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Stille

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10.01.2013
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Stille

Die Tür fiel ins Schloss. Langsam verhallend, gewann die Stille ihren Platz zurück. Als wäre sie die Herrin des Hauses. Tags drangen vielleicht noch die Motorengeräusche eines vorbeifahrenden Autos herein, doch spätestens, wenn der Mond am Himmel erschien, verbannte sie jedes noch so kleine Geräusch.
Der letzte Widerstand lag neben dem Wohnzimmerschrank zerschellt am Boden, eine Kuckucksuhr.

„Wie geht es deiner Hand?“, fragte ich und schenkte ihr Tee ein.
Wir saßen am Küchentisch und Maria hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Langsam hob sie nun den Kopf und zeigte mir ihre verbundene Rechte. Ich nahm den Verband ab, ihre Hand zitterte.
„Sieht gar nicht mehr schlimm aus. Die Wunde ist fast verheilt. Ich werde nochmal etwas Salbe drauf tun und in zwei, drei Tagen wirst du den Verband nicht mal mehr tragen müssen“, lächelte ich sie an und stand auf, um in der Küchenschublade nach der Salbe zu suchen.
„Heute Morgen war ich Blumen einkaufen, wir wollen den Garten neu bepflanzen. Im Winter ist uns so viel kaputt gegangen … Wo hast du denn die Salbe?“
Ich drehte mich um, doch sie kaute nur angespannt auf ihrer Lippe.
„Okay, ich schau mal weiter, ja?“, fragend sah ich sie an und endlich schenkte sie mir etwas ähnliches wie Beachtung, sie zuckte kaum merklich mit den Schultern.
Ganz mager war sie geworden und durch die blasse Haut an ihren Armen waren die Knochen gut erkennbar. Rasch wendete ich mich wieder dem Küchenschrank zu. Leise zog ich die nächste Schublade auf und kramte vorsichtig zwischen alten Tablettenschachteln.
„Möchtest du uns nicht wieder mal besuchen kommen? Markus fragt immer, wie es dir so geht. Wieso kommst du nicht mal wieder vorbei, ein Kaffee oder ein Abendessen oder einfach nur so.“
Mit wem redete ich denn da gerade? Manchmal kam es mir vor, als redete ich gegen eine Wand.
Ich schaute kurz über meine Schulter zu ihr hin, doch ihr Blick war unverändert auf den Küchentisch gerichtet.
„Ist auch nicht so wichtig. Ich hab die Salbe gefunden. Warum hast du sie denn in die Besteckschublade gelegt?“ Kopfschüttelnd setzte ich mich wieder zu ihr und bestrich vorsichtig die Wunde.
„Wolltest dir wohl nen Spaß mit mir machen, was?“, versuchte ich ein Lachen.
Stille.
Die Hand war verbunden und schnell zog Marie sie zu sich zurück. Meine Geduld fand ein Ende, für heute war es genug. Genug für mich.
So sehr ich meine Schwester liebte, so sehr konnte sie mir dadurch das Leben zur Hölle machen.
Kam ich nicht, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Kam ich, war ich deprimiert, jedes Mal aufs Neue.
„Ich geh dann auch wieder. Ich komme morgen wieder. Brauchst du vielleicht etwas?“
Wenigstens ein Wort heute wäre schön, wenigstens die Mühe den Mund aufzumachen und Luft zwischen den Stimmbändern schwingen zu lassen, wenigstens etwas.
Ruhig stand Marie auf und ging an mir vorbei. Ohne eine Regung führte sie mich zur Haustür und öffnete sie vorsichtig.
Peinlich genau achtete sie darauf, wie ich mich durch sie hinaus begab.
Ich drehte mich ein letztes Mal um. Verzweiflung und Trauer lag in meiner Stimme, als ich ihr noch leise zuflüsterte:“Bis morgen Marie, bis morgen.„
Dann schloss sich die Tür.
Stille.

Maries Sohn Max, war ein sehr lautes Kind. Als Baby hatte er oft Mittelohrentzündung und schrie, dann bekam er Zähne und schrie, schließlich wurde er Indianer oder Polizist und schrie, trampelte das ganze Haus zusammen.
Marie war alleinerziehend. Marie hatte Max geliebt. Mit Max Tod am 22. März war nicht nur ein 6-jähriges Kind gestorben, sondern auch eine 32-jährige Frau.
Meine Schwester, Marie.

 

Hallo niki,

Texte wie dieser sind schwer zu kritisieren, weil man sich als Leser fragt, ob sie autobiographisch sind - und in diesem Fall ist das Thema natürlich heftig.
Der Text ist intensiv und in seiner Kürze prägnant geschrieben. Ich mag ihn.

