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Sternenreise
Der Großvater hatte Jan einmal ein Buch über Planeten geschenkt. Es war das interessanteste Buch, das Jan jemals bekommen hatte und er las oft darin. Es faszinierte ihn, daß da oben im Himmel Millionen von Sternen waren. Und alle waren so riesig groß wie die Erde. Jan überlegte sich manchmal, auf wie vielen dieser Planeten auch Menschen oder andere Wesen darüber nachdenken mochten, ob vielleicht auf der Erde jemand lebte. Mit einem Feldstecher beobachtete Jan fast jede Nacht den Himmel. Der Vater hatte ihm ein echtes Fernrohr für Sterne, ein Teleskop, versprochen. Bald würde Jan die Sterne noch genauer beobachten können. Die Sterne in der Nähe der Erde kannte Jan schon auswendig. Sie heißen Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Eines Abends jedoch sollte Jan die Sterne so nah und genau sehen, wie kein Teleskop ihm ein Bild von ihnen machen konnte.
Jan hatte vor dem Einschlafen in seinem Planetenbuch gelesen und war darüber eingeschlafen. Die Mutter war in sein Zimmer gekommen, hatte ihm das Buch aus der Hand genommen und das Licht gelöscht. Und als es ganz still und leise im Haus war, als auch die Eltern schon schliefen, wachte Jan plötzlich auf. Ein Lichtkegel vom Licht des Mondes schien direkt auf sein Kopfkissen. Als Jan die Augen öffnete, blickte er auf einen dicken, runden Vollmond. „Uff“, dachte Jan „wie hell der Vollmond leuchtet!“
„Aufwachen! Wir haben zu tun.“ sagte eine Stimme.
Jan erschrak und setzte sich im Bett auf. Da war jemand in seinem Zimmer. Jan blickte sich um, konnte aber niemanden sehen. „Wer bist du? Und vor allem: Wo bist du?“ frage er.
„Hier!“ sagte die Stimme und plötzlich stand ein Mädchen in einem hellen Kleid vor Jan. Und es war das schönste Mädchen, das Jan jemals gesehen hatte. Überhaupt glaubte er, niemals zuvor etwas so schönes gesehen zu haben, wie dieses Mädchen. Und wenn er später, als Jan schon lange ein erwachsener Mann war, an dieses Mädchen dachte, fiel ihn sein ganzes Leben lang nichts ein, was schöner sein konnte, als das Mädchen. Sie schien im Dunkeln zu leuchten. Ihr Kleid war Weiß und gleichzeitig schimmerte und schillerte es in allen Farben des Regenbogens. Und ihr Haar war völlig schwarz, schwarz wie die Nacht draußen vor der Tür. „Ich bin Luna“, sagte das Mädchen „und ich möchte dir die Wandelsterne zeigen.“
Jan war verwirrt. Das Mädchen wollte ihm die Sterne zeigen? Was sollte das denn alles? Wo kam sie her? „Aber...“ wollte Jan entgegnen, als sie ihm ins Wort fiel.
„Die Wandelsterne leuchten, denn sie glänzen vom Licht der Sonne, das sich an ihnen bricht. Deshalb kannst Du sie in der Nacht sehen und ich weiß, daß du sie jede Nacht beobachtest. Deshalb werde ich sie dir zeigen. Und du mußt keine Fragen stellen. Du wirst schon alles verstehen!“ sagte das Mädchen.
„Aber wie willst du denn zu den Planeten, ich meine zu den Wandelsternen, gelangen?“ fraget Jan das seltsame Mädchen.
„Der Zauber des Vogels wird uns tragen.“
Als sie dies sagte, bemerkte Jan einen kleinen Falter, der auf der Schulter des Mädchens saß. Er war völlig schwarz. Nur auf seinem Rücken war ein großer, gelber Punkt. Der Punkt sah aus wie ein Stern am Nachthimmel. Jan konnte sich das alles nicht erklären.
„Mein kleiner Freund hier“, sprach das Mädchen „ist ein Mondvogel. Er kann uns zu den Sternen tragen. Vertraue mir einfach!“
„Was soll ich tun!“
„Gib mir deine Hand. Das ist schon alles.“
Jan reichte Luna die Hand und sie schwebten durch das Fenster seines Zimmers in der Dunkelheit davon. Immer höher flogen sie in den Himmel hinauf. Sie flogen bis hinauf zum Mond. Jan rieb sich die Augen. War das ein Traum? Nein, er stand auf dem Mond. Mitten zwischen zwei Kratern. Der Boden glänzte silbern und jede Bewegung war ganz einfach und leicht.
„Hier bin ich Zuhause!“ sagte Luna.
„Du wohnst auf dem Mond?“ fragte Jan ungläubig.
