etwas. Ein lautes gehässiges Lachen ließ sie zusammenfahren. Dummes Kind. Hast Du geglaubt, du wirst uns so schnell los? Deine komischen Tabletten helfen Dir vielleicht für kurze Zeit, aber verschwinden werden wir nie. Das war jetzt eine Frauenstimme. Im Hintergrund hörte sie ein Kind weinen. Sie konnte nicht unterscheiden, ob das Kind in Kopf weinte oder ein Kind auf der Straße.
„Was wollt Ihr von mir. Scheiße, laßt mich in Ruhe. Was hab ich denn getan? Laßt mich in Ruhe. Verschwindet!“
Wieder das Lachen. Das Weinen des Kindes. Immer lauter. Immer schriller. Sie hielt sich die Ohren zu. Tränen liefen ihre Wangen runter.
Wir sind ein Teil von Dir. Wir sind Du. Du bist wir.
„Nein!“, schrie Annabel. „Geht weg von mir. Ihr gehört nicht zu mir.“
Doch die Stimmen in ihrem Kopf redeten immer weiter auf sie ein, mal lauter mal leiser. Sie schrien sie an, lachten sie aus, beschimpften sie. Annabel nahm nichts mehr um sich herum wahr. Nur noch die Stimmen in ihrem Kopf.

Als Annabels Mutter am Abend des nächsten Tages bei ihrer Tochter nach dem Rechten sehen wollte, fand sie Annabel völlig abwesend auf dem Teppich kniend vor. Ihr Gesicht war blutverschmiert und ihre einzige Reaktion war das ständige Vor- und Zurückwanken.

 

Hi!

Ich habe gerade deine Geschichte gelesen und muß sagen: Ich fand sie ganz gut. Allein dem Titel wegen habe ich hier mal reingeklickt. Mich hat das irgenwie an "Das Flüstern" von Goethes Erben erinnert. Aber egal. Mich persönlich interessieren Menschen mit psychischen Problemen und vor allem wo durch diese Entstehen. Deshalb hab ich mich an keiner Stelle gelangweilt und kann auch nichts weiter zur Schreibweise sagen, da ich mich diesbezüglich auch nur nach meinem Gefühl richte.

Genug des Schwafelns, zur Geschichte an sich: Ich hätte mir gewünscht etwas über diesen Auslöser zu erfahren, da das etwas Licht ins Dunkel gebracht hätte. Ich vermute daß das Weinen des Kindes darauf hindeutet, das der Auslöser in der Kindheit zu suchen ist. Liege ich da richtig? Das Ende hat durchaus einen gewissen Schockeffekt. Ging mir sogar ein bisschen nahe.

Na denn, Grüße!

 

hallo,

erst einmal vielen dank für den kommentar. schön, wenn dir die geschichte gefällt.
wie man sieht, beschäftige ich mcih auch viel mit psychischen problemen und auch fakten.
soweit ich weiß, gibt es für schizophrenie nicht unbedingt einen solchen auslöser. nee, das ist jetzt falsch gesagt. du meinst ja auch nciht den auslöser, sondern die ursache und die gibts in dem sinne nicht. also nicht, wer als kind geschlagen wurde oder so, wird schizophren. da spielen viele fakten eine rolle, die noch nciht alle hinreichend erforscht sind. teilweise geht man davon aus, daß auch vererbung eine rolle spielt, aber wohl auch dinge, die bei der geburt oder der frühesten kindheit passiert sind. aber nix genaues weiß man nicht.
vielleicht kann man auch deshalb keinen genauen auslöser für die krankheit ausmachen...
die wahrscheinlichkeit eines menschen im verlauf seines lebens an schizophrenie zu erkranken, wird auf ca. 1% geschätzt... nur so zur info.

ich wollte da nichts reininterpretieren, was wissenschaftlich nciht halbwegs hand und fuß hat. deshalb nichts genaueres über den auslöser oder die ursache.
manche dinge passieren (einem) einfach im leben...

gehabt euch wohl
b.

 

Hallo magd,
ich glaube, von solch einer Krankheit schon gehört zu haben. Körperliche Krankheiten kann man packen, psychisch machen so hilflos.
Den Titel fand ich sehr passen und er animiert zum Lesen.