Am Anfang die Stille als Allegorie:

Langsam verhallend, gewann die Stille ihren Platz zurück. Als wäre sie die Herrin des Hauses.

Und dann dieses Gespräch, bei dem deutlich ist, dass etwas nicht stimmt:
„Okay, ich schau mal weiter, ja?“, fragend sah ich sie an und endlich schenkte sie mir etwas ähnliches wie Beachtung, sie zuckte kaum merklich mit den Schultern.

Bezogen auf diese Rubrik frage ich mich allerdings, was der philosophisch interessante Kerngedanke ist: Dass Menschen als leere Hüllen weiterleben, wenn sie etwas verlieren, von dem sie nicht wussten, dass es ihr Lebensinhalt war?

Freundliche Grüße,

Berg

 
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Servus niki,

Zitat Berg: Texte wie dieser sind schwer zu kritisieren, weil man sich als Leser fragt, ob sie autobiographisch sind.

schreibt Berg zu Beginn seines Kommentares, und hat damit natürlich vollkommen Recht.
Auch ich war nach der Lektüre einigermaßen befangen.
Aber auch wenn dein Text möglicherweise eine Art Versuch ist, persönlichen Schmerz und Trauer aufzuarbeiten, stellst du uns ihn immerhin hier vor und erwartest dir wohl auch, dass wir nicht betroffen schweigen, sondern uns dazu auch äußern.

Nun denn:
Dein Stil und die Dramaturgie der Geschichte gefallen mir wirklich gut. Trotz der Kürze gelingt es dem Text, mir Maries Verlorenheit, ihr Versunkensein in trostloser Lethargie, das Fehlen jeglicher Lebensfreude sehr eindringlich zu vermitteln. Ein wahrlich trauriger Text, trotz oder gerade wegen seiner Alltäglichkeit, auch Kinder sterben, verdammte Scheiße …

Stilistisch hab ich einzig am ersten Absatz etwas zu bemängeln:

Die Tür fiel ins Schloss. Langsam verhallend, gewann die Stille ihren Platz zurück. Als wäre sie die Herrin des Hauses. Tags drang vielleicht noch der Motor eines vorbeifahrenden Autos herein,…
Ich weiß natürlich, wie das gemeint ist, also dass das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür langsam verhallt, und sich die Stille wieder ausbreiten kann. Aber im zweiten Satz scheint sich das langsam verhallend, nur von einem Komma getrennt, auf die Stille zu beziehen, die ja nun schwerlich verhallen kann, das klingt für mich ungenau, irgendwie schlampig. Da würde ich die Satzstellung behutsam ändern, oder eine Kleinigkeit einfügen, was weiß ich, da fällt dir sicher was ein. Ja, und mach bei der Gelegenheit vielleicht auch gleich aus dem eindringenden Motor ein eindringendes Motorgeräusch, oder Geräusch, oder Brummen, oder sowas halt. Wäre eleganter, finde ich.

Und noch ein paar kleine orthografische Fehler:

Der letzte Wiederstand ...
Widerstand

... tragen müssen.“, lächelte ich sie an und ...
kein Punkt vor dem Anführungszeichen

Ich schaute kurz zu über meine Schulter zu ihr hin
... in die Besteckschublade gelegt?“, kopfschüttelnd setzte ich ...
... gelegt?" Kopfschüttelnd ...

jedes Mal aufs neue.
aufs Neue

Peinlich genau Achtete sie darauf
achtete

Tja, und letztendlich ist alles eine philosophische Frage, eigentlich eh alles.
Guter Text!

offshore

 
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Hallo Berg,
danke, dass du meinen Text gelesen hast.
Der Text ist rein fiktiv und ich habe keinen persönlichen Bezug zu diesem Thema (zum Glück).
Es ist mein erster Text in diesem Forum und ich konnte ihn selbst kaum einordnen.
liebe Grüße niki

Hallo offshore,
danke für deine Tipps, ich werde mir das mit dem "verhallen" nochmal überlegen. Auf die Schnelle ist mir noch nichts eingefallen, aber später bestimmt...
Für die Rechtschreibfehler und Gramatikfehler möchte ich mich entschuldigen, habe sie natürlich alle verbessert, danke. :)
Der Text ist rein fiktiv und es besteht keine persönliche Verbindung zwischen mir und dem Thema, nur zur Info.
Danke nochmal.
Ganz liebe Grüße niki

 

Hallo niki

Auch ich fand deine Geschichte berührend, zugleich mich fragend, was deine Intention war, sie unter Philosophisches einzustellen. Natürlich wirft es die Frage nach dem Sinn auf, warum ein kleines Kind sterben muss, ein Tod, an dem die Mutter verzweifelt?
Es gibt schon Antworten, doch du spürtest diesen im vorliegenden Text nicht nach. Zumindest eine Andeutung, in welcher Richtung sich der Bruder dazu orientierte, fände ich interessant.

