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Stiefvater

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19.11.2002
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Stiefvater

"Wie sieht denn das hier aus?"
Die donnernde Stimme seines Stiefvaters riss Sebastian mitten aus seinem Spiel. Drohend spürte er den verhassten Kerl im Rücken.
Mit jedem seiner Worte drang eine schale Knoblauchfahne aus seinem Mund.
Und Sebastian spürte im selben Moment auch schon den Schlag mit der flachen Handkante im Genick, der ihn vorüber zu Boden gehen ließ, mitten in den Haufen Legosteine, der vor ihm auf dem Teppich lag. Der 10 Jährige Junge bekam jetzt auch noch die spitzen Kanten der bunten Plastiksteine zu spüren, als er mit dem Oberkörper in den Haufen sackte. Der Schmerz im Nacken lähmte seine Sinne, nur noch aus weiter Entfernung hörte er die blubbernden Worte von Johannes, den Mann, den seine Mutter jetzt liebte, nachdem sein Vater gestorben war.
Eirgentlich war es nicht sein richtiger Stiefvater, denn er war noch nicht mit seiner Mutter verheiratet.
Aber er hasste ihn. Er hatte Angst vor ihm.
Sebastian wünschte sich, der fettbäuchige, untersetzte Kerl mit seinem schwarzen Vollbart und der runden Nickelbrille sei tot.
JEtzt spürte er seine harte Hand im Genick, wie er ihn am Kragen seines Pullovers hochzerrte, ihn auf die Füße brachte.
Zitternd und mit Tränen in den Augen stand der Junge vor dem Kerl.
"Ich will deine Hausaufgaben sehen! Los, zeig mir deine Hausaufgaben!"
"Aber ich hatte heute nichts auf!" stammelte der Junge zitternd vor der drohenden Kulisse von Johannes.
Und schon griff dieser nach seinem Schulranzen und kippte ihn auf dem Teppichboden aus.
"So, wollen doch mal sehen!"
Mit diesen Worten griff Johannes nach dem roten Aufgabenheft, schlug es auf und blätterte darin.
"Ich hatte heute wirklich nichts auf!"
Johannes sah nun auch, das die Spalte mit dem heutigen Datum leer war.
Ärgerlich warf er das Heft auf den Boden.
Danach bückte er sich und griff nach Sebastians Mathematikheft und fing an darin zu lesen.
Sebastian bekam es mit der Angst zu tun. So aggressiv wie heute war Johannes selten.
Meistens nur, wenn seine Mutter an der Arbeit war.
Doch auch wenn die Mutter zuhause war packte er ihn hart an, aber er schlug ihn nie.
Doch die Angst vor den Schlägen blieb.
Sebastian sah sich hilflos im Zimmer um.
Sein Blick blieb wehmütig an den zahlreichen Plastikmodellen hängen, die er früher zusammen mit seinem Vater zusammengebaut und angemalt hatte.
Alle möglichen Arten von Modellen standen dort.
Flugzeuge, Schiffe und Autos. Trucks, Motorräder und auch einige Panzer.
Sie alle sahen verblüffend echt aus. Vor allem das Segelschiff "Gorch Fock" war ihnen besonders gut gelungen.
Er erinnerte sich noch daran, was für eine Arbeit es gewesen war, die ganzen Wanten, Masten und Segel, Takellagen und Taue anzubringen.
Wochen hatten sie Nachmittag für Nachmittag daran gesessen.
Sein Vater hatte ihn nie geschlagen, ihn nur selten einmal angebrüllt. Er wäre nie darauf gekommen, ihm weh zu tun.
Dann der Autounfall auf dem Rückweg von der Arbeit.
Stundenlang hatte er am Fenster gesessen und in den Regen hinaus gestarrt, als er von seinem Tod erfahren hatte.
Ein paar Wochen Später war Johannes gekommen, erst nur alle paar Tage, dann über Nacht, und schließlich für immer.
Eines Morgens hatte Johannes seine Zahnbürste nicht mehr mitgenommen, als er zur Arbeit gefahren war.

Sebastian hörte wie etwas zu Boden fiel.
"Ich hab dir doch gesagt, du sollst deine Hefte ordentlich führen!"
Johannes Augen funkelten kalt.
Und schon drückte er Sebastian das aufgeschlagene Heft ins Gesicht.
Eine der Heftklammern hatte sich geöffnet und stach ihm in die Unterlippe. Blut kleckste auf das Rechenkästchenpapier.
Johannes presste ihm das Heft ins Gesicht und zog ihn dabei an den Haaren.
"Du wirst das Heft heute noch sauber abschreiben, und wenn du die ganze Nacht davor hockst! Ist das klar?"
Johannes zog das Heft zurück, sah nun auch den Blutklecks darin und holte noch zu einer Ohrfeige aus.
Sebastian sah die Hand hoch erhoben in der Luft. Gleich würde sie ihm mitten ins Gesicht schlagen, wie schon zu oft.
Johannes hatte dicke Hände mit dicken, kurzen und behaarten Fingern.
Und Kraft, mit der er ihn schon so oft geschlagen hatte.
Noch immer hing die Hand drohend in der Luft.
Sebastian verkrampfte sich, sank langsam zu Boden.
Der Schmerz würde furchtar werden.
Er schmeckte Blut in seinem Mund.
Und dann schrie Johannes plötzlich laut auf.
Irgendetwas hatte ihn gestochen, wie Sebastian plötzlich sehen konnte.
Blut lief auf einmal an der Hand herab, die ihn schlagen wollte, rann über den Unterarm und troff in dicken Klecksen über den Teppich.
Plötlich hörte Sebastian einen leisen Knall aus der Richtung des Regals, auf dem seine Modelle standen.
Sein Kopf wandte sich erschrocken in die Richtung, seine Augen erfassten sofort das kleine Modell eines Leopard 2 Panzers im Maßstab 1:87, der nicht mehr so stand wie er sollte. Ein kleines Rauchwölkchen kräuselte sich aus dessen Kanone, die in die Richtung von Johannes Hand zielte.
Auch Johannes hatte sich herumgedreht und starte erschrocken auf den kleinen Panzer.
Im selben Moment schrie er wieder auf, als der Panzer wieder schoss und ihn in den rechten Oberarm traf.
"Du kleines Scheißteil!" brüllte sein Stiefvater plötzlich, noch bevor Sebastian begriff, was nun plötzlich passierte.
Denn plötzlich hörte er Motorengeräusche, und die vielen Flugzeuge standen nicht mehr auf dem Regalbord.
Was passierte hier plötzlich? Doch im selben Moment spürte er auch Freude.
Freude daran, das auch mal dem Johannes weh getan wurde.
Ein Modell einer Messerschmidt Me 109 G 10 raste direkt auf Johannes Gesicht zu, Sebastian sah die sich drehende Propellernarbe, die kleine Figur des Plastikpiloten im Inneren der gläsernen Kanzel, die sich bewegte. Und sah nun auch die Mündungsblitze aus den Rohren der Bordwaffen aufflackern.
Johannes wandte sich brüllend vor Schmerz ab, hielt sich die Hände vor das Gesicht und ging in die Knie.
Das Modellflugzeug nahm eine scharfe Kurve, zog hoch und kreiste um die Lampe an der Decke, während die ganzen Anderen Flugzeuge sich auf seinen auf dem Boden kauernden Stiefvater stürzten. Propellerflugzeuge und Düsenjets aller Arten warfen sich auf den verhassten Johannes, der Rote Dreidecker des Manfred von Richthofen, das Lieblingsmodell seines Vaters vorweg. Dessen winzigen Maschinengwehre knatterten, spien Garben winzig kleiner Geschosse auf die Arme seines Stiefvaters, wie winzige Nadelstiche fuhren ihm die Kugeln in die Haut.
Seabstian konnte noch immer nicht begreifen, was hier geschah, aber er wußte, das die Flugzeuge ihm selbst nichts tun würden.
Das Modell einer F18 schosse seine winzigen, Stecknadelkopf dicken Raketen auf Johannes.
Die Explosionen zerissen den Stoff seines Hemds, Blut und verbranntes Fleisch kamen zum Vorschein, sein Stiefvater brüllte vor Schmerz und begann um sich zu schlagen, seine Hände erwischten einen Heinkel He 111 Bomber, dessen kleine rasiermesserscharfen Propeller ihm die Finger zerschitten,bevor er abstürzte.
"Du kleines Scheißding! Ich mach Dich fertig!" Johannes trat aus der Hocke heraus mit dem Fuße auf den abgestürzten Bomber, doch während er das Plastikmodell unter der Ferse seiner Schuhe zerstampfte, immer wieder drauftrat, entlud ein B 17 Bomber seine explosive Fracht auf den Rücken von Johannes. Winzige 1500 Lb - Pfund Bomben krachten ihm ins Kreuz. Johannes warf sich auf den Rücken herum und hielt vor Schmerz brüllend die schmerzende Stelle.
Doch die Flugzeuge ließen nicht von ihm ab.
Als sie über ihn hinweg waren drehten sie alle bei und flogen eine neue Angriffswelle, Flugzeuge aller Epochen der Luftfahrtgeschichte.
Auch das Modell eines Airbus A 330 beteiligte sich, in dem es Johannes mitten gegen die Sirn prallte.
Dieser lag nun auf dem Rücken, völlig wehrlos, vor Schmerz fast besinnungslos.
Seine Hände fuhren schwach durch die Luft, während die winzigen Kugeln aus den Bordwaffen in ihn hineinstießen, jede einzelne wie ein kleiner Nadelstich.
Und dann sah Sebastian ein Modell heranfliegen, das sich bislang zurück gehalten hatte.
Das Modell eines schweren B 52 Bombers.
Auch Johannes sah ihn heranfliegen, träge und gemächlich auf seinen acht Triebwerken wie eine Hummel.
"Nein....Nein!" Er sah ihn immer dichter kommen, er wußte nicht genau was dieses Exemplar an Bomben tragen konnte, aber garantiert mehr als er überleben würde.

