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Stich für Stich

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27.03.2006
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Stich für Stich

Ich stehe auf. Es ist halb fünf. Ich habe eine halbe Stunde Zeit, mich frisch zu machen, mich anzuziehen, meine Kinder zu wecken.
Ich rüttele an ihren dünnen Schultern und sage sie sollen sich beeilen. Schnell in die Hecke scheißen und frühstücken.
Wir essen ein paar Reste von gestern, dazu kommt noch etwas Mais.
Dann muss ich los.

Ich verlasse meine Kinder, gebe vorher dem Jüngsten, der an Fieberkrämpfen leidet, seine Medizin. Dann stapfe ich los.

Ich muss mich beeilen, ich bin spät dran. Meine Arbeit beginnt um Sechs Uhr und ich habe noch einige Kilometer vor mir. Hinter mir wird meine Hütte immer kleiner, dennoch kann ich noch die Schreie des Jüngsten hören. Bald kann ich nicht mal mehr das Wellblechdach erkennen.
Die letzten Kilometer renne ich. Haue mir den Knöchel auf. Okay, die letzten Meter humpele ich. Ich komme zwar an, allerdings Zwanzig Minuten zu spät.
Scheiße! Hoffentlich hat es noch keiner bemerkt, vor allem nicht der Dicke.
Ich gehe in die Halle, in der man schon von weitem die verdammten Maschinen hört, die aufdringlich rattern und hämmern.
Wenigstens ist es Kühl hier drin.

Ich gehe an den Maschinen vorbei zu meinem Arbeitsplatz.
Der wackelige Tisch trägt schon einen ganzen Stapel Lederlappen.
Ich setze mich hin. Hinter mir, rattert und hämmert es unerträglich weiter.
Wir bekamen zwar mal Ohrenstöpsel, doch selbst die halfen nicht viel.
Ich ziehe denn Faden durch die Nadel und dann geht es los:
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen
Was auch immer daraus mal werden soll.
Ich glaube die Dinger landen später in Deutschland, aber sicher bin ich mir nicht.

Ich sehe auf die Uhr an der Wand. Es ist gleich halb Sieben. Erst um Zehn gibt es eine kleine Pause.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen

Ich nähe mit den Anderen Näherinnen fast im Akkord.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.


Ich verscheue ein paar Fliegen und hinter mir scheinen die Maschinen mir das Gehör zerreißen zu wollen.
Manchmal wünschte ich, ich wäre eine Maschine.
Keine Probleme mehr.
Keine Müdigkeit.
Keine Kopfschmerzen
Einfach nur Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Das würde ich den ganzen Tag tun, ohne Pause und immer Perfekt.
Vielleicht würde ich dafür mehr Geld bekommen.
Doch wer glaubt heute schon noch an Wunder.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Mein Kopf beginnt zu dröhnen. Ich könnte mir Schmerzmittel kaufen, doch dann hab ich kein Geld mehr für die Medizin meines Sohnes.
Ich schaue auf die Uhr.
Es ist gerade mal Acht.
Noch Zwei Stunden, dann ist Pause.
Ich muss auf die Toilette, doch ich muss durchhalten.
Wie die anderen Näherinnen.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Plötzlich ein Schrei.
Aufregung.
Einen Arbeiter hat’s erwischt.
Er liegt blutend auf der Erde.
Wo einst der Arm war, ist nur noch ein fleischiger Stumpf.
Die Muskeln haben sich zusammengezogen und pulsieren.
Der arm steckt in der Stanzmaschine, die, wie alle wissen, nicht offiziell geprüft ist.
Kollegen kommen angerannt.
Ihr Hauptinteresse gilt der Stanzmaschine. Sie ist blockiert und die Männer wollen weiter arbeiten.
Sie müssen ihr Tagespensum erreichen.
Genau wie ich.
Der Arbeiter wird bei Seite geschafft und der Arm weggeschmissen.
Alle Arbeiten weiter als wäre nichts gewesen.
Die Maschinen rattern und hämmern.
Und ich mache meine Arbeit.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Die Glocke ertönt. Es ist zehn Uhr.
Pause.
Raus aufs Klo.
Doch dort stehen schon viele Frauen.
Also gehe ich ins Gebüsch, seile meinen Neger ab und mache mich zurück an die Arbeit. Andere können noch Pause machen, aber ich muss ein wenig aufholen.

Als ich wieder in die Halle komme sehe ich Ihn schon von weitem.
Der Dicke steht an meinem Platz.
Sein Bauch passt wie immer nicht ganz in den Anzug.
Er pafft eine fette Zigarre.
Er sagt zu mir, dass mein Gehalt für diesen Tag gestrichen sei weil ich zu spät gekommen bin.
Er gibt mir einen Schrubber und einen Eimer.
Ich soll die Blutlache weg machen.
Auch die Arbeiter und die Näherinnen treffen wieder ein.
Die Maschinen beginnen weiter zu rattern und zu hämmern.
Die Näherinnen ziehen wieder die Nadel durch das Leder.
Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Ich beginne zu wischen. Das Blut ist schon etwas eingetrocknet.
Wischen und Auswringen.
Wisch für Wisch
Wring für Wring.

Ich denke an meine Kinder.
Sie werden jetzt arbeiten und meine Tochter kümmert sich um den Jüngsten.
Ich habe schon bald alle Hoffnungen verloren, dass er je wieder Gesund wird.
Wisch für Wisch
Wring für Wring

Während ich wische und wringe, die Maschinen rattern und hämmern und die Näherinnen stechen und Lederlappen verbinden,
merkt keiner wie die Decke immer näher kommt.
Die Balken biegen sich, doch da knarren hört man nicht unter dem Lärm der Maschinen.

Es fällt auch nicht groß auf als mich der Balken erschlägt und ich tot unter ihm liegen bleibe, mitten in der Blutlache des Arbeiters.
Nur die Maschinen rattern und hämmern und die Näherinnen verrichten ihre Arbeit um das Tagespensum zu schaffen.


Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Ende

 

Die Geschichte entsant beim GL-Unterricht während dem Thema "Globalisierung" und als es um die Arbeiter in den armen Ländern ging, die für amerikanische oder deutsche Firmen für einen Hungerlohn drecksarbeit machen.
Ich war mir nict ganz sicher ob ich es hierhin oder zur Gesellschaft packen soll. Da allerdings eine Portion Ironie dabei ist, dachte ich hier wäre es besser aufgehoben.
Ich wünsche viel vergnügen mit diesem Werk, deren Rohfassung in fünf minuten entstant und die in der klasse einiges aufwirbelte. Allerdings war sie auch da noch etwas brutaler :Pfeif:

Schönen Abend
Kenny

 

Hallo Kenny,

fand deine Geschichte ganz ok. Das Thema gibt natürlich sehr viel her für eine Satire. Du hast auch ein paar schöne Formulierungen drin, aber auch ein paar sehr unschöne wie z.B.

seile meinen Neger ab
Das wirkt auf mich zu vulgär. Da solltest du nochmal drüber schauen.

Allerdings hat der Text mMn nicht den Anspruch eine Kurzgeschichte zu sein, geschweige den eine Satire. Find es hat eher was lyirsches. Das ganze wirkt auf mich wie ein Gedicht. Angefangen beim Schreibstil bis hin zur Setzung der Absätze (Strophen). Und als solches finde ich es eigentlich gut. Als Geschichte würde ich es nicht bezeichnen.

viele Grüße
neukerchemer

 

Na ja, ich würd schon sagen, dass es eine Geschichte ist,
aber auf keinen Fall eine Satire, so viel steht mal fest.

Vielleicht hast du mit dem Vorschlag, dass sie in "Gesellschaft" besser aufgehoben ist, Recht.

