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Stille erwarten

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18.04.2002
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Stille erwarten

„Also - das war so als ob man einen Film sieht, der aber Wirklichkeit ist.“
Laura beugte sich vor, ihr Blick schien irgendetwas Entferntes zu verfolgen, dann begann sie zu erzählen:
„Bedrohlich große, eiserne Bögen wölben kaltes Metall glasbedeckt über Gleise, diese schwarzen Linien, Gelände zerschneidend. Vereinzelt klammern sich Disteln mit ihren Wurzeln an dem Schotter fest, Halt suchend im Getöse des Kommens und Gehens.
Eine Frau, gekleidet mit einem ehemals modernen Ledermantel, hält krampfhaft einen schwer wirkenden Koffer fest, als wenn dieser verhindern würde, dass sie von dem allgemeinen Getöse, den durchfahrenden Zügen, mitgerissen wird. Das Gepäckstück ist fast leer, nur ein Schminkset, ein Nachthemd, außerdem ein Tagebuch sind in ihm. Rollenspiele, Unterschlupf, vergangene Zeiten. Sie wartet und Zeit vergeht. Der Bahnhof ist voll mit emsigen Menschen, doch ohne Mitmenschen.
Alle Zeit, die Wunden heilt, ist auf der Flucht - die Frau sollte es gleichfalls sein. Der Koffer scheint zu schwer, um zu fliehen, auch wenn das Lösegeld der Reue und bitteren Einsicht schon lange gezahlt ist.
Sie wartet, fühlt sich ausgeschlossen. Was soll die Betriebsamkeit, immerwährende Veränderung? Soll man Gegebenheiten an Wünsche anpassen, oder Wünsche an Möglichkeiten? Bedingungslose Sicherheit, ohne den Zwang letztlich unwissend entscheiden zu müssen, dies wäre ihr Schlüssel zur Zufriedenheit. Dann wiederum der nagende Wunsch, auswählen zu können, Freiheit und Glück zu erhaschen. Machtvolle äußere Zwänge lähmen das Selbstbestimmtsein der Frau, drängen die Suchende in einen Zustand voller Unzufriedenheit. Heilsame Zeit zögert unerfüllten Erwartungen näher zu kommen, die Frau aus dem Wartezustand zu erlösen. Schließlich dringt die Monotonie der Geräusche in sie ein, beruhigt ihre gehetzten Gedanken.
Jetzt, ganz überraschend …
Sie wartet, ohne festzulegen, worauf.
Ihr Leben ist allenfalls ein kleiner Teil des Weltgeschehens. Ein Ausschnitt - nun trotzdem von gleicher Bedeutung. Ein Eins-Sein mit dem ‚Es Ist’, einer inneren Unendlichkeit. Die Frau ist frei von dem Bestreben glücklich zu werden. Der Lärm hat sich in Geräusche verwandelt, welche sie in der Stille wahrnimmt. Stille saugt allen Lärm auf. Umhüllt ihn mit Lautlosigkeit. Erstickt seinen scheinbaren Sinn.

Nichts wollen,
nichts müssen,
einfach nur sein.

Plötzlich zuckte ich zusammen.
Hatte mich jemand berührt? Ein Zug war angekommen, auf dem Bahnsteig herrschte ein großes Gedränge. Ich musste lächeln, hoffentlich bin ich nicht beobachtet worden. Ja, dachte ich, das Lösegeld ist bezahlt, Vergangenes zählt lediglich in Form einer Erinnerung, nur heute konnte sie für einen Moment von Bedeutung sein. Der Koffer ist nicht mehr schwer, denn er enthält jetzt meine künstlerischen Arbeiten, das Resultat eines selbst bestimmten Lebens. Gewiss, Unglück kann immer wieder in mein Leben eintreten, es wird die gewonnene innere Stille nicht mehr verdrängen können.
Ich drehte mich abrupt um, ging zielstrebig auf den Ausgang zu, ließ altbekanntes Bahnhofgelände hinter mir, kaum waren noch die typischen Bahnsteiggeräusche zu hören. Der Platz, an dem ich gestanden hatte, war nun leer, trotz allem ohne Spur von mir.”

Laura lehnte sich zurück. Knarrend bewegte sich der mächtige Ledersessel, obwohl meine neue Freundin sehr zierlich ist. Zart ist sie, ja, so würde ich das nennen. Als „die kleine Blasse, mit widerspenstigen, schwarzen Haaren”, hat man sie schon oft beschrieben. Ich kannte nun nicht nur diese Äußerlichkeiten, sondern war froh, auch an ihren persönlichen Gedanken teilhaben zu können.
Sie hatte während ihres seltsamen Berichts sehr konzentriert gewirkt, jetzt wirkte sie deutlich entspannter. Während sie ihr Déjà-vu-Erlebnis schilderte hatte ich natürlich nicht gewagt, sie zu unterbrechen. Zu sehr versetzte sie sich beim Erzählen in das vormals Geschehene.
„Und, bist du wirklich seit diesem Erlebnis glücklicher, ausgeglichener - kann ein Moment so viel bewirken?”
Laura antwortete nicht gleich, irgendwie schien ihre Erfahrung noch nicht vergangen, sondern real, überwältigend präsent zu sein.
„Ich bin noch Ich, aber doch anders - vielleicht ‚innerlich umgedreht’?” Wir mussten beide grinsen. „Was hat sich seit damals verändert?“ Die ‚Kleine’ fuhr sich mit einer Hand durch ihre kräftigen Haare, es knisterte, dann sagte sie ganz selbstbewusst:
„Weißt du, ich lasse mich nicht mehr von der Zeit erschrecken. Das ist für mich die richtige Reaktion auf all die scheinbare Wichtigkeit der Dinge.”
Wir schwiegen.

Lautes Warten

in

einer Bahnhofshalle

Zeit zerbricht

.

 

Hallo Siegbert,

Hier in München gibt es in der Bahnhofsgegend schon seit Jahren zwei obdachlose Frauen, denen ich zumindest, ob ich es will oder nicht, in dieser Gegend immer wieder en passant begegne. Die eine ist die meiste Zeit stets am gleichen Platz, in einer Art hockenden Stellung und fortwährend Zigaretten rauchend, zu finden und hält ebenso die meiste Zeit unentwegt beim Vorrübergehen nicht zu überhörende, wirre Selbstgespräche. In der Regel setzen sich diese aus unterschiedlichsten Beschimpfungen gegen irgendetwas zusammen. Ohne freilich, dass man einen größeren Sinn in ihnen wahrnehmen könnte. Ihr Gesicht besitzt dabei nicht selten einen ausgeprägt angewiderten und hasserfüllten Zug.
Die andere habe ich bisher nie anders als schweigend und ohne irgendeine Art Stammplatz in der Stadt angetroffen. Sie hat stets eine Reihe voller Einkaufstüten bei sich und fährt öfters mit der U-Bahn einige Stationen beliebig hin und her (so scheint es mir zumindest). Spricht man sie an, bekommt man keine klare, vernünftige Antwort aus ihr heraus.

Sie gehören für mich schon längst zu jenen einsamen und auf ihre Weise skurrilen Menschen hier, die dieses Stadtbild mitunter prägen und ihr beständig eine Art negativen Spiegel vorhalten. Wohlstand und Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit. Es könnte alles auch ganz anders sein.

Aber wie ich darauf komme: Auch für diese Menschen ist die Zeit wohl irgendwann einmal in der Vergangenheit gleichsam "zerbrochen". Gestern, heute, morgen... diese für uns so zweckmäßigen Unterscheidungen haben für sie ihre Bedeutung verloren. Alles zeitliche zerfließt ineinander, verliert seine zivilisatorisch auferlegte Struktur.

Deine beschriebene Frau mit ihrem Koffer hat mich beim Lesen an diese beiden Frauen erinnert. Sie bleibt in deiner Geschichte anonym und rätselhaft. Man erfährt nicht viel über sie. Lediglich das, was "Laura" beobachten konnte und - so scheint es - zum Teil auch nur wollte.

Manche Hinweise im Text deuten aber dagegen darauf hin, dass diese Frau mit dem Koffer nichts weiter als eine ausgemalte Fiktion Lauras ist. Wie kann sie beispielsweise wissen, was diese in ihrem Koffer hat?

Ich vermute aber mal am ehesten, dass es vielleicht eine Zusammensetzung aus beidem war, also sowohl ein reales Erlebnis als auch ein fiktiv erfundenes.

Zuletzt wäre aber auch noch denkbar, dass sie selbst diese Frau mit dem Koffer ist.

Zumindest den Beginn von Lauras Erzählung empfinde ich persönlich auch nach mehrmaligem Lesen als zu unnatürlich fein ausformuliert und irgendwie etwas weit hergeholt. Ich kann mir eben nur schwerlich vorstellen, dass mir jemand etwas frei zu erzählen versucht und dabei so ausgesprochen ausgefeilte Sätze hervorbringen kann. Es wirkt eher wie abgelesen, nicht wie frei erzählt. (das gilt für mich im Übrigen mehr oder weniger auch für den Rest von Lauras Geschichte bzw. ihrem "Erlebnis")

Nichts wollen,
nichts müssen,
einfach nur Sein.
Müsste es nicht heißen: "einfach nur sein" ?

[...] während sie ihr Deja vue Erlebnis schilderte.
Deja-vu-Erlebnis...

Die Zeit, die Wunden heilt, ist auf der Flucht und die Frau sollte es auch sein.
Die Einfügung "die Wunden heilt" finde ich nicht so gelungen. Es hört sich so im Nachhinein zwischenreingeschoben an. Das empfinde ich beim Lesen als störend.

Der Lärm hat sich in Geräusche verwandelt, die sie in der Stille wahrnimmt.
Nenn mich phantasielos, aber ich kann den Unterschied zwischen Vorher und Nachher dieser Verwandlung nicht verstehen.

Die Stille saugt den Lärm auf. Umhüllt ihn mit Lautlosigkeit. Erstickt seinen nur scheinbaren Sinn.
Welchen (scheinbaren) Sinn hat Lärm? An Stellen wie diesen wird mir der ohnehin schon nicht leicht zu lesende Text ehrlich gesagt doch eine Spur zu obskur und erklärungsbedürftig.


gruß
philo

 

Hallo Siegbert,

ich denke Laura beschreibt sich in deiner Geschichte selbst. Sonst wüsste sie nicht so detailiert welche Gegenstände sich in dem Koffer befünden.

Doch das Gepäckstück ist fast leer, nur ein Schminkset, ein Nachthemd und ein Tagebuch befinden sich in ihm

Sie wartet, doch weiss nicht auf was oder wen, sie wird von den vorbeieilenden Menschen nicht wargenommen.

Sie wartet und die Zeit vergeht. Der Bahnhof ist voll mit emsigen Menschen, doch ohne Mitmenschen.

Eigentlich wollte sie fortfahren, doch die Last der Gedanken hindert sie daran.

Die Zeit, die Wunden heilt, ist auf der Flucht und die Frau sollte es auch sein. Doch der Koffer scheint zu schwer, um zu gehen, auch wenn das Lösegeld der Reue und bitteren Einsicht schon lange gezahlt ist.

Sich entscheiden, ohne die Angst vor der Konsequenz sich falsch entschieden zu haben und die Konsequenzen der Entscheidung einfach als gegeben hinzunehmen, ohne das Bedauern: Hätte ich eine andere Entscheidung gewählt, was wäre dann?