"Verschwinde aus meinem Haus, und rühre meinen Jungen nie wieder an!" donnerte plötzlich die Stimme von Sebastians Vater aus dem Nichts.
"Fass ihn nie wieder an, hast du gehört, du schmieriger Scheißkerl?"
Johannes wußte nun nicht mehr, wie ihm geschah.
Noch immer kreisten die Flugzeuge um ihn herum, doch keines griff ihn mehr an.
Nur der B52 kam immer näher, und Johannes sah, das er seine Bombenschächte öffnete.
Dieser Anblick gab ihm wahrscheinlich den Rest
Johannes floh aus dem Zimmer, während die Flugzeuge wieder auf ihren Plätzen landeten.
Und während Sebastian sich bückte, um den zerbrochenen He 111 aufzusammeln, hörte er Johannes Auto unten vor dem Haus mit kreischenden Reifen wegfahren.
Und während er das hörte spürte er diese alte vertraute Wärme wieder, die er empfunden hatte, als sein Vater noch viele Nachmittage lang mit ihm zusammen all diese Modell zusammen gebaut hatte.
"Mein Junge, er wird dir nie wieder etwas antun! Er wird Dich nie mehr schlagen!"
Und während die Stimme seines Vaters im Raum verklang, spürte er noch immer das nach langer Zeit wiedergefundene Gefühl von Geborgenheit.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Benjamin!

Deine Geschichte hat mich vom Effekt her an eine von Stephen King erinnrt, vielleicht kennst Du sie.: "Schlachtfeld" heißt sie.

Ich fand Deine Story nicht schlecht, aber in der Ausführung nicht so befriedigend. Obwohl ich die Pointe schon von der King-Story her kenne (das kann aber gut Zufall sein dass sie Deiner ähnelt, gibt sicher viele solcher Geschichten) finde ich sie ganz nett für eine Horrorstory. Kommt mir hier aber etwas zu unvorbereitet. Für meine Begriffe hat sich die Atmosphäre noch nicht richtig entwickelt, als es mit dem Angriff auch schon losgeht. Und ich hätte es besser gefunden, wenn die Sammlung der Modelle vorher ein paarmal unauffällig miteingeflossen wäre ...

Spontan sehe ich die Möglichkeit, dass hier nicht nur der kurze Ausschnitt, sondern ein paar Tage im Leben des Jungen geschildert werden könnten und Johannes ihn auf divese Weisen schikaniert und sich langsam zeigt wie grausam er ist. Sebastian könnte dann mehrmals Zuflucht zu der Modell-Sammlung suchen und sich daran erinnern wie er sie mit seinem Vater gebastelt hat ... und dann, wenn ein Streit mit seinem "Stiefvater" eskaliert, könnten diese dann wie gehabt eingreifen. Das fände ich alles noch ein bisschen subtiler.

Ein paar Details:

Drohend spürte er den verhassten Kerl im Rücken.
Ich bin mir nicht sicher, ob hier die Bezüge korrekt dargestellt werden: Das "drohend" bezieht sich mM nach so wie es hier steht fälschlicherweise auf Sebastian. Aber er ist ja nicht selber drohend, sondern die Gegenwart des Johannes. Klingt in meinen Ohren missverständlich (auch wenn es korrekt sein sollte) und ich rate eher zu: "Er spürte die bedrohliche Nähe des verhassten Kerls in seinem Rücken" - oder etwas in der Art.
Vielleicht auch subjektives Empfinden. :-)
Der 10 Jährige Junge bekam
Entweder: "Der 10-jährige Junge" oder (was am schönsten aussähe, da Zahlen bis Zwölf in Stories ausgeschrieben werden): "Der zehnjährige Junge".
nur noch aus weiter Entfernung hörte er die blubbernden Worte von Johannes, dem Mann, den seine Mutter jetzt liebte
Man möge mir verzeihen wenn das jetzt nicht stimmt, aber mein Sprachgefühl rät mir dringend zum Dativ.
Jetzt spürte er seine harte Hand
Ein paar Wochen später war Johannes gekommen
Der Schmerz würde furchtbar werden.
Das Modell einer F18 schoss seine winzigen

LG
Ginny

 

Hi Benjamin,

ich schließe mich der Meinung von Ginny an, aber für eine kurze Kurzgeschichte ist das schon ok.

Ein wenig störend empfinde ich, dass du nach fast jedem Satz einen Zeilensprung machst. Versuch doch einfach mal, die Story in größere Absätze zu gliedern, das vereinfacht das Lesen.

Bis kurz vor Schluss benutzt du sehr häufig die Namen Johannes und Sebastian, dann ersetzt du sie durch "Stiefvater" oder ähnliches. Das ist gut und abwechslungsreich, daher würde ich das schon eher tun.

Trotzdem eine nette, kleine Geschichte.

Viele Grüße, Murphy.

 

Hi!
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, weil man mit dem Jungen mitfühlen kann und dem Stiefvater vielleicht sogar noch schlimmeres gönnen würde als bloß diesen einen Angriff. Ich fand sie wirklich schön beschrieben.
Die King-Story kenne ich leider nicht, aber meiner Meinung nach ist es auch müßig, jede Geschichte auf eventuelle Vorbilder zu untersuchen. Letztlich ist doch jedes Thema schon einmal dagewesen, oder nicht?

 

Ich habe zwar nicht sehr viel Erfahrung mit der Bewertung von Kurzgeschichen, aber ich versuche es trotzdem mal.
Also im großen und ganzen finde ich die Storie gut.
Ich schließe mich der Aussage von Xenomurphy an, dass die Geschichte sich leichter lesen würde, wenn Du versuchen würdest die Story in größere Absätze zu gliedern.
Auch finde ich, dass sich die Geschichte zu schnell entwickelt.
Hat aber trotzdem Spass gemacht zu lesen, ich hab´s Sebastian richtig gegönnt, dass sein böser Stiefvater so beschossen wurde.

 

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