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Stillstand

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06.03.2016
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Stillstand

Manchmal wollte sich Josef in seinen Koffer setzen und warten, bis man ihn auf die Post brachte. Er hätte noch eine Weile in der Dunkelheit verharrt, wie ein Kind geschlafen, hätte dann drüben, am anderen Ende der Welt, die verklebten Augen geöffnet, mühsam die fremde Sprache erlernt. Aber so wird man kein neuer Mensch. Manchmal wollte er sich die Vergangenheit einfach rausschneiden.

Wenn Zucker in seine Tasse rieselte, sah er sie im Hochzeitskleid, kam eins zum andern, stand sie plötzlich da in Gelb und ihr Parfüm brennt sich im Zug nach Barcelona die Nase hoch. „Es ist nicht zu viel“, beteuert er zweimal und unterdrückt ein Niesen, bis er es selbst glaubt. Der Duft nach Rosen in seinem Kopf und in ihrem Garten tropft der Regen gläsern zu Boden. Kristalle sind die Ohrläppchen, Rosen die Lippen, sein Leben mit ihr ein zu kurzer Film, dessen Ende nicht passt. Wenn Josef das Haus betritt, wenn er in den Spiegel schaut und sie ist nicht da, ja, wenn er sich nur Zucker nimmt, dann drückt er auf Play. Am Ende des Films ist er einsam. Josef starrt in den Tee. Nie hätte sie gehen dürfen. Nie wird er ihr folgen können.

Irgendwann: Aus den Lautsprechern der U-Bahn nehmen ihn zwei Geigen an die Hand. Sacht wiegen die dünnen Töne sich auf, schlagen über in Vollkommenheit, sind Stärke, bleiben, hängen, stürzen dann, brechen ein in stille Klage, tanzen trauernd weiter. Das Säuseln der Geigen legt sich auf seine Haut, warmer Atem entweicht ihm, zergeht. Ist er das – sein Moment? Mit einem Fuß auf der Grenzlinie registriert er das jämmerliche Sterben der Geigen. Das Poltern der Ferne stellt Abfahrt in Aussicht. Er zögert, wartet. Eine Träne löst sich, zieht sich übers Gesicht. Es ist nur ein Schritt und ... von irgendwo hält es ihn zurück: das Nein, nein, nein. Der Zug rauscht durch. Josef wendet sich vom Gleis ab, sieht in die erschrockenen Augen einer jungen Frau, die ihn festhalten wollen und nie loslassen werden. Er streicht sich das Salz aus den Augen.

Erschöpft legt er sich schlafen, aber seine Hände zittern, als er wieder in den Nebel steigt, der durch seine Poren dringt, hinein in den Kopf und dort pulsiert und drückt und pulsiert. Als er den Schritt in ihr Zimmer wagt, sich dem Schatten stellt, der ihn verfolgt, ihm auf dem Marktplatz auf die Schulter klopft, dann, wenn er sich gerade fürs Glück entscheidet, und sagt: „Wie geht´s?“ Und das Wie geht´s kommt voller Mitleid und der Hohn, den ihm das Schicksal dann ins Gesicht speit, ist kaum zu schlucken. Und dann würgt er sich Kaffee oder Tee hinunter – bloß keinen O-Saft, nach dem war sie süchtig – und nach zahlreichen Achs und unterdrückten Tränen, geht der Freund und Josef geht nach Haus, stürzt das Nein von sich fort und nichts außer das Nein kommt zurück, denn es interessiert das Schicksal nicht, ob du Nein rufst. Ein andermal sitzt er in der Bibliothek, nicht um zu lesen, nur um zu sitzen. Und dann ist sie da, sie, mit dem glänzenden Haar, das herabfließt wie Gold, den schmalen Schultern, die brechen, beschützt man sie nicht. Und instinktiv will Josef zu ihr, will Hallo sagen, doch instinktiv hält er sich zurück, weiß, zögert. „Nein“, schießt es ihm durch den Kopf und das Echo pocht ihm gegen die Stirn, das sich immer und immer wiederholende Nein, Nein, Nein macht ihn ganz benommen und dann geht er, tippt ihr auf die Schulter. Braune Augen sehen ihn an. Ja? Es sind die falschen Braunen. Er bringt kein Wort heraus, Schockstarre und sie weiß nicht, wer er ist und was er will und „Alles in Ordnung mit Ihnen?“. Als er nichts sagt, geht sie weg. Nun betritt er den Raum und es ist fast so, als ob ihr Körper noch daliegt, sich der Brustkorb noch hebt, den Herzschlag im Maestoso umspielt. Und dann liegt sie mit Haut da, die trieft wie von Fett, die stinkt wie Fleisch, das verwest in der Hitze. Er sieht, wie das Maestoso zu einem Ritardando verebbt, langsam verstummt, hebt sich, hält aus, senkt sich, verharrt, hebt sich nur halb, senkt sich, steht still, steht still, steht still. Das Schreckgespenst in seinem Kopf. Er hat den Raum betreten und es ist ihrer. Ihr Raum, wie er sich seit einem Jahr Nacht für Nacht aufdrängt in Josefs Schädel, sich dort eingenistet, ja gezeugt und vermehrt hat seit dem Tag X. Das Wird sie es schaffen? hatte er nicht über die Lippen gebracht und nur leer vor sich hingestarrt. Und der Arzt hatte gezögert, in seinem Blick aber lag das Nein. Und dieses Nein war ein Nein, kein Vielleicht, keins mit aber. Es war ein Nein und sein Echo, das Nein, Nein, Nein pochte noch immer gegen Josefs Schädel. Sein Koffer war ein Sarg. Der Deckel war zu schwer für ihn.

