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Stilisierte Rosen

Seniors
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29.01.2010
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Stilisierte Rosen

Florian Gram fühlte sich unbehaglich, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten war das einzige Geräusch. Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen. Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe schemenhaft die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.
Erstmals hatte er mit dem Friedhof Bekanntschaft gemacht, als Grossvater starb. Der war ein bärbeissiger Mann gewesen, niemals hatte Florian ein nettes Wort von ihm gehört. Seit seiner Kindheit mied er diesen Ort, lediglich unter dem Zwang seiner Schuldgefühle fand er sich manchmal ein, auch Vater und Mutter dünkten ihm erleichtert, als man den alten Patriarchen zu Grabe trug. Obwohl, Vater hatte sich immer dreingeschickt und nach Grossvaters Tod dessen Haltung selbst mehr und mehr angenommen. Florians Mutter hatte sich immer untergeordnet. Das Begräbnis war ihr vielleicht Hoffnung gewesen, die Strenge, welche bei ihnen vorherrschte, würde nun weichen. Dem war aber nicht so. Dies könnte auch der Grund gewesen sein, warum sie nie richtig mütterliche Gefühle zeigen konnte, obwohl Florian sich ihre Zuneigung so sehr wünschte. Es war vor allem Zucht sowie Respekt der Familie gegenüber, die man ihm beibrachte. Kindliches Vergnügen, wie etwa Besuche von Jahrmärkten, hatte man ihm stets vorenthalten. Über solche Lebensfreuden hörte er nur von anderen Knaben.
Gram roch damals beim ersten Besuch den Moder, der die Luft hier durchsetzte. Wahrscheinlich war es das sich zersetzende feuchte Laub der Bäume gewesen. Doch gleichgültig zu welcher Jahreszeit, dieser Geruch war ihm fortan gegenwärtig, sobald er den Friedhof betrat.
Hinter der Wegbiegung, inmitten einer Gruppe Bäume, bot sich der Anblick der Familiengruft. Wuchtig, imposant, dem Zeitgeist seines Urgrossvaters entsprechend. Im verwitterten Stein, erhaben der Text gemeisselt: «Memento moriendum esse / Sei eingedenk, dass du sterben musst.» Links davon ein Totenkopf, rechts eine Maske, Eingeweihten als Vanitas-Symbole erkennbar. Gram hatte Abscheu davor, seit er dies erstmals erblickt hatte. Als Kind schürte es sein magisches Denken, seine Angst vor dem Tod, die er nie mehr überwinden konnte.
Mit dem Grablicht aus rotem Glas trat er auf die Gruft zu, in Gedanken bei seinen Eltern, für die er die Kerze zu entzünden beabsichtigte. Ein Funkeln aus der Ritze, nur ein kurzes, aber deutliches Aufblitzen zwischen dem Stein und der Erde, erschreckte ihn. Ein überflutendes Angstgefühl, ein Tier lauere dort und würde ihn anspringen, nahm von ihm Besitz. Durch den abwehrenden Reflex entglitt seinen Händen das Glas und zerbrach.
Seine Panik legte sich erst wieder, als er nach intensiver Beobachtung der Ritze sich sicher war, dass von dort keine Gefahr ausging.
Mit einem Draht, den er im Behälter für Grünabfall fand, scharrte er den Gegenstand, der reflektiert hatte, aus der Ritze. Drei stilisierte Rosen, geschliffene Steine als Blüten, zwei durchsichtige und ein Roter. Eine Brosche, die jemand verloren hatte. Er wunderte sich, hier bei der Gruft so etwas zu finden. Kein Verwandter, sofern überhaupt noch weit entfernte vorhanden waren, suchte diese Stätte auf.
Beim Zusammenlesen der Scherben schnitt er sich an der rechten Hand. Fluchend suchte er mit der Linken nach einem Taschentuch, die Scherben mit dem Schuh zu einer Häufung schiebend. Als er sich entfernte, ging von den Scherben ein Glitzern aus, wie funkelnd rote Augen.

Das Tor zum Gehsteig hin war beidseitig durch eine zwei Meter hohe Thuja-Hecke eingezäunt. Als er hinaustrat, stand er unmittelbar einem schwarz-braunen stämmigen Körper gegenüber. Der Rottweiler knurrte zähnefletschend, während Gram vor Schock erstarrte. Er achtete nur auf das brutale Antlitz, schwarz funkelnde Augen und bedrohlich reisserisch, zwei spitze Eckzähne entblösst. Speichel tropfte von den Lefzen.
«Hades, komm her.» Die tiefe, barsche Stimme gehört einem Mann, der den Gehsteig entlang kam. «Entschuldigen Sie bitte, Hades ist erschrocken, als Sie plötzlich vor ihn traten. Er ist sonst sanft wie ein Lamm.»
Florian Gram fühlte sich unfähig zu sprechen, er nickte nur. Die Lähmung seines Körpers wich einem Zittern, das ihn vorerst gehunfähig dastehen liess, während der Mann mit Hades sich entfernte.

Vom Friedhofsbesuch nervlich mitgenommen, sass Gram in seiner Bibliothek bei einer Tasse Tee, eingetroffene Briefe sichtend, es waren einzig Rechnungen. In der Tageszeitung gelang es ihm nicht, sich auf die Meldungen und Artikel zu konzentrieren, weshalb er sie wieder beiseitelegte. Was war geschehen? Ich erschreckte mich zweimal heftig aufgrund von Zufällen. Mit einem gezwungenen Lachen versuchte er, seine Angst abzutun. Doch war dieser Fund ein Zufall? Dieser Friedhof erzeugte ihm Beklemmung, gab ihm das Gefühl von stetig lauernder Gefahr. Dann noch dieser Hund, Hades. Wie kann man seinen Hund Hades nennen, die mythologische Unterwelt symbolisierend? Nein, das sind schon mehr als Zufälle, ungute Zeichen.
Die Zeit vergessend sass er lange da, mit düsteren Gedanken an diese Totenwelt, als sein unsteter Blick auf den alten Einband eines Buches fiel. Es war aus dem Nachlass, er hatte es nie gelesen. Einzig Respekt hatte ihn davon abgehalten, es wegzugeben, als sein Vater starb. Warum bemerke ich ausgerechnet jetzt dieses Buch? Es sind da viele, dies aber das Einzige, welches ursprünglich aus der Bibliothek von Urgrossvater stammt. Ihm trat das ungute Gefühl auf, es berge ein düsteres Geheimnis und könnte vielleicht mit den Schrecken des heutigen Tages zusammenhängen. Widerstrebend erhob er sich und trat an die Bücherwand. «A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful», war auf dem Buchrücken zu lesen. Er kannte den harmlos klingenden Titel und doch zögerte er, bis er endlich danach griff. Da war das Zittern wieder, diesmal nur in den Händen. Vorsichtig legte er den Buchdeckel um, die erste leere Seite, welche kleine modrige Flecken wie Tintenkleckse enthielt, umschlagend. Verfasst war es von Edmund Burke, erschienen im Jahr 1757. Jeweils einige Sätze lesend, blätterte er darin. Sie klangen altmodisch und konservativ, aber unverfänglich. Ein klassisch philosophischer Text der empiristisch-sensualistischen Ästhetik, die ihn nicht interessierte. Als er die weiteren Seiten wie bei einem Daumenkinobuch vorbeiziehen liess, fiel ein Brief - wie er erst meinte - zu Boden. Auf einem alten Pergamentpapier bot sich dem Betrachter die Zeichnung eines Totenschädels an, umgeben von Blumen. Rosen waren es. Darunter in veralteter Handschrift nur schwer entzifferbar notiert: «In der Vanitas-Symbolik gilt die Rose als Blume der Venus und vertritt vor allem die Liebe und die Sexualität. Die weltliche Liebe ist – wie alles Menschliche – eitel.» Darunter war mit einer aktuelleren Handschrift, Gram glaubte die seines Vaters zu erkennen, besser lesbar geschrieben: «Aber die Liebe der Venus verdient es, durch die Rose gehuldigt zu werden.» Was sollte dies bedeuten? Mit Vanitas-Symbolen hatte Urgrossvater die Familiengruft ausstatten lassen. Die Rosen! Ihn schauderte. Es ist doch kein Zufall gewesen.
Mit einer Lupe besah er sich nun die stilisierten Rosen. Die Steine müssen echt sein, Diamanten und ein Rubin. Die Stiele und Blätter sind kein gewöhnliches Metall, nicht Silber, wahrscheinlich Weissgold oder Platin. Ein kostbares Stück, das man nicht einfach verliert. Aus der Gruft der Familie, eine Botschaft an mich? So unheimlich ihm der Ort auch vorkam, an Geister oder Untote wollte er nicht glauben, doch es fehlte ihm an Gewissheit. Die Vorstellungen, welche in seiner Familie geherrscht hatten, waren noch immer gegenwärtig, obwohl sein Vater nun schon seit vielen Jahren tot war. Die Ölbildersammlung seiner Familie, welche Szenen der Vergänglichkeit darstellten, hatte er damals, ebenso wie alte Bücher zu diesem Thema, gut verpackt in den Estrich gestellt. Sie waren ihm unheimlich. Sie wegzugeben stand jedoch im krassen Gegensatz zur Ehrfurcht seiner Familie gegenüber, das getraute er sich nicht.

Lange wälzte er sich im Bett herum, bis er Schlaf fand. Doch selbst dann wollten seine Gefühlsregungen und die Ängste sich nicht beruhigen.
Alsbald wandelte er vorsichtig, um sich spähend, zwischen Grabsteinen. Spurensuche, wonach? Er wusste es nicht, und doch musste es etwas sein, das ihn magisch anzog. Hinter einem Stein versteckt schaute er zur Gruft, die Nebelschwaden strichen sanft um das Steinwerk. Sein Blick tastete die Ritzen entlang, immer wieder meinte er Augenpaare wahrzunehmen, doch wenn er die Stellen fixierte, war nichts zu erkennen. Er wollte schon sein Versteck verlassen, als er in der Ritze zwischen Stein und Erde eine Bewegung bemerkte. Ein schmaler, kleiner Körper schob sich heraus, da noch einer und noch einer. Aus der Entfernung wirkten sie wie helle, langsam kriechende Tiere. Grottenmolche? Er hatte noch nie solche gesehen, doch besass er eine vage Vorstellung davon. Es kamen noch mehr, bereits fünf, die sich herausquälten. Da, ihm stockte vor Schreck der Atem, es waren keine Molche, sondern eine skelettierte Hand, der ein Unterarmknochen folgte. Wie suchend tasteten die Fingerknochen umher, zunehmend hektischer werdend.
Die Rosen! Klar, die Hand suchte die Rosen. Man wird mich bestrafen, wenn sie merken, dass ich sie mir wie ein Dieb aneignete. Dabei war es keine böse Absicht. Gut, ich habe sie herausgekratzt, aber in der Meinung ein Besucher habe sie verloren. Eine zweite Hand war nun dazu gekommen, die Erste unterstützend. Ich muss etwas unternehmen, bevor sich auch der Kopf der Suche anschliesst und mich entdeckt.
Vorsichtig machte er ein paar Schritte vorwärts, bis er überzeugt war, nahe genug zu sein. Der Radius der Suche war schon über einen halben Meter im Halbkreis ausgeweitet. Die Ritze begann sich ganz langsam zu dehnen, eine Schädelplatte, die nach oben drückte, wurde sichtbar. Sich auf die Distanz konzentrierend, warf er die stilisierten Rosen in Richtung der einen Hand. Er hatte sich verschätzt, und sie stiessen mit einem klackenden Geräusch an die Fingerknochen. Schnell setzte er zurück, sich hinter dem Stein kauernd, noch einen Blick zur Gruft werfend. Die Hand bewegte sich wild tastend, und als sie die Rosen fand, diese mit festem Griff packend. Als er wieder wagte, vorsichtig um den Stein zu spähen, sah er eben noch die Faust mit den Rosen in der Öffnung verschwinden, die sich danach wieder bis auf eine geringe Breite schloss. Er atmete auf, es war nochmals gut gegangen, die Gestalt war nicht herausgekommen. Er erhob sich, um davonzuschleichen, als ein Beben und Rumpeln seinen Schritt verharren liess. Mit aufgerissenen Augen sah er, dass das Monument der Familiengruft wankte und in sich zusammenzustürzen drohte.
Schweissgebadet und am ganzen Körper schlotternd wachte er auf, das Grauen der Traumvision nicht mehr länger ertragend. Im Licht der Nachttischlampe sah er die Blüten der Rosen funkeln, wie dämonische Augen. Ich muss sie wohl zurückbringen, damit die Toten wieder zur Ruhe kommen. Zu wem gehörten wohl die Hände? Urgrossvater oder Vater? Oder war es gar die von Mutter? An die Feinheit der Glieder konnte er sich nicht erinnern, der Traum war ihm nur noch fragmentarisch bewusst, meinte aber an einzelnen Knochen teils morsch abgebrochene Stellen bemerkt zu haben. Also eher eine der Gross- oder Urgrosseltern? Er hatte keine Ahnung, wie lange ein Knochen kompakt blieb, bis Porosität ihn erodieren liess.
Nein, es kann nicht sein, es war nur ein Traum. Oder doch eine Botschaft der Toten? Der Zweifel nagte an seinem Widerstand, daran zu glauben, dass Tote mit Lebenden in Verbindung treten könnten. Es war eine Gefahr, die von der Gruft ausging, da war er sich aber sicherer als je. Vielleicht funktioniert das Unbewusste ja wie ein Gefahrenkataster, dessen Sensoren den Menschen zu lenken vermögen? War die Traumvision ein Hinweis, die Toten nicht zu erzürnen? Er würde die Rosen zurückbringen, um diesem Desaster entkommen zu können. Den Friedhof wollte er danach nie wieder betreten.
Nachdem er eine Tasse lauwarme Milch getrunken hatte, siegte die Müdigkeit über seine Unruhe und er schlief wieder ein. Düstere Bilder jagten ihn diesmal zusammenhangslos, nicht weniger furchterzeugend, aber nicht mehr derart, dass er davon aufschreckte. Als er bei Tagesanbruch erwachte, fühlte er sich nicht ausgeruht.

