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Stille

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01.08.2005
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Stille

Eines Tages beschloss ich mit dem Reden aufzuhören. Es gab damals keinen besonderen Anlass dafür. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis den Mund zu halten. Und ich tat es.
Die Menschen, sie verstanden es nicht. Sie verstanden nicht, wieso ich von einem Augenblick auf den anderen zu schweigen begann. Aber ich hatte es nicht geplant. Sie versuchten mich zu überreden etwas zu sagen. Sie versuchten eine Erklärung zu bekommen. Irgendetwas Geschriebenes. Oder ein Bild. Aber ich antwortete nicht. Ich wusste nicht, was ich erklären hätte sollen.
Aber mir erklärst du es?
Das ist etwas anderes.

Manchmal wenn ich spaziere, durch die Natur, die Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüre – dann bin ich nicht sicher, ob ich nicht doch mit jemandem darüber reden möchte. Oder wenn ich herumsitze, an einem See oder am Meer, und die Füße das Wasser berühren – dann denke ich, ich müsste jemandem davon erzählen.
Aber mir erzählst du es nicht?
Das ist etwas anderes.

Zunächst dachten alle, ich hätte den Verstand verloren – Familie, Freunde, einfach alle. Weil ich nicht mehr mit ihnen sprach. Aber ich lebte abgesehen davon mein Leben völlig normal weiter. Man kommt erst wenn man es ausprobiert darauf, wie wenig man sprechen muss, wenn man nicht will.
Einige Wochen nach meiner Entscheidung fand ich eine Tonaufnahme mit meiner Stimme in einer Schreibtischlade – es war eine Kassette die ich für Mikrofontestzwecke besprochen hatte. Vor Jahren schon. Ich erinnerte mich als ich sie fand genau an den Wortlaut.
Wo befindet sich die Kassette jetzt?
Ich habe sie weggeworfen. Gleich nachdem ich sie fand.

Die Routine, sie ist in meinem Leben eine gewaltige Hilfe. Mich verunsichern Situationen, in denen etwas Ungeplantes passiert. Wenn ich zum Bus gehe und der Zeitplan nicht korrekt eingehalten wird. Dann beginne ich zu laufen. Ich spüre wie sich meine Beine schneller bewegen. Mein Herzschlag sich erhöht. Mein Blutdruck ansteigt. Mein Atem schneller wird. Dann fluche ich innerlich. Und ich überlege wie es sich anhören würde, hätte ich ein Band dabei um es aufzunehmen.
Dürfte ich das Band anhören?
Ich würde es sofort verstecken. Oder vernichten.

Wenn ich von vielen Menschen umgeben bin, auf der Straße, im Zug, in öffentlichen Gebäuden, egal wo, spüre ich trotz des ganzen Lärms immer dieselbe Ruhe. Es fühlt sich an, als wären sie gar nicht wirklich da. Niemandem fällt es auf, dass ich nicht spreche. Ob es wohl auffallen würde, wenn alle Menschen dieselbe Entscheidung träfen wie ich?
Du meinst die Entscheidung nicht mehr zu sprechen?
Ja, genau. Was würde wohl passieren, wenn alle Menschen aufhörten zu sprechen?
Aber du sprichst doch? Mit mir.
Das ist etwas anderes.
Warum?
Du bist ich.

 

Hallo chriswoods,

eine Geschichte, die mir sowohl sprachlich als auch inhaltlich sehr gut gefallen hat. Man erfährt letzten Endes sehr wenig über die wahre Motivation des Prots, es bleibt einfach so im Raum stehen, und deshalb hat sie tatsächlich etwas Seltsames, was ich aber gut finde. Von mir aus wäre dieser Abschluss mit der 'Pointe' auch gar nicht zwangsläufig notwendig gewesen, also dass man erfährt, mit wem er spricht.

Hast du mal etwas von Haruki Murakami gelesen? Daran hat mich der Schreibstil (und die Geschichte an sich) erinnert. (Wenn nicht, unbedingt lesen!!!)

Es fehlen einige Kommas vor bzw. nach Nebensätzen und Einschüben, und ich bin mir nicht ganz sicher, warum du im ersten Satz Perfekt verwendest (nach 'beschlossen' kommt ein Komma). Irgendwie erwarte ich nach diesem Satz, dass es in Präsens weitergeht.

Zweimal fehlt außerdem IMO ein Konjunktiv:

"Ob es wohl auffallen würde, wenn alle Menschen dieselbe Entscheidung träfen wie ich?"
"Was würde wohl passieren, wenn alle Menschen aufhörten zu sprechen?" (hört sich komisch an, aber ich glaube, das stimmt so)

Das war eine schöne, kurze Geschichte, die ich eher durch Zufall gelesen habe, nicht, weil ich dachte, sie könnte mich interessieren. Sie könnte für meinen Geschmack noch ein bisschen länger sein, weil ich jetzt neugierig geworden bin.


Gruß,
Megries

 

Hallo Megries,

vielen Dank für deinen Beitrag. Mit dem Konjunktiv bzw. falsch gewählten Perfekt hattest du recht - ich habe das geändert. Bei den Beistrichen bin ichs nochmal durchgegangen, aber ich glaube es passt jetzt soweit. Allerdings habe ich da meine Probleme, besonders mit der neuen deutschen Rechtschreibung, bei der ja einiges an Wahlmöglichkeiten existiert (solange es einheitlich bleibt).

Haruki Murakami werde ich mir mal ansehen. Bis dato habe ich noch nichts von ihm gelesen.

Lg, Chriswoods

 

Die Geschichte finde ich sehr ansprechen, nicht nur weil ich selbst schon mit dem Gedanken spielte einfach für eine Weile zu schweigen ,sondern da sie sehr angenehm zu lesen ist und das wesentliche mit den richtigen Worten aussagt.
Leider bin ich kein Kritiker und es ist nur das Lob eines Leihen, aber ich kann nur Kompliment abgeben, vom Inhalt bis zur Erzählweise.

Sie könnte für meinen Geschmack noch ein bisschen länger sein, weil ich jetzt neugierig geworden bin.
dem stimme ich zu.

 

Hi chriswoods! Super Geschichte, gefällt mir sehr gut, die Auflösung am Schluss! Ein bisschen länger hätte ich sie auch gestaltet, aber wirklich nur minimal, damit sich der Leser etwas besser einfühlen kann. Schau mal in deine Privaten Nachrichten, hab dir geschrieben!

 

Hallo,

du kannst angenehm erzählen in dem Text, aber es wäre schon schöner, wenn was zu erzählen da wäre.
Es ist fast immer so, dass solche "kursiven" Geheimstimmen dann die Stimme im Kopf ist oder irgendeine surreale Figur (so Hollywood-Schizophrenie), deshalb: das dann als Pointe zu nehmen, wenn es sowieso der Erzählkonvention entspricht, ist ein bisschen mager.
Auch das allgemeine Thema, zu schweigen und Hektik im Alltag, und der Versuch, sich von der Masse in irgendeiner Form abzugrenzen, die Suche nach Poesie - das scheint mir fast ein allgemeines Muster zu sein, in das ein Autor nur hereinschlüpfen muss. Also jemand mit - durchaus - Sprachtalent hat Lust etwas zu schreiben und dann geht er an die Garderobe und da ist dieser Mantel, dieser Ideenmantel, den schon so viele anhatten, und da schlüpft er dann auch rein.
Aber in dieser Variante, in der Geschichte, die da erzählt wird, steckt - für meine Begriffe - zu wenig schöpferische Kraft und Idee, so dass es eigentlich nur ein Mikrofoncheck ist. Ich hab eine Stimme, ich kann auf zwei Seiten so angenehm klingen, dass der Leser sagt: Erzähl doch mehr.

Also: Erzähl doch mehr, jetzt. Lass deine Phantasie spielen. Erzählen und schreiben ist ein schöpferischer Prozess.

Gruß
Quinn

 

Die Geschichte ist von 2005 und chriswoods war seit 2008 nicht mehr hier online...

Ist immer ärgerlich für die Kommentatoren danach, wenn jemand eine alte Geschichte ausgräbt, weil man einfach nicht drauf achtet bzw. einen neuen Beitrag sieht und davon ausgeht, dass die Geschichte auch relativ neu ist.

 

Kann man mal sehen, wie wenig sich ändert. Im zweiten Kommentar wird Murakami empfohlen. Das ist heute wie vor 7 Jahren gleich, irgendwas halbweg Surreales und Murakami drauf. :)

Ich hab auch nicht drauf geachtet, was soll's? Graben wir halt mal einen 7 Jahre alten Text aus, viel Neues geht im Moment ja eh nicht.

 

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