 

Hallo Wortliese!

Herzlich willkommen bei den Wortkriegern!

Ich fange mal mit dem an, was mich stört und ziehe dann mein Fazit!


Er hätte noch eine Weile in der Dunkelheit verharrt, wie ein Kind geschlafen, hätte dann drüben, am anderen Ende der Welt, die verklebten Augen geöffnet, mühsam die fremde Sprache erlernt.

Dieser Satz ist für meine Begriffe zu verschachtelt. Daraus kannst du zwei machen. Dann ists sinniger.


Erschöpft legt er sich schlafen, aber seine Hände zittern, als er wieder in den Nebel steigt, der durch seine Poren dringt, hinein in den Kopf und dort pulsiert und drückt und pulsiert.

Hier wird einmal zuviel "pulsiert". :lol:


Und dann würgt er sich Kaffee oder Tee hinunter – bloß keinen O-Saft, nach dem war sie süchtig – und nach zahlreichen Achs und unterdrückten Tränen, geht der Freund und Josef geht nach Haus, stürzt das Nein von sich fort und nichts außer das Nein kommt zurück, denn es interessiert das Schicksal nicht, ob du Nein rufst.

Der Satz ist viiiiel zu lang. Den versteht man gar nicht, weil der so verschachtelt ist.


Jetzt zum Fazit:

Ich persönlich finde den Text sehr schwer zu lesen. Gerade der letzte Abschnitt ist der schwerste, weil er straff und ohne Unterbrechung runter geschrieben ist. Alles in Allem kann ich dem Plot nicht ganz folgen und vermisse irgendeinen Hinweis, worum es geht.
Warum Josef so depri ist, kann man sich auch nur um drei Ecken denken: Seine Frau ist tot.
Ich, als Leser, würde darauf mit "Ja und? Mir egal." Grund: Ich kann mich kein bisschen in die Gefühle von Josef hinein denken. Du springst mir zu sehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Auf Spannung kannst du bei dem Text natürlich verzichten. Aber mir ist es zu verwirrend, wie schon gesagt.
Ich würde dir empfehlen, den Text gründlich zu bearbeiten. Gerade die Struktur lässt zu wünschen übrig.


LG

Betze

 
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Hallo Wortliese,

hast du den Text überarbeitet, bevor du ihn hier eingestellt hast? Er wirkt auf mich wie ein Fluss von Gedanken, der in einem Zug heruntergeschrieben wurde. Und ich finde, da sind einige nicht nachvollziehbare Gedankensprünge drin, deshalb meine Frage nach der Überarbeitung.

Im Allgemeinen muss ich sagen, dass ich viele Dinge im Text nicht verstanden habe. Er erscheint mir sehr wirr. Ich hab meine Gedanken dazu mal zusammengeschrieben. Hoffe es hilft dir, zu verstehen, wie Leser den Text verstehen bzw. nicht verstehen.