Was soll die Betriebsamkeit, die ständige Veränderung? Soll man die Gegebenheiten an Wünsche anpassen, oder die Wünsche an die Möglichkeiten? Bedingungslose Sicherheit, ohne den Zwang letztlich unwissend entscheiden zu müssen, dies wäre jetzt ihr Schlüssel zur Zufriedenheit.

Die Stille der Wahrnehmung wächst, wenn die Gedanken um die Richtigkeit der Entscheidungen verschwinden.

Die Zeit zögert, sich ihren unerfüllten Erwartungen zu nähern, sie aus dem Wartezustand zu erlösen. Schließlich dringt die Monotonie der Geräusche in sie ein, beruhigt ihre gehetzten Gedanken.

Das akzeptieren, den inneren Kampf niederzulegen und Zufriedenheit in allen Gegebenheiten zu finden, ohne Ängste sich für das Falsche entschieden zu haben.

Ein Eins-Sein mit dem `Es Ist´, einer inneren Unendlichkeit. Sie ist frei von dem Bestreben glücklich zu werden

Durch dieses Umdenken, werden Gedanken die für nicht mehr wichtig erscheinen, gelöscht wobei mehr Wahrnehmung für die Situation gegeben ist. Stille hat Platz.

Der Lärm hat sich in Geräusche verwandelt, die sie in der Stille wahrnimmt. Die Stille saugt den Lärm auf. Umhüllt ihn mit Lautlosigkeit. Erstickt seinen nur scheinbaren Sinn.

Die Erkenntniss, den neugefundenen Weg, die Erinnerungen hinter sich zu lassen, und die Zukunft mit akzeptierten Entscheidungen zu meistern.

die Vergangenheit zählt nur noch als Erinnerung, nur heute war sie für einen Moment von Bedeutung. Der Koffer ist nicht mehr schwer, denn er enthält nun meine künstlerischen Arbeiten, das Resultat eines selbst bestimmten Lebens. Gewiss, Unglück kann immer wieder in mein Leben eintreten, doch es wird meine innere Stille nicht mehr verdrängen können

Dadurch wird Zeit unwichtig, denn die Entscheidung wird gefällt und für den Moment als Richtig gewertet.

Eine wunderschöne zum Denken anregende Geschichte. Dir noch ein frohes neues Jahr wünscht dir

Morpheus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Thomas,

die beiden von Dir geschilderten Frauen kann ich mir gut vorstellen. Solche Menschen findet man wohl in allen großen Städten.
Meine Protagonistin muß nicht unbedingt obdachlos gewesen sein, aber sie war auf alle Fälle aufgrund einer prinzipiellen Lebenskrise unglücklich. Das ändert sich erst durch ihr Erlebnis.
Ich finde Deine Formulierung

„Es wirkt eher wie abgelesen“ sehr treffend. Sie `liest´ ja auch gewissermaßen von dem Film ab, der in ihrem Gedächtnis abläuft, sie erlebt alle selbst erfahrenen Szenen und Gefühle wie eine von außen beobachtende Person.

Der Einschub „Wunden heilt“ ist wichtig, im Moment weiß ich nicht, wie ich ihn umgehen könnte.

„Der Lärm hat sich in Geräusche verwandelt, die sie in der Stille wahrnimmt“ - erst hört sie nur den Lärm (als Symbol für die geschäftigen Bestrebungen des Menschen), er dominiert das Leben. Dann `schrumpft´ der Lärm gewissermaßen, er wird zu einer (weniger bedeutsamen) Teilmenge in der Stille. Letztlich sollen die Geräusche keine Rolle mehr spielen.
Das Problem ist halt: Wie soll man so einen (Zen- Moment) des Loslassens, den man nur selbst er-fühlen kann, beschreiben? Zen ist eine Lebensphilosophie, mit starkem psychologischen Moment, wollte mich da rantasten. Eigentlich sind Philo-Geschichten keine Psychologie-Texte.
Ich sehe da keine Phantasielosigkeit beim Leser, es gibt einfach eine prinzipielle Hürde.

Die Antwort auf Deine letzte Anmerkung ergibt sich aus der Erklärung des Symbols `Lärm´. Wo steckt der Sinn des menschlichen Strebens? Macht es glücklich?

Vielen Dank für Deine ausführlichen, prüfenden Gedanken.
Die Tippfehler habe ich korrigiert,

alles Gute,

tschüß… Siegbert

 

Hallo Morpheus,

vielen Dank, dass Du meine Geschichte durchgegangen bist!
Es stimmt: Laura sieht sich selbst, nur sie kann solche intimen Kenntnisse der geschilderten Gefühle haben.
Was Du „Entscheidungen“ nennst ist identisch mit meinen `Bestrebungen´: Das Streben des Menschen hängt mit Entscheidungen zusammen. Leider entscheidet man immer mit einem gewissen Grad an Unsicherheit, auch dadurch wird unser Streben in Frage gestellt.
(Es geht halt um das prinzipielle Problem der Zufriedenheit).
Letztlich verlässt sie den Zustand der Geräuschwahrnehmung (Geräusch- chaotisch im Gegensatz zu Klang), wie Du so schön sagst: Sie schafft es, „den inneren Kampf niederzulegen.“
Du sagst:
Sie geht „einen neu gefundenen Weg“, dadurch wird „Zeit unwichtig.“ So ist es, doch ihre Freundin ist wohl nicht so ganz überzeugt…


Liebe Grüße,

tschüß… Woltochinon

 

Salut Woltochinon,

Da schaue ich mal in diese Rubrik und finde eine so schöne Geschichte von dir! Ich finde du hast überzeugend geschildert, wie das Mädchen Revue ihre Erlebnisse passieren lässt. Außerdem wurden viele Fragen auf eine nicht zu aufdringliche Weise aufgeworfen, es war angenehm zu lesen. Auch wenn ich mir den Text zweimal durchgelesen habe, damit ich beim ersten Mal lesen nichts vielleicht nur untergründig angesprochene verpasse.

Die Zeit, die Wunden heilt, ist auf der Flucht und die Frau sollte es auch sein.
Über das eingeschobene "Die Wunden heilt" bin ich übrigens auch ein wenig gestolpert, es wirkt im Text etwas fremd.

kann ein Moment so viel bewirken?
Ja :)

 

Hallo Woltochinon,
Jetzt habe ich diese Geschichte zum zweiten Mal gelesen.
Beim ersten Mal, war es die Sprache, die mir zu schaffen machte, denn ungewöhnlich viele Bilder entstanden vor meinem Auge, die ich erst noch filtern musste.
... Ich zäum, das Pferd mal von hinten auf.
Eine neue Freundin erzählt jemandem, mit dem sie so vertraut ist, das sie mit ihm eine Begegnung mit dem eigenen Ich erzählt.
Ups, jetzt doch von vorne
Sie beginnt ihre Geschichte mit der 3. Person, das wohl die Distanziertheit zu ihrem alten Leben verdeutlichen soll.
Die Prot unterwirft sich Zwängen, die sie in zwei verschiedene Richtungen treiben,
der eine Wunsch besteht darin, nicht wählen sprich entscheiden zu müssen, während der andere Wunsch ist, endlich ihre unerfüllten Sehnsüchte zu erfüllen.

die innere Aufruhr verdeutlichst du mit dem Lärm, der sie umgibt, als sie die unterschiedlichsten Zukunftswege sprich Gleise vor sich sieht. Sie empfindet, die Konsequenz ihrer Entscheidung als bedrohlich und genau diese Angst lähmt sie.
Sie wartet daher ab, bis ihre Unzufriedenheit sie drängt Stellung zu beziehen.
Und dann geschieht etwas Ungewöhnliches sie wechselt in die 1. Person, weil es das neue Leben ist, ihre Wahrnemung ändert (Lärm wandelt sich in Geräusche) sich. Ihre Hoffnungen, die sie an ein erfülltes Leben hängt sind nicht unerreichbar sondern einfach.
Das was ihr das Schicksal in der Vergangenheit aufbürdete, hat an Gewicht verloren, hat keinen Einfluß auf ihr künftiges Handeln.
Sie entscheidet sich befreit für ihren eigenen Weg und findet sogar noch Gleichgesinnte mit denen sie sich austauschen kann.