„Na klar! Warum denn nicht“, antwortete Luna „Jeder wohnt irgendwo. Und ich auf dem Mond. Jetzt hole ich noch unseren Proviant und dann geht es los!“
Luna sprang mit großen Schritten davon und als sie wieder kam, hatte sie einen großen, silbernen Rucksack in der Hand. Er schien prall gefüllt zu sein, denn er war ausgebeult als sei er aufgeblasen wie ein Luftballon. Das Mädchen blickte Jan aus ihren tiefschwarzen Augen an. Ihr Gesicht war zart und schmal und die Farbe ihrer Haut war hell, wie das Mondlicht selbst. Jan fand, so mußten die Elfen aus den Märchenbüchern aussehen. Ja, Luna mußte eine Elfe sein, vielleicht eine Mond-Elfe. „Bist du bereit für die Wandelsterne?“ fragte sie.
„Na klar. Bereit, wenn du es bist.“ antwortete Jan.
Und sie flogen davon in Richtung Sonne.
„Die Sonne ist ein großer Gasballon. Das Gas nennt man Helium. Und sie ist deshalb so heiß und hell, weil in ihr immer wieder Gas verbrannt wird und deshalb gibt sie Energie ab, die wir auf der Erde als Sonnenstrahlen spüren.“ protzte Jan mit seinem Wissen über die Sonne.
„Die Sonne ist die Mutter unserer Wandelsterne“, erklärte Luna „Sie ist mehr als nur ein Ball voller Gas, denn sie hält ihre Kinder, die Wandelsterne, beisammen. Sie ist mehr als nur ein Feuer im Universum. Sie ist die Mutter der Wandelsterne.“
Jan mußte zugeben, daß auch Luna irgendwie recht hatte. Er hatte sich kaum am Feuerspiel in der Sonne satt gesehen, und es war ein gewaltiges Feuerspiel, wie in einem riesigen Kamin, nur viel viel gewaltiger, als sie an der Sonne vorbei auf einen Planeten zusteuerten.
„Das muß Merkur sein.“ stellte Jan fest „Der Planet ist nach dem römischen Gott Merkurius, dem Gott des Handels benannt. Wenn das Merkur ist, dann sind wir fast sechzig Millionen Kilometer von der Erde entfernt.“
Jan staunte. Hatte jemals ein Mensch zuvor diesen Planeten aus dieser Nähe gesehen. Luna lächelte Jan an, wohl wissend, daß dieser kaum fassen konnte, was gerade mit ihm geschah.
Der nächste Planet, den sie erreichten war die Venus.
„Ihr benennt diesen Wandelstern nach einer Göttin der Schönheit und der Liebe. Denke dein Leben lang daran, daß die Liebe nur einige Momente unseres Lebens ausmacht. Doch diese Momente sind alles.“ erklärte Luna „Und damit habt ihr weitgehend recht. Venus ist eine Königin unter den Wandelsternen. Ihr Gemahl ist der Stern, den ihr Jupiter nennt. Er ist der mächtigste und gewaltigste aller Wandelsterne unter unserer Sonne. Magst du ihn sehen?“
„Unbedingt!“
Sie flogen wieder an der Erde vorbei und an einem anderen Planeten, der schillerte wie ein Seifenblase. „Ist das Mars, der Planet des Kriegsgottes?“
„Ihr habt ihm einen völlig falschen Namen gegeben, weil ihr ihn nur aus der Ferne gesehen habt. Der bunte Wandelstern denkt niemals an Kriege. Er lebt in allen Farben.“
Dann kamen sie am Jupiter an. Er war der größte unter allen Planeten und er war feuerrot. Um ihn herum waren zehn, nein!, zwölf Monde. Und Jupiter drehte sich um sich selbst, ähnlich wie die Erde, nur viel schneller. Mitten auf dem Planeten war ein großer roter Fleck zu sehen.
„Das ist ein gewaltiger Wirbelsturm!“ wußte Jan.
„Das ist Jupiters Auge.“ erklärte Luna, „Damit beobachtet er das Universum. Er sieht nach, ob alles rechtens ist. Achtung, Vorsicht!“
Luna zog Jan auf die Seite. Gerade im rechten Moment, als etwas riesiges auf sie zugeflogen kam. Ein großer Felsblock mit einem langen Schweif aus Feuer flog an ihnen vorbei.
„Ein Komet?“ fragte Jan.
„Ja, ein Komet, ein Wanderer zwischen den Sternen. Er durchquert das Universum und besucht alle Sonnen und alle Sterne und er kehrt immer wieder zurück.“
„Schau da, das ist Saturn!“ rief Jan.
„Oh ja. Woran hast Du ihn erkannt?“ fragte Luna.
