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Stille

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06.08.2002
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Stille

Stille

Stille. Diese wunderbare alldurchdringende Stille.
Ich sitze am Fenster, wippe in meinem bequemen Schaukelstuhl geruhsam und ausgeglichen nach vorne, nach hinten, nach vorne und wieder nach hinten...immer den Takt der großen Standuhr einhaltend, dessen Pendel dumpf von einer Seite zur anderen schlägt.
Verträumt blicke ich aus dem Fenster vor mir. Draußen weht ein strenger Wind, klappert an den Läden, wogt eng umschlungen mit den Bäumen ein ruhiges Ballett.
Das Haus ist ruhig.
So still.
Es scheint mich belohnen zu wollen, für Jahre harter Arbeit, für Schweiß, Tränen und Wut.
Und mit geschlossenen Augen genieße ich seine Belohnung.
Ich komme mir ein bisschen vor wie ein treuer Schoßhund, der nach harter Prügel dennoch zu seinem Herrchen kriecht und sich von ihm den Kopf streicheln lässt.
Allmählich verzeihe ich alles. Dieses bisschen Ruhe, dieses bisschen Frieden macht es möglich.
Das Haus legt seine große Hand auf meine Seele und streichelt mich beruhigend.
Dunkle Wolken ziehen am Himmel auf, verfinstern den großen Garten, in dem eine Schaukel einsam vom Kind des Windes geschaukelt wird.
Laub weht über den schmalen Kiesweg, der einen vom Haus, durch den Garten bis hinüber zur breiten, vielbefahrenen Straße führt.
Eigentlich ein Ärgernis, eigentlich ein wütender Gedanke an die Harke im Schuppen, die nach mir zu kreischen scheint. Nun nicht. Versonnen beobachte ich wie schwarzes Laub auf den Kronen des Windmeeres fortgetragen wird.
Im Haus ist es mucksmäuschenstill, bloß die große Uhr, die zu jeder vollen Stunde markerschütternd schlägt, der Wind und das leise Quietschen meines Stuhles.
Irgendwo las ich einmal, dass Einsamkeit eine Strafe wäre, ich lächele bei dem Gedanken daran und mein Blick irrt hinüber zu der Holzschaukel.
Einsamkeit ist eine Belohnung. Eine Belohnung für den Körper und die Seele.

Als ich knarrende Schritte auf der Veranda vernehme, stehe ich nicht auf. Hol’s der Teufel, denke ich. Drei oder vier Stunden sitze ich nun hier, in meinem Schaukelstuhl, wippe hin und her, und her und hin und beobachte die Welt. Als es klopft reagiere ich nicht.
Ein paar Minuten noch - Emsige Fußschritte auf meiner Veranda. Geschäftiges Murmeln, das von der Stille meines Hauses inhaliert wird - vielleicht sind es auch nur noch Sekunden.
Ich spüre wie sich mein Pulsschlag erhöht, spüre wie es mir Adrenalin in die Venen pumpt. Albern. Ich blicke in meinen Schoß, umschlinge Sie etwas fester und merke fast umgehend wie wieder Ruhe in meinem Körper und somit im Haus einkehrt.
Ein Schlag erschüttert die Tür. Aber ich bin ruhig. Seelenruhig.
Langsam erhebe ich mich und lasse mich vorsichtig auf die Knie nieder. Drei Paar Augen verfolgen meine Bewegung vom Boden aus. Aufmachen! hallt es von draußen, aber ich lasse mir Zeit.
Liebevoll hauche ich einen Kuss auf jeden, für immer zum Schweigen gebrachten, Mund.
Dann stehe ich auf und bin mit einem Schritt bei der Tür.
Gemächlich hebe ich die Axt über meinen Kopf, drei Paar trübe, leblose Augen verfolgen meine Bewegungen.
Stille, oh welch göttliche Stille!

 

Hallo Kain!

Bin ziemlich überrascht, was das Ende anbelangt.
Hätte vielleicht vorher nachsehen sollen, in welchem Genre deine Geschichte steht; hatte nicht drauf geachtet.