Fazit:
Deine Geschichte lebt von den Bildern, die du entstehen lässt.
Was mir fehlt ist der gefühlsmäßige Aspekt, den du im dritten Teil mit dem Dialog für meinen Geschmack nur andeutest.

Liebe Grüße Goldene Dame

 

Hallo Thorn,

danke für Deine Anmerkung, vor allem für das zweimalige Lesen!

Die Frau hat schon bessere Zeiten erlebt („ehemals moderne Ledermantel“, sie brauchte „Unterschlupf“) - deshalb „die Zeit, die Wunden heilt.“ Vielleicht ist es ganz gut, wenn man da etwas `stolpert´, dann nach den Wunden der Frau schaut? (Leider erfüllt die eilende Zeit bei ihr nicht den heilenden Zweck).

Besonders Interessant finde ich Dein „Ja“, weil es so entschlossen ist. Dem würden die Zen-Meister auch zustimmen…

Alles Gute,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Goldene Dame,

um das Pferd mal von hinten aufzuzäumen:

Zitat:
Was mir fehlt ist der gefühlsmäßige Aspekt, den du im dritten Teil mit dem Dialog für meinen Geschmack nur andeutest

Da ich anderen Autoren oft schreibe `Deine Geschichte behandelt einen psychologischen, nicht philosophischen Aspekt´ wollte ich mit dieser Geschichte einmal ausloten, wie weit man ein emotionales Erlebnis mit philosophischen Fragen (prinzipielle Frage nach dem `Glück´) in Beziehung bringen kann. Deshalb die Beschränkung bei gefühlsmäßigen Ausführungen.

Zitat:
Das was ihr das Schicksal in der Vergangenheit aufbürdete, hat an Gewicht verloren, hat keinen Einfluß auf ihr künftiges Handeln

Stimmt- das Zukünftige wird sie mit eine prinzipiell neuen Lebenshaltung erfahren, sie hat sich gelöst vom „scheinbaren Sinn.“

Zitat:
der eine Wunsch besteht darin, nicht wählen sprich entscheiden zu müssen, während der andere Wunsch ist, endlich ihre unerfüllten Sehnsüchte zu erfüllen

Stimmt- auch hier ist die Protagonistin wieder Stellvertreterin im Erleben einer prinzipiellen Problematik, die uns Menschen das Leben schwer macht: Mit unserer Entscheidungsfreiheit ist es nicht weit her, weil wir ständig aufgrund ungenügender Datenkenntnis Entscheidungen treffen.

Vielen Dank für Deine Anmerkungen,

alles Gute,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

Da ich anderen Autoren oft schreibe `Deine Geschichte behandelt einen psychologischen, nicht philosophischen Aspekt´ wollte ich mit dieser Geschichte einmal ausloten, wie weit man ein emotionales Erlebnis mit philosophischen Fragen (prinzipielle Frage nach dem `Glück´) in Beziehung bringen kann.

Da hast du natülich recht, dass der psychologische Hintergrund dominiert, wenn der Gefühlsfaktor stärker berücksichtigt wird.

Jetzt, ganz überraschend…

an dieser Stelle, wo du einleitest, dass sie ihre Wahrnemung ändert, hatte ich Probleme, worin der Grund ihres Umdenken bestand. Welcher Anstoß war es?
War es eine innere Eingebung?