„An dem Ring, den er um sich trägt. Lauter kleine Asteroiden, die von der Schwerkraft des Saturn angezogen werden.“
„Oh ja, er hält sie durch seine Zauber in seinem Bann. Sie können ihn nicht verlassen, weil er der größte Zauberer ist. Er hat die Zeit erfunden. Durch seinen Zauber hat er das Universum in Gang gebracht.“ erzählte Luna.
Sie flogen weiter an den Planeten Uranus und Neptun vorbei. Natürlich nicht, ohne dort anzuhalten, damit Jan sich die Wandelsterne genau ansehen konnte.
Dann erreichten sie einen kleinen Planeten ganz weit draußen. Die Sonne war kaum mehr zu sehen und auch die Erde war völlig außerhalb ihres Blickfeldes.
Auf dem Planeten tobten Stürme aus Eis und Frost.
„Das ist Pluto, der Eisplanet.“ sagte Jan mehr zu sich selbst.
„Oh ja, das ist der verbannte Wandelstern. Er wurde von der Sonne hierher verbannt, denn er hat böses getan, als das Universum erschaffen wurde. Er trägt zurecht den Namen des Gottes der Unterwelt. Auch im Innern ist Pluto so frostig, wie du ihn hier von außen erkennen kannst.“ erzählte Luna.
„Was hat er böses getan, daß ihn die Sonne verbannen mußte?“ fragte Jan.
Luna bekam ein trauriges Gesicht. Das Leuchten in ihren Augen ließ nach und sie schüttelte langsam, fast unmerklich, den Kopf.
„Er hat... denk‘ nicht darüber nach! Es ist nicht wichtig für dich. Das Universum hat auch seine Schattenseiten und Pluto ist eine davon. Es gibt keinen Ort, kein Leben und kein Sein ohne Schattenseiten. Pluto ist der Schatten unserer Sonne. Laß uns gehen!“
Später waren sie wieder am Mond angekommen. Luna sagte, daß der Mondvogel müde sei und daß sie deshalb heute keine weiteren Erkundungen mehr vornehmen könnten. Jan wußte nicht, ob er darüber traurig sein sollte, denn auch er war inzwischen schrecklich müde.
„Ach so! Wir haben ja vor lauter Wandelsternen noch nichts gegessen!“ merkte Luna und reichte Jan etwas aus ihrem Rucksack. Es war ein Mondkuchen. Er sah ebenso silbern aus, wie die Oberfläche des Mondes und er schmeckte, als sei er alle Kuchen in einem. Nach Schokolade, aber auch nach Nuß und Marzipan und Erdbeere und Brombeere und dann war Jan eingeschlafen. Er hatte die Augen nicht mehr offenhalten können. Es war so viel geschehen. Jan vergaß, was um ihn herum geschah...
„Hey, Jan!“ sagte eine Stimme.
„Luna?“ fragte Jan verschlafen.
Aber es war seine Mutter und Jan war nicht mehr auf dem Mond, sondern lag in seinem Bett. Es war inzwischen taghell draußen. Von Luna keine Spur. Die Mutter fand, daß es Zeit zum Aufstehen war. Immerhin sei schon bald Zeit zum Mittagessen und Jan schien immer noch müde zu sein. Benommen stand er auf und suchte nach Zeichen für seine nächtliche Reise. War alles nur ein Traum gewesen? Er war sich nicht mehr sicher. Die nächsten Tage suchte Jan noch nach Anzeichen dafür, daß es Luna und den Mondvogel wirklich gab, aber er fand keine. Nachts beobachtete er den Mond, konnte aber auch dort keine Spur von Luna erkennen. Irgendwann sagte sich Jan, es müsse wohl ein Traum gewesen sein und nicht mehr als ein Traum. Ein Traum vom schönsten Wesen der Welt und von einer Reise zu den Sternen.
Dann träumte Jan von Luna. Ihr helles Gesicht erschien in seinem Traum und sie sprach zu ihm. „Hallo Jan! Denke nicht darüber nach, ob ich ein Traum oder Wirklichkeit bin. Es spielt doch überhaupt keine Rolle. Du hast die Sterne doch gesehen, oder? Ob nun ein Traum oder nicht, nun sind es deine Erinnerungen. Und das sollen sie für immer bleiben, denn du warst bei den Sternen. Vergiß sie niemals.“
Jan hatte das Mädchen niemals wieder gesehen. Es verging kein Tag, an dem er nicht an sie dachte. Aber er hatte verstanden, daß ihm auch von ihr die Erinnerung bleiben würde und die konnte ihm niemand mehr nehmen. Oft fragte er sich, was Luna jetzt wohl tun würde. Wahrscheinlich führte sie gerade andere Menschen zu den Sternen. Oder sie war ganz einfach das Leuchten des Mondes in der Nacht. So mußte es wohl sein.