Aber an sich fand ich die Geschichte toll.
Man kann sich gut in die Situation der Frau hineinversetzen und fragt sich, wo diese Menschen die Kraft hernehmen, um jeden Morgen aufzustehen.
Das hast du mir gut vermittelt... :)

Da sind noch einige Rechtschreibfehler drin und mit den vulgären Ausdrücken schließe ich mich meinem Vorredner an. Neger abseilen und in die Hecke scheißen passt nicht in die Geschichte.
Aber sonst, gut gut!

Underground

 

Hallo Kenny,

eine Geschichte- ja, eine Satire- nein. Eine Satire lebt von der Übertreibung oder Verzerrung, du schreibst aber realistisch, glaubhaft (was normalerweise etwas Positives ist).

Gut die Darstellung der Monotonie:


„Stich für Stich
Lederlappen an Lederlappen.

Ich beginne zu wischen. Das Blut ist schon etwas eingetrocknet.
Wischen und Auswringen.
Wisch für Wisch“

- auswringen.

„Das würde ich den ganzen Tag tun, ohne Pause und immer Perfekt“

- perfekt

„Wring für Wring.“

- Das Wort „Wring“ gibt es wahrscheinlich nicht, klingt auch schlecht beim Lesen. Vielleicht in der Befehlsform: Auswringen, auswringen!


Es fällt auch nicht groß auf als mich der Balken erschlägt und ich tot unter ihm liegen bleibe, mitten in der Blutlache des Arbeiters.
Nur die Maschinen rattern und hämmern und die Näherinnen verrichten ihre Arbeit um das Tagespensum zu schaffen.

- Eine Tote kann nicht erzählen, da müsste (vielleicht kursiv) ein Erzählerwechsel her.

Am Anfang viele Satzanfänge mit „Ich“.


L G,

tschüß Woltochinon

 

Satirisch aufbereitet ist das nicht. Außer die Lederlappen ergäben die Fußbälle für die glänzende Fußball-WM (die gar nicht glänzt).

An einigen Stellen wars mir persönlich zu plakativ-herausgestellt, aber immerhin fand ich den Text gelungen. Nur: Satirisch ist er leider nicht so.

 

Mir hat der Text gut gefallen und es gibt kein Gesetz, nach dem man bei der Satire lachen muss. Tucholsky sagt: Die Satire darf alles. In dieser Geschichte ist es die Ich-Erzählerin, die als Tote weiter erzählt - ich finde das in Ordnung und auch die Ausdrücke, die von einigen bemängelt wurden. Ich denke nicht, dass man in solchen Lebenslagen über Sprachstil nachdenkt, ich finde: es passt.

 

Hallo Thesi,

Satire muss nicht lustig sein, dies wird auch hier im Forum so vertreten.

„Ich denke nicht, dass man in solchen Lebenslagen über Sprachstil nachdenkt, ich finde: es passt.“

Auf welche Stelle beziehst du das?

Tschüß Woltochinon

 

hallo woltochinon,
ich meinte jene ausdrücke wie "in die hecke scheißen" und "einen neger abseilen" . die beschriebene situation erlaubt durchaus dieses sprachniveau und jeder andere ausdruck wäre stilistisch fehl am platz, oder was hältst du von: "ich muss noch schnell für große jungs" oder " ich muss noch kurz dahin gehen, wo auch der kaiser zu fuß hingeht" nur mal so als auswahl.
(sorry wegen kleinschreibung, bin heut etwas "handbehindert")
gruß
th.

 

Hallo Thesi,

danke für deine Erklärung!

"die beschriebene situation erlaubt durchaus dieses sprachniveau"

Ja, da stimme ich dir zu - wenn so ein `kantiger´ Protagonist plötzlich super-gesittet auftreten würde, wäre das fehl am Platze. Mir würde es zwar nicht liegen so tief in die Vulgärkiste zu greifen, doch kann ein Autor das nach Geschmack entscheiden.

L G,

tschüß Woltochinon

 

wow....wir ham das thema auch durchgenommen, und ich fands echt übel, was manche menschen machen müssen...
aber das was du da veröffentlicht hast, hat die sache ziemlich gut getrofen.
finde ich
liebe grüße.
krümel89

 

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