Gruß Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

ja, Deine Frage trifft natürlich einen entscheidenden Punkt…

Die Lösung ihres (eigentlich `unseres´) Glück-Problems beginnt sie rational. Doch plötzlich, ausgelöst durch die Monotonie der Hintergrundgeräusche, die ihre innere Spannung löst (vielleicht eine Art Trance), erlebt sie emotional, nicht rational einen Lösungsweg: Sie will die Umstände weder durch ein Streben verändern, noch sich anpassen- sie steht über den Dingen „Nichts wollen, nichts …“
Der Zen-Buddhismus kennt mehrere Möglichkeiten einen `Erleuchtungsmoment´ auszulösen (z.B. Monotonie/Meditation), aber dieses `Dinge in einer Gesamtschau sehen´ kann ganz plötzlich auftreten, wie es auch als `Haiku-Moment´ beschrieben wird. Dieser Teil der Story ist halt nicht rational vermittelbar, der Schluß kehrt allerdings wieder zur Rationalität zurück.

„Innere Eingebung“ ist wohl zu rational belegt- eine innere Umpolung, ein vollständiges `Abstand gewinnen`?

Vielen Dank für Dein Interesse,

alles Gute,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

Doch plötzlich, ausgelöst durch die Monotonie der Hintergrundgeräusche, die ihre innere Spannung löst (vielleicht eine Art Trance), erlebt sie emotional, nicht rational einen Lösungsweg:

Das kann ich nachvollziehen, durchaus.
aber dieses `Dinge in einer Gesamtschau sehen´ kann ganz plötzlich auftreten, wie es auch als `Haiku-Moment´ beschrieben wird.

und wenn dadurch ihre Wahrnehmung geöffnet wird und ihr die Zusammenhänge greifbar werden, ist das etwas durchaus eine Erleuchtung, die zwar nicht eingegeben wird, aber besonders erfahren wird.

Vielen Dank noch mal, dass du mir das bestätigt hast, woran ich glaube und versuche.
Goldene Dame

 

Servus Woltochinon!

Die Zeit die Wunden heilt ist auf der Flucht. - ein sehr schöner und nachhallender Satz..

Der Moment in dem man das Gefühl für Zeit verliert, ist ein Augenblick in dem man spürt wie Ewigkeit aussieht. "Es ist" ermöglicht das Empfinden vom körperlichen "Nicht sein". Dieser Frau entschwindet für einen Moment der Anker in der Realität, und gerade dadurch erlebt sie erst das Zentrum des Stillstandes. Es ist nicht mehr wichtig ob man sich für Veränderung entscheidet oder nach Sicherheit sehnt - einzig in der Zeitlosigkeit liegt die Beständigkeit in der alles geborgen ist.

Du sprichst von östlichen Möglichkeiten dies zu erfahren, ich kenne dieses wundersame Entgleiten in ein Zeitloch vom Malen her – jeder kann es anders wahrnehmen. Warum nicht in der verwirrenden Betriebsamkeit eines Bahnhofs? Und plötzlich zerbricht die Zeit - wunderbar.

Ich finde, es ist eine deiner gelungensten Geschichten. Sie lebt von der Schwingung.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo schnee.eule,

endlich eine Spur von Dir und das gleich hier, freue mich sehr.
Vielen Dank für das große Lob, ohne Deine Geschichten zu kennen, hätte ich „Stille erwarten“ nie geschrieben (Du erinnerst Dich an Deinen Hinweis an mich über Gefühle in Geschichten?). Nun, ganz vom Rationalen habe ich mich natürlich nicht entfernt.
Das Gefühl, das Du vom Malen her kennst, erlebe ich manchmal in der Musik oder Natur (natürlich gehören auch Menschen zu ihr), ein Ton oder eine Stimmung könnte dann ewig währen.
Besonders gefreut hat mich, wie Du die Bedeutung des Bahnhofs würdigst- gerade der Ort, an dem Zeit so wichtig genommen wird, ist der Raum, in dem die Zeit zerbricht.

Zitat:
einzig in der Zeitlosigkeit liegt die Beständigkeit in der alles geborgen ist

Wenn das in einer Geschichte stünde, würde ich es in die Metaphernsammlung aufnehmen.

Liebe Grüße,

tschüß… Woltochinon

 

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