Was ist neu

Still wie Schneeflocken, die sanft die Erde berühren

Mitglied
Beitritt
29.12.2017
Beiträge
3

Still wie Schneeflocken, die sanft die Erde berühren

Nour war aufgeregt und für einen kurzen Moment konnte sie ihre schrecklichen Erinnerungen an die zerbombten Häuser in ihrer Heimat Syrien vergessen. Viel zu intensiv waren die Eindrücke dieser deutschen Stadt, den großen Häuserblöcken, den vielen bunten Menschen mit Einkaufstüten, die keine Angst haben müssen im Schlaf abgestochen zu werden.
Sie saß in einer gelben Straßenbahn, zusammen mit ihrer kleinen Schwester Zada. Zada war gerade erst 7 Jahre alt geworden und musste vor 13 Monaten mitansehen, wie ihre Mutter und ihr Vater von syrischen Rebellen niedergeschossen wurden. Nour konnte sich selber und Zada im letzten Moment retten: Sie versteckten sich in einem brauen Wandschrank, den der Vater selber gebaut hatte, als er noch als Tischler arbeiten konnte. Nour erinnerte sich an den Geruch des alten Holzes, als sie die herzergreifenden Schreie des Vaters hörte, der röchelnd um sein Leben flehte. Sie hielt Zada fest im Arm, bereit ihr den Mund zuzuhalten, wenn sie anfangen würde zu schreien. Aber sie war still. Still wie Schneeflocken, die sanft die Erde berühren.
Nour und Zada waren alleine auf der Flucht. Es war ein langer Weg aber die vielen Menschen, die mit ihr den Heimatort verlassen haben, waren bei ihnen. Sie waren zwar ohne Eltern aber niemals wirklich alleine. Abra, ein guter Freund der Familie, hatte immer ein Auge auf sie. Er saß nur wenige Meter entfernt von Nour auf seinem Platz und unterhielt sich mit einem Deutschen. Erst jetzt viel Nour auf, dass in der Straßenbahn auch Deutsche mitfuhren. Eine ältere Dame beobachtete sie aus dem Augenwinkel, sah aber schnell wieder weg, wenn ihre Blicke sich trafen. Direkt neben ihr stand ein Mann, vielleicht um die 50 Jahre alt und versuchte sich festzuhalten. Die Straßenbahn rumpelte durch die Stadt, die vor lauter Leben zu atmen schien. Nour war begeistert. Der Mann jedoch hatte einen finsteren Blick und immer wieder hob er genervt die Augenbraue und schüttelte leicht den Kopf; gerade so, dass man es sehen konnte. Nour konnte jedes Misstrauen in dieser Straßenbahn verstehen. Menschen, unbekannte Menschen kamen den Deutschen sehr nahe, vielleicht zu nahe. Und doch, obwohl sie bislang niemanden hat lächeln sehen können, empfand sie unendliche Dankbarkeit.
Auf einmal sah sie einen jungen Mann, der sie einen Moment zu lange anlächelte. Nour fragte sich, ob sie ihn kannte aber dem war nicht so. Sie lächelte scheu zurück und senkte den Blick. Sie sah in seine Richtung um aus dem Augenwinkel zu erahnen, ob er sie immer noch anstarrte. Sie genoss die Blicke des mysteriösen Mannes, die sie förmlich auszogen. Der Mann schien hier geboren zu sein, ihm fehlte die typische südländische Art aber so wie er sie ansah, eindringlich und direkt, ging es ihr durch Mark und Bein. Es war ein schönes Gefühl, angesehen zu werden. Ein schönes Gefühl, wahrgenommen zu werden. Gefühle dieser Art sind mit den Toten aus ihrer Straße gestorben, deshalb wurde sie von dieser Energie überwältigt. Peinlich berührt blickte sie rasch zu Zada, die aber damit beschäftigt war, ein am Boden festgeklebtes Kaugummi mit den Schuhen wegzukratzen.
Nour fasste allen Mut zusammen und erwiderte den Blick des Mannes. Seine braunen Haare, die sich leicht kräuselten. Das breite Grinsen mit den perlweißen Zähnen und den Muskelfasern, die sich kraftvoll an seinem Hals abzeichneten. Am meisten jedoch war Nour von den hellbraunen Augen fasziniert, die sie nie wieder vergessen würde. Und plötzlich, völlig ohne Vorwarnung stand er auf und ging langsam auf sie zu. Wie in Trance mühte Nour sich auf, hielt sich an der Rückenlehne fest und sah zu, wie der fremde Mann zielstrebig auf sie zuging. Ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Begrüßung standen sie sich auf einmal gegenüber. Keiner der anderen Fahrgäste schien sie zu bemerken, alle waren vertieft in ihre Gespräche oder starrten nach draußen auf die fremde Welt, die fliegend an ihnen vorbeiraste. Der Mann hob seine Hand und legte sie sanft auf das Gesicht von Nour. Sie ließ es zu, genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. Aber da war etwas in seinen Augen, dass sie nicht erwartete. Der Mann lächelte aber seine Augen sagten etwas anderes. Nour spürte auf einmal, dass sich etwas veränderte. Hier. Jetzt. In diesem Moment passierte etwas Gefährliches aber sie wusste nicht was. Sie hielt den Atem an, griff nach dem Arm ihrer Schwester und riss die Augen auf. Sie ahnte etwas. Sie fürchtete, dass es tatsächlich passieren würde. Sie bekam Todesangst. Der fremde Mann mit den hellbraunen wunderschönen Augen starrte sie weiterhin lächelnd an aber sein Blick wurde eindringlicher, bedrohlicher und fordernder. Für einen kurzen Moment blickte er sich abschätzend um und dann passierte es: Er nahm seine Hand von ihrem Gesicht und öffnete den ersten Knopf seiner Jacke. Nour wollte schreien aber die Angst lähmte sie. Sie konnte eine pochende Ader über seinem rechten Auge sehen. Lachend und mit geübten Händen öffnete der Mann den zweiten Knopf. Nour fing an zu zittern und Tränen schossen ihr in die Augen. Flehend sagte sie mit ihren Augen, dass der Mann damit aufhören solle aber er öffnete langsam und genüsslich die letzten zwei Knöpfe seiner Jacke. Und dann, wie in Zeitlupe schob er mit beiden Händen die Jacke zur Seite. Nour fiel zurück, knallte gegen die Scheibe, fing unkontrolliert an mit den Armen zu wedeln. Jetzt erst wurden die anderen Fahrgäste auf sie aufmerksam und beobachteten sie peinlich berührt. Sie alle konnten nicht sehen, was sie sah. Sie alle konnten nicht ahnen, was in den nächsten Sekunden passieren würde. Sie alle sahen nicht die Bombe, die der Mann unter seiner Jacke versteckte. Und sie alle fühlten nichts, als der junge Mann mit den hellbraunen Augen den Knopf drückte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sanbenganza,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.

