Sternenkinder
Lucy liegt unter dem Fremden, sie spürt seinen heißen Atem an ihrem Hals, seine harten Stöße in ihrer Vagina. Sie blickt zu den dunklen Flecken an der Decke über ihr. Seine Hand ergreift ihren Busen und massiert ihn fester, als sie es mag. Alles was sie hier tut, mag sie im Grunde überhaupt nicht, aber ihre Welt besteht nun mal aus nur diesem kleinen beinahe unmöblierten Zimmer und ihren Blick in den Nachthimmel, wenn sie drei oder vier Freier über sich gelassen hat und Manuel sie aus diesem Zimmer entlässt.
Das Keuchen an ihrem Ohr wird immer lauter, immer kürzer, sie bewegt emotionslos ihre Hüften und drückt so ihre Vagina dem Fremden entgegen. Ihm scheint es zu gefallen, denn seine Stöße werden heftiger. Seine Haut fühlt sich nass und fremd an. Gerüche hat sie aus ihrem Leben verbannt, ansonsten würde sie es in diesem Loch nicht aushalten.
Sie entfernt sich immer mehr von dem Fremden …liegt auf ihrer vertrauten Blumenwiese, hört das Vogelgezwitscher um sich, nimmt den sanften Wind auf ihrer Haut wahr und spürt, wie die Grashalme unter ihr in ihre nackte Haut piksen. Der Himmel über ihr ist strahlend blau, keine einzige Wolke zeigt sich am Himmel. Sie kneift ihre Augen zu, denn das gleißend helle Licht der Sonne ist für sie fremd. Vielleicht auch nicht, denn hierher entschwindet sie immer, sobald ein Fremder ihren Körper berührt.
Anfangs bricht sie zusammen, sobald die Fremden ihr Zimmer verlassen haben. Ihr Körper fühlt sich heiß und eiskalt zugleich an. Ihr Magen rebelliert und sie erbricht direkt neben ihrem Bett auf die kaputten, dunkelgrünen Fliesen. Manuel hat sie angeschrien, sie soll die Schweinerei wegmachen. Sie tut, was er ihr gesagt hat, schließlich ist er der einzige Mensch in ihrem Leben, der ihr geblieben ist.
Lucy wird von dem Fremden in die Höhe gerissen, er kniet auf ihrem Bett, welches bei seinen Bewegungen leise vor sich hin quietscht. Sie sitzt auf ihn und spürt sein hartes Glied, wie es sich mit aller Gewalt immer tiefer in ihre Vagina drückt. Seine Zunge umspielt ihre Brustwarzen und er saugt fester an ihnen. Sie schreit leise auf.
„Das gefällt dir wohl du kleines Miststück!“
Trotz der Schmerzen kann sie sich nicht wehren, denn er drückt ihr die Hände auf ihren Rücken.
Mit einem Ruck schiebt der Fremde sie von sich, dass sie direkt auf ihrem Rücken mit weit gespreizten Beinen vor ihm landet. Er beugt sich über sie, nimmt ihre Hand und beginnt ganz fest und schnell zusammen mit ihr sein Glied zu massieren. Lucy weiß, jetzt hat das Drama seinen Höhepunkt erreicht oder der Fremde gleich seinen Orgasmus. Er spritzt ab und sein Sperma landet direkt auf ihrem Bauch.
Er lächelt sie befriedigt an. Sie lächelt zaghaft zurück. Sie möchte nur noch dieses widerliche Zeug von ihrem Körper waschen.
Er steht auf und dreht sich von ihr weg. Sie beobachtet ihn, wie er sich etwas ungeschickt ankleidet. Ohne ein weiteres Wort verlässt er den Raum.
Lucy weiß, was diese Männer von ihr denken und der Gedanke daran schmerzt sie ungemein. Sie ist eine Hure und würde immer ein Hure in den Augen dieser Männer sein. So wird sie von den Fremden auch behandelt, vielleicht hat sie es auch nicht anders verdient und ihr Leben ist genauso vorherbestimmt. Andere Menschen haben dieses große Glück in ihrem Leben genau das zu finden, wonach sie suchen. Liebe, Respekt und Anerkennung. Doch sie hat es irgendwann aufgegeben danach zu suchen und sie hat sich ihrem jetzigen Schicksal mit aller Resignation hingegeben.
Als sich die Tür hinter dem Fremden schließt ist Lucy froh, denn ihre innere Anspannung löst sich so plötzlich auf und sie lässt sich zurück auf ihr Bett fallen.
Ihr Körper fühlt sich fremd an, er schmerzt und sie spürt eine leichte Rebellion in ihrer Magengegend.
Mit wackeligen Beinen steht sie auf und tritt vor das kleine Waschbecken, was das Zimmer zu ihrer Luxussuite macht. Wer hat schon fließend kaltes Wasser in seinem Zimmer! Sie reibt ihren Körper mit dem Wasser ab. Es tut ihr gut, es reinigt nicht nur ihre Haut, sondern auch ihre Seele. Es kühlt ihren wunden Körper und erfrischt sie irgendwie.