Das Erste, was ihm auffiel, war, dass im Wohnraum die Stühle verrückt waren. In der Bibliothek lagen einige Bücher am Boden, darunter auch jenes von Burke. Es musste jemand hier gewesen sein, der etwas suchte oder einfach wütete. Ein Zittern erfasste ihn wieder. Nur die Nerven, wie er wusste. Es gelang ihm mühsam, zum Sofa zu gelangen um sich hinzulegen. Was ich getan hatte, war doch nichts Schlechtes. Die unerbittliche Strenge seines Grossvaters schien den Raum zu beseelen. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, die Tränen traten über und er begann, hemmungslos zu weinen.

Es war schon gegen Mittag, bis er die Kraft fand, sich aufzuraffen, um die Sache zu erledigen. Nur ein allerletztes Mal noch würde er diesen Friedhof betreten. Ein neues Grablicht war auch vonnöten.

Als er zum Tor kam, steigerte sich seine Nervosität. Die Thuja-Hecke, welche den Einblick in den Friedhof weiträumig verdeckte, schien ihm noch weniger einladend als sonst. Der Nebel war dichter als gestern. Vereinzelt sah er Personen, die an Gräbern Verrichtungen vornahmen. Zwar blickte er sich misstrauisch um, aber es war ihm doch beruhigend, nicht der einzige Besucher zu sein. Als er ein Knirschen des Kieses hinter sich hörte, fuhr er erschreckt herum, in der Erwartung, ihm widerfahre nun Übles. Doch es war eine Frau mit einem Gesteck aus Tannenzweigen in der Hand, eben in eine Grabreihe abbiegend.

Hinter der Wegbiegung wirkte ihm der Nebel dichter, die Konturen der Gruft nur ungenau erkennbar. Am Himmel fehlte heute das matte Leuchten einer Sonnenscheibe, einzig dunkles Grau. Gram dachte daran, dass der Spuk in einigen Minuten für ihn endgültig vorüber wäre und das Grablicht aufgestellt. Wie angewurzelt blieb er stehen. Da, schemenhaft war eine Gestalt vor der Gruft erkennbar, in gebeugter Körperhaltung, wie suchend. Die Hände aus den Ritzen! Er zitterte. Soll ich die Rosen hinüberwerfen? Es ist zu weit entfernt. Während er starrte, wurde ihm bewusst, dass sie etwas Hellblaues trug, einen Mantel. Also kaum der auferstandene Urgrossvater oder Grossvater. Er wagte sich langsam, einige Schritte anzunähern. Da knirschte, trotz vorsichtigen Auftretens, der Kies unter seinen Schuhen hörbar. Ihm schien es unnatürlich laut. Die Gestalt richtete sich auf und sah zu ihm her.
«Guten Tag», rief sie ihm freundlich entgegen. Es war eine alte Frau, wie er erkannte, weisse gelockte Haare, sehr apart gekleidet.
«Guten Tag», erwiderte er zögernd. Er kannte sie nicht, da war er sich sicher. Es konnte sich also nicht um eine entfernte Verwandte handeln. Trotz seiner Unsicherheit wagte er doch näher zu treten, von der alten Dame schien keine Gefahr auszugehen.
«Wurden Sie durch das Erdbeben heute Nacht auch erschreckt?», fragte die Frau lächelnd, wie wenn sie sich freute, mit jemandem sprechen zu können. «Das Erdinnere ist unberechenbar. Wer weiss, was sich darin alles bewegt?»
Ihn schauderte. Woher weiss sie, dass ich im Schlaf heimgesucht wurde? Mit schnellem Blick prüfte er die Steinquader, doch die schienen unverändert massiv dazustehen. Die Frau wirkte harmlos, doch ihre Worte waren ihm nicht geheuer.
Zögerlich suchte Gram nach Worten, sein Körper verkrampfte sich. «Ich …, ich weiss nicht. … Nein, davon bemerkte ich nichts.» Er hatte Angst, ihr gegenüber eine Blösse zu zeigen. Wie konnte ich sie nur als harmlos einschätzen? Der Blick ihrer Augen durchdringt mich, als ob sie in mir lesen könnte. Die Iris ist von einem noch viel helleren Grau, als die der meinen, beinah durchsichtig. Direkt magisch, unheimlich, ich kann mich nicht davon lösen.
Durch ihren fixierenden Blick fühlte sich Gram noch unbehaglicher. Sie musterte ihn, als ob ihr etwas an ihm aufgefallen wäre.
«Wollten Sie dieses Grab besuchen?»
Was geht die das an? Eigentlich war er auf Abwehr eingestellt, doch wäre eine schroffe Antwort unhöflich gewesen, seine guten Manieren standen ihm da ihm Weg. «Ja. Meine Familie liegt hier, von meinen Urgrosseltern bis zu meinen Eltern.»
In ihren Augen vermeinte er ein kurzes Funkeln zu erkennen, wie gestern, aus der Ritze. Sie! Nein, unmöglich. Ein Mensch aus Fleisch und Blut kann sich nicht so klein machen, um sich wie ein Lurch durch Ritzen zu zwängen. Es waren dann ja auch nur stilisierte Rosen, die ich fand.
«Ich dachte mir doch diese Ähnlichkeit in den Zügen. Bastian Gram ist ihr Vater, nicht wahr.» Sie hob ihre Hand vor den Mund, ein Auflachen dezent unterdrückend. «Mein Gott, Sie sind der Sohn von Bastian.»
«Kannten Sie meinen Vater?» Gram war überrascht und fühlte sich zugleich erleichtert. Es gab eine logische, einfache Erklärung für ihre Anwesenheit.
«Das ist sehr, sehr lange her. Bastian und ich waren da noch jung, sehr jung und verliebt. Sein Vater durfte nichts davon wissen, da er sehr strenge Ansichten pflegte, so mussten wir uns stets heimlich verabreden. Auch sonst wäre es nicht schicklich gewesen, wenn jemand erfahren hätte, dass das Fräulein Hermine Kreuch Herrenbesuch empfängt. Nach drei Jahren meinte Bastian, wir sollten heiraten, damit diese Heimlichtuerei ein Ende habe. Sein Vater schloss ihn zu Hause ein, als er ihm seine Absicht vortrug, und machte sich schnurstracks auf den Weg zu mir. Er bot mir Geld an, wenn ich auf der Stelle aus der Stadt verschwände. Natürlich wies ich dies ab, doch er verbot seinem Sohn, mich wieder zu treffen. Es dauerte beinah ein Jahr, bis wir Möglichkeiten fanden, einander wieder häufiger zu treffen. Sein Vater hatte inzwischen die Verlobung von Bastian mit der Tochter eines Geschäftspartners arrangiert. Die Heirat fand im folgenden Jahr statt. Während mehrerer Jahre blieben uns dennoch heimliche Begegnungen, bis ich dann einer höheren Berufung folgte und damit auch an einen andern Ort übersiedeln musste. Vor einem Jahr begann meine Sehnsucht nach Bastian, sich zu intensivieren. Ich verbot mir mein Verlangen aber, da ich wusste, dass er es nicht schicklich finden würde, wenn ich zu Lebzeiten seiner Frau aufkreuzen würde. In unserem letzten gemeinsamen Jahr war er seinem Vater immer ähnlicher geworden, hatte dessen unnachgiebige Strenge angenommen, ja sein Denken sich zu eigen gemacht. Meinetwegen hegte er wohl Schuldgefühle seiner Familie gegenüber, obwohl er mir dies nie sagte. Ich war in meiner Wesensart so ganz anders, ein verlockender Gegensatz zur Düsterkeit, die er in seiner Familie erfuhr. Aber ich spürte es, diese auftretende Veränderung, obwohl er mich nach wie vor liebte. So rang ich lange Zeit, bis ich mich nun entschloss, ihn wenigstens aus der Ferne zu sehen. Vielleicht auch mit der stillen Hoffnung, sein Herz könnte höher schlagen, sollte er mich doch erblicken. Denn trotz allem war ich überzeugt, dass er sich nach mir sehnte. Einst hatte er mal seufzend gesagt, wir müssten wohl erst gestorben sein, bis es uns in einer andern Welt möglich wird, für immer zusammen zu sein. Ich musste nun erfahren, dass er bereits in den Hades übergetreten ist, wohin ich ihm wohl auch bald nachfolge und sich unser Wunsch bis in die Ewigkeit erfüllt.»
Gram, den schon verwirrte, dass sein Vater ein Verhältnis hatte, während er verheiratet war, entsetzte sich, als sie vom Hades sprach. Der Hund gestern hörte auf diesen Namen und nun sprach sie von der mythologischen Unterwelt, anscheinend von deren Existenz überzeugt. Er wollte sie schnell los werden, da er sie nun doch als bedrohlich einschätzte. «Hm, … Sie kamen heute also extra hierher, nur um das Grab meines Vaters zu besuchen», fragte er dennoch, als ob es ihn interessierte, da er sie nicht einfach wegweisen konnte.
«Ja. … Nein eigentlich war ich schon gestern hier, ganz früh am Morgen. Als ich erfuhr, dass er hier zur letzten Ruhe gebettet wurde, eilte ich sofort her. Ich wollte seine Nähe fühlen. Eigenartigerweise hatte ich auf diesem Gang zu ihm dann meine Brosche verloren, die er mir damals schenkte. Es muss ein übernatürlicher Akt sein, der Verlust des Pfandes seiner Liebe, als Preis für seine Gegenwart. Ich war mir sicher, dass ich sie noch hatte, als ich hier stand, denn ich befühlte sie, um unsere Verbundenheit auch dadurch zu spüren. Später als ich den Friedhof bereits verlassen hatte bemerkte ich deren Fehlen. Heute suchte ich alles ab, der Meinung sie müsste hier sein, doch ich fand sie nicht. Einzig einige Scherben lagen da am Boden, wie um die Vergänglichkeit zu symbolisieren.»
Ihre Ausführungen beruhigten Gram teilweise, es machte auch Sinn zur handschriftlichen Notiz seines Vaters, die er im Buch gefunden hatte. Sie war auf seine Geliebte bezogen. «Darf ich fragen, was das denn für eine Brosche war?»
«Drei Rosen, fein ziseliert, die Blütenfarben durch Steine bestimmt. Sie war einst im Besitz seiner Grossmutter. Bastian meinte, die Rosen symbolisieren unsere Liebe. Doch war es ihm auch ein Protest gegen seinen Vater und seinen Grossvater, da für diese die Rose ein Ausdruck von Sündigkeit darstellt. Er wollte sie damit in übertragenem Sinn treffen, wissen konnten sie nichts von diesem Geschenk. Mir aber wollte er damit das Höchste zu Füssen legen, das ihm unter den gegebenen Zwängen in denen er lebte, möglich war. Heute klingt dies vielleicht unverständlich, doch damals gab es keine andere Wahl.»
Gram nahm die stilisierten Rosen aus der Manteltasche. «Ich hatte sie gestern gefunden, als ich hier war. Ich wunderte mich noch, da sonst nie jemand zu dieser Gruft kommt.» Er streckte ihr seine Hand mit dem Schmuck entgegen.
Doch sie wehrte ab. «Nein, behalten Sie diese Rosen. Es muss eine Fügung des Schicksals sein, dass sie hier in Ihre Hände übergingen. Ihr Vater wollte dies sicher so. Der Sohn tritt das Erbe an, und in absehbarer Zeit werde ich ja wieder bei ihm sein, da brauche ich sie nicht mehr. Dass sie aus meinen Händen in die Ihre übergehen, ist also nur richtig in der Nachfolge.»
«Ich will sie nicht, sie gehören Ihnen», reagierte er heftig. Er musste sie ihr zurückgeben, nur so würde er Distanz zu dieser merkwürdigen Vanitas-Welt, die sein Urgrossvater in seiner Familie einbrachte, und die ihm Angst machte, schaffen können.
«Seien Sie nicht albern Herr Gram», sagte die Dame nun streng. «Ich will mich nun noch einen Moment hier besinnen, mit Ihrem Vater Zwiesprache halten, wenn Sie erlauben», und trat einige Schritte zur Seite, an die Stelle vor der Ritze, wo am Tag zuvor das Funkeln hergekommen war.
Respektvoll wandte er sich ab, mit dem Grablicht hantierend, dass er aus der Verpackung nahm. Es würde das letzte Mal sein, das er hier stand. Er konzentrierte sich einen Moment auf seine Eltern, ihnen seine Abschiedsgedanken widmend.
Zunehmend wurde er nervös, da die Dame ihre Andacht anscheinend länger hinauszuzögern beabsichtigte. Diskret wandte er den Kopf. Sie war verschwunden. Er ging um die Gruft herum, nirgends war sie zu sehen, wie in Luft aufgelöst.
Ein Gefühl von Zorn kam ihm auf, gegenüber der alten Dame, seinem Vater, ja der ganzen Familie. Mit der Hand in der Tasche trat er zu der Ritze, in der er die Rosen fand. Ich werde sie wieder dahin zurückschieben, dann bin ich sie los. Als er sich bückte, hörte er ein gefährliches Knurren, wie von einem Untier. Erschreckt wandte er halb gebeugt den Kopf. Einige Meter von ihm entfernt stand Hades, der Rottweiler, mit fletschenden Zähnen, ihn eindeutig bedrohend. Vor Angst beinah gelähmt, richtete sich Gram langsam auf, die Hand mit den Rosen zaghaft wieder in die Tasche schiebend. Ich ahnte es doch, Hades ist Teil des Komplotts der Toten.
«Hades, komm her.» Da war sie wieder die tiefe, barsche Stimme des Hundehalters. Er kam zwischen Grabsteinen, nicht besonders eilig angelaufen. «Entschuldigen Sie bitte. Hades ist heute sehr eigenartig und unruhig. Er ist sonst sanft wie ein Lamm. Ich verstehe dies nicht.» Der Mann nahm Hades am Halsband und zog ihn weg, zwischen den Grabsteinen verschwindend. Erst jetzt war Gram das knochige Gesicht des Mannes bewusst geworden, mit tiefliegenden Augen, wie ein Totenschädel mit Schlapphut. Ihm rieselte es kalt über den Rücken.
Langsam fand Gram seine Fassung wieder, dies alles war zu viel für seine Nerven, die blank lagen. Ich werde nicht nur diesen Friedhof nie mehr betreten, nein, vielmehr die Stadt umgehend verlassen, irgendwohin gehen, wo ich in einer friedvollen Umgebung leben kann.

Mit schnellen Schritten strebte er dem Ausgang zu. Auf halbem Weg zog ein alter, verwitterter Grabstein seine Aufmerksamkeit an. Das Moos, das ihn an einigen Stellen überwuchs, gab dem Stein ein Aussehen von Integration in die Natur. Auf ihm werde ich die Rosen deponieren, sie können sie da holen. Das glitzernde Augenpaar, welches ihn beobachtete, sah er nicht. Sein Arm mit den Rosen in der Hand blieb wie gelähmt erhoben, unfähig sie auf den Stein zu legen. Er hatte den eingehauenen Namen entziffert, der infolge der Erosion am Stein fast unscheinbar wirkte: «Hermine Kreuch.» Das kann nicht sein, ich hatte doch vorhin mit ihr gesprochen. Hat sie mich belogen und sie ist längst im Hades wie mein Vater? Wurde sie von ihm geschickt? Warum? Er senkte den Blick vom Namen nun auf den Text. Kein Vanitas-Spruch stellte er erleichtert fest: «Ein Leben ging dahin, doch ein Neues entstand aus ihm.» Nur eine Namensgleichheit, er lachte. Doch wie er die eingehauenen Lebensdaten darüber betrachtete, erstarb sein Lachen abrupt und Schwindel erfasste ihn. Der Boden unter seinen Füssen schien nachzugeben, er sank auf die Knie. Sie war erst siebenundzwanzig Jahre alt, als sie starb. Ihr Todestag ist exakt der Tag meiner Geburt! Seine Gedanken wogten wie Wellen: Todestag, Geburtstag, Vater, seine Geliebte, ich … Ich! … War es einzig Kummer … oder starb sie an meiner Geburt? Der Gedanke war ihm ungeheuerlich. Was hatte sie doch zu den Rosen gesagt: Der Sohn tritt das Erbe an. Ich dachte, sie meine mich nur anstelle von Vater. Wenn dem so ist, hat Mutter, Vaters Frau, mich nur angenommen um Aufsehen zu vermeiden? Mutter hätte nie gewagt zu opponieren, die Konvention der Familie war ihr heilig, es durfte kein Schatten auf den guten Ruf fallen. Konnte sie deshalb ihre mütterliche Liebe nie richtig zeigen? Sah sie in mir stets die Personifizierung seiner Geliebten? Er fühlte sich Elender denn je, die Toten wollten ihn nicht entlassen, sie nahmen ihn in die Pflicht.
Ein harter Griff an seinem rechten Fussgelenk erschreckte ihn. Es war eine knochige Hand, die seine Fessel umklammerte, wie ihm sein entsetzter Blick nach hinten zeigte. Da, auch am zweiten Fussgelenk wurde er gepackt. Panik kam ihm auf. Sie will mich zu sich holen, ihre Einsamkeit beenden. Er packte die Fingerknochen um sie vom rechten Fussgelenk zu lösen, die Rosen hatte er in die Tasche gesteckt, mit einem Knacken brach ein skelettiertes Fingerglied ab. Panisch liess er los, die Knochenhände zogen sich zurück, aber nicht ohne das abgebrochene Teil mitzunehmen. Einer Ohnmacht nahe sank sein Körper kraftlos seitwärts auf den Kiesweg. Die Kälte des Bodens nahm er nicht wahr. Der taube Klang einer Stimme aus dem Erdreich, «ich will bei Bastian sein!», schockierte ihn und liess ihn aufstöhnen. Sie ist es, zweifellos, die gleiche Stimme wie bei der Gruft.
«Mutter», seine Stimme versagte, während er halb erhoben versuchte, mit den Händen zu graben. Doch der Boden war hart, ein sinnloses Unterfangen. Ich muss sie zu Vater in die Gruft legen, die ganze Familie zusammenführen. Die Vereinigung zwischen ihnen, eine Art unio mystica, findet im Hades wahrscheinlich nur statt, wenn ihre Gebeine beisammen sind. Es war der Wunsch von Vater und ihr, nur verstand ich die Botschaften nicht. Ja vielmehr noch, ich glaubte nicht an diese Totenwelt. Verzeiht mir. Ich werde eure Gebeine zueinander führen, damit ihr gemeinsam Elysion erreichen könnt und ewige Ruhe findet.
Er spürte, dass etwas an seinem Mantelarm zog.
«Fehlt Ihnen etwas? Kann ich Ihnen helfen?», erklang eine tiefe Stimme. Sein Blick nahm die Umgebung wieder wahr. Es war Hades, der neben seinem Herrn stand, wie er vor Angst zitternd wahrnahm. Doch Hades bedrohte ihn diesmal nicht, seine Augen funkelten vielmehr mit zynischer Impertinenz.
«Es ... Es war … Es war nur ein Unwohlsein. … Es geht schon wieder.» Gram rappelte sich beschwerlich auf, unterstützt durch den harten Griff des Mannes. Er wagte es nicht in dessen knochiges Gesicht zu schauen, nun überzeugt, dass dieser ein Sensenmann sein musste, der bemüht war, dass hier jeder seinen Platz fand. «Danke», sagte er tonlos, «ich werde noch kurz hier verweilen.»
Aufatmend stellte er fest, dass sich die beiden auf den Ausgang zu entfernten. Er wandte sich dem moosigen Grabstein zu, der ihm nun nicht mehr fremd schien. An seiner Kleidung wischte er den Schmutz ab, den er sich am Boden zugezogen hatte. Merkwürdig, dass ihre Hände die gefrorene Erde durchbrechen konnten, an der ich nicht mal ein Krümel zu bewegen vermochte. Es muss da viel mehr sein, als ich mir je vorstellen konnte. Grossvater hatte wohl doch recht, dass er die Welt mit andern Augen sah. Das jüngste Erleben hatte seine Zweifel in eine Konfusion getrieben, die seine Denkweise nun mehr und mehr der Vanitas-Welt seiner Familie annähern liess. Ihm war klar, dass er Vaters Wunsch nachkommen und die beiden zusammenlegen musste, damit die Toten sich mit ihm versöhnten. Besteht in der Vanitas vielleicht eine Verhaltensregel, die besagt, wie die Sittlichkeit in der andern Welt in einem solchen Fall wiederherzustellen sei? Zu Hause muss ich gleich mal im Buch von Burke nachsehen. Oder besser noch auch in den andern alten Werken auf dem Dachboden, um mehr über all dies zu erfahren.
Seine Angst vor dem Tod war dadurch nicht einfach aufgelöst, doch sie pendelte sich auf einem ihm normalen Niveau ein.
Darum die Rosen, sie sollten mir ein Wegweiser sein. Ich werde die Friedhofsverwaltung beauftragen, ihre Gebeine zur letzten Ruhe in die Gruft zu verlegen. Er war froh, die Lösung für die Botschaft gefunden zu haben, die die beiden Toten ihm zukommen liessen. Sie hatten wohl erwartet, dass ich die Vanitas durch und durch kenne, dass ich schon früher in ihre Fusstapfen getreten sei. Wäre dem so, wäre mir dies wohl alles erspart geblieben.
Aber was wird Vaters Frau dazu sagen? … Sie wird sich fügen, wie immer. Doch wenn es nicht wirklich der Vanitas entspricht? Wenn es nur ein egoistischer Wunsch der beiden ist? … Grossvater und Urgrossvater werden mich peinigen, wenn ich dann einst bei ihnen bin, mich durch die Hölle gehen lassen. Entkommen kann ich ihnen nicht, denn es ist auch die mir bestimmte letzte Ruhestätte, wie ich jetzt weiss. Aber ich muss es umsetzen, um wenigstens zu Lebzeiten meine Ruhe vor den Toten zu haben.

Schweren Schrittes ging Gram zum Tor. Hades, der dort stand und ihn beobachtete, wandte sich nun zufrieden wirkend ab und trottete davon.

 
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Hallo Anakreon!

Also, ich finde den ersten Absatz( bis

Als er sich entfernte, ging von den Scherben ein Glitzern aus, wie funkelnd rote Augen
)
sehr gut gelungen. Sehr dicht erzählt. Wirklich eingeängige Beschreibungen. Ich war gleich in der Szene.

eingetroffene Briefe sichtend

die mythologische Unterwelt symbolisierend

Die Zeit vergessend

umschlagend

Das machst du mit zu oft im nächsten Absatz. passt ja eigentlich schon zu deiner Erzählstimme, aber hier ist es einfach zu häufig, den Lesefluß störend


Die unerbittliche Strenge seines Grossvaters schien den Raum zu beseelen.
Das ist eine gute, schlichte Beschreibung, finde ich.


Also insgesamt finde ich deine Formulierungen diesmal ziemlich gut, Anakreon. Da waren viele schöne Sätze dabei, die frisch wirken. Es war für mich gut lesbar und auch spannend. Nur es wollte sich kein Grusel einstellen, obwohl die Umstände und Schauplätze es eigentlich erlaubt hätten. Also mir fehlt so eine knackigere Pointe am Schluß, hab ich irgendwie drauf gewartet.


Gruß


Lollek

 
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Frohes Fest, Anakreon!

Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen.

Das ist zu klassisch, um wahr zu sein. Ich hab Grabsteine aus Pappe vor Augen und den Schriftzug „Universal Pictures Presents“.


das Knirschen der Kieselsteine bei seinen Schritten

"unter seinen Schritten" geht besser runter, finde ich


Er war ein bärbeissiger Mann

gewesen


Florian meinte damals den Moder zu riechen

damals,


Gram hatte Abscheu davor, seit er dies erstmals erblickte.

Erblickt hatte. Protagonist ist näher beim Leser, wenn du ihn beim Vornamen nennst.


Beim zusammenlesen

bei dem Zusammenlesen


zusammenschiebend

Wortwiederholung zusammen


während Gram vor Schock erstarrte

„vor Schock erstarren“ hat so ein Moment des Plötzlichen, hier klingt es, als zöge es sich über mehrere Sekunden hin.


gelang es ihm nicht sich

nicht,


versucht

e


Wie kann man seinen Hund Hades nennen, die mythologische Unterwelt symbolisierend.

Ist schwierig, sowas zu verpacken, ohne dass es sich liest, als wolle der Autor seine Allgemeinbildung kundtun.


Ein klassisch philosophischer Text der empiristisch-sensualistischen Ästhetik, die ihn nicht interessierte.

Is auch so 'n Fall ...


Nein das war

Nein,


davon abgehalten es wegzugeben

abgehalten,


Nein es konnte nicht sein, es war nur ein Traum. Oder doch eine Botschaft der Toten? Der Zweifel nagte an seinem Widerstand daran zu g

nein, Widerstand,


Tieren war es doch irgendwie so

„Irgendwie so“ beißt sich stilistsich mit dem Rest des Textes.


Es musste jemand hier gewesen sein de

sein,


Es gelang ihm mühsam zum Sofa

mühsam,


aber es war ihm doch beruhigend nicht

beruhigend,


Da knirschte trotz vorsichtigen Auftretens,

knirschte,


in Erdbeben!?

in Erdbeben?


wo gestern das Funkeln herkam.

Wo am Tag zuvor das Funkeln hergekommen war


Seine Angst war nicht weg

Wieder ein Stilbruch, da müsste „verschwunden“ oder sowas stehen.

Ich finde zwei Sätze in deiner Geschichte, die drolligerweise ganz gut zusammenfassen, warum sie nicht so recht mein Ding ist:

Ihm trat das ungute Gefühl auf, es berge ein düsteres Geheimnis

Stil ist Geschmackssache, dieses leicht Vorgestrige mag man oder nicht, ich hab da halt meine Schwierigkeiten mit. An ein oder zwei Stellen brichst du da aber mit dir selbst, Beispiele hatte ich ja schon genannt. Was mir auch aufgefallen ist: Die Stimmen deiner Figuren stimmen in der Sprechweise mit der des Erzählers fast hundertprozentig überein, mich jedenfalls hat das aus dem Text gehauen. Außerdem partizipierst du dir wahrlich einen Wolf, das wirkt auch in so einer klassischen Gruselnummer handwerklich ungelenk.


Heute klingt dies vielleicht unverständlich, doch damals gab es keine andere Wahl.

Genau. :D Der Inhalt ist eher Matinee als Midnight Movie, so eine düster-melancholische Schauernummer, in der zwar alles irgendwie unheimlich ist, aber keinen Anlass zur Sorge gibt. Ich spüre hier die Bedrohung für den Prot nicht, da kommt keine Spannung auf. Zwar wird die eigene Vergänglichkeit thematisiert, aber mehr so: „Hach ja, watt will man machen …“

Grüße
JC

 

Hallo Lollek

Also, ich finde den ersten Absatz … sehr gut gelungen. Sehr dicht erzählt. Wirklich eingeängige Beschreibungen. Ich war gleich in der Szene.

Es freut mich, dass dich der einführende Teil so glatt in die Geschichte leitete.

Das machst du mit zu oft im nächsten Absatz. passt ja eigentlich schon zu deiner Erzählstimme, aber hier ist es einfach zu häufig, den Lesefluß störend

Ich habe mir in diesem Teil die Formulierungen mal ohne den Partizip I vorgestellt. In einzelnen Passagen liesse es sich mit anderer, längerer Umschreibung vermeiden, doch hätte es sprachlich nicht mehr den gleichen Effekt. Die Durchsicht des gesamten Textes zeigte mir auch, dass ich nur eine minimale Anzahl dieser Wortformen einbrachte, was dem Leser doch zumutbar sein sollte.

Die unerbittliche Strenge seines Grossvaters schien den Raum zu beseelen.

Das ist eine gute, schlichte Beschreibung, finde ich.

Das war so ein spontaner Einfall, als ich mir die Figur des Grossvaters vorstellte. Sein Geist zeigt eine nachhaltige Wirkung, die dann auch im Verhalten des Prot. zum Ausdruck kommt.

Also insgesamt finde ich deine Formulierungen diesmal ziemlich gut, Anakreon. Da waren viele schöne Sätze dabei, die frisch wirken. Es war für mich gut lesbar und auch spannend. Nur es wollte sich kein Grusel einstellen, obwohl die Umstände und Schauplätze es eigentlich erlaubt hätten. Also mir fehlt so eine knackigere Pointe am Schluß, hab ich irgendwie drauf gewartet.

Es freut mich sehr, dass der Text dir an sich gefallen hat. Warte ab, wenn du bei Gelegenheit auf einen alten Friedhof kommst, achte auf die Ritzen bei den alten Steinen. Das Gruseln stellt sich spätestens dann rückwirkend ein, wenn da ein Knöchelchen hervorschaut. :D
Auf eine deftige Pointe am Schluss verzichtete ich gewollt. Der Prot. muss seinen Leidensweg fortsetzen, da er daran scheiterte, die Wirklichkeit zu erkennen.

Danke dir für das Lesen und den Kommentar, den ich gerne zur Kenntnis nahm.


+++​


Hallo Proof

Ich hoffe, du hattest eine schöne Bescherung. :xmas:

Das ist zu klassisch, um wahr zu sein. Ich hab Grabsteine aus Pappe vor Augen und den Schriftzug „Universal Pictures Presents“.

Traditionelle Vanitas-Symbolik und die damit verbundene Geisteshaltung ist ein klassischer Stoff, den ich da in die Gegenwart transportierte. Nebelschwaden zwischen Grabsteinen hingegen sind eine zeitlose Erscheinung, die mir als Stimmungsbild dienten. Natürlich gab es wahrscheinlich solche auch in Filmen mit Vincent Price, aber dem Realitätsbezug der Natur tut dies keinen Abbruch.

"unter seinen Schritten" geht besser runter, finde ich

Na, wenn dies verdauungsfreundlich ist …, also übernommen.

Er war ein bärbeissiger Mann

gewesen

Hatte ich beim Kürzen rausgeschmissen. Nun, bei der vorherrschenden Kälte habe ich es eben wieder reingenommen.

Protagonist ist näher beim Leser, wenn du ihn beim Vornamen nennst.

Im Text machte ich ein Spiel mit den Stimmen vom Prot. und vom Erzähler. Die direkten Gedanken des Prot. sind mit dem Vornamen angeführt, während der Erzähler seinen Nachnamen zitiert.

„vor Schock erstarren“ hat so ein Moment des Plötzlichen, hier klingt es, als zöge es sich über mehrere Sekunden hin.

Das interpretiere ich jetzt etwas anders. Der Schock ist wohl ein plötzlich eintretendes Moment, der kurz oder auch lang sein kann, mit erstarren ist jedoch festgelegt, dass er hier anhaltend wirkt.

Wie kann man seinen Hund Hades nennen, die mythologische Unterwelt symbolisierend.

Ist schwierig, sowas zu verpacken, ohne dass es sich liest, als wolle der Autor seine Allgemeinbildung kundtun.

Im gegebenen Kontext, zeichnet es mir einen logischen Gedankengang des Prot., ist er doch in einer Familie aufgewachsen, in der eben solche Themen nicht fremd waren. Da mir Bildungsdespotismus fern ist, verkrafte ich auch mal einen schiefen Blick. Auch leitet sich der gängige Hundename effektiv davon ab.

Ein klassisch philosophischer Text der empiristisch-sensualistischen Ästhetik, die ihn nicht interessierte.

Is auch so 'n Fall ...

:D Ein Stein des Anstosses, das war mir klar. Da es hier nicht um ein fiktives Werk geht und ein direkter Bezug zum Geist der Geschichte gegeben ist, erlaubte ich mir diese kleine „Vermessenheit“.

in Erdbeben!?

in Erdbeben?

Ich denke, die Zeichen drücken sein Erstaunen(!) und zugleich seine Zweifel(?) daran aus.


Ich finde zwei Sätze in deiner Geschichte, die drolligerweise ganz gut zusammenfassen, warum sie nicht so recht mein Ding ist:

Ihm trat das ungute Gefühl auf, es berge ein düsteres Geheimnis

Stil ist Geschmackssache, dieses leicht Vorgestrige mag man oder nicht, ich hab da halt meine Schwierigkeiten mit. … Die Stimmen deiner Figuren stimmen in der Sprechweise mit der des Erzählers fast hundertprozentig überein, mich jedenfalls hat das aus dem Text gehauen. …

Ich war mir bewusst, dass es vom Leser Unbefangenheit abfordert, sich auf einen früheren Zeitgeist einzulassen. So unverschämt bin ich. Es ist mir auch nachvollziehbar, dass dies nicht alle Leser anzusprechen vermag. Bei Filmen habe ich damit auch meine Mühe. Bei Literatur hingegen fällt mir dieser Brückenschlag leichter.
Die unzureichende Differenz in der Sprache zwischen den Figuren und dem Erzähler fiel mir bei der Abfassung auf. Eine klare Abgrenzung hatte ich deshalb geprüft, doch wieder verworfen, da es mir in diesem Stück eher störend schien.

Heute klingt dies vielleicht unverständlich, doch damals gab es keine andere Wahl.

Genau. Der Inhalt ist eher Matinee als Midnight Movie, so eine düster-melancholische Schauernummer, in der zwar alles irgendwie unheimlich ist, aber keinen Anlass zur Sorge gibt. Ich spüre hier die Bedrohung für den Prot nicht, da kommt keine Spannung auf. Zwar wird die eigene Vergänglichkeit thematisiert, aber mehr so: „Hach ja, watt will man machen …“

Ich gebe dir recht, dass es keine horrortriefende Schauergeschichte ist, die einem das Blut gefrieren lässt. Eine solche Ausrichtung wähle ich i. d. R. auch nicht. Die Schrecken und Ängste, welche der Prot. wahrnimmt, entwickeln sich aus seiner Befindlichkeit, genährt von nicht unwahrscheinlichen Zufällen, die ihm Bestätigung geben. Insofern ist es im Genre eher eine Schaudergeschichte, als ein böser Nervenkitzel.

Deine intensive Auseinandersetzung damit hat mich sehr gefreut und ich danke dir für deine korrigierenden Hinweise. Soweit nicht anders vermerkt, habe ich diese übernommen.

Schöne Grüsse an euch beide

Anakreon

 

Hades, der dort stand, wandte sich nun ab und trottete davon -
ja doch, manchem löst sich der Grusel, wenn ein Rottweiler davontrottet,

lieber Anakreon,

und ist doch zugleich Anlass, zwischen den Zeiten und Zeilen in diesem Jahr kg.de zu besuchen.

Und wieder treffen wir uns auf dem Friedhof!

Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen …
Und „irgendwie“ (ich verwend mal das von mir getretene Wort) könnte Proof recht haben, wäre ich derzeit nicht Karl Kraus verfangen, der da sagt „Früher waren die Dekorationen von Pappe und die Schauspieler echt. Jetzt sind die Dekorationen über jeden Zweifel erhaben und die Schauspieler von Pappe“, aber ich bin eh kein Freund dieses speziellen Genres.
Seit seiner Kindheit mied er diesen Ort möglichst,
was wir alle irgendwie (schon wieder so was!) mit Goethe hassen, wobei das möglichst doch zu entbehren wäre.

Gleichwohl bissken Kleinkrämerseele:

Formulierungen:

…, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten waren die einzig hörbaren Laute.
„Knirschen“ = „Laute“?
Wer oder was spricht da mit knirschenden Zähnen und dem Schritt im Gesicht?, frag ich mich, denn ist der Laut nichts als die kleinste akustische sprachliche Einheit?
Besser: Knirschen = Geräusch, wobei das Attribut sicherlich auch entbehrlich wäre, denn ein anderer Sinn nähme sie schlichtweg nicht wahr:
…, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten waren die einzig[en Geräusche].

Es gab keine Verwandte, abgesehen von ihm, die diese Stätte aufsuchten.
Warum Plural, wo kein(e) doch verdammt wenig ist?

Speichel von den Lefzen tropfend.
Ja, jetzt ist es geschehn: erstmals stört mich das Partizip, wiewohl doch jeder weiß, was da geschieht (und erst recht Hundehalter).
Hier hätte das Partizip die Funktion, das Verb „tropfen“ in ein Adjektiv zu verwandeln. Nun ja: Es sabbert!, eine Eigenschaft manchen Hundes (bei besonderer Schnauzenform schon geradezu vorgegeben), was unser prot wahrscheinlich gar nicht beurteilen könnte. Ihm muss sich der Sabber als Drohung, gefressen zu werden (was eher selten vorkommt, selbst in Rottweil) darstellen. Gleichwohl tropft der Speichel schlichtweg von den Lefzen.

Zeichensetzung:

Ein Funkeln aus der Ritze, nur ein kurzesKOMMA aber deutliches Aufblitzen zwischen dem Stein und der Erde, erschreckte ihn.
Hier würd ich ein Komma empfehlen, nicht nur zum Atemholen …

…, versuchte erKOMMA seine Angst abzutun.
Ein altes Problem beim Infinitiv …

Sie klangen altmodisch und konservativKOMMA aber unverfänglich.
s. o.

Es kamen noch mehr, bereits fünfKOMMA die sich herausquälten.

Nach drei Jahren meinte BastianKOMMA wir sollten heiraten, damit diese Heimlichtuerei ein Ende habe.

Flüchtigkeit:

Der Rottweiler knurrte zähnefletschend, während Gram vor Schock leblos. Er achtete nur auf das brutale Antlitz, …
Was verschütt’ gegangen … was selbst einen Hundefreund erstaunt ist dann der schöne Name, was einen Bingo oder (noch einfachere Namensfindung) Belgia vor Neid erblassen ließe!
«Seien Sie nicht albern Herr Gram, sagte die Dame nun streng.
Gänsefüßchen …

Ich will mich nun noch einen Moment hier besinnen, mit ihrem Vater Zwiesprache halten, wenn Sie erlauben», …
Man sieht’s zwar nicht, wenn man hört, so wenig als man’s hört, sofern man’s liest bei der Anrede: Ihrem Vater - was ja sonst durch die alte Dame gelingt …

was sicherlich nicht vollständig ist, aber genüge.

Einen schönen Jahreswechsel wünscht

Friedel

 

Lieber Friedel

ja doch, manchem löst sich der Grusel, wenn ein Rottweiler davontrottet,

Da rechnete ich mit einem Aufschrei der Kynologen, einen armen Hund, und erst noch zu Weihnachten, zu stigmatisieren.

Und wieder treffen wir uns auf dem Friedhof!

Wie könnte ich die, oft schönsten Parkanlagen in den Städten, literarisch einfach einem Herrn King überlassen.

Und „irgendwie“ … könnte Proof recht haben, wäre ich derzeit nicht Karl Kraus verfangen, der da sagt „Früher waren die Dekorationen von Pappe und die Schauspieler echt. Jetzt sind die Dekorationen über jeden Zweifel erhaben und die Schauspieler von Pappe“, aber ich bin eh kein Freund dieses speziellen Genres.

Das freut mich, dass die Nebelschwaden sich so anstössig anbieten. Dass gar Karl Kraus vorausschauend meine pappige Meinung teilte, ist wohl schon visionär und dieser thematischen Obskurität zuzurechnen.

was wir alle irgendwie (schon wieder so was!) mit Goethe hassen, wobei das möglichst doch zu entbehren wäre.

Da Goethe zu Lebzeiten auch gehasst wurde, muss es wohl ein pietistisches Feingefühl sein, das uns mit ihm hassen lässt.
Das möglichst nimmt dem mied seinen absoluten Anspruch, sodass ich es nicht ersatzlos streichen mag. Doch mit Hassliebe auf Goethe suche ich nun eine andere Wendung, der Ästhetik folgend.

Wer oder was spricht da mit knirschenden Zähnen und dem Schritt im Gesicht?, frag ich mich, denn ist der Laut nichts als die kleinste akustische sprachliche Einheit?

Statt Zähneknirschen nur ein Eingeständnis, wo du recht hast, haste recht, und übernahm deinen Vorschlag.

Es gab keine Verwandte, abgesehen von ihm, die diese Stätte aufsuchten.

Warum Plural, wo kein(e) doch verdammt wenig ist?

Gib zu, da hat dich Goethe beflügelt. Plural ist hier Indiz, es gibt Verwandte im zweiten oder dritten Grad, doch lässt es sich natürlich auch anders formulieren. Der maskulinen Form sei Genüge getan.

Ja, jetzt ist es geschehn: erstmals stört mich das Partizip, wiewohl doch jeder weiß, was da geschieht (und erst recht Hundehalter).

Als eingefleischter Verteidiger des Partizips habe ich wahrlich den vorgehenden Satz ausser Acht gelassen. Da mag ich nur sagen, ich armer Tropf. Jetzt tropft es korrekt.

Was verschütt’ gegangen … was selbst einen Hundefreund erstaunt ist dann der schöne Name, was einen Bingo oder (noch einfachere Namensfindung) Belgia vor Neid erblassen ließe!

Da hat Hades doch geschafft, was bisher noch kein Hund erreichte, mir Angst einzuflössen. Ich muss beim Schreiben vor Schreck erstarrt sein, und selbst beim allerletzten Lesen, einen grossen Bogen darum gemacht haben.

Man sieht’s zwar nicht, wenn man hört, so wenig als man’s hört, sofern man’s liest bei der Anrede: Ihrem Vater - was ja sonst durch die alte Dame gelingt …

Höflichkeit ist eine Zierde der Könige! Wie konnte ich es nur der alten Dame absprechen. Mit Tadel an mich habe ich es ihr nun in den Mund gelegt.

Danke dir herzlich für deine kritischen Hinweise, die allesamt inklusive Gänsefüsschen, im Text ihren Niederschlag fanden. Besonders freuten mich auch die heiteren, gedanklichen Einblendungen. Da soll mal wer sagen, die Rubrik Horror bilde nicht auch einen Fundus für heitere Stunden.

So denn, das Jahr klingt bald mal aus, und ich wünsche dir einen gemütlichen Übergang ins Neue.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon

Passend zum Jahresausklang hast du eine sehr ruhige und stimmungsvolle Geschichte geschrieben.

Mir haben vor allem die detaillierten Beschreibungen gut gefallen, so bspw. die Beschreibung des Friedhofs und der Gruft, inklusive der Geräusche und Gerüche. Da ist viel Liebe zum Detail erkennbar, nix was man mal schnell heruntergeschrieben hat.

Dieser Friedhof erzeugte ihm Beklemmung, gab ihm das Gefühl von stetig lauernder Gefahr.

Geschickt steigerst du die Spannung, bringst nach und nach neue Elemente hinein wie den Hund, das Buch von Burke, schliesslich den Albtraum und das verwüstete Zimmer. Da spielst du mit den Erwartungen des Lesers, auf einen Höhepunkt hinzusteuern, der dann jedoch ausbleibt, und auch die "übernatürlichen" Elemente werden alle rational erklärt (das Erdbeben, der seltsame Hund). So klingt die Geschichte dann auch ruhig aus, hier bleibst du konsequent. Ich bin unschlüssig, ob das ein glückliches Ende ist, auf jeden Fall passt es inhaltlich zur ruhigen Erzählstimme. Irgendwelche Untoten, die aus der Gruft hüpfen, hätten die Stimmung vermutlich verzerrt (zu reisserisch) und waren sicherlich auch nie deine Absicht, aber ich hätte mir bspw. vorstellen können, dass die alte Frau am Ende bereits tot war und Gram mit ihrem Geist gesprochen hat. Das hätte dann auch schön zu der wohlig-gruseligen Stimmung gepasst, die auch zuvor schon anklingt. Wobei, wenn ich es mir recht überlege, könnte das ja durchaus sein, da sie einfach so verschwindet. Würde mich interessieren, wolltest du etwas in der Art anklingen lassen? Dann würde auch ihre etwas seltsame Wortwahl, wie hier:

Doch ich musste erfahren, dass er bereits in den Hades übergetreten ist, wohin ich ihm wohl auch bald nachfolgen und ihn dann wieder sehen werde.

wieder einen Sinn ergeben, ebenso die Reaktion des Hundes, das Knurren, die gefletschten Zähne.

Dann könnte das ihr Grabstein sein:

Auf halbem Weg zog ein alter, verwitterter Grabstein seine Aufmerksamkeit an.

Was mir inhaltlich ein wenig zu kurz kam, war das Verhältnis von Gram zu seinem Vater und Grossvater. Das klingt zwar an der einen oder anderen Stelle an, hier hätte ich mir allerdings mehr Informationen gewünscht. Dann wäre vielleicht auch seine Abneigung gegen den Friedhof bzw. sein Entschluss, ihn nie wieder zu betreten, etwas nachvollziehbarer. Da kam ich an der einen oder anderen Stelle ins Stocken, weil ich die Motive von Gram nicht verstanden habe.

Auch das hier steht für mich ein wenig im luftleeren Raum:

Die Gedanken verselbständigten sich, wie fremdbestimmt. Ich bin der Letzte in der Nachfolge meiner Familie, ich muss wiederkehren, denn es ist auch die mir bestimmte Ruhestätte.

Woher kommt dieser plötzliche Entschluss? Vielleicht habe ich etwas überlesen oder nicht richtig verstanden, aber so recht nachvollziehen konnte ich das nicht, insbesondere nicht, was das jetzt mit den Rosen zu tun hat.

Insgesamt finde ich das eine gelungene Gruselgeschichte, kein sprühendes Horrorfeuerwerk, muss ja aber auch nicht sein. Hier kommt es mehr auf die Stimmung an, und die hast du gut eingefangen, ebenso das Magische, das Geheimnisvolle, das teilweise im Verborgenen bleibt und worüber sich der Leser dann seine Gedanken machen kann. Vermisst habe ich einzig die Pointe, die Gänsehaut erzeugt, so "das Tüpfelchen auf dem i" zum Schluss.

So, jetzt noch zu den Notizen beim Lesen:

Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe fragmentarisch die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.

"fragmentarisch" passt hier nicht so recht, denn das würde ja bedeuten, nur zu Teilen. Die Scheibe ist aber schon komplett zu sehen, eben nur schemenhaft.

Florian meinte damals, den Moder zu riechen, der die Luft hier durchsetzte.

Das ist wie bei "scheinen": Entweder riecht er den Moder, oder er tut es nicht. So finde ich das unglücklich formuliert.

Als Kind schürte es seine magische Angst vor dem Tod, die er nie mehr überwinden konnte.

"magisch" finde ich hier überflüssig. Was ist eine "magische" Angst?

Es gab kein Verwandter, abgesehen von ihm, der diese Stätte aufsuchte.

Entweder: Es gab keinen Verwandten, ...
oder: Kein Verwandter, ..., suchte diese Stätte auf.

Speichel tropft von den Lefzen.

tropfte

Die Rosen! Klar, die Hand suchte die Rosen. Man würde ihn bestrafen, wenn bemerkt wurde, dass er sie sich wie ein Dieb aneignete.

angeeignet hatte

Gut, er hatte sie herausgekratzt, aber der Meinung ein Besucher habe sie verloren.

in der Meinung

Als er wieder wagte, vorsichtig um den Stein zu spähen, sah er eben noch die Faust mit den Rosen im Ritz verschwinden, der sich danach wieder bis auf geringe Breite schloss.

Ich würde hier nicht mehr von einer Ritze sprechen, sondern besser von einer Öffnung. Für mein Verständnis ist eine Ritze in der Gruft zu schmal für eine Faust.

Ja das wars. Dann wünsche ich dir jetzt einen guten Rutsch ins Neue Jahr und freue mich auf weitere Geschichten 2012.

Viele Grüsse.

 

Hallo Schwups

Mir haben vor allem die detaillierten Beschreibungen gut gefallen,

Das freut mich, dass die Details greifen. Sie sind es auch, die die Stimmung des Prot. vor dem Hintergrund seiner Denkweise beeinflussen.

Ich bin unschlüssig, ob das ein glückliches Ende ist, auf jeden Fall passt es inhaltlich zur ruhigen Erzählstimme.

Ich hatte lange überlegt, wie der Ausklang aussehen kann. Mir lag daran, den Inhalt realitätsnah zu gestalten und das Unheimliche mit der Fantasie des Prot. aufleben zu lassen. Doch sollte es sich dem Leser auch verwischen, wieweit Fiktion verwebt ist und wann sich die Wirklichkeit exakt abgrenzt.

aber ich hätte mir bspw. vorstellen können, dass die alte Frau am Ende bereits tot war und Gram mit ihrem Geist gesprochen hat. … Wobei, wenn ich es mir recht überlege, könnte das ja durchaus sein, da sie einfach so verschwindet. Würde mich interessieren, wolltest du etwas in der Art anklingen lassen?

Ich hatte es gewollt offengelassen, ob die alte Frau real zugegen war, oder sie für Gram nur eine visionäre Erscheinung war. Je nach Lesart lässt es also eine „magische“ Version zu.
Doch jetzt hast du mich auf den Gedanken gebracht, der Alten noch eine zusätzliche, makabre Komponente zuzuordnen, der auch mit dem rationalen Ansatz der Geschichte nicht in Konflikt gerät. Es wird die Unsicherheit über ihre Erscheinung zwar nicht lüften, aber dem Ende noch eine besondere Note verleihen. Ich muss noch genau prüfen, ob und wie es sich einbinden lässt. Aber ich freue mich selbst schon diebisch darauf.

Was mir inhaltlich ein wenig zu kurz kam, war das Verhältnis von Gram zu seinem Vater und Grossvater. Das klingt zwar an der einen oder anderen Stelle an, hier hätte ich mir allerdings mehr Informationen gewünscht. Dann wäre vielleicht auch seine Abneigung gegen den Friedhof bzw. sein Entschluss, ihn nie wieder zu betreten, etwas nachvollziehbarer.

Da muss ich dir recht geben. Der vermeintliche Zwang zur Kürze sass mir da zu sehr im Nacken. Dem Leser mutete ich zu, sich einen Grossvater vorzustellen, der einen strengen und sonderlichen Zeitgeist pflegte, dessen Sozialisierung sich die Nachkommen nicht entziehen konnten. Dies werde ich noch etwas anschaulicher einbringen. Aber auch da muss ich noch gedanklich verarbeiten, wie es sich am besten einwebt.

Auch das hier steht für mich ein wenig im luftleeren Raum:

Die Gedanken verselbständigten sich, wie fremdbestimmt. Ich bin der Letzte in der Nachfolge meiner Familie, ich muss wiederkehren, denn es ist auch die mir bestimmte Ruhestätte.

Woher kommt dieser plötzliche Entschluss? Vielleicht habe ich etwas überlesen oder nicht richtig verstanden, aber so recht nachvollziehen konnte ich das nicht, insbesondere nicht, was das jetzt mit den Rosen zu tun hat.

Ich hatte es nicht so abgespalten wahrgenommen, aber ich hatte mich da wohl zu sehr in dieses ganze Geschehen verstrickt, um es noch richtig distanziert wahrzunehmen. Ich werde es im Zusammenhang mit der alten Frau in einen hoffentlich glaubhaften Kontext setzen können, der den Sinn der Rosen, dann verständlich abrundet.

Insgesamt finde ich das eine gelungene Gruselgeschichte, kein sprühendes Horrorfeuerwerk, muss ja aber auch nicht sein. Hier kommt es mehr auf die Stimmung an, und die hast du gut eingefangen, ebenso das Magische, das Geheimnisvolle, das teilweise im Verborgenen bleibt und worüber sich der Leser dann seine Gedanken machen kann.

Da bin ich froh, dies zu hören, da mir bewusst war, dass ich mit der Vanitas-Symbolik eine arg verstaubte Thematik aufgriff, die wahrscheinlich eher wenigen Lesern zuvor ein Begriff war. Dieser Aspekt sollte zwar nicht vereinnahmend sein, aber den passenden Rahmen abgeben.

Vermisst habe ich einzig die Pointe, die Gänsehaut erzeugt, so "das Tüpfelchen auf dem i" zum Schluss.

Nach Fertigstellung hatte ich noch lange darüber nachgedacht, ob es auch legitim ist, so ohne eigentliches „Grusel-Happyend“ zu schliessen. Selbst finde ich es zwar arg, dass dem Prot. es nicht gelingt, sich dieser ominösen Totenwelt zu entziehen. Lollek und Proof hatten aber schon einen vertieften Grusel vermisst. Ich werde mir also überlegen, welchen Schock ich dem armen Gram zum Schluss noch zufügen könnte, und dies dann noch einbringen.

"fragmentarisch" passt hier nicht so recht, denn das würde ja bedeuten, nur zu Teilen. Die Scheibe ist aber schon komplett zu sehen, eben nur schemenhaft.

Ich hatte ein Bild vor mir, das die Sonne durch den Nebel erkennen lässt, über der Nebelgrenze noch Wolkenfetzen, die diesen Effekt erzielen. Doch du hast recht, diese Situation ist wahrscheinlich höchst selten. Also ist sie nun schemenhaft.

Entweder riecht er den Moder, oder er tut es nicht. So finde ich das unglücklich formuliert.

Ich beabsichtigte eigentlich eher, es als seine subjektive Wahrnehmung aufscheinen zu lassen. Doch wie ich den ersten Satz diesbezüglich anpassen wollte, stolperte ich über den Zweiten, erklärenden, mit dem Laub. Also ist es doch effektiv Moder, den er roch. Habe es in diesem Sinne angepasst.

"magisch" finde ich hier überflüssig. Was ist eine "magische" Angst?

Eine Antwort auf deine Frage würde sich so, wie ich es setzte, in keinem Fachwerk finden lassen. Wieder hatte mich der Teufel des Kürzens geritten. Was gedanklich noch angehen mochte, war geschrieben, fachlich ein böser Sündenfall. Dein Einwand hier also sehr berechtigt!
Den Bezug, den ich hier unglücklich umsetzte, war der des magischen Denkens.
Bei Kindern ist dieses etwa bis zum fünften Lebensjahr ausgeprägt vorhanden. Sie besetzen tote Materie mit Leben. Einem Tischbein etwa, an dem sie sich gestossen haben, geben sie einen Tritt und rufen "Du böses Tischbein". Oder auch der Glaube an ein Christkind, das sie als wirklich annehmen. Bei Urmenschen war das Denken ziemlich sicher magisch geprägt, wie es auch bei Naturvölkern zu finden ist. Doch auch der zivilisierte Mensch verliert mit der kognitiven Entwicklung über das Vorschulalter hinaus sein magisches Denken nicht vollständig, mehr oder weniger stark hallt es nach. So etwa im Aberglauben, dessen sich viele Leute im Alltag nicht mal bewusst werden, oder es als Redensart abtun, sie aber doch beeinflusst.
Ich habe den Satz nun entsprechend präzisiert. Ein Hinweis, dass seine Angst ihre Wurzeln im magischen Denken hat, ist mir im Gesamtzusammenhang jedoch wichtig.

Entweder: Es gab keinen Verwandten, ...
oder: Kein Verwandter, ..., suchte diese Stätte auf.

Stimmt, in zweiter Version geändert.

tropfte

angeeignet hatte

in der Meinung

Alle korrigiert.

Ich würde hier nicht mehr von einer Ritze sprechen, sondern besser von einer Öffnung. Für mein Verständnis ist eine Ritze in der Gruft zu schmal für eine Faust.

Ja das war ein Lapsus, der mit Öffnung nun seine korrekte Bezeichnung erhalten hat.

Für deine, wie stets sehr sorgfältig erarbeitete Rezension und die korrigierenden Hinweise danke ich dir herzlich. Die „kleinen Berichtigungen“ habe ich umgehend vorgenommen. Zu deinen umfassenderen Einwendungen, bei denen du mit analytischer Präzision an den Nervenenden rührtest, muss ich mir noch vertiefter Gedanken machen, um mir sicher zu sein, wie ich es umsetzen kann.

Ich hoffe, du hast den Übergang ins neue Jahr gut und fröhlich geschafft, und wünsche dir viel Schaffenskraft für neue Geschichten aber auch Rezensionen, die ich alle immer sehr gerne lese.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, lieber Anakreon,
ich weiß, ich bin spät mit meinem Kommentar, aber Urlaub ist - finde ich - eine sehr schöne Entschuldigung. Jedenfalls für denjenigen, der ihn hat.

Deine Geschichte habe ich gerne gelesen, schon die ersten Sätze haben bei mir eine Stimmung erzeugt, die mir gefallen hat, weil sie eine zwar ruhige,aber unterschwellig bedrohliche Atmosphäre erzeugt haben:

Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen. Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe schemenhaft die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.
Proofs Hinweis, dass das die klassische Szenerie eines Schauerromans ist, stimmt zwar, und man muss wohl aufpassen, dass man das nicht überreizt, aber bei mir hat es hier funktioniert, denn ich finde nicht, dass du es übertreiben hast.

Auch die Fortsetzung gefiel mir. Deine Gechichte wirkt stilistisch wie aus einem Guss: Erzählerstimme, die Redeweise der Protagonisten, deine liebevollen detailreichen Beschreibungen, dein ganz persönlicher partizipienreicher, anachr(e)onistischer Stil (höhö), das alles passt sehr gut zusammen, hat sich wohl auch durch die Überarbeitung noch verbessert. Das alles erzeugt einen hintergründigen Grusel, der eher von der Vorstellung und den Erfahrungen des Protagonisten lebt als von einem actionreichen schnellen Ablauf.

Die einzigen zwei Wermutströpfchen sind für mich am Ende.
Mir ist nach wie vor unklar, was den Prot. zu einer Gruft-WG veranlasst. Obwohl er sehr nachdenklich und selbst ein wenig angestaubt wirkt, hat er doch überhaupt keinen Grund, sich mit seinem Vater zusammenzutun, sogar im Tode nicht. Schwups hat das schon angmerkt, und ich weiß natürlich nicht, ob du diese Stelle nun schon überarbeitet hast, mir jedenfalls bleibt dieser Entschluss noch zu sehr im Verborgenen.

Und der zweite Wermutstropfen, das ist das Ende, es ist mir einfach zu harmonisch. Aber das ist vielleicht ja auch einfach nur ein unterschiedlicher Geschmack.

Jedenfalls habe ich den Grusel genossen
und freue mich auf den nächsten ....

Viele Grüße Novak

 

Liebe Novak

Jetzt erwischt es mich auf dem linken Fuss, war mein Gedanke, als mir die dornigen Rosen aus der Rubrik Horror entgegenblinkten. Doch wenn man die Geister nicht nur gerufen, sondern sie gar selbst erschaffen hat, darf man sich nicht wundern, wenn sie dann auch erscheinen.

So war es mir dann erst Balsam, als ich vermerken durfte, dass die inszenierte Stimmung bei dir wie beabsichtigt herübergekommen ist.

Die Wermutstropfen, ich spüre ihren bitteren Geschmack, waren eben meine Vorahnung, nein, vielmehr mein Wissen, für die Horror-Freaks diese Hürden noch nicht befriedigend umschifft zu haben. In der Antwort an Schwups frohlockte ich zwar eitel, mich diebisch zu freuen, eine zusätzliche Wendung hineinzubringen. In der gedanklichen Vorstellung klang mir diese auch gut, am Bildschirm verblasste sie dann doch zusehends. Deshalb stellte ich sie verschämt und still ein. Ein weiteres Feilen brachte im Moment gar nichts mehr. Zwar ist es keine kreative Krise, aber das packende Element, welches als fehlend wahrgenommen wird, entzieht sich mir noch. Ich hab es nun mal auf die Seite gelegt, um eine grössere Distanz zu gewinnen. In ein oder zwei Monaten, wenn ich es dann wieder lese, fällt es mir dann vielleicht wie Schuppen von den Augen und ich erkenne, was die richtige Wendung ist. Dann wird es seine Vollendung und Gram, hoffe ich, endgültig sein Grab finden.

Danke dir herzlich, dass du da nachgehakt hast. Der Stachel sitzt tief und wird mich plagen, bis ich die Lösung gefunden habe. Bis dahin werde ich vom Balsam laben, den ich erfreut zur Kenntnis nahm.

Doch die Plage hat es heute in sich. Eigentlich loggte ich mich ein, um einen TdS-Beitrag einzubringen. Da sitzt mir nun mein Prinzip im Genick, nichts Neues einzustellen, wenn eine Baustelle offen ist. Hm …, ich werde doch über meinen Schatten springen, da diese thematische Saison begrenzt ist.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ich mag so altmodische Schauergeschichten ganz gerne, und deshalb gefällt mir diese hier auch gut. Du hast es wirklich geschafft, die passende Stimmung zu erzeugen, auch wenn ich Proof recht gebe, dass man nie den Eindruck bekommt, der Protagonist wäre wirklich in Gefahr. Das muss aber auch nicht immer sein :)

Ein paar Stellen gab es allerdings, wo das mit der Stimmung für mich noch nicht hundertprozentig funktioniert hat. Hier ist eine Liste von Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind:

Kein Verwandter, sofern überhaupt noch weit entfernte vorhanden waren, suchten diese Stätte auf.
suchte

«Hades, komm her.»
Also wenn der Hund schon einen Namen aus der griechischen Mythologie haben soll, hätte mir Cerberus besser gefallen :). Aber der ist ja nur der Wächter, so ist die Assoziation mit der Unterwelt natürlich noch direkter.

Einzig Rechnungen und eine Mitteilung der Friedhofsverwaltung, dass der Friedhof auf der Westseite erweitert wird. Das bekümmerte ihn nicht, da die Gruft an der Nordseite lag.
Warum wird der Brief dann eigentlich überhaupt erwähnt? Nur um noch mal das Thema Friedhof reinzubringen? Das finde ich nicht nötig, zumal ein Brief von der Verwaltung nie besonders unheimlich ist, zumindest nicht auf diese Art :) Und in seiner Erinnerung kehrt er kurz danach ja sowieso gleich zu dem Friedhof und Hades zurück, dafür brauchte es den Brief eigentlich nicht. Das wäre vielleicht ein Kürzungskandidat.