Manchmal wollte sich Josef in seinen Koffer setzen und warten, bis man ihn auf die Post brachte. Er hätte noch eine Weile in der Dunkelheit verharrt, wie ein Kind geschlafen, hätte dann drüben, am anderen Ende der Welt, die verklebten Augen geöffnet, mühsam die fremde Sprache erlernt. Aber so wird man kein neuer Mensch. Manchmal wollte er sich die Vergangenheit einfach rausschneiden.

Wenn Zucker in seine Tasse rieselte, sah er sie im Hochzeitskleid, kam eins zum andern, stand sie plötzlich da in Gelb und ihr Parfüm brennt sich im Zug nach Barcelona die Nase hoch.

Du wechselst hier die Zeiten, plötzlich kommt das Präsens. Ich finde das etwas merkwürdig. Warum machst du das?

Wenn Zucker in seine Tasse rieselte, sah er sie im Hochzeitskleid, kam eins zum andern, stand sie plötzlich da in Gelb und ihr Parfüm brennt sich im Zug nach Barcelona die Nase hoch. „Es ist nicht zu viel“, beteuert er zweimal und unterdrückt ein Niesen, bis er es selbst glaubt. Der Duft nach Rosen in seinem Kopf und in ihrem Garten tropft der Regen gläsern zu Boden. Kristalle sind die Ohrläppchen, Rosen die Lippen, sein Leben mit ihr ein zu kurzer Film, dessen Ende nicht passt. Wenn Josef das Haus betritt, wenn er in den Spiegel schaut und sie ist nicht da, ja, wenn er sich nur Zucker nimmt, dann drückt er auf Play. Am Ende des Films ist er einsam. Josef starrt in den Tee. Nie hätte sie gehen dürfen. Nie wird er ihr folgen können.
Hier ist einer der Gedankensprünge, die ich eingangs erwähnte. Eben ist Josef noch im Zug nach Barcelona, dann betritt er das Haus. Wenn das eine Rückblende sein soll, dann solltest du die Zeiten wechseln oder das irgendwie ankündigen

Als er den Schritt in ihr Zimmer wagt, sich dem Schatten stellt, der ihn verfolgt, ihm auf dem Marktplatz auf die Schulter klopft, dann, wenn er sich gerade fürs Glück entscheidet, und sagt: „Wie geht´s?“ Und das Wie geht´s kommt voller Mitleid und der Hohn, den ihm das Schicksal dann ins Gesicht speit, ist kaum zu schlucken. Und dann würgt er sich Kaffee oder Tee hinunter – bloß keinen O-Saft, nach dem war sie süchtig – und nach zahlreichen Achs und unterdrückten Tränen, geht der Freund und Josef geht nach Haus, stürzt das Nein von sich fort und nichts außer das Nein kommt zurück, denn es interessiert das Schicksal nicht, ob du Nein rufst.
Hier ein weiterer Sprung, den ich nicht nachvollziehen kann. Er betritt ihr Zimmer. Und dann ist da ein Freund, der wieder geht. Wo kam der denn her?

Ein andermal sitzt er in der Bibliothek, nicht um zu lesen, nur um zu sitzen. Und dann ist sie da, sie, mit dem glänzenden Haar, das herabfließt wie Gold, den schmalen Schultern, die brechen, beschützt man sie nicht. Und instinktiv will Josef zu ihr, will Hallo sagen, doch instinktiv hält er sich zurück, weiß, zögert.
Wenn er sie wirklich für seine verstorbene Frau halten würde, würde er dann wirklich nur Hallo sagen wollen? Er würde sie doch eher an sich reißen und sie umarmen und drücken und nie mehr los lassen wollen, oder?

Er sieht, wie das Maestoso zu einem Ritardando verebbt, langsam verstummt, hebt sich, hält aus, senkt sich, verharrt, hebt sich nur halb, senkt sich, steht still, steht still, steht still.
Hier muss ich passen. Die Wörter Maestoso und Ritardando habe ich noch nie gehört. Ist das Allgemeinwissen? Könnte sein, dass das anderen Lesern genauso geht. Und die Frage wäre dann: was willst du mit Wörtern erreichen, die vielleicht nicht viele Leute verstehen? Nur ein bestimmtes Publikum ansprechen?

Er hat den Raum betreten und es ist ihrer. Ihr Raum, wie er sich seit einem Jahr Nacht für Nacht aufdrängt in Josefs Schädel, sich dort eingenistet, ja gezeugt und vermehrt hat seit dem Tag X. Das Wird sie es schaffen? hatte er nicht über die Lippen gebracht und nur leer vor sich hingestarrt.
Diesen Gedankensprung kann ich wieder nicht nachvollziehen. Er betritt ihren Raum. D.h. ihr altes Zimmer? Und wo kommt dann der Arzt her, den er fragt? Oder betritt er ihre Zimmer im Krankenhaus? Aber sie ist doch schon tot.

Sein Koffer war ein Sarg. Der Deckel war zu schwer für ihn.
Hm, ich muss gestehen, dass ich das nicht verstehe.

 

Hallo Wortliese und Herzlich willkommen!

Hm, dein Text hat was - ich bin überrascht, das ich das so sehe. Betze und Henrik haben es eigentlich treffend beschrieben: er ist in der Tat schwer zu lesen, schwer verständlich, alles andere als griffig und sehr verschachtelt.
Aber dennoch finde ich deinen Text äußerst aussagekräftig, gerade wegen seiner Dichte, seinem Drang, der übersprudelt vor Aussagen und Emotionen, die viel zu groß und zu schwer sind, um sie geordnet und ruhig aussprechen zu können. Ich kann mir denken, was du mit dem Text sagen willst (oder glaube es zumindest!) und es gelingt dir, diese Aussage, zugegebener maßen schwer verpackt, zu äußern.
Wenn du die Absicht hattest, diese erdrückende, belastende, niederschmetternde Emotionalität genau so rüberzubringen, dann beglückwünsche ich dich dazu, denn das ist dir gelungen. Und wenn es sich hierbei quasi um ein "Zufallsprodukt" handeln sollte, dann freut es mich, dass dies dabei herausgekommen ist. Emotionen, insbesondere, wenn sie sehr persönlich und individuell sind, lassen sich ohnehin nur sehr schwer so beschreiben, wie man sie eben fühlt. Du kommst diesem Kunstgriff allerdings für meinen Geschmack recht nahe! Gut gemacht, mich hat die Geschichte beeindruckt, was ich nicht unbedingt vermutet habe.

Viele Grüße vom Eisenmann

P.S. Ich würde den Satz mit dem Arzt und dem Sarg vielleicht sogar noch rausstreichen - das eine ist zu erklärend, das andere zu pathetisch.

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen Dank für eure raschen Kommentare!

Ja, das stimmt, der Text ist ziemlich dicht, was wohl auch ein gewagtes Experiment ist.. Gerade aus der Sicht des Schreiberlinge fehlt natürlich die Distanz...

Absicht war tatsächlich, Josephs Gefühls- und Gesankenwirrwarr widerzuspiegeln. Daher auch der Titel Stillstand, nach dem Motto innerlich totales Chaos, äußerlich Unfähigkeit loszulassen sprich die Unfähigkeit weiterzugehen...

Dass das nicht durchweg rübergekommen ist, spricht zugegebenermaßen dann evt. für das Misslingen meines Experiments... Vielleicht kann ich den Text mit etwas mehr zeitlicher Distanz noch "entdichten"...

Zum Zeitsprung im 1. Abschnitt, wenn ich mich nicht täusche, müsste es sich eig. um den Wechsel vom Indikativ in den Konjunktiv 2 und zurück handeln, was ich inhaltlich passend fand.

Maestoso und Ritardando meinen majestätisch und verlangsamen, Begriffe aus der Musik, insofern Absicht, als ich dem Leben und Sterben etwas Musikalisches abgewinnen wollte. Ich fand es beim Schreiben ganz passend, freue mich aber über euer Feedback und werde es noch einmal überdenken... ☺

Danke also :)

Beste Grüße
Wortliese

 
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Manchmal wollte sich Josef in seinen Koffer setzen und warten, bis man ihn auf die Post brachte. Er hätte noch eine Weile in der Dunkelheit verharrt, wie ein Kind geschlafen, hätte dann drüben, am anderen Ende der Welt, die verklebten Augen geöffnet, mühsam die fremde Sprache erlernt. Aber so wird man kein neuer Mensch. Manchmal wollte er sich die Vergangenheit einfach rausschneiden.

Schon den Beginn fand ich toll, Wortliese, also fast toll. Ganz toll hätte ich ihn gefunden, wenn du statt „brachte“ den Konjunktiv II verwendet hättest (brächte oder bringen würde) und „noch eine Weile“ nicht dagestanden wäre. „Eine Weile“ als Zeitbegriff für eine Reise um die halbe Welt finde ich etwas albern.

Der Duft nach Rosen in seinem Kopf und in ihrem Garten tropft der Regen gläsern zu Boden.
Auch ein schönes Satzgebilde. Eine Ellipse, die dann in ein wahrlich poetisches Bild überleitet. Muss ich den Text kapieren? Scheiß drauf, bis jetzt gefällt er mir, trotz (wegen?) seiner Vieldeutigkeit.

Irgendwann: Aus den Lautsprechern der U-Bahn nehmen ihn zwei Geigen an die Hand. Sacht wiegen die dünnen Töne sich auf, schlagen über in Vollkommenheit, sind Stärke, bleiben, hängen, stürzen dann, brechen ein in stille Klage, tanzen trauernd weiter. Das Säuseln der Geigen legt sich auf seine Haut, warmer Atem entweicht ihm, zergeht. Ist er das – sein Moment? Mit einem Fuß auf der Grenzlinie registriert er das jämmerliche Sterben der Geigen. Das Poltern der Ferne stellt Abfahrt in Aussicht. Er zögert, wartet. Eine Träne löst sich, zieht sich übers Gesicht. Es ist nur ein Schritt und ... von irgendwo hält es ihn zurück: das Nein, nein, nein. Der Zug rauscht durch. Josef wendet sich vom Gleis ab, sieht in die erschrockenen Augen einer jungen Frau, die ihn festhalten wollen und nie loslassen werden. Er streicht sich das Salz aus den Augen.
Sehr, sehr schön. Schön langsam gewöhne ich mich an deinen zugegeben etwas artifiziellen Stil.

… hinein in den Kopf und dort pulsiert und drückt und pulsiert.
… und drückt und pulsiert und drückt …
Die Wiederholung passt hier für mein Gefühl perfekt.

„Nein“, schießt es ihm durch den Kopf und das Echo pocht ihm gegen die Stirn, das sich immer und immer wiederholende Nein, Nein, Nein macht ihn ganz benommen und dann geht er, tippt ihr auf die Schulter. Braune Augen sehen ihn an. Ja? Es sind die falschen Braunen
braunen, weil es sich adjektivisch auf die Augen bezieht. Es sind ja kein Pferde.
Die langen mit der Konjunktion und verbundenen Sätze haben was Atemloses, erzeugen beim Lesen einen ziemlichen Sog. Ja, das gefällt mir.

Nun betritt er den Raum und es ist fast so, als ob ihr Körper noch daliegt, sich der Brustkorb noch hebt, den Herzschlag im Maestoso umspielt.
Okay, jetzt werd ich pingelig, aber „als ob“ leitet einen irrealen Vergleichssatz ein. Dementsprechend müssten die Verben im Konj. II stehen. Ob das dann auch noch gut klingt? Keine Ahnung. Und keine Ahnung hab ich auch, was „Maestoso“ ist. Ein Begriff aus der Musiktheorie oder ein spanischer Kampfstier? Na egal.

Es war ein Nein und sein Echo, das Nein, Nein, Nein pochte noch immer gegen Josefs Schädel. Sein Koffer war ein Sarg. Der Deckel war zu schwer für ihn.
Der letzte Satz ist Murks, finde ich, vor allem wegen des Präteritums. Der Satz passt da überhaupt nicht hin. Na egal.