Noch eine Kleinigkeit, die noch nicht erwähnt wurde.

Im Winter ist uns so viel kaputt gegangen…

Leerschlag zwischen gegangen und Auslassungszeichen. Da der Satz unvollendet bleibt, das letzte Wort aber nicht.

Gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Servus Niki,

ich nochmal, weil ich eben sah, dass du am Text Änderungen vorgenommen hast.
Aber den zweiten Satz:

Die Tür fiel ins Schloss. Langsam verhalltend, gewann die Stille ihren Platz zurück.
den ich dir zu ändern empfahl, hast du, fürchte ich verschlimmbessert.

Versuch's noch einmal.

offshore

 

Hallo niki –
auch von mir erst einmal ein herzliches Willkommen!

Meine Vorredner haben schon das Wesentliche gesagt, aber es bleriben doch noch ein paar Bemerkungen übrig, fangen wir mit dem Einfachsten an, keineswegs so offensichtlich, wie das ausgemerzte t, sonst hätte ernst es schon bemerkt, der sich auch immer wieder gerne darin korrigieren lässt, (Ironie lässt sich da nicht vermeiden)

Ich werde nochmal etwas Salbe drauf tun …
Adverbien sind manchmal umständlich und verwirrend (weshalb sie ja auch Umstandswort im dt. heißen), aber „noch mal“ wird immer auseinander geschrieben, da es die Verkürzung des „noch einmal“ ist. Allerdings: als „nochmals“ müsste (!) es zusammengeschrieben werden.

Hier spielen die Gänsefüßchen ein wenig Bäumchen verwechsel dich (Flüchtigkeit?):

…, als ich ihr noch leise zuflüsterte:“Bis morgen Marie, bis morgen.„
Beim ersten bräuchtestu nur die Leertaste zwischen : und „ - beim abschl. sollte auch vor „morgen“ und den drei Punkten eine Leertaste genutzt werden.
Die Gänsefüßchen müssten eigentlich von selbst nach oben rutschen, ohne Leertaste. Denn so ist Word für Deutsch programmiert, nach einer Leerstelle geht es freiwillig nach unten, direkt nach dem letzten Zeichen (in dem Fall ein Punkt) nach oben. Warum das hier nicht funktioniert, k. A. (keine Ahnung)

Hier wäre nun das Komma eigentlich entbehrlich:

Maries Sohn Max, war ein sehr lautes Kind.
Sollte der Name aber hervorgehoben werden, wäre dem Komma noch eines beizustllen und zwar vor dem Namen,
also entweder
Maries Sohn[,] Max, war ein sehr lautes Kind
Oder alternativ
Maries Sohn Max war[…] ein sehr lautes Kind.

Jetzt wird ich etwas komplizierter, da es nicht mehr um erlern"bare" Regelhaftigkeit geht:
… an ihren Armen waren die Knochen gut erkennbar.
Ich weiß, so spricht man, und jeder weiß, was gemeint ist (was ja in der Kommunikation das eigentliche Ziel ist). Wenn ich Dir aber verrate, dass die Silbe „bar“ hier aber von ihrer ursprünglichen Bedeutung her als „nackt, bloß“ und auch „offensichtlich“ bedeutet (heute in Zeiten des Geldverkehrs auch das umständliche „sofort verfügbar“ als Bargeld) und die Endsilbe …bar ihren ursprünglichen Gehalt nur noch im „Gebären“ offenbart, wäre doch die Infitivkonstruktion
… an ihren Armen waren die Knochen gut [zu erkennen]
Sicherlich eleganter, wenn man vom Inhalt her überhaupt auf Eleganz achtet …

Und schon wieder der erste Satz (so schließt sich der Kreis auch zu ernsts Anmerkung dazu), wenn ich ihn durchaus korrekt finde. Der vorweggestellte Nebensatz ist eine Ellipse, ein legitimes Stilmittel, ein unvollständiger Satz, der sich weniger auf die Stille, als auf die zufallende Tür mit ihrem Geräusch (nennen wir’s Krach) bezieht:

Langsam verhallend, …
Je leiser der Krach wird, desto größer wird die Stille, bis sie wieder als „Herrin“ überhand genommen hat:
gewann die Stille ihren Platz zurück. Als wäre sie die Herrin des Hauses.
Aber statt des Platzes gewinnt sie doch den ganzen Raum, statt zweier Dimensionen noch die dritte.

Du siehst, auch einfachste Sachverhalte können kompliziert werden …

Gruß, ein schönes Wochenende (hier lacht tatsächlich die liebe Sonne das erste Mal in diesem Jahr!) und ein gutes neues Jahr insgesamt wünscht der

Friedel

 

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