«Bei mir vermochte es sogar leichte Möbel zu verrücken», fuhr sie fort. «Heute Morgen brachten sie es dann am Radio, es hatte eine Stärke von 4,9 auf der Richterskala. So stark gab es in dieser Gegend schon seit Jahrzehnten kein Beben mehr. Aber eben, das Erdinnere ist unberechenbar. Wer weiss, was sich darin alles bewegt?»
Dieses Gerede über das Erdbeben gefällt mir nicht so gut - ich weiß nicht so recht was das hier soll. Noch mal ein Bezug zur Unterwelt? Das funktioniert meiner Meinung nach nicht wirklich, von wegen Richterskala und so. Die Geisterwelt und das Messbare, Physikalische vertragen sich einfach nicht so gut ;). Und vor allem wenn sich dann herausstellt, um wen es sich bei der Frau handelt, macht es nicht sehr viel Sinn wenn sie von verrückten Möbeln und Radiosendungen erzählt. Das ist fast ein bisschen geschummelt, es führt den Leser auf eine falsche Fährte ... aber das wäre mit einem gewöhnlichen Gespräch über das Wetter auch gegangen. Eigentlich finde ich, dieser Teil des Gesprächs könnte ohne Verluste weg gelassen werden, sie kann ihn doch gleich fragen, ob er das Grab besucht.

Während mehrerer Jahre blieben uns dennoch heimlich Begegnungen, bis ich dann meinen künftigen Mann traf.
heimliche

Ich war mir sicher, dass ich sie noch hatte, als ich hier stand, den ich befühlte sie um unsere Verbundenheit auch dadurch zu spüren.
denn

Was mich ein bisschen gewundert hat, war dieser Hinweis, dass die Geschichte in der Gegenwart spielt:

Respektvoll wandte er sich ab, mit dem Grablicht hantierend, dass er aus der Verpackung nahm. Es war eines mit Solarzellen, das Licht bei Dämmerung selbst einschaltend.

Die Dinger gibt es ja noch nicht so lange. Ich finde es würde besser passen, wenn die Geschichte eher im 19. oder frühen 20. Jahrhundert spielt, oder wenn sie einfach zeitlos wäre, keine Hinweise enthalten würde, die sie in einem bestimmten Jahrhundert einordnen. Die Sprache und er Aufbau der Erzählung stimmen mich so schön nostalgisch, und dann tauchen da plötzlich Solarzellen auf. Ich bin wirklich sehr für erneuerbare Energien, aber an dieser Stelle lenkt mich das einfach ab, und fügt der Geschichte meiner Meinung nach nichts Wesentliches hinzu. :)

Na ja, einiges ist sicher Geschmackssache, aber ich hoffe du kannst mit diesen Anmerkungen etwas anfangen.

Grüße von Perdita

 

Hallo Perdita

ich mag so altmodische Schauergeschichten ganz gerne, und deshalb gefällt mir diese hier auch gut.

Das freut mich, dass du eine Sympathie für antiquierte Schauerszenarien hegst, sie haben doch so manches, das sich in der Moderne schwieriger platzieren lässt.

Also wenn der Hund schon einen Namen aus der griechischen Mythologie haben soll, hätte mir Cerberus besser gefallen .

Der Höllenhund Cerberus wäre natürlich eine köstliche Figur gewesen, symbolisch gar als Wächter der Gruft. Als Hundename verleitet er aber doch zur Kürzung, und Cerbi hätte nicht mehr die gleiche Wirkung, obwohl Rassehunden manchmal ellenlange Namen gegeben werden. Im Text war mir Hades aber für das doppelsinnige Wortspiel wichtig.

Warum wird der Brief dann eigentlich überhaupt erwähnt? Nur um noch mal das Thema Friedhof reinzubringen? ... Das wäre vielleicht ein Kürzungskandidat.

Im Entwurf hatte der Brief mal einen andern Inhalt, der dann aber wegfiel. Jetzt sind der Brief und der Gedanke des Prot. dazu ganz eliminiert. War so wirklich überflüssig.

Dieses Gerede über das Erdbeben gefällt mir nicht so gut - ich weiß nicht so recht was das hier soll. … Das ist fast ein bisschen geschummelt, es führt den Leser auf eine falsche Fährte ... aber das wäre mit einem gewöhnlichen Gespräch über das Wetter auch gegangen. Eigentlich finde ich, dieser Teil des Gesprächs könnte ohne Verluste weg gelassen werden, sie kann ihn doch gleich fragen, ob er das Grab besucht.

Hm, so nutzlos sehe ich die Erwähnung der Frau nicht, da es die Verunsicherung des Prot. schürt. Aber es braucht diese Ausführlichkeit nicht, mit einer vagen Erwähnung wird es gar rätselhafter. Ihre Worte sind nun auf zwei Sätze verkürzt.

Was mich ein bisschen gewundert hat, war dieser Hinweis, dass die Geschichte in der Gegenwart spielt: …
Ich finde es würde besser passen, wenn die Geschichte eher im 19. oder frühen 20. Jahrhundert spielt, oder wenn sie einfach zeitlos wäre, keine Hinweise enthalten würde, die sie in einem bestimmten Jahrhundert einordnen.

Es stimmt, dass Solarzellen die aktuelle Gegenwart offenlegen. Mir ging es darum, ihm damit eine teilweise moralische Legitimation für sein künftiges Fernbleiben zu schaffen. Er hat ja Gewissensbisse gegenüber seiner Familie. Um das Stück in einen eher zeitlosen Rahmen einzubetten, habe ich nun aber das Solar gelöscht. So steht es quasi undefiniert als Ewiges Licht. Obwohl, es gibt im Text noch eine andere Stelle, die ahnen lässt, dass es in der heutigen Zeit spielen muss, aber wahrscheinlich unauffälliger.

Herzlichen Dank für deinen Kommentar und deine Bedenken sowie die Tippfehler, die bereits umgesetzt sind. Insgesamt werde ich am Text aufgrund vorgehender Kommentare dann noch thematische Änderungen vornehmen, dies jedoch erst, wenn mir die stimmigen Lösungen dazu einfallen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon!

So, so, das ist sie also, die Geschichte, von der du annimmst, sie würde mir nicht gefallen. Nun, wie sehr du damit Recht hast oder nicht, werde ich später in diesem Beitrag offenbaren.

Das ist gemein, oder? Aber es beweist auch, wie einfach es sein kann, (An-)Spannung zu erzeugen. Womit ich zu deinem ersten kleinen Absatz komme. Da steht:
Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen. Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe schemenhaft die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.

Nachteile: Es ist abgenutzt und wen interessiert Nebel zwischen Grabsteinen, wenn keine Figur vorhanden ist, die sich stellvertretend für den Leser davor fürchtet.
Vorteil: Eine solch typische Eröffnung hat hohen Wiedererkennungswert. Sie präsentiert ein klassisches Stimmungsbild, welches eine gruselige Geschichte erwarten lässt. Ähnlich wie das charakteristische „Es war einmal …“, das ein Märchen erwarten lässt.

Alles hat eben zwei Seiten, und beim Schreiben gilt es abzuwägen, welche man für die erfolgversprechendere erachtet.

Dann geht es weiter mit:
Florian Gram fühlte sich unbehaglich, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten waren die einzigen Geräusche.
Hier entdecke ich, wie so oft in Spannungstexten, mitten im Text den, nach meinem Empfinden, besseren Einstiegssatz. Hier finde ich eine Figur, die offensichtlich in einer unangenehmen Lage ist, denn sie fühlt sich unbehaglich. Das macht neugierig. Das ist viel interessanter als bloß Grabsteine im Nebel. Denn dieser Satz wirft Fragen auf. Warum fühlt sich Florian unbehaglich? Wo befindet er sich? Was macht er dort? Warum ist er dort?
Solch ein Einstieg bewirkt etwas in uns, ob wir wollen oder nicht. Er hebt das Reizniveau im Hirn. Plötzlich wird etwas erwartet, und zwar mit Spannung, nämlich Antworten auf diese Fragen, und Antworten, das weiß man, verschaffen Erleichterung, egal wie diese Antworten aussehen. Kurz gesagt: Es entsteht (unbewusst) Vorfreude auf Erleichterung. Da kann man gar nicht anders als weiterlesen.

Für mich sieht der ideale Anfang, wenn ich die vorhandenen Textelemente verwende, so aus:
Florian Gram fühlte sich unbehaglich, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten war das einzige Geräusch. Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen. Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe schemenhaft die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.

Vielleicht ist dir noch eine kleine Änderung aufgefallen: das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten war das einzige Geräusch. Das Knirschen = das Geräusch, nicht die Geräusche.

Den äußeren Gründen des unbehaglichen Gefühls werden nun noch innere zugefügt.
„Seit seiner Kindheit mied er diesen Ort, lediglich unter dem Zwang seiner Schuldgefühle sich manchmal einfindend.“
Florians Schuldgefühle könnten allerdings etwas direkter gezeigt werden, als nur mit Umweg (mittels einem „auch“) über die Gefühle seiner Eltern: auch Vater und Mutter dünkten ihm erleichtert, als man ihn zu Grabe trug.

Auffällig in der Geschichte ist Folgendes:

„Als Kind schürte das magische Denken seine Angst vor dem Tod, die er nie mehr überwinden konnte“
Hier deutet sich der, wie Gelfert ihn nennt, transversale Spannungsbogen an. Es handelt sich demnach um eine Geschichte, die von dem (inneren) Kampf zwischen Vernunft und (im weitesten Sinne) Aberglaube erzählt. Dieses Thema zieht sich durch den gesamten Text und wird an einigen Stellen auf direkte Weise angesprochen, wie z.B. hier:
„So unheimlich ihm der Ort auch vorkam, an Geister oder Untote wollte er nicht glauben, doch es fehlte ihm an Gewissheit.“
Durch die Traumsequenz und die bald darauf folgenden Parallelen während des zweiten (realen) Friedhofbesuches fühlt sich auch der Leser im Ungewissen, ob hier am Ende sich alles auf „natürliche“ Weise erklären lässt, sich alles auf Florians Fantasie schieben lässt, oder ob er tatsächlich dem Übernatürlichen begegnet. Dieses Spiel gipfelt in der Begegnung (oder Nichtbegegnung) mit Hermine. Erst danach löst sich das Rätsel, durch die Innschrift eines Grabsteines, und die Geschichte hat ihren Abschluss gefunden.

Einen, bzw. mehrere longitudinale Spannungsbogen (Handlungsspannung) finden sich hier höchstens ansatzweise. Handlungsspannung wird hier meist im Kopf des Lesers erzeugt, indem mit seinen Erwartungen gespielt wird. Ein Beispiel:
„Der Rottweiler knurrte zähnefletschend, während Gram vor Schock erstarrte. Er achtete nur auf das brutale Antlitz, schwarz funkelnde Augen und bedrohlich reisserisch, zwei spitze Eckzähne entblösst. Speichel tropfte von den Lefzen.“
Während man das liest, erwartet man eine blutige oder zumindest spannende Szene, wo der Hund auf Florian losgeht, ihn verletzt oder verfolgt. Man fragt sich, vorgreifend sozusagen, wie wird es Florian schaffen, dieser brenzligen Situation zu entkommen. Doch im folgenden Text findet keine spannende Handlung statt. Da wird die Situation sofort aufgelöst. Mehr noch, indem der Hund den Namen „Hades“ bekommt, wird die Szene ein Stück ins Unwirkliche gerückt, die Wahrhaftigkeit der Begegnung wird in Frage gestellt, quasi nachträglich dem transversalen Spannungsbogen zugeordnet.

Trotz der vielen Adjektive bleibt die Stilhaltung des Erzählers weitgehend neutral.
„Die Zeit vergessend sass er lange da, mit düsteren Gedanken an diese Totenwelt, als sein unsteter Blick auf den alten Einband eines Buches fiel.“
Allein die „düsteren“ Gedanken erzeugen bei mir den Verdacht, das der Erzähler hier verstärkt (s)eine Betroffenheit auf den Leser übertragen möchte. Gedanken an die Totenwelt, und aus dem Zusammenhang wird klar, das sich diese Gedanken nicht um das Paradies drehen, sind immer düster, weil von Ängsten geprägt.

Die Sprache des Erzählers hebt sich von dem in diesem Genre oftmals kitschigen Ton ab, ohne, durch übertriebene Aufgesetztheit, unecht zu wirken.
Als ein kleines Manko empfinde ich die Gleichschaltung der wörtlichen Rede mit dem Ton des Erzählers.
«Nein, ich hatte nichts davon bemerkt.» Er hatte Angst, ihr gegenüber eine Blösse zu zeigen.
Durch ihren Blick fühlte sich Gram noch unbehaglicher, sie musterte ihn, als ob ihr etwas an ihm aufgefallen wäre.
Diese Lüge, unter besonderer Beachtung der angespannten Situation, kommt dem Protagonisten zu schnell und grammatisch wie stilistisch viel zu perfekt über die Lippen. Es scheinen mir die Worte des Erzählers.

Im Hintergrund – weil abseits der Horrorelemente und eher als Basis dienend – wird eine Familientragödie erzählt. Der eingangs beschriebene unwirsche Ton innerhalb der Großfamilie und die verweigerte Mutterliebe finden am Ende durch Hermine und dem Datum auf ihrem Grabstein eine ergreifende wie plausible Erklärung.

Textkram:

Doch war es ihm auch ein Protest gegen seinen Vater und seinen Grossvater, da für diese die Rosen ein Ausdruck von Sündigkeit darstellten.
Auch würde ich (wie oben bei dem Geräusch) bei Rosen auf die Einzahl zugreifen: Doch war es ihm auch ein Protest gegen seinen Vater und seinen Grossvater, da für diese die Rose ein Ausdruck von Sündigkeit darstellte.
Gemeint ist an dieser Stelle ja nicht die Brosche mit den drei Rosen, sondern die Blume an sich.

Nach sonstigem Textkram fahnde ich dann in der angekündigten überarbeiteten Fassung.

Ach, eines noch: Angewurzelt blieb er stehen.
Das ist mir dann doch etwas zuviel Horror. Da würde ich ein abmilderndes „Wie“ hinzufügen.

Lieben Gruß

Asterix


Oje, beinahe hätte ich es vergessen:
Für mich ist dies die Beste deiner Horrorgeschichten. Ja, sogar eine der Besten, die ich hier in letzter Zeit gelesen habe.
Ähmm … allerdings habe ich längst nicht alle gelesen. Wer also meint, seine eigene Geschichte sei viel besser geschrieben, der zähle sie bitte zu den von mir ungelesen Texten. :D

So, lieber Anakreon, jetzt hast du Entspannung nach Anspannung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Asterix

Oh! Wie ich sehe, hast du den Text mit sprachlicher Akribie und literarischem Feingefühl exakt unter die Lupe genommen. Bange fragte ich mich zu Beginn, wie die Geschichte da letztlich wegkommen mag? :shy:

Für die Nebel zwischen den Grabsteinen musste ich ja bereits Hiebe einstecken, doch auf das Stimmungsbild wollte ich nicht verzichten. Inspiriert hatte mich dabei weniger Horrorliteratur, in der ich nicht direkt tief bewandert bin, als mehr das reine Naturschauspiel. Im Hinterkopf drängte sich aber sicherlich Hermann Hesses Gedicht auf: Seltsam, im Nebel zu wandern.

Hier entdecke ich, wie so oft in Spannungstexten, mitten im Text den, nach meinem Empfinden, besseren Einstiegssatz. Hier finde ich eine Figur, die offensichtlich in einer unangenehmen Lage ist, denn sie fühlt sich unbehaglich. Das macht neugierig. Das ist viel interessanter als bloß Grabsteine im Nebel.

Da muss ich dir zustimmen, denn dadurch befindet sich der Leser bereits im Geschehen. Ein Hang zur Poesie wurde mir da wieder mal zur Falle.

Für mich sieht der ideale Anfang, wenn ich die vorhandenen Textelemente verwende, so aus:
Florian Gram fühlte sich unbehaglich, das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten war das einzige Geräusch. Nebelschwaden hingen zwischen den Grabsteinen. Am grauen Himmel deutete eine helle Scheibe schemenhaft die Sonne an, milchiges Licht ausbreitend.

Doch, so verbindet es für den Leser kompromissvoll den poetischen Anhauch mit einer Spannung. Ich werde es so adaptieren.

Vielleicht ist dir noch eine kleine Änderung aufgefallen: das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schritten war das einzige Geräusch. Das Knirschen = das Geräusch, nicht die Geräusche.

Das war ein Schnitzer, vor lauter Wald realisierte ich den einzelnen Baum nicht mehr.

Florians Schuldgefühle könnten allerdings etwas direkter gezeigt werden, als nur mit Umweg (mittels einem „auch“) über die Gefühle seiner Eltern: auch Vater und Mutter dünkten ihm erleichtert, als man ihn zu Grabe trug.

Hm, ich werde es da umstellen. Es konzentriert verstärken, statt tröpfchenweise aufzubauen.

Hier deutet sich der, wie Gelfert ihn nennt, transversale Spannungsbogen an. Es handelt sich demnach um eine Geschichte, die von dem (inneren) Kampf zwischen Vernunft und (im weitesten Sinne) Aberglaube erzählt.

Einen, bzw. mehrere longitudinale Spannungsbogen (Handlungsspannung) finden sich hier höchstens ansatzweise. Handlungsspannung wird hier meist im Kopf des Lesers erzeugt, indem mit seinen Erwartungen gespielt wird.


Es ist schon das, was ich an dieser Art von Geschichten mag. Die Leser in ein Spiel einzubinden, sie aus der Sicht des Protagonisten schwanken zu lassen, ist es nun reales Geschehen oder ein Phänomen der Einbildung.
Einst hatte ein Kindermädchen sich einen Spass daraus gemacht, mir Gespenstergeschichten zu erzählen. Dabei setzte sie bei mir vielleicht einen Keim frei, der sich nun derart entfaltet.

erwartet man eine blutige oder zumindest spannende Szene, wo der Hund auf Florian losgeht, ihn verletzt oder verfolgt. Man fragt sich, vorgreifend sozusagen, wie wird es Florian schaffen, dieser brenzligen Situation zu entkommen. Doch im folgenden Text findet keine spannende Handlung statt. Da wird die Situation sofort aufgelöst. Mehr noch, indem der Hund den Namen „Hades“ bekommt, wird die Szene ein Stück ins Unwirkliche gerückt, die Wahrhaftigkeit der Begegnung wird in Frage gestellt, quasi nachträglich dem transversalen Spannungsbogen zugeordnet.

Es lag in meiner Absicht keine blutrünstige oder gewalttätige Szene einzubringen, einzig über die Sinne sollte das makabre Spiel manipulativ wirken. Auch verfasste ich es in der Absicht, den Lesern an einem 24. Dezember, ein Präsent der anderen Art zu offerieren.

Allein die „düsteren“ Gedanken erzeugen bei mir den Verdacht, das der Erzähler hier verstärkt (s)eine Betroffenheit auf den Leser übertragen möchte. Gedanken an die Totenwelt, und aus dem Zusammenhang wird klar, das sich diese Gedanken nicht um das Paradies drehen, sind immer düster, weil von Ängsten geprägt.

Stimmt, da hast du mich ertappt. Es war die Absicht, auch beim Leser ein unheimliches Gefühl zu wecken, sodass ihm beim Mitfühlen mit dem Prot., diese Stimmung annähernd zur eigenen wird.

Die Sprache des Erzählers hebt sich von dem in diesem Genre oftmals kitschigen Ton ab, ohne, durch übertriebene Aufgesetztheit, unecht zu wirken.
Als ein kleines Manko empfinde ich die Gleichschaltung der wörtlichen Rede mit dem Ton des Erzählers.

Durch die vertiefte Beschäftigung mit der speziellen Materie war ich möglicherweise begünstigt, die richtige sprachliche Ebene zu erlangen, was mich natürlich sehr freut.
Bei der wörtlichen Rede gereichte es mir wiederum zum Nachteil, da mir diese Differenzierung nicht entsprechend gelang. Inzwischen habe ich im Manuskript schon Überarbeitungen vorgenommen, doch bin mir nicht mehr sicher, wieweit dies auch den Änderungen unterlag. Ich werde da nochmals mein Augenmerk darauf setzen.

Diese Lüge, unter besonderer Beachtung der angespannten Situation, kommt dem Protagonisten zu schnell und grammatisch wie stilistisch viel zu perfekt über die Lippen. Es scheinen mir die Worte des Erzählers.

Daran werde ich noch etwas umbauen, er wirkt mit seiner Antwort wirklich zu unbefangen.

Auch würde ich (wie oben bei dem Geräusch) bei Rosen auf die Einzahl zugreifen:

Dies werde ich anpassen, die Differenzierung war mir nicht mehr aufgefallen.

Ach, eines noch: Angewurzelt blieb er stehen.
Das ist mir dann doch etwas zuviel Horror. Da würde ich ein abmilderndes „Wie“ hinzufügen.

Wahrlich, da bin ich doch selbst der Magie des Textes verfallen. Dies werde ich wie vorgeschlagen ergänzen.

Für mich ist dies die Beste deiner Horrorgeschichten. Ja, sogar eine der Besten, die ich hier in letzter Zeit gelesen habe.

Da schlug meine gramhafte Anspannung doch glattwegs Kapriolen, dies hatte ich nun wahrlich nicht erwartet. Meine Eitelkeit, dass dies der Beste meiner bisherigen Texte in diesem Genre ist, weidet sich freudig daran. :bounce:

Ähmm … allerdings habe ich längst nicht alle gelesen. Wer also meint, seine eigene Geschichte sei viel besser geschrieben, der zähle sie bitte zu den von mir ungelesen Texten.

Ja hm, es gibt da natürlich einige, die sich auch besonders hervorheben. :huldig: Einfach eben anders.

Für deine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte, die fundierte Kommentierung und natürlich die positive Einschätzung, danke ich dir herzlich. Ich freue mich sehr darüber.
Die aufgezeigten Fallstricke, in denen ich hängen blieb, werde ich noch ändern und den gesamten Text – der in der Zwischenzeit schon einige Erweiterungen und Änderungen erfuhr – nochmals in aller Ruhe durchgehen. Aber ich denke, wenn ich dabei nicht in eine offene Grube stolpere, kann ich die neue Fassung in einigen Tagen aufschalten.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Ergänzungen/Änderungen

Um der Totenruhe willen und zu vertieftem Unbehagen für die Lebenden, noch wesentliche Ergänzungen und Änderungen vorgenommen.

 

Ja,

lieber Anakreon,

wie manche Wohnung durchs Verschieben von Mobiliar gewinnen kann, so hat die Geschichte durch Umbauten gewonnen, insbesondere durch Ersetzen der bisher indirekten (monologisch, weil gedankliche) Rede durch direkte Rede im durchaus nicht grämlichen Gedankenstrom!

Dennoch ein Händchen voll kleinerer Bemerkungen:

Erstmals hatte er mit dem Friedhof Bekanntschaft gemacht, als Grossvater starb. Er war ein bärbeissiger Mann gewesen, …
Wer, mag sich der flüchtige Leser, deren es sicherlich einige geben wird, wenn sie nicht sogar den größeren Anteil unter der Leserschaft ausmachen.

Das einleitende Personalpronomen des zweiten, angerissenen Satzes sollte durchs Demonstrativpronomen „der“ ersetzt werden, um dem eher flüchtigen Leser die Verwechslung von Großvater mit dem Enkel auszuschließen.
Ähnliches sollte vielleicht für

…, , als man ihn [Florian?] zu Grabe trug
gelten.
Obwohl, Vater hatte sich immer dreingeschickt und nach Grossvaters Tod, dessen Haltung selbst mehr und mehr angenommen.
Das zweite Komma ist mE entbehrlich. Dafür wäre dort * eines anzubringen:
Das Begräbnis war ihr vielleicht Hoffnung gewesen, die Strenge* welche bei ihnen vorherrschte, würde nun weichen.

…, welches ursprünglich aus der Bibliothek von Urgrossvaters stammt.
Da sarg ich ma’ nix. Da haben sich wohl Varianten gestritten ...

Wie immer, aber jetzt ergänzt um Dank an Asterix: gern gelesen vom

Friedel,

der allen ein schönes Wochenende wünscht und sich endlich auf alle Fußballstadien der Republik trollen wird!

 

Lieber Friedel

Dem Typus homo oeconomicus sagen dreiste Redner in nachantiker Zeit ja so manches nach. Doch ahnen sie wohl nicht, dass der seine Freiräume gar mit innenarchitektonischen Träumen zu füllen vermag. Ein Lehrstück an diese, die sich gedanklich unkreativ in Gram stürzen.

Für deinen Scharfblick danke ich dir. Die Stilblüten, welche sich bei der „Nachlese“ meinen getrübten Augen entzogen, sind behoben. Das gern gelesen freut mich.

Zum Ende der Woche wünsche ich dir viel Freud und Klamauk beim närrischen Treiben in den drolligen republikanischen Fussballstadien.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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