Was ist neu

Sternenblicke

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30.12.2002
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Sternenblicke

Lieber Leon

Ich schreibe dir diesen Brief, um mit dem abzuschliessen was war. Mit unserer gemeinsamen Vergangenheit.
Du hast in meinem Leben einen grossen Platz eingenommen-vielleicht einen zu grossen-und eine noch grössere Leere zurückgelassen. Nun ist der Punkt gekommen, wo ich nicht mehr so leben kann. Ich brauche meine Energie für neue Dinge, sollte mich auf meine Lehre konzentrieren, meine Freundschaften pflegen und wieder lernen was es heisst, Spass zu haben. Spass am Leben!
Ich vermisse dich. Darum kann ich dich nicht vergessen, denn dafür bist du mir zu wichtig. Aber ich will die Erinnerungen verdrängen, weil ich spüre, dass für mich ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Leider habe ich keine Ahnung, wo du dich zur Zeit aufhältst. Das Gerücht verbreitete sich, du seist in Schweden. Ich habe deine Mutter gefragt, aber sie wollte mir keine Auskunft über deinen genauen Aufenthaltsort geben. Doch einen Brief könne sie dir zukommen lassen, versprach sie mir. Ich hoffe, du hast es gut, dort wo du jetzt bist.
Mir geht es auch wieder besser. Man entliess mich bereits nach zwei Wochen wieder aus der Klinik, aber da warst du schon nicht mehr da. Es war ein Schock für mich, ich wusste nicht, was mit dir geschehen ist, ein Schock, vermischt mit Traurigkeit, Angst und Zweifeln.
Ich muss immer noch Medikamente nehmen. Aber ich bin daran, mir wieder Träume aufzubauen. Genauso wie damals, als ich dich traf. Damals, dieses Damals, scheint mir so weit weg.
Leon, wir sind bald 20! Jung. Wir müssen Träume haben, Ziele und Hoffnungen. Wir haben das ganze Leben noch vor uns! Bitte denke jetzt nicht:"Ich habe aber keine Lust dazu, es ist mir zu anstrengend und ich habe mehr Erwartungen an das Leben, als es mir bieten kann." So haben wir damals gedacht. Das muss jetzt anders werden!
Weisst du, als ich dich zum ersten Mal sah, fühlte ich mich sofort zu dir hingezogen. Ich kannte dich nicht, spürte aber, dass du mir sehr ähnlich bist. Ich sah dich wieder und fühlte dasselbe. Tatsächlich lernte ich dich kennen, was ich nie für möglich gehalten hätte. Später hatte ich das starke Verlangen, dass wir eine innige Beziehung führen und ein Paar werden würden. Es hat sich so nicht ergeben! Wir haben über alles geredet, aber nie über dieses zentrale Thema. Ich fing an, dich zu lieben, aber auf einer anderen Ebene, so wie man seine Geschwister liebt. Wenn es so etwas wie Seelenverwandschaft gibt, dann zwischen uns.

Ich bewunderte dich immer wegen deiner unheimlichen Energie. Du hattest zwei Gesichter. Du konntest dich für so viele Dinge begeistern, warst kreativ und in vielerlei Hinsicht begabt. Du hattest eine Menge Freunde und schienst glücklich zu sein mit deinem Leben, jedoch war das alles nur Schein gegen aussen.
Denn es gab auch noch dein zweites Ich. Deine nachdenkliche, hinterfragende, manchmal fast depressive Seite. Ich kannte dich genügend, um auch diese Seite von dir zu kennen. Du hattest wie ich eine schwierige Kindheit. Vielleicht ist in frühstem Kindesalter etwas in uns zerbrochen, etwas, das uns geprägt hat und uns eine Hoffnung genommen hat. Du bist ein sehr emotionaler Mensch, der Enttäuschungen nicht einfach so wegstecken kann. Zur Zeit mache ich mir viele Überlegungen, weshalb es überhaupt so weit kommen konnte mit uns. Wir waren so ziellos und irgendwie verzweifelt. Wir haben viel geredet. Es war manchmal so resignierend, was wir feststellten in unseren Gesprächen. Das Leben kann sehr ungerecht sein, so schien es uns. Wir waren frustriert und wälzten zu viele negative Gedanken.
Nie, niemals werde ic vergessen können, wie wir in jener entscheidenden Nacht auf der Autobahn marschierten. Mittendrin. Ich kann mich noch genau erinnern, wie du zu mir sagtest:"Entweder es passiert, oder es passiert nicht!" "Was wohl aus uns wird, falls es passieren sollte", habe ich dich gefragt. Du hast mit den Schultern gezuckt und meintest: "Dann hat es der grosse Herr im All nicht anders gewollt. Dann hatte Er nichts mehr vor mit uns."
Leon, ich bin zur Überzeugung gekommen, dass es ihn nicht gibt, den grossen Gott, der die Menschen wie Marionetten an Fäden durch das Leben führt. Nein, es ist nicht so, dass manche einfach einen besseren Weg haben und andere einen schlechteren. So ist es nicht! Jeder trägt die alleinige Verantwortung für sein Leben. Was natürlich nicht heisst, dass man sich als Egoist durch das Leben kämpfen soll.
Was sich wohl die Frau gedacht haben muss, als sie ihr Auto im besagten Moment zum stehen brachte? Sie schob uns wortlos in ihr Auto. Am folgenden Morgen wurde ich von meinem Vater in die Klinik gebracht und von da an mit Medikamenten ruhig gestellt. Dich haben sie weggebracht. Niemand kann mir sagen, wo du dich aufhältst. Aber es ist besser so. Wo immer du bist, Leon, vergiss deine Vergangenheit und beginne neu!
Eine Freundin sagte zu mir, dass ihr Leben erst dann erfüllt war, als sie ihr Kind zur Welt gebracht hatte. Diese Aussage hat mich sehr berührt, und ich gebe ihr recht. Wir sind keine "Psychos", die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Wir müssen nur versuchen, die Dinge im Leben positiver zu sehen, unsere Denkweise ändern.

Leon, ich weiss nicht, ob ich es dir sagen soll, aber ich bin
verliebt - in einen Typen aus meinem Theaterkurs. Wir sind glücklich. Vielleicht ist das ein Sinn im Leben, nach dem wir immer gesucht haben. Ich habