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Stille Nacht
Stille Nacht
David drehte nun schon eine ganze Weile an dem Thermostat-Knopf herum, aber er bekam die defekte Heizung nicht mehr zum Laufen.
Dieses Raumschiff war nicht mehr und nicht weniger als ein fliegender Schrotthaufen! Dieser Gedanke machte ihn krank.
Aber noch viel kränker würde ihn der ganze Weihnachtsrummel auf der Erde machen.
Dort unten, auf seinem durch das Fenster nur noch als blaue Kugel erkennbarem Heimatplaneten, würde es jetzt mit Sicherheit um einiges hektischer zugehen, dachte David.
Dabei sah Mutter Erde aus fast 400.000 Kilometer Entfernung doch so friedlich aus.
Fast wie eine leuchtende Christbaumkugel, schoss es David kurz durch den Kopf.
Er schüttelte sich leicht, um diesen kindischen Gedanken gleich wieder loszuwerden.
Nein, Weihnachten war nichts für ihn und hier oben hatte er wenigstens seine Ruhe.
Wenn bloß diese marode Heizungsanlage nicht wäre!
Sobald er gelandet war, würde David eine deftige Beschwerde an die technische Abteilung richten!
„Oh du fröhliche.....!“ Der Gesang riss ihn aus seinen Gedanken.
David verdrehte die Augen und sah zu dem Roboter herüber, der soeben die Kommandobrücke betrat.
R55.1 war ein Roboter der ersten Generation, Baujahr 2055 und hatte mittlerweile fast 10 Jahre Dienstzeit hinter sich.
Seine Erbauer hatten sich alle Mühe gegeben, der Maschine ein halbwegs humanes Antlitz zu verpassen.-Aber eben nur halbwegs. All das zu menschlichen Zügen geformte Latex und Silikon konnte doch nur auf den ersten Blick über all die dahinter verborgenen Sensoren und Kabel hinwegtäuschen.
David schüttelte den Kopf, die Programmierung des Roboters würde Anlass für eine weitere Beschwerde an die Techniker sein. Irgendein Informatiker hatte sich den Scherz mit dieser Weihnachtssoftware erlaubt. Ihm verdankte David, dass die Maschine seit Tagen nur noch Weihnachtslieder und -gedichte von sich gab. Dazu reizte der Roboter alle Ressourcen seiner Mimik-Generatoren aus und machte die entzückendsten Gesichtsausdrücke zu seinen Darbietungen.
„Morgen Kinder wird’s was geben.....“ „Es reicht!!“ rief David. „Sag mir lieber, was du an der Heizungsanlage herausfinden konntest. Der Roboter unterbrach abrupt seinen Gesang und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Dabei konnte David das Klicken einiger Relais in seinem Inneren hören. „Leider konnte ich den Fehler noch nicht finden, David.“ Die Stimme klang nahezu menschlich.Mit einem leisen Surren der Motoren hinter der Latex-Maske verzog R55.1 den Mund. Die Software hatte ihm den Befehl „bedauerlicher Gesichtsausdruck“ erteilt. David machte einen ähnlichen Gesichtsausdruck und fauchte R55.1 an:“Such gefälligst weiter, mir ist kalt verdammt noch mal!“
„Befehl wird ausgeführt !“ antwortete R55.1 sachlich und wandte sich ab. Mit einem lauten „Denkt Euch ich habe das Christkind gesehen...“ auf den Silikon-Lippen machte er sich wieder an die Arbeit. David massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn. Kopfschüttelnd ließ er sich in den Kommandosessel fallen und wandte sich an den Logbuch-Rekorder.
“23.12.2065,23.30 Uhr.
Defekt der Klimaanlage dauert nun schon 2 Stunden an.
Bordtemperatur sinkt stetig und liegt momentan bei 5 Grad Celsius.
Habe den Bordroboter auf das Problem angesetzt.
Falls keine weiteren Störungen eintreten werde ich den Mond in ca. 3,5 Stunden erreichen.
Ende des Eintrags.“
Fröstelnd lehnte David sich zurück und dachte an seinen Job.
Vor 15 Jahren hatte sein Arbeitgeber, ein europaweiter Energiekonzern, eine Reaktoranlage auf dem Mond errichtet mit der man das wertvolle Element Helium-3 aus dem Mondgestein gewinnen kann.
David war Ingenieur und flog nun schon seit 5 Jahren regelmäßig zwecks technischer Sicherheitskontrollen auf den Erdtrabanten.
Früher hatte er selbst Maschinen konstruiert und zusammengebaut.
Doch das war schon lange vorbei. Er war nun Mitte Fünfzig und in diesem Alter wurde man in die Administratoren-Gruppe versetzt. Der Flug durch den Weltraum verlangte seinem Körper ohnehin genug ab, da konnte man nicht erwarten, dass er an seinem Bestimmungsort auch noch körperlich schwere Arbeiten verrichtete.
Er gähnte herzhaft und warf einen prüfenden Blick auf die Instrumententafel. Der Autopilot arbeitete einwandfrei. „Wenigstens das funktioniert!“ murmelte er und ging in seine Kabine.
Ein wenig Schlaf wäre jetzt genau das Richtige.
Falls etwas Wichtiges sein sollte, würde dieser durchgeknallte Weihnachtsroboter ihn ohnehin wecken.
R55.1 bahnte sich seinen Weg immer tiefer in den Schacht der Heizungsanlage. Über eine Stunde war er schon durch das Labyrinth aus Kabeln, Rohren und Schläuchen gekrochen. Er hatte seine Infrarotsensoren aktiviert um jedes noch so kleine Leck ausfindig zu machen.
Bei der Größe des Loches, das seine Kamera-Augen schließlich erfassten, wäre das allerdings nicht nötig gewesen. Zischend entwich flüssiger Stickstoff in großen Mengen. Der Roboter hatte keine Möglichkeit ein Leck dieser Größe spontan abzudichten. In kürzester Zeit würde die Bordtemperatur auf extreme Minusgrade gesunken sein.
Schlaftrunken schaltete David das Licht ein und blinzelte zu seinem Wecker hinüber.
Er war schon nach knapp 2 Stunden wieder aufgewacht. In etwa 1,5 Stunden würde er auf dem Mond eintreffen. Er fühlte sich matter als zuvor und sein Atem kondensierte.
Sofort richtete er seinen Blick auf das Thermometer. -5 Grad Celsius! Fluchend setzte er sich auf.
Es bedeutete nichts Gutes, dass die Bordtemperatur in der kurzen Zeit derart rapide gesunken war. d
Wo war dieser verdammte Roboter?
David warf sich die Bettdecke über die Schultern und ging in die kleine Bordküche. Ein heißer Tee würde ihm jetzt gut tun und seinen Kreislauf wieder in Schwung bringen.
In diesem Moment ging das Licht aus. Die Steuerelektronik für die Stromversorgung hatte den tiefen Temperaturen nicht länger standgehalten.
Für einen kurzen Moment blieb es dunkel, doch dann sprang das Notstrom-Aggregat an. Eine blaue Notbeleuchtung verbreitete ein schwaches Licht zur Orientierung.
Der Heißgetränkeautomat blieb jedoch außer Betrieb. David fluchte,zog sich die Decke enger um die Schultern und trat ans Fenster. Er wischte die dünne Eisschicht von der Scheibe.
In der Ferne war der Mond bereits deutlich zu erkennen.Groß,rund,hell-und kalt.
R55.1 kroch so schnell er nur konnte den Heizungsschacht zurück. Sämtliche Schaltkreise waren aktiv. Er musste sich beeilen, es blieb nicht viel Zeit um den Menschen vorm Erfrieren zu retten!
Die Temperatur war inzwischen auf -10 Grad gesunken. David ließ sich in den Kommandosessel fallen. Das sonst so geschmeidige Leder fühlte sich hart und spröde an.
Erschöpft schloss er die Augen...
„Stille Nacht, heilige Nacht...“die warme, weiche Stimme seiner Mutter drang aus weiter Ferne zu ihm. David musste phantasieren. Sein Körper fühlte sich kalt und steif an und er war zu schwach um die Augen zu öffnen.“David, mein Schatz, es ist Weihnachten. Komm sing mit mir.“
Vor seinem Geistigen Auge stand seine Mutter vor dem herrlich geschmückten Tannenbaum.
Sie trug das dunkelblaue Samt-Kleid, dass sie nur zu besonderen Anlässen anzog.
Ihre Haare hatte sie festlich hochgesteckt.
Eine verschüttete Kindheitserinnerung, aus einer Zeit zu der Weihnachten für David noch schön war.
Mühsam öffnete er die mit einer Eiskruste überzogenen Lippen und sang leise mit:“...alles schläft einsam wacht...“ Er spürte den warmen Körper seiner Mutter als sie ihn umarmte, schließlich verlor er das Bewusstsein.
Den Männern des Rettungstrupps bot sich ein seltsames Bild: Zwischen den mit Eis überzogenen Instrumenten saß der Ingenieur. Auf seinem Schoß R55.1 den leblosen Körper des Mannes fest umklammert. Rauch quoll aus dem Inneren des Roboters. Sämtliche Schaltkreise waren bei seinem verzweifelten Bemühen David Körperwärme zu spenden durchgebrannt.
R55.1 hatte sein Bestes gegeben. Dank der integrierten Stimmen-Immitations-Software war er sogar in der Lage gewesen eine warmherzige Frauenstimme zu erzeugen.
Dieser Einsatz hatte ihm alles abverlangt.
„Bringt den Mann sofort in die Krankenstation!“rief ein Sanitäter, nachdem er wider erwarten einen Puls bei David festgestellt hatte. „Und entsorgt diesen alten,defekten Roboter.!“ fügte er noch hinzu.
„Nein,bitte...“, kam es schwach über David´s aufgesprungenen Lippen, „..einen Moment noch.
Er drückte die kalte Silikonhand der Maschine und flüsterte lächelnd:„Frohe Weihnachten !“