Stich für Stich
Ich stehe auf. Es ist halb fünf. Ich habe eine halbe Stunde Zeit, mich frisch zu machen, mich anzuziehen, meine Kinder zu wecken.
Ich rüttele an ihren dünnen Schultern und sage sie sollen sich beeilen. Schnell in die Hecke scheißen und frühstücken.
Wir essen ein paar Reste von gestern, dazu kommt noch etwas Mais.
Dann muss ich los.
Ich verlasse meine Kinder, gebe vorher dem Jüngsten, der an Fieberkrämpfen leidet, seine Medizin. Dann stapfe ich los.
Ich muss mich beeilen, ich bin spät dran. Meine Arbeit beginnt um Sechs Uhr und ich habe noch einige Kilometer vor mir. Hinter mir wird meine Hütte immer kleiner, dennoch kann ich noch die Schreie des Jüngsten hören. Bald kann ich nicht mal mehr das Wellblechdach erkennen.
Die letzten Kilometer renne ich. Haue mir den Knöchel auf. Okay, die letzten Meter humpele ich. Ich komme zwar an, allerdings Zwanzig Minuten zu spät.
Scheiße! Hoffentlich hat es noch keiner bemerkt, vor allem nicht der Dicke.
Ich gehe in die Halle, in der man schon von weitem die verdammten Maschinen hört, die aufdringlich rattern und hämmern.
Wenigstens ist es Kühl hier drin.
Ich gehe an den Maschinen vorbei zu meinem Arbeitsplatz.
Der wackelige Tisch trägt schon einen ganzen Stapel Lederlappen.
Ich setze mich hin. Hinter mir, rattert und hämmert es unerträglich weiter.
Wir bekamen zwar mal Ohrenstöpsel, doch selbst die halfen nicht viel.
Ich ziehe denn Faden durch die Nadel und dann geht es los:
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen
Was auch immer daraus mal werden soll.
Ich glaube die Dinger landen später in Deutschland, aber sicher bin ich mir nicht.
Ich sehe auf die Uhr an der Wand. Es ist gleich halb Sieben. Erst um Zehn gibt es eine kleine Pause.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen
Ich nähe mit den Anderen Näherinnen fast im Akkord.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Ich verscheue ein paar Fliegen und hinter mir scheinen die Maschinen mir das Gehör zerreißen zu wollen.
Manchmal wünschte ich, ich wäre eine Maschine.
Keine Probleme mehr.
Keine Müdigkeit.
Keine Kopfschmerzen
Einfach nur Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Das würde ich den ganzen Tag tun, ohne Pause und immer Perfekt.
Vielleicht würde ich dafür mehr Geld bekommen.
Doch wer glaubt heute schon noch an Wunder.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Mein Kopf beginnt zu dröhnen. Ich könnte mir Schmerzmittel kaufen, doch dann hab ich kein Geld mehr für die Medizin meines Sohnes.
Ich schaue auf die Uhr.
Es ist gerade mal Acht.
Noch Zwei Stunden, dann ist Pause.
Ich muss auf die Toilette, doch ich muss durchhalten.
Wie die anderen Näherinnen.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Plötzlich ein Schrei.
Aufregung.
Einen Arbeiter hat’s erwischt.
Er liegt blutend auf der Erde.
Wo einst der Arm war, ist nur noch ein fleischiger Stumpf.
Die Muskeln haben sich zusammengezogen und pulsieren.
Der arm steckt in der Stanzmaschine, die, wie alle wissen, nicht offiziell geprüft ist.
Kollegen kommen angerannt.
Ihr Hauptinteresse gilt der Stanzmaschine. Sie ist blockiert und die Männer wollen weiter arbeiten.
Sie müssen ihr Tagespensum erreichen.
Genau wie ich.
Der Arbeiter wird bei Seite geschafft und der Arm weggeschmissen.
Alle Arbeiten weiter als wäre nichts gewesen.
Die Maschinen rattern und hämmern.
Und ich mache meine Arbeit.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Die Glocke ertönt. Es ist zehn Uhr.
Pause.
Raus aufs Klo.
Doch dort stehen schon viele Frauen.
Also gehe ich ins Gebüsch, seile meinen Neger ab und mache mich zurück an die Arbeit. Andere können noch Pause machen, aber ich muss ein wenig aufholen.
Als ich wieder in die Halle komme sehe ich Ihn schon von weitem.
Der Dicke steht an meinem Platz.
Sein Bauch passt wie immer nicht ganz in den Anzug.
Er pafft eine fette Zigarre.
Er sagt zu mir, dass mein Gehalt für diesen Tag gestrichen sei weil ich zu spät gekommen bin.
Er gibt mir einen Schrubber und einen Eimer.
Ich soll die Blutlache weg machen.
Auch die Arbeiter und die Näherinnen treffen wieder ein.
Die Maschinen beginnen weiter zu rattern und zu hämmern.
Die Näherinnen ziehen wieder die Nadel durch das Leder.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Ich beginne zu wischen. Das Blut ist schon etwas eingetrocknet.
Wischen und Auswringen.
Wisch für Wisch
Wring für Wring.
Ich denke an meine Kinder.
Sie werden jetzt arbeiten und meine Tochter kümmert sich um den Jüngsten.
Ich habe schon bald alle Hoffnungen verloren, dass er je wieder Gesund wird.
Wisch für Wisch
Wring für Wring
Während ich wische und wringe, die Maschinen rattern und hämmern und die Näherinnen stechen und Lederlappen verbinden,
merkt keiner wie die Decke immer näher kommt.
Die Balken biegen sich, doch da knarren hört man nicht unter dem Lärm der Maschinen.
Es fällt auch nicht groß auf als mich der Balken erschlägt und ich tot unter ihm liegen bleibe, mitten in der Blutlache des Arbeiters.
Nur die Maschinen rattern und hämmern und die Näherinnen verrichten ihre Arbeit um das Tagespensum zu schaffen.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.
Ende