Manuel tritt hinter ihr zur Tür herein „Feierabend mein Mädchen!“, er kommt auf sie zu und gibt ihr einen kurzen, unbedeutenden Kuss auf die rechte Schulter. Schweigend verlässt er den Raum.
Manuel hat ihr zum Mittag ein Lunchpaket gebracht, was sie noch nicht angerührt hat. Sie zieht ihre graue Sweatjacke über, schlägt die Kapuze über ihren Kopf, nimmt das Lunchpaket, eine Flasche Wasser und verlässt das Zimmer.
Direkt neben ihrem Zimmer führt eine Treppe auf das Dach. Mit schnellen Schritten erklimmt sie die Stufen nach oben und öffnet die kleine, schmale Tür.
„Du bist heute spät dran!“, wird sie von Anna begrüßt.
„Oder du zu früh!“, mit einem leichten Grinsen setzt sich Lucy neben das Mädchen.
Anna ist ungefähr so alt, wie sie. Nach Annas Alter hat sie nie gefragt, es gibt schließlich wichtigere Dinge zu bereden. Anna hat schwarze, lange Haare und grüne Augen. Lucy findet das so faszinierend an ihrer Freundin, die aber meint, es wäre ihr egal, wie sie aussieht, wenn diese Typen einfach nur ihre Hände von ihr lassen würden.
Anna kennt genau wie Lucy ihre Eltern nicht. Irgendwann haben sie beschlossen, da sie keine Eltern haben, sind es die Sterne, die sie auf diese Welt gebracht haben. Meist lachten sie über ihre kleinen Spinnereien, die sie von ihrem harten realen Leben davontrugen und ihnen Momente voller Leichtigkeit schenkten.
„Was hast du da an deinem Hals?“, Lucy schiebt mit ihrer Hand Annas langen Haare ein wenig beiseite.
„Würgemale. Der Typ stand darauf, mich beim Sex zu würgen.“, Anna verzieht ihr Gesicht.
„Das lässt Jan zu?“
„Solange sie mich am Leben lassen, ist es ihm egal, was sie mit mir anstellen!“
Lucy spuckt angewidert auf das Dach, „Männer gehören in die Hölle!“
„Wem sagst du das!“, seufzt Anna laut.
Von der Straße dringen Stimmen zu den beiden hinauf, doch sie lassen sich nicht von dem Stimmengewirr beirren. Lucy lehnt sich gegen die Wand und blickt in den Abendhimmel, der die letzten Sonnenstrahlen auf die Stadt hinabwirft.
Die Stimmen werden lauter, eine Fensterscheibe klirrt.
„Ist da unten schon wieder eine Razzia?“, fragt Anna.
Lucy legt sich auf das Dach und schiebt sich mit ihren Armen weit über den Dachsims, damit sie besser sehen kann, was unten vor sich geht.
Von unten steigen Flammen auf, sie spürt die Hitze, die von unten kommt. Überall sind Rauchschwaden, diese versperren ihr die Sicht bis zur Straße. Eine weitere Fensterscheibe klirrt.
„Ach du heilige Scheiße!“, sie schiebt sich zurück und stemmt sich mit ihren Armen hoch.
„Was ist?“, Anna hat von dem Feuer noch nichts bemerkt.
„Wir müssen weg!“, Lucy dreht sich zu ihr, „Das Haus brennt lichterloh!“.
„Du verarschst mich!“, Anna springt auf und reißt die Tür auf, welche hinab in das Haus führt. Dicke dunkle Wolken schießen ihr entgegen. Der Rauch brennt in ihren Augen. Da wird auch Anna bewusst, dass sie weg von hier müssen.
„Wie sollen wir hier runter kommen?“, Anna heult beinahe und zeigt die Treppe hinab, die vom Rauch kaum mehr zu erkennen ist.
„Nicht dort hinunter, wir müssen über das Dach fliehen!“ Lucy zieht ihre Freundin an ihrem Jackenärmel hinter sich her.
„Du weißt schon, dass ich Höhenangst habe!“
„Höhenangst oder Sterben, was ist dir lieber?“, in den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Häusern sieht Lucy, dass nicht nur ihr Haus brennt, sondern die gesamte Häuserreihe unter ihnen.
Als noch weitere Fensterscheiben klirrend zu Bruch gehen, spürt auch Anna in welch ernsthafter Gefahr sie sich hier oben auf dem Dach befinden.
Gemeinsam klettern sie von einem Dach zum Nächsten, bis sie schließlich das letzte Haus der Häuserreihe erreicht haben.
Die lauten Schreie der Menschen, die Sirenen von Feuerwehr und Krankenwagen, der immer dichter werdende Rauch und die Hitze lassen Lucy zu schnellen und unüberlegten Handlungen hinreißen.
„Spring!“, schreit sie Anna an. Sie stockt, doch Lucy hat bereits ihre Hand unter ihren Ellenbogen geschoben und zieht sie in die Tiefe.