Ein Hinweis von Autorin zu Autor. Es gibt zwar keine Regel bei uns, wieviele Texte man gleichtzeitig einstellen darf oder sollte. Oder ob man fremde Texte kommentieren muss.
Aber ein bisschen Umschauen und Nachdenken macht doch recht schnell klar, wer soll das kommentieren außer deinen Mitautoren? Und die wollen auch alle schreiben und posten.
Also man überfordert sehr schnell so ein Forum, wenn man viele Texte gleichzeitig oder in kurzer Folge einstellt. Und wenn man dann nur auf Antwort wartet und selbst keine fremden Texte im Gegenzug kommentiert, kriegt man sehr schnell keine Kommentare mehr und verschwindet ungelesen. Das kann doch auch nicht Sinn der Sache sein.

Also ich würde raten - nur einen Text einstellen (kann man wenigstens auch in Ruhe bearbeiten) - andere User kommentieren. Sich in ein Forum einbringen.

Und noch ein Rat. Du hast deinem Text (auch den beiden anderen) keinen Tag gegönnt. Wolltest du nicht? Tags zu setzen, das ist schon recht nützlich. Man trifft für Leser eine Vorauswahl, die wissen dann, welcher Bereich auf sie zukommt. Ohne Tag kann dein Text auch nicht so leicht wiedergefunden werden.

Zu deinem Einstand hier muss ich leider sagen, dass mir Text Nummer drei leider nicht sonderlich gut gut gefällt. Zu den anderen kann ich nichts sagen, die muss ich erst lesen.

Ich bin mir sicher, dass du dir viel vorgenommen hast bei diesem Text, viel verdeutlichen wolltest, doch genau das ging aus meiner Sicht schief. Die Personen und die Situation sind sehr plakativ gezeichnet. Das Elend, aus dem Nour stammt, wird so sehr verdeutlicht, dass es literarisch gesehen zum Stereotyp wird.
Natürlich stammt sie nicht aus einer Stadt, sondern vom Land, denn sie hat anscheinend noch nie Häuserblöcke gesehen.
Andererseits sitzt sie in einer Straßenbahn irgendwo in einer deutschen Stadt und wundert sich, dass das auch Deutsche hocken? Natürlich könnte das passen in einer Geschichte, aber so einfach in den Raum gestellt wirkt das ziemlich undurchdacht.
Gefragt habe ich mich auch, warum die kleine Schwester, die ja für Nour eine ziemliche Bedetuung hat, in der Geschichte keinen Platz mehr bekommt. Würde die nicht direkt neben ihr sitzen? Was mitkriegen? Würde Nour nicht nach ihr reflexmäßig greifen? Irgendsowas tun, wenn sie die Bedrohung erkennt? Dadurch, dass du die Schwester hinterher nicht mehr erwähnst, wirkt sie leider nur wie eine Staffage für den Satz mit dem Schnee.
Nours Geschichte, die Hintergründe der Flucht, das hat man einfach schon xmale gelesen, warum wird da nicht ein bisschen recherchiert, was Besonderes gemacht? Und insgesamt würde ich Nour viel stärker als konkrete Person deutlich machen. Auch ihre Dankbarkeit, das ist mir alles zu vorhersehbar, zu oft gelesen. Sie hat keine Kante, diese Nour.
Sie ist so ein edler dankbarer Flüchtling, und das mag ich daran einfach nicht, weil sie ein Anziehbild ist und kein konkreter Mensch. Im Gegensatz zu ihr dann der geheimnisvolle schöne (edel aussehende) Nichtflüchtling (auch aus dem arabischen Raum) der dann, ohne Angst oder Aufregung zu zeigen, die UBahn in die Luft jagt. Und natürlich agiert der auch, wie man sich das so vorstellt, der inszeniert die Attacke genüsslich. Mir ist auch das Ende einfach zu plakativ. Da sieht man keine Angst, keine Aufregung, nichts, keine Furcht vor dem eigenen Selbstmord. Klar, der knöpft sich natürllich genüsslich den Weg zur Bombe auf.