Zur Geschichte selbst:
Für mich fehlte streckenweise die Atmosphäre.
Ein Beispiel:
--------
„Verdammt, haltet endlich die Fresse!“, schrie sie und schlug mit ihrer Stirn gegen die Wand. Erst leicht, dann immer stärker. Sie fühlte, wie etwas ihre Stirn hinunterlief. Es war warm – Blut. Doch noch immer waren die Stimmen da und ließen sich nicht vertreiben. Ein letztes Mal schlug sie heftig mit ihrem Kopf gegen die Fliesen, dann brach sie zusammen und weinte.
--------Hier fehlt mir völlig die Umgebung, die ich brauche, um in eine Geschichte einzutauchen. Wo ist sie? Welche Wand? Die Ärztin klärt das ja im Krankenhaus auf aber direkt in der Situation, wo ich die Information brauche ist sie nicht da:

Was mir außerdem fehlt ist der Grund für ihre Verzweiflung. Ich weiß zwar, daß sie Stimmen hört und dass es schlimm ist, aber das Mitfühlen fehlt.
Wie ist das, wenn die Stimmen kommen? Ist da erst die Stille und plötzlich ein Schrei, der völlig unerwartet kommt? Erschrickt sie und fährt zusammen? Denkt sie zunächst er käme aus einer Richtung oder ist er zentral in ihrem Hirn. Sind das klare Worte? Sind sie erst leise und schwellen dann an, bis sie jeden Gedanken überdecken und ihr eigenes Denken lähmen? Hat sie schmerzen? Weint sie?

Wenn die Handlungsorte wechseln, mag ich es, wenn vor einem Dialog mit einigen Worten die dortige Stimmung aufgebaut wird.
Ein Beispiel hierfür ist der Übergang von ihrem Zusammenbruch zum Aufwachen im Krankenhaus.
Die Panik, die zum Zusammenbruch geführt hatte, war bei mir noch da, als sie aufwachte und die Ärztin dann mit ihr sprach. Für mich lief das dann auch im Streß ab. Tatsächlich braucht das doch aber eine große Ruhe wenn jemand in einer solchen Situation ist.
Ich meine da ist es wichtig, wenn sie langsam die Augen öffnet, den warmen und gutmütigen Blick der Ärztin aufnimmt. Die stille im Raum und das leise Ticken einer Uhr. Warmes Licht fällt durch die Vorhänge.......

Ich habe oft Schwierigkeiten das auszudrücken, was ich sagen will. Darum sind meine Erklärungen wohl auch etwas lang und wirken durch die Beispiele schulmeisterlich.
Schau einfach darüber hinweg.

Einige Anmerkungen noch:
----------
was ihr von ihrem Gegenüber meist komische Blicke einhandelte
-----------"einhandelte" paßt hier irgendwie nicht.

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Nach einiger Zeit wurde da-S- dann immer häufiger und vor allem lauter.
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Wollte sie hier jemand verarschen?

„Verdammt, haltet endlich die Fresse!“
----------Ich weiß nicht recht, ob Umgangssprache so gut in eine Geschichte paßt.

Du hast da eine menge Wortwiederholungen drin. Vielleicht lassen sich dafür noch Synonyme finden oder Umschreibungen.

Das schöne am kritisieren ist, daß man es selbst nicht besser können muß!:D :D

Liebe Grüße
Manfred

 

Hallo Manfred,

danke für Deine Kommentare. Ich werde den Text bei Gelegenheit noch mal überarbeiten. Sicher hast Du in den meisten Punkten recht und ich werde sehen, was sich machen läßt. Das mit der Umgangssprache... Sie ist ein ganz normaler Mensch, auch wenn sie krank ist und benutzt natürlich die Umgangssprache. Wenn Dich etwas tierisch nervt, ja fast kaputt macht, sprichst Du auch anders, oder?
Ach ja, und was mir als erstes zu Deiner Bemerkung wegen des Aufwachens im Krankenhaus einfiel, war: Du warst wohl noch nciht oft im Krankenhaus, oder? ;)Als ich bei meinen Krankenhausaufenthalten am Morgen aufgewacht bin, war da nix mit Ruhe. Da gehts rund im Krankenhaus...Aber gut, ich hab verstanden, worum es Dir ging... :)
Ich versuch mein Bestes.

Nochmals danke!

B.

 

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