Der Text ist toll finde ich, also sprachlich sehr ansprechend, mitreißend irgendwie. Da steckt wahnsinnig viel Verzweiflung und Trauer in der Geschichte, und die spürt man als Leser auch, auch wenn man dafür den Text drei-, viermal lesen muss, langsam lesen muss. Man entdeckt dann immer mehr drin.
Erst hab ich geglaubt, das wäre so ein typischer Function follows Form-Text, so ein selbstgefälliges Spielen mit ungewöhnlichen Formuliereungen und ungewöhnlicher Syntax, einfach um der Ungewöhnlichkeit willen, aber beim mehrmaligen Lesen passt das dann eigentlich alles zusammen, und ja, die Zusasmmenhänge entschlüsseln sich auch mehr und mehr.
Nein, toll ist die Geschichte eigentlich nicht, eher schön. Schön poetisch, schön traurig. Ach, keine Ahnung.

Willkommen hier, Wortliese.

offshore

 

Danke, ernst offshore, ich werde mal zusehen, wie ich deine Tipps umsetzen kann :)

 

Hej Wortliese,

der erste Abschnitt ist derbe gut. Und deswegen störe ich mich persönlich an einen "zur Post gebrachten Koffer " und nicht zur Bahn oder Flughafen, obwohl ich schon ahne, dass ihn niemand mitnehmen würde.
Und am Ende des ersten Abschnitts hätte ich mir etwas anderes "Vergangenheit rausschneiden" gewünscht. Auch mehr poetisch oder abstrakt.

Nachdem ich mich auf den Stil eingelassen hatte, und das ging sehr schnell, habe ich das Lesen genossen. Die vielen Bilder zur persönlichen Tragödie sind toll.
Die Untermalung mit den musikalischen Fachbegriffen fasst bei mir leider nicht so gut, mangels Vorstellungsvermögen und so bin ich leicht raus aus dem tiefen Mitgefühl und seiner Not.

Und ist mir am Ende sehr sehr schwer ums Herz und ich merke nur, wie ich sagen möchte: reiss dich zusammen, Mann! :D

Gut transportierte Gefühlslage.

Viele Grüße, Kanji

 

Hallo Wortliese,

der Anfang hat was. Da merkte ich gleich, hier schreibt jemand, der ins Innere schauen kann. Manchmal fand ich das Lesen schwierig, musste immer wieder einen Satz von vorne anfangen. Sehr assoziativ halt. Deshalb konnte ich auch den Wechsel von Vergangenheitsformen und Gegenwart nicht immer gleich nachvollziehen. Ich will nicht sagen, es ist falsch, aber schwierig ist es schon für den Leser. Hast du den Text mal jemandem vorgelesen und die Wirkung beobachtet?

"Das Poltern der Ferne stellt Abfahrt in Aussicht."

Diesen Satz habe ich nicht verstanden. Ich glaube zu wissen, was damit gemeint ist. Ein Zug wird gleich einfahren. Der Stil dieses Satzes wirkt auf mich wie ein Fremdkörper. Expressionistisch inmitten eines impressionistisch anmutendem Gedankenstrom. Vielleicht hängt dein Herz an der Formulierung. Mich hat sie etwas aus dem Kontext geworfen.

Alles in allem: keine leichte Kost, aber für mich ist klar, dass ich wissen will, wie es mit dir und deinem Text hier bei den Wortkriegern ergehen wird.

Freundliche Grüße

wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wortliese

Eine sentimentale Achterbahnfahrt durch die Gefühlswelt eines um seine verstorbene Frau trauernden Mannes. Allerdings auch eine Wildwasserfahrt auf schlingernden Begrifflichkeiten die den Lesefluss arg strapazieren.
Nein, das ist noch nicht die Endfassung, die ich gerne lesen würde, denn die Geschichte liegt mir zu sehr hinter einer Milchglasscheibe, will sich nicht so richtig manifestieren in meinem Kopf. So nun aber genug der Sülzerei, hier die Fakten nach meiner Lesart:

Manchmal wollte sich Josef in seinen Koffer setzen und warten, bis man ihn auf die Post brachte.
Bereits von anderer Seite angemeckert. Besser wäre da doch Bahnhof/Flughafen

Manchmal wollte er sich die Vergangenheit einfach rausschneiden.
Hier kippt er das Baby mit dem Bad aus, nicht alles an der Vergangenheit ist zum Vergessen, oder?