Anfangs dachte ich daher, dass es dir nur um die Beschreibung der Umgebung und des Gemütszustandes deines Protagonisten geht und ich finde, man konnte sich sehr gut vorstellen, wie er so im Schaukelstuhl saß und aus dem Fenster blickte.
Als das Türklopfen dann heftiger wurde, bin ich stutzig geworden und wartete gespannt, was es damit auf sich hat.
Naja, jetzt im Nachhinein bin ich schlauer.

Ich finde, du hast auch das psychopathische Verhalten deiner Schlüsselfigur und das horrende Ende dem Leser gut nähergebracht und halte die Geschichte eigentlich sowohl inhaltlich als auch sprachlich für ziemlich gelungen.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Hallo Kain!
Sehr gelungene Story! Die ruhige und friedliche Athmosphäre zu Beginn kommt gut rüber. Da ist ein Mann, der nach getaner Arbeit endlich nur ein bisschen Ruhe haben will. Das kann jeder nachvollziehen. Dass die "getane Arbeit" allerdings am Endeso aussieht... das kommt dann doch ziemlich unerwartet. efällt mir.

Auch finde ich nicht schlecht, dass du offen lässt wer da am Boden liegt (seine Familie?) und wer vor der Tür steht (Polizei?). Kann sich jeder selbst ein Bild zu machen.

Das einzige was mich gestört hat war, dass nicht eindeutig ist, ob die drei Personen, die am Boden liegen nun schon tot sind oder nicht.

Drei Paar Augen verfolgen meine Bewegung vom Boden aus.
Lässt darauf schließen, dass sie noch leben.

Liebevoll hauche ich einen Kuss auf jeden, für immer zum Schweigen gebrachten, Mund.
Daraus folgere ich, dass sie tot sind. Wenn sie auf andere Weise für immer zum Schweigen gebracht wurden (watt weiß, ich ... Zunge weg oder so) dann sollstest du das andeuten.
...drei Paar trübe, leblose Augen verfolgen meine Bewegungen.
Entweder "leblos" also tot oder es ist noch soviel Leben drin, dass sie in der Lage sind zu verflogen.

Oder habe ich irgendwas nicht kapiert?
Freue mich auf deine Antwort.

Beste Grüße von
sticker

 

Drei Paar Augen verfolgen meine Bewegung vom Boden aus.
--
Hier wird zum ersten Mal erwähnt, dass der Erzähler nicht alleine im Raum ist, vielleicht ein bisschen umständlich artikuliert ;)

Liebevoll hauche ich einen Kuss auf jeden, für immer zum Schweigen gebrachten, Mund.
--
Sie sind tot, mit einem Beil bringt man Menschen für gewöhnlich nicht anders zum schweigen :D

...drei Paar trübe, leblose Augen verfolgen meine Bewegungen.
--
Die Steigerung zu "Drei Paar Augen", hier soll nun durch das Wort leblos endgültig klar sein, dass er sie umgebracht hat.

Hoffe das alles nicht alzu umständlich zu lesen war und die kleine Geschichte ihre einzige Lebensaufgabe erfüllt hat und unterhielt.

kain

 

Hi Kain,

unterhalten hat mich deine Geschichte. Gar keine Frage!
Nur wie schon erwähnt, stört mich, dass durch deine Formulierungen nicht eindeutig ist, ob die Personen am Boden nun schon tot sind oder nicht. Augen von Toten können nix mehr verfolgen, oder?!

Außerdem kann man mit einer Axt (und ein wenig Fantasie :naughty: ) schon jemanden zum Schweigen bringen ohne inh gleich komplett ins Jenseits zu schicken...

Vielleicht überdenkst du's nochmal?
Bis demnächst mal, liebe Grüße
sticker

 

Hi Kain,
ich muss sagen, die Geschichte hat mir gut gefallen. Gestolpert bin ich über "jeden Mund" - ich dachte zunächst, es müsste heißen "jenen Mund", da ich der Meinung war, der Kerl hätte seine Frau erlegt. Aber durch die drei Augenpaare wurde ich eines besseren belehrt *schauder*;)
Ein paar Formulierungen fand ich zu pompös ("Kind des Windes", "Kronen des Windmeeres"), aber ansonsten wirklich sehr gelungen - Du bringst die Atmosphäre glaubhaft rüber und das Ende kontrastiert die ersten beiden Drittel der Geschichte erstklassig!
Grüße,
Matt

 

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