Ansonsten kann ich mir von deinem Stil her sehr gut vorstellen, dass das was wird, ach was, natürlich was ist, in anderen Geschichten oder jedenfalls welchen, die mehr meinem Geschmack entsprechen. Hier kann ich schwer Stil und Inhalt trennen, wenn du zum Beispiel mit dem Mittel der Wiederholung
arbeitest wie in dem folgenden Satz:

Viel zu intensiv waren die Eindrücke dieser deutschen Stadt, den großen Häuserblöcken, den vielen bunten Menschen mit Einkaufstüten, die keine Angst haben müssen im Schlaf abgestochen zu werden.
Mal abgesehen davon, dass die grammatikalische Folge der Eindrücke nicht zu stimmen scheint, die aufgezählten Eindrücke müssten im Nominativ stehen, aber dem will ich grad nicht nachgehen, kann man das, klar, so machen: mit dem Mittel der Aufzählung (und damit der sich wiederholenden Form) der visuellen Eindrück. Gleichzeitig, und das macht es vielleicht so plakativ, sind das sehr allgemeine Eindrücke. Jeder Mensch, der eine Großstadt schildert, sagt sofort: Häuserblöcke, Einkaufstüten. Wenn das aber sowieso jedem einfällt, auch jedem Nichtschreiber und Leser also, verstehst du, was ich meine, dann ist das einfach schon fürchterlich bekannt und benutzt und herkömmlich. Das ist dann auch langweilig. Warum nicht einen anderen Weg gehen und über die Schilderung einer Besonderheit einer fremden Stadt gleich den Beobachtenden mitcharakterisieren? Hat man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Und der Satz mit den Schneeflocken, der ist natürlich wunderschön und zeigt, was du kannst, aber momentan wirkt er auf mich wie ein Fremdkörper. Er fällt raus, weil deine sonstigen Beschreibungen doch eher allgemeinen Charakter haben.

Ansonsten vielleicht noch den Hinweis, dass sich im Text noch so einige Kommafehler verbergen. Zahlen schreibt man in literarischen Texten aus.

Viel Spaß noch hier
Novak

 

Hallo Sanbenganza,
um ehrlich zu sein fühle ich mich gerade etwas erschlagen von Novaks Kommentar, der so reichhaltig ist, dass mir im Moment kaum noch etwas Zusätzliches einfällt. Ich möchte mich allerdings weitgehend anschließen, was das Plakative der Geschichte angeht. Flüchtlinge und insbesondere der Krieg in Syrien sind von den Medien immer und überall derart überstilisiert und überfrachtet worden, dass man alle Bilder, die du darstellst, so gut wie permanent im Kopf hat, sobald auch nur das Wort "Ausländer" oder irgendetwas ähnliches fällt. Ich bin diesem Thema mittlerweile also schon überdrüssig, bin deiner Geschichte aber dennoch bis zum Ende gefolgt. Dein Stil sagt mir zu, er hat Potenzial. Was mich von daher durchaus gereizt hat, war der Augenkontakt zwischen Nour und dem jungen Mann, der sich für mich wie ein Flirt anfühlt. Nun weiß ich zwar nicht, wie alt Nour ist, aber auch hier erkenne ich durchaus eine gute Vorlage, bedingt durch den gut eingefangenen Moment, den Ausgang der Geschichte vielleicht in eine andere Richtung zu lenken. Also ich will der Geschichte ja nicht das Fundament nehmen oder so, aber warum nicht den Einblick erweitern indem die beiden sich vielleicht kennen lernen und er kein Attentäter ist oder vielleicht nur solchen Gedanken sympathisiert? Aber das nur als Anregung.

Was du unbedingt noch machen solltest, ist diesen wunderbaren "Schneesatz" besser einzubetten. Er steht da, in seiner ganzen Aussagekraft und Schönheit, mitten in der brutalsten Landschaft. Der Moment ist zwar still aber es will einfach nicht passen. Hierbei kam mir der Gedanke, dass es ja während der Fahrt schneien könnte und der Schneefall so eine Erinnerung an diese fürchterliche, erzwungene Stille auslöst, die ihnen zwar das Leben rettete, ihnen gleichzeitig aber die Eltern nahm.

Soviel erstmal von mir. Ich hoffe du bleibst dran. Ich würde mich freuen, die Geschichte mit einigen Änderungen nochmal zu lesen.

Beste Grüße,
Night

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom