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Stimmen
Stimmen
Stimmen sind die wahrlich feste Voraussetzung eines jeden Gesprächs. Ohne Stimme wäre eine verbale Konversation unmöglich. Interessen- und Gedankenaustausch, Erlebnisschilderung oder Berichte wären gänzlich im Bereich des Nicht-Möglichen. So auch hier, in dieser Erzählung.
Nicht dieses Geräusch. Bitte nicht dieses. Vogelgesang, Gitarrengeschrei, das Gedröhne eines Presslufthammers; alles. Aber nicht dieses Geräusch. Jeden Morgen diese verachtete Routine aus piepsenden, schrillen Tönen.
Unsanft riss es ihn aus dem Schlaf. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war die blanke Qual, gemischt mit ein wenig kalter Wut. Ein Blick zur Uhr: 7:15 Uhr. Übellaunig stöhnend schwang er sich auf, rieb sich verzweifelt den Schlaf aus den Augen. — Hoffnungslos, die Müdigkeit war stärker als sein verzweifeltes Reiben. Taumelnd machte er sich auf den Weg zur Kaffeemaschine, die noch immer warmen Kaffee enthielt. Eine Hand griff nach einer alten, abgewetzten Tasse, die mit ihrem Antlitz ihre Ansprüche auf eine Reinigung geltend machte. Doch ihre Rechte blieben ungeachtet, abermals wurde sie mit heißem, billigem Kaffee aufgefüllt, nur um in wenigen Zügen wieder geleert zu werden. Auffüllen, leeren, auffüllen, leeren... Routine. Routine, wohin man schaut.
Der allmorgendliche Gang zur Toilette. Der verarbeitete Kaffee drang nun nach Freiheit; wollte entlassen werden, aus diesem engen, stickigen, stinkenden Gefängnis. Des Kaffees Wunsch fand Erfüllung. Noch ein letztes Mal wurde er durchgeschüttelt durch den taumelnden Gang des Wärters. Jetzt tat sich eine Öffnung im Gefängnis frei: Der Kaffee begab sich auf seine letzte Reise. Ein Rauschen und sie war vorbei. Ein Rauschen...
Nach einigen Minuten waren drei Tassen dampfenden Kaffees geleert. Der Kaffeekonsument warf sich seinen zerflissenen Mantel über, griff nach den Schlüsseln, verließ das Haus.
Kälte schlug ihm entgegen, legte sich über ihn, wie eine schwere Decke. Die Kälte umschloss seinen Körper. Er sah seinen Atem, hörte im Inneren seines Kopfes einen rasselnden Atemzug. Angewidert schloss er die Augen um sich in seinem Ekel wohnhaft zu machen.
Weiße blendete seine empfindlichen Augen, als er sie wieder öffnete. Glitzernde Weiße, allgegenwärtig. Sie bedeckte die Straße, die Häuser, die Wagen am Straßenrand. Legte sich auf die Erde wie eine neue Schicht, verdeckte jede Farbe. Nur Licht und Schatten projezierten Bilder in seine Netzhaut.
Gestalten in braunen Mänteln eilten über die Gehwege. Fremde Gestalten, widerwertige Gestalten. Sie kamen ihm entgegen, liefen an ihm vorüber, rempelten ihn an. Manche hoben ihre Häupter; blickten ihm in die Augen. Viele von ihnen verzogen ihr Gesicht zu einer grotesken Grimasse, öffneten und schlossen ihre Münder wieder.
Spott. Sie verspotteten ihn. Sie ärgerten ihn. Immer wenn sich ihre Münder öffneten hörte er eine Stimme. „Abschaum! Du bist Abschaum! Verschwinde! Verschwinde aus meinem Horizont!“. Nur dies sagten sie zu ihm. Keine freundlichen Worte, immer dies. Und dieser Schmerz, den diese Worte, den diese Stimmen auslösten. Unfassbarer, allesergreifender Schmerz. Qualen. Verderben. Elend. All dies wünschten sie ihm. Warum er? Weshalb war er die Zielscheibe ihrer Aggressionen? Schmerzen, unerträgliche Schmerzen...