Wenn Zucker in seine Tasse rieselte, sah er sie im Hochzeitskleid, kam eins zum andern, stand sie plötzlich da in Gelb und ihr Parfüm brennt sich im Zug nach Barcelona die Nase hoch.
Warum nicht im Präsens? Das ist doch eigentlich so ein Allgemeinplatz: [Jedes Mal] wenn Zucker in seine Tasse rieselt, sieht er sie ...

Nie hätte sie gehen dürfen. Nie wird er ihr folgen können.
Diesen Gedankengang verstehe ich nicht, im weiteren ist er ja nur einen Schritt davon entfernt.

Irgendwann: Aus den Lautsprechern der U-Bahn nehmen ihn zwei Geigen an die Hand.
der U-Bahnstation, denn so dachte ich erst, er befindet sich in einer U-Bahn.

Mit einem Fuß auf der Grenzlinie registriert er das jämmerliche Sterben der Geigen. Das Poltern der Ferne stellt Abfahrt in Aussicht.
Für mich ist das wie durchs Auge ins Knie geschossen, für meinen Geschmack etwas gar herbeigesucht. Man muss schon einen Moment überlegen, bis man das Poltern in der Ferne mit der Ausicht auf Abfahrt in Einklang bringt. (Wenn alles nach Fahrplan läuft und kein Personenunfall dazwischen kommt, dann fährt der Zug wohl weiter. ;))

Josef wendet sich vom Gleis ab, sieht in die erschrockenen Augen einer jungen Frau, die ihn festhalten wollen und nie loslassen werden.
Das holpert, die Augen halten Josef fest und dass sie ihn nie (mehr) loslassen werden wirkt recht pathetisch, eine Mutmassung, nichts weiter.

... denn es interessiert das Schicksal nicht, ob du Nein rufst.
[ABSATZ]
Ein andermal sitzt er in der Bibliothek, nicht um zu lesen, nur um zu sitzen.

Als er nichts sagt, geht sie weg. Nun betritt er den Raum und es ist fast so, als ob ihr Körper noch daliegt,
Ich habe grosse Mühe auseinander zu halten, was erlebt Josef real, was ist (Tag-)traum. Auch wenn ich glaube, du wolltest den Leser extra verwirren, so wird Josef für mich dennoch nicht erlebbar.

Sein Koffer war ein Sarg. Der Deckel war zu schwer für ihn.
Was willst du damit ausdrücken? Auch wenn, oder gerade weil ich das nicht verstehe, zerstört es mMn die Eindringlichkeit der letzten Neins, dieses Ausgeliefertsein vor der nackten Wahrheit. Das wäre für mich das bessere Ende.


Kurz gesagt, einige Formulierungen passen ganz gut, die Marktplatzszene und die verwechselten braunen Augen waren die Higlights, da konnte ich die Verlorenheit und Einsamkeit im Schmerz am besten spüren.
Ansonsten aber ist der Text relativ gefühlslastig und schwer zu lesen, was wohl deinem Experiment geschuldet ist. Nicht falsch verstehen, mir hat das schon gefallen, wie du Josefs Versuch der Trauerbewältigung in Worte packst, aber für mich bleibts eine gefühlschwangere Momentaufnahme mit Auflösung im Nichts, eine diffuse, aber rasch verblassende Traurigkeit hinterlassend.

Liebe Grüsse,
dot

(Tipp von den Mods: Verpasse deiner Geschichte noch ein oder zwei Stichworte ([Stichworte bearbeiten] ganz unten), das bewirkt, dass der Text nicht all zu schnell ans Ende der Beitragsliste wandert und in der Rubriksuche längere Zeit zu sehen ist. ;))

 

Hallo!

Ich bin neu hier und bitte deshalb darum, nicht böse zu sein, wenn ich eher die Gesamtwirkung des Textes auf mich veräußere und weniger auf Details eingehe. Ich hoffe, das ist okay. Vielleicht "lerne" ich es ja irgendwann, etwas dezidierter "reinzugehen"...

Also: Mir hat dieser Text sehr gut gefallen. Dieser relativ komprimierte Stil, der teilweise wunderschöne Ausflüge ins Künstlerische unternimmt, passt für meine Begriffe optimal zu der beschriebenen Situation. Ich bin sehr ergriffen!

LG

 

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