Mitglied
- Beitritt
- 15.02.2003
- Beiträge
- 434
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Sternschnuppen im Wind
Mark hat die Vorhänge zugezogen. Durch den schmalen Spalt in der Mitte dringt noch etwas Licht. Das Licht fällt auf den Tisch und teilt ihn in zwei Hälften. Er hebt langsam den Kopf, als eine dicke Fliege von außen an die Fensterscheibe klatscht. Leise summend entfernt sie sich wieder. Mark schiebt sein leeres Glas über den Lichtstreifen und sagt „gewonnen“. Irgendwo tickt eine Uhr. Er steht auf und geht ins Badezimmer. Vor dem Spiegel bleibt er stehen. Es dauert einen Augenblick, bis er sein Spiegelbild erkennt. Da ist nichts, was er sich zu sagen hätte.
Er geht ins Schlafzimmer. Nachdem er eine Weile mit offenen Augen auf dem Bett gelegen hat, hört er gedämpfte Schritte auf dem Flur. Die Schritte werden lauter. Plötzlich ist es wieder still. Mark richtet sich auf und lauscht. Es klopft. Er geht zur Tür und macht auf. Paula. Sie lächelt und sagt: „Hallo.“ Wenig später ist sie im Wohnzimmer und wippt auf den Zehenspitzen, während er sie ansieht. Sie fängt an herumzulaufen und streicht mit den Fingern an der Wand entlang. An einigen Stellen bröckelt Putz ab. Sie sagt: „Hübsch hier.“ Mark schweigt.
Sie ist beim Fenster angelangt und zieht die Vorhänge auseinander. „Es ist dunkel hier“, sagt sie. Mark zupft an seinem Hemd herum und entgegnet leise: „Eben ist die Sonne untergegangen.“ Sie dreht sich zum Fenster und berührt das Glas mit den Fingerspitzen. „Ja.“ sagt sie. „Die Straße. Stört sie dich nicht?“ Mark deutet auf die Vorhänge. „Oh“, sagt sie und widmet sich wieder dem Zimmer. Nach einer Weile fasst sie die Tür ins Auge. „Irgendwer hat geklopft.“ Mark blickt zu Boden. „Nur mein Herz, glaube ich.“ Sie lächelt kurz und wandert weiter.
An einem der Regale hält sie inne und betrachtet die Uhr. „Sie ist laut.“ „Ja.“ Sie dreht sich plötzlich um und sagt: „Ich würde gerne weggehen.“ Dann schaut sie wieder zum Fenster. Schatten auf ihrem Gesicht. Mark betrachtet das Schattengesicht. Es sagt ihm nichts. Er hat das Gefühl, dass es gut so ist. „Was hast du gesagt?“
Draußen ist es kalt. Mark schnürt den Mantel fester zu. „Wohin wollen wir?“. Er beobachtet, wie die Worte in kleinen Rauchwölchen vor ihm aufsteigen. Sie zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wir werden sehn.“ Sie läuft los, Mark rührt sich nicht. Sie bleibt stehn. „Was ist? Komm, lass uns den Sommer suchen. Ich habe meinen irgendwo verloren.“ Kurz darauf sagt sie: „Ich mag deine Wohnung nicht.“ „Ich auch nicht“, sagt Mark.
Als ein Taxi vorbeikommt, halten sie es an. „Wohin solls denn gehn?“. Paula zeigt mit dem Finger auf den Mond. Der Taxifahrer lächelt und fährt los. Am Fluss halten sie an.
Sie zieht die Schuhe aus und lässt ihre Füße im Wasser baumeln. Irgendwo bellt ein Hund. Ein Fenster wird geöffnet und jemand ruft etwas. Dann ist es wieder ruhig. Mark legt den Kopf in den Nacken und summt leise vor sich hin. Paula steht auf und geht langsam zurück zur Straße, sie sagt: „Gar keine Autos.“
„Vielleicht gibt es keine mehr.“ „Ja“, sagt Paula „vielleicht.“ Sie legt sich auf die Straße und streckt ihre Arme aus. „Wenn die Straßen weich wären, hätte jeder ein Bett.“ Mark beugt sich zu ihr hinunter und sagt: „Wenn die Sterne umsonst wären, könnte ich dir welche schenken.“
Paula bleibt stehen. „Riechst du das auch?.“ „Was?“. Mark blickt auf. Flammen. „Es brennt.“ Paula steht neben ihm und sagt nichts. Auf einmal lächelt sie.
„Der Himmel. Wunderschön.“ „Ja“, sagt Mark „vielleicht.“ In der Ferne Sirenen. Das Feuer knistert leise. Mark friert. Er legt seinen Arm um Paula. Sie sagt: „Es ist hell. Ich meine...“ Sie springt aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. „Und die Sonne, und die Sonne ist nicht da. Es dauert noch so lange, bis sie wieder aufgeht. Glaubst du, dass sie morgen wieder aufgeht?“ „Ich weiß nicht.“ Mark blinzelt kurz. Das Feuer spiegelt sich in Paulas Augen. Er steckt die Hände in die Jackentaschen. Sie sieht ihn an und sagt: „Komm, lass uns auf die Sonne warten.“
Mark und Paula setzen sich auf den Bordstein. Die Sirene nähert sich langsam, bald wird sie da sein. „Hast du gesehn“, fragt Paula „dass wir heute keine Schatten haben?“ Mark runzelt die Stirn und sagt nichts. Allmählich dehnt sich der Rauch aus. „Wenn die Wolke weiß wäre, dann wären wir vermutlich Engel“, sagt Paula. Sie schaut in den Himmel. „Da war eben eine Sternschnuppe, glaube ich.“ Mark blickt Paula an und lächelt. „Und?“.