Der Campus. Ein vertrauter, fast heimischer Ort. Und dennoch hatte er einen unaussprechlichen Hass auf diesen Ort. Dieser Ort, mit all den gemeinen Menschen, immerzu Fratzen ziehend, ihn verspottend, ihn verachtend.
Auch hier Mäntel so weit das Auge reicht. Doch nicht dieses alltägliche, billige Grau. Nein, teures schwarzes Leder, hie und da auch wertvolle Seide. Auch braunes Wildleder, geziert mit Haarbüscheln an den Kapuzen, war hier zu erblicken. Und jeder Einzelne hob sein Haupt um ihm eine Fratze entgegenzuschleudern. Immer diese hasserfüllten Worte, diese verspottenden Blicke, diese Gemeinheiten. Überall auf dem Gelände diese Gestalten, diese Ausgeburten des Bösen. Überall Fratzen, Hohn, Hass... Überall Stimmen. Viele, laute, zornige Stimmen. Voller Zynismus, voller Sarkasmus, voll von Verachtung.
Die Stimmen hoben zu einem lauten Getöse an. Einem Hassgeschrei, Verachtungsausbrüchen, wütende Schreie. ... Schmerz. Er hob die Hände zu seinen Ohren um den Schall abdzudämpfen. Doch er wusste, welche Utopie dieser Versuch mit sich brachte. Kaum verdeckten seine von Handschuhen verhüllten Hände seine Ohrmuscheln, wurden die Stimmen, die Schreie, die Beleidigungen lauter, untermalt von einem leisen Rauschen. Einem Rauschen...
Ein stummer Schrei entfuhr seinen Lippen, das Gesicht schmerzverzerrt; die Hände wanderten zu seinem Kopf, umschlungen ihn, versuchten den Schmerz zu lindern. Den Schmerz... und das Rauschen...
Die Bibliothek war ein angenehmer Ort. Wohltuend, freundlich. Er zog gezielt Bücher aus den Regalen, suchte sich eine abgelegene Ecke, begann im Dunkel zu lesen. Buchstaben. Nur Buchstaben. Keine Gestalten, keine Verwünschungen, keine Stimmen, keine Schmerzen. Buchstaben. Und ein ganz leises Rauschen, ab und zu unterbrochen vom Schluckgeräusch seines Speichels.
Dies war seine Welt. Die Welt aus Buchstaben, aus Wörtern, aus manifestierter Weisheit. In vielen Büchern hatte er erfahren, dass Zynismus moralisch nicht vertretbar sei. Welch unglaublicher Schwachfug. Zynismus war für ihn die einzig richtige, die einzig wirkliche Einstellung um sich diese Welt zu betrachten. All diese Menschen, die moralisch und ethisch so unbeschollten waren, diese Gestalten der Moderne, dieser absurden Gesellschaft, die sich an wertlose Grundsätze, Werte und Gesetze klammerten. Sie lebten in einer Scheinwelt. Bald würden sie bemerken, was diese wert war. Wie sicher sie doch wirklich war. Sie würde zusammenbrechen, sich über ihnen ergießen, sie erdrücken, sie in ihrer pseudo-realen Unverwundbar- und Unantastbarkeit ersticken. Sie würde sie durchkauen und wieder ausspucken. Dieses unglaublich naive Pack wertlosen Gesindels. SIE waren ohnehin der Grund seines Leidens, SIE waren es, die ihn pisackten, SIE drangsalierten ihn. SIE waren die Schuldigen. Und bald würde ihre gerechte Strafe sie ereilen.
Sein Herz pochte in blanker Rage, pochte unaufhörlich, das Blut rauschte durch seine Ohren. Es rauschte...
Etwas rührte sich in ihm. Etwas Scheußliches. Die Routine. Er besah sich das Zifferblatt seiner Armbanduhr. Es war Zeit für den Hörsaal.
Wie er diese Räumlichkeiten verachtete. Dieses viele Licht, diese vielen Gestalten. Dieser abscheuliche Ort. Und dennoch begab er sich dorthin. Er schwang die Türen auf, blickte auf die wartenden Gestalten, stahl sich zu einem Platz weit weg von den seltsamen Gestalten, die auf den größten aller Peiniger warteten. Wie sie ihn verehrten, gar vergötterten. Diesen alten Sack voll Scheiße.
Sie neigten sich die Köpfe zu, zeigten mit Fingern auf ihn. Wieder diese Fratzen, wieder diese Stimmen. Diese schreienden, anklagenden Stimmen. Diese furchtbaren lauten, schmerzenden Stimmen.
Sein Kopf pulsierte unter den Pulsschlägen seines Herzens. Das Blut rauschte durch seine Arterien. Es rauschte...
Und da kam er: Die absolute Inkarnation des absoluten Grauens. Mit seiner dicken Brille, die seine Augen um ein Vielfaches vergrößerten, seinem üblichen schwarzen Anzug, mit den güldenen Knöpfen und Zierungen. Seiner geschniegelten Frisur, diesem lächerlichen Scheitel. Seinen langgliedrigen Fingern, mit denen er immerzu an einer Taschenuhr herumspielte, wie ein hyperaktives Kleinkind. Seine Eltern hätten ihn auf Ritalin setzen sollen, dann wäre der Schleimbolzen wenigstens nicht so aufdringlich gewesen. Bei ihm half selbst seine stärkste Waffe gegen seine Peiniger nicht: Indolenz und Ignoranz, gepaart und todbringend für die Provokationen dieser seltsamen Gestalten. Um sich sein Antlitz zu ersparen, zog er sich die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht. Schwärze umgab nun seine visuelle Wahrnehmung. Alles, was er wahrnahm, war dieses penetrante Rauschen in seinen Ohren. Dieses Rauschen...
Er schwebte auf einer angenehmen, stillen Wolke dahin, abgeschirmt von den Drangsalierungen der Gestalten. Völlig frei, nur er. Einfach Zufriedenheit, nein, Frieden erfüllte sein Inneres. Unglaublich euphorisch begann er zu Grinsen. Ein Grinsen, geboren aus wahrer Freude. Doch dann drangen Tränen in seine Augen. Tränen der Trauer und der Verzweiflung. Niemals würde das Geschehen, niemals würde er auf dieser Wolke sitzen, niemals hätte er Ruhe, niemals wäre er in diesem Utopia. Und dann überflutete ihn Licht. Er schlug die Augen auf und blickte in die groteskeste aller Fratzen. Der Großpeiniger verspottete ihn wieder. Doch diesmal war es schrecklicher, grauenvoller als je zuvor. Es glich einer wahrgewordenen Nachtmahr. Und dann brach ein Trommelfeuer aus Stimmen in seinem Kopf los:
Laute Schreie, mörderische Schreie:
„Du bist es nicht würdig zu Leben! Alleine, wie du vor dich hinvegetierst, beraubt deine Existenz jeder Legitimation des Seins! Verschwinde! Geh sterben! Scheide schmerzvoll aus diesem Sein!“
Warum sagte er ihm das? Diese Stimme war der blanke Hass. Pure Verachtung, völlig Grundlos.
Die anderen Gestalten begannen Grimassen zu schneiden. Sie rissen ihre Münder weit auf, zeigten sich windend mit dem Finger auf ihn. Der Lärm war nun dem von Artilleriefeuer zu vergleichen. Seine Hände wanderten automatisch zu seinem scherzenden Kopf, umschlangen ihn, pressten ihn. Der Schmerz war schlimmer denn je. Ein für ihn unhörbares Schreien drang aus seinem Hals, die Schmerzen wurden stetig schlimmer, die Fratzen unaufhörlich grotesker, das Getöse immer lauter. Sein Herz drohte zu platzen unter dessen wilden Schlägen, seine Adern waren bis aufs Äußerste geweitet und das Rauschen untermalte all seine Empfindung. Dieses laute Rauschen...
Und ebenso plötzlich, wie die Qual begonnen hatte, endete sie auch wieder. Er bemerkte, wie sein Körper langsam vom Stuhl glitt, spürte den Aufschlag auf den harten Boden; hielt noch immer seine Hände schützend um seinen Kopf. Er öffnete noch einmal seine tränengetränkten Augen und sah noch einmal dieses grelle Licht, bevor er ins Dunkel schwand. Alles entzog sich seiner Wahrnehmung: die Stimmen, der Schmerz, der Lärm, die Peiniger. Alles, bis auf dieses Rauschen und das dumpfe Schlagen seines Herzens.
Als er seine Augen wieder aufschlug sah er nur Schwärze, das absolute Dunkel. Er betastete seine Ruhestätte und befand sie für ein Bett. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Er schloss, dass er in einem Krankeshaus war. Es roch abstoßend steril, nach Alter, nach Verderben und Elend; nach nahendem Tod. Seine Sinne nahmen langsam ihre Arbeit wieder auf, als er sich aufsetzte und nach seinen Schuhen suchte. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es fast Nacht war. Es tönten keine Geräusche durch den Gang, es war absolut ruhig. Abgesehen von diesem unaufhörlichen Rauschen. Er öffnete die Tür einen Spalt breit, gerade groß genug, um den Flur überblicken zu können. Die Nachtlampen strahlten schwaches Licht aus, im Pflegerzimmer brannte helles Licht. Der Boden war grün, PVC dem Anschein nach und schon stark verblasst. Wieder auf seinem Bett sitzend bemerkte er ein Tablett mit Essen auf seinem Nachtschrank. Fürwahr, Hunger zermürbte ihn fast. Schlingend nahm er das karge Mahl zu sich. Er hörte nur seine Schluckgeräusche, das seltsam matschende Geräusch seiner kauenden Kiefer, die aufeinandertreffenden Zähne. Das Messer senkte sich mit jedem Ruck tiefer in das Fleisch, das er bekommen hatte. Mit wenigen schnellen Zügen war es durchtrennt. Die Zähne des Messers teilten das Fleisch. Diese Ästhetik, die diese Bewegung mit sich brachte... diese unfassbare Schönheit. Das Besteck fiel zu Boden, die Tür öffnete sich und er stahl sich über den Flur. Seine Schritte hatten eine unglaubliche Zielstrebigkeit, führten ihn genau dahin wo er hin wollte: zur Küche. Er war noch nie in diesem Gebäude gewesen, doch er wusste, wo die Küche war.
Leise wurde die Küchentür geöffnet. Er ging gezielt durch die vielen Regale, Tische und Arbeitsplatten hindurch, direkt auf die Messersammlung zu. Er besah sich die Wand, an denen die vielen verscheidenen Messer hingen. Welche Vielfalt von Größe und Kurven, von Zähnen und Beschaffenheit, von Stärke und Griffverarbeitung. Und da war es: das eine Messer, das schönste, größte, wunderbarste aller Messer. Er griff zu. Langsam ließ er seinen Daumen über die Klinge streichen, ohne jeden Druck. Welche Wärme dieses gehärtete Stahl ausstrahlte, welche Freude gebraucht zu werden. Staub bedeckte es. Es war schon viel zu lange nicht mehr benutzt worden. Genüsslich schloss er die Augen und fuhr stärker über die Klinge. Scharf sog er Luft in seine Lunge. Die Klinge hatte seine Haut durchtrennt. Welch wohliges Gefühl. Langsam treufelte Blut aus seinem Daumen, schmückte die Klinge mit einem unglaublichen Rot. Es war dieser Moment, der ihn alles vergessen ließ. Dieser ekstatische, eine Moment, in dem er einen Freund gefunden hatte. Er befand das Messer für eine Sie. Nur ein weibliches Wesen konnte solch eine Mischung aus Schöhnheit und Kraft in sich tragen. Er führte die Klinge an seiner Wange und seinen Lippen entlang, küsste sie, rieb den Griff, streichelte die Schneide. Und dann kam der Moment des Erkennens: Dieses Messer war eine Offenbarung. Es würde sein Schicksal verändern. Es würde allem ein Ende setzen. Euphorisch rauschte nun das Blut in seinen Ohren. Ein euphorisches Rauschen...
Der weiße Schnee des Morgens wirkte nun im orangenen Straßenlicht schmutzig. Hässlich für die pauschale Gesellschaft. Grimmige Genugtuung erfüllte ihn, als er sich die Enttäuschung dieses Gesindels vor Augen führte. Noch immer trug er das Nachthemd aus dem Krankenhaus, die Pantoffeln waren wasserdurchweicht und eiskalt an seinen Füßen, doch es kümmerte ihn nicht. Auch sein rasselnder Atem störte ihn nicht. Er hatte ein Ziel; eine Bestimmung. Er lief geradewegs zum Campus.
Der nächtliche Campus war eine völlig andere Welt. Er war schön anzusehen, so ruhig, so verlassen, so friedlich. Die Universität war nun geschlossen, doch es brannte noch Licht. Lehrer und Putzfrauen gingen ihren Beschäftigungen nach. Die Hintertür war nicht versperrt. Ein verworrener Weg führte durch den Heizungsraum, das Getränkelager und die Putzkammer, bis ins Innere der Fakultät. Auch hier schien nur ein Nachtlicht. — Schönes Halbdunkel. — Lautlos schritt er nun auf den Hörsaal zu. Eine Tür stand offen. Dunkles Dämmerlicht erfüllte den verhassten Hörsaal. Unter der Tür zum Vorbereitungsraum des Lehrers schien Licht hindurch. Mit einem vergnügten Lächeln trat er darauf zu und öffnete sie.
Er blickte in das verwirrte Gesicht des Großpeinigers, der soeben das Licht ausgeschaltet hatte und nun von hinten mit Mondlicht beschienen wurde. Perplex betrachtete er ihn, besah sich das Nachthemd, die aufgeweichten Pantoffeln, das lächelnde Gesicht, doch sein Blick blieb an der blutenden Hand haften. Er riss seine Augen von der Hand und starrte genau in die Augen von ihm. Der Meister der Peinigung öffnete seinen Mund. Doch die Stimme war nicht hasserfüllt, nicht verächtlich, auch nicht höhnisch und frei jeder Häme. Nein, sie war ruhig, zufrieden, sogar glücklich.
„Nun wird es enden, es ist vorbei. Alles hat ein Ende. Die Stimmen werden verstummen.“
Noch ehe der Großpeiniger realisierte, was vor sich ging, wurde er gestoßen und die Schwerkraft machte ihre Rechte auf dessen Körpermasse geltend. Als er aufschlug traf ihn das Messer, das geliebte Messer. Es bohrte sich durch seinen Leib; bohrte sich durch Haut, Muskeln und Knochen. Die Stimme lachte befriedigt, genoss die Messerstiche. Wieder und wieder versank die Klinge im Leib des Lehrers. Jedes Mal, wenn er das Messer aus dem gepeinigten Körper zog, haftete das rötliche, schuldige Blut des Großpeinigers daran, lief die Klinge herab, sammelte sich an dessen Spitze und löste sich von der Schneide. Es bildete perfekte Kugeln aus schuldigem Blut, auf dem sich das Mondlicht reflektierte und an die Wand zurückgeworfen wurde. Welch wunderbares Schauspiel aus Licht und Schatten. Perfekte Schönheit. Absolute Befriedigung. Die Stimmen erstarben, das Rauschen versiegte. Es hatte ein Ende gefunden. Der Großpeiniger ward gestraft. Seine Bestimmung war erfüllt. Und dann hörte er etwas Neues, etwas Unbekanntes: Stille. Absolute, unerklärliche Stille. Dann seinen eigenen, zufriedenen Atem, das Tropfen des Blutes, die letzten Atemzüge der Inkarnation des Elends. Es hatte ein Ende gefunden. Endlich. Endlich Ruhe.
Dieser Augenblick durfte nicht Enden, er durfte nie Vergehen. In voller Glückseligkeit hob er seine geliebte Klinge, sog noch ein letztes Mal genüsslich Luft in seine Lungenflügel und ließ das Messer in seinen Körper fahren. Direkt in sein lebensmüdes, aber letztendlich vollauf befriedigtes Herz. Sein eigenes, reines Blut schoss aus seinem Körper. In Ekstase schrieb er letzte Wörter mit seinem Blut an die Wand. Es war zu Ende.
Dunkelheit umkam ihn, seine Lider wurden schwer. Das Leben floss aus seinem Körper. Das Rauschen verschwand, die Stimmen hatten nun endlich ihren allerletzten Laut gesprochen. Ein Atemzug, ein Lachen. Stille.
Am nächsten Morgen, als man die beiden Leichen entdeckte, fand man diese Wörter an der Wand:
„Die völlige Isolation von der Gesellschaft findet man nur in absoluter Desintegration. Dies war mein Leben, ihr habt mich verspottet; dies ist der Dank. Lebt wohl, ihr wertloses Gesindel!“