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Stille im Advent

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07.12.2016
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Stille im Advent

Die ganze Familie sitzt um den Tisch, die Hände im Schoss gefaltet und spricht gemeinsam das Tischgebet. Doch jemand spricht nicht mit. Sie sitzt einfach nur dort, hört die Worte der anderen und ist doch in Gedanken versunken. Als das Gebet mit dem Amen beendet wird, wünschen sich alle einen guten Appetit und beginnen zu essen. Nur jemand isst nicht. Sie sitzt einfach nur dort, hört das Geschirr der anderen klappern und ist doch in Gedanken versunken. Die Kerzen auf dem Tisch brennen, jedenfalls zwei der vier. Es ist der zweite Advent, und alle tuen so fromm, doch sie sind es alle nicht. Sie tun so als ob, weil es sich so schickt. Weil es so erwartet wird. Langsam löst sich das Mädchen aus ihrer Starre und beginnt wie ferngesteuert auch zu essen. Die Gespräche am Tisch sind die üblichen belanglosen. Das Wetter, die Tatsache, dass es noch immer noch nicht geschneit hat. Ihr ist das egal, sie mag den Winter auch ohne Schnee. Die Kälte ist es doch, die den Winter ausmacht. Schnee ist da doch mehr eine Nebensache. Ihre Familie ist anderer Meinung, und sie weiss das. Also schweigt sie. Die Schwestern werden gefragt, wie es in der Schule lief. Sie beklagen sich über die üblichen Lehrer, die Prüfungen und den Stress vor den Ferien. Sie schweigt, denn von ihr will man nichts wissen. Von ihr wird erwartet, dass sie immer gute Noten schreibt und mit allen Lehrern gut auskommt. Also schweigt sie. Wie es denn mit den Mitschülern so laufe, will die Mutter wissen. Doch nicht von ihr. Sie hat keine Freunde, was soll sie also erzählen. Also schweigt sie. Auch die Tischgespräche verstummen. Alle haben aufgegessen und beginnen, den Tisch abzuräumen. Auch sie steht auf und räumt ihr Geschirr in den Geschirrspüler. Dann setzt sich die Familie wie an jedem Adventssonntag ins Wohnzimmer, bei Kerzenschein, und jeder geht einer Beschäftigung nach. Die jüngere Schwester beginnt die Hausaufgaben zu machen, die ältere liest ein Buch. Die Mutter strickt an ihrem Schal weiter und der Vater löst ein Kreuzworträtsel. Und sie sitzt einfach nur da und starrt in die Flamme der Kerzen. Wie schön still es doch im Advent sei, sagt die Mutter und unterbricht dadurch für einen Moment die Stille. Und dann schweigen wieder alle, und wie das Licht der Kerzen breitet sich die Stille im Raum aus. Und sie hört das Rascheln der Blätter der Zeitung und des Buches, das Klappern der Sticknadeln und das Kratzen des Füllers auf dem Papier. Und sie versinkt in ihre Gedanken und schweigt. So schön still ist es im Advent.

Fortsetzung:
Doch diese Stille muss aufhören, jetzt sofort. In ihrem Kopf hat sie diese Szene schon tausend Mal durchgespielt. Einfach aufstehen und all das rausschreien, was sie die letzten Jahre runtergeschluckt hat. Doch jetzt, in diesem Moment, in dem es ernst wird, packt sie doch die Angst. Was werden ihre Eltern sagen, was werden ihre Schwestern sagen? Werden sie überhaupt etwas sagen oder werden sie schwiegen, so wie sie es immer getan hat? Doch sie weiss, wenn sie es jetzt nicht tut, dann wird sie es nie tun. Und so steht sie auf. Niemand reagiert, alle gehen ihrer Arbeit weiter nach. Und sie beginnt zu schreien. Wie ein Messer zerschneiden ihre Worte die besinnliche Atmosphäre.
„Wisst ihr eigentlich, was mit mir los ist? Interessiert es irgendjemanden, wie es mir geht? Bin ich für euch überhaupt noch da? Oder habt ihr mich schon vor Jahren abgeschrieben? Ich war immer die, die geschwiegen hat, doch das ist jetzt vorbei! Ich kann nicht mehr! Wisst ihr, wieso ich seit Jahren nur noch lange Ärmel trage? Hier, seht es euch an! Seht all die blutigen Wunden, die ich mir selbst zugefügt habe! Verdammt, ich hasse mich so sehr, so sehr könnt ihr mich gar nicht hassen. Ich wollte mich umbringen, doch euch hat es nicht interessiert. Mamma, ich weiss, dass du mein Tagebuch gelesen hast. Ich habe dich dabei beobachtet. Doch du hast nichts getan. Ihr alle habt nichts getan. Ich kann nicht mehr schweigen. Ich will nicht mehr die Stille ertragen. Ich kann nicht mehr!“ Tränenüberströmt steht sie da und sieht in starre Gesichter. Keine Reaktion ist zu sehen, niemand sagt ein Wort. Niemand scheint sie zu verstehen. Weinend rennt sie aus dem Raum, aus dem Haus, packt im Flur noch schnell ihre Jacke und rennt zur Tür hinaus. Raus in die Kälte. Der beissende Wind schlägt ihr ins Gesicht, es hat tatsächlich begonnen zu schneien. Die Lichter der Strassenlampen verschwimmen vor ihren Augen und sie läuft immer weiter. Weg von allem. Wohin ist ihr egal, nur weg von dieser scheinheiligen Familie. Sie haben immer so getan, als wäre alles ok. Doch nichts ist in Ordnung, überhaupt nichts. Sie rennt immer weiter in die Nacht, rennt in die Dunkelheit, die ihr schon so bekannt ist, bis sie keine Luft mehr bekommt. Dann sinkt sie in sich zusammen, liegt weinend auf dem kalten Boden. Sie ist fertig mit allem, fertig mit der Welt, fertig mit diesem Leben. Sie will nur noch sterben. Wozu soll sie noch leben? Ihre Familie interessiert sich nicht für sie, keiner tut das. Sie will nur noch schlafen, im Schlaf alles vergessen. Sie spürt die Kälte und den gefrorenen Boden unter sich nicht, sie spürt gar nichts mehr. Sie will einfach nur noch schlafen. Und so schliesst sie die Augen und schläft ein. In der Kälte, im fallenden Schnee. Und sie weiss, dass sie nie wieder aufwachen wird, und sie lächelt. Das erste ehrliche Lächeln seit Jahren.
Am nächsten Morgen bekommen die Eltern Besuch von der Polizei, die ihnen erzählt, dass ihre Tochter erfroren aufgefunden wurde. Die Mutter bricht in Tränen aus, der Vater verfällt in eine Schockstarre. Die Schwestern werden es erfahren, wenn sie aus der Schule nach Hause kommen. Am Abend sitzen alle wieder im Wohnzimmer, und die Stille ist nun nicht mehr besinnlich, nicht mehr schön, sondern erdrückend. Und sie alle fragen sich, ob sie nicht etwas hätten tun können. Doch keiner sagt etwas. Alle schweigen. Und wieder ist es still im Advent. Totenstill.

 

Hallo Strana,

also dein Charakter ist ein depressives junges Mädchen? Ich finde deine Charakterbeschreibung hat einen gewissen Reiz, sie ist gut geschrieben, Stilmittel gut eingesetzt. Ich habe das Gefühl, deinen Charakter jetzt kennen gelernt zu haben. Aber was passiert jetzt? Sie versinkt in ihren Gedanken und schweigt. An was denkt sie? Ist sie in ihren Gedanken jemand anders? Hat sie einen heimlichen Liebhaber und ist gar nicht so brav wie alle denken? Legt sie sich gleich in die Badewanne um sich die Pulsadern aufzuschneiden? Was macht dein Charakter? Was passiert? Läuft sie Amok? Steht sie unvermittelt auf und schreit? Kommen die Männer in den weißen Westen und holen sie ab? Bitte schreib weiter und mach eine Geschichte draus. Klettert sie vielleicht aus dem Fenster und schleicht sich fort um ein Abenteuer zu erleben? Ich würde mich drüber freuen weiterlesen zu dürfen.

Viele Grüße,

Marissa

 

Hallo Strana

Leider erfahre ich durch das Lesen so gut wie nichts über die Figuren - nicht einmal die Namen. Alles bleibt im Allgemeinen und weckt deshalb kein Interesse bei mir. Sie hat keine Freunde, dafür gute Schulnoten, der Schnee ist ihr egal und sie versinkt in Gedanken, die ich leider nicht kenne. Es gibt keinen nachvollziehbaren Konflikt, keine Entwicklung, keinen Höhepunkt.
Kurz gesagt: keine Geschichte.
Die Szene, mehr ist es nicht, bräuchte einen Aufhànger, und in der Folge konkrete Vorgänge. Einfach nur ihre Passivität zu verfolgen ist mir zu langweilig. Wenn ich wenigstens in Ihre Gedankenwelt eintauchen dürfte ...
Für mich ist das nichts.

Gruß
Kellerkind

 

Hallo Marissa
Vielen Dank für deine Rückmeldung, es freut mich, wenn dir meine Geschichte gefällt. Ich habe jetzt doch noch eine Fortsetzung geschrieben, zu Beginn kam mir keine in den Sinn. Nun, ich hoffe, dir gefällt das Ende auch :)

Liebe Grüsse
Strana

 

Hallo Strana,
nur ein kurzes subjektives Statement: Bitte vorher erwähnen, wenn Du eine Fortsetzungsgeschichte postest. Ich betrachte Geschichten als abgeschlossene Einheiten. Wenn ich ahnungslos eine halbe Geschichte kommentiere, ist das weder für Dich noch für mich befriedigend.

Gruß
Kellerkind

 

Hallo Strana,

hab grade deine Fortsetzung gelesen. Interessant auf jeden Fall, hätte ich so nicht erwartet (auch wenn ich ein paar wilde Vorschläge gemacht habe ;-). Dann ist sie also tatsächlich total fertig mit der Welt.

Ich finde nur, es liest sich nicht wie eine Geschichte. Der Bruch vom ersten zum zweiten Teil ist zu hart. In ihrem Kopf ist es innerlich am Anfang eher ruhig, fast schon depressiv, und auf einmal schreit sie los. Da stelle ich mir die Frage, ob sich das nicht langsam ankündigen sollte... Dass sie sich bei manchem Sachen ärgert (als die Mutter sie nicht nach der Schule frägt. z.B.) Ich fände es gut, wenn du das schon in den ersten Teil einarbeiten könntest. Dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt, sozusagen.

Im letzten Absatz wechselst du dann die Erzählperspektive. Von ihr auf eine allgemeine Erzählperspektive. Ich würde das weglassen oder es gezielter einsetzen. Im Moment wirkt es deplatziert. Ich denke, da steckt noch viel Potential drin.

Viele Grüße,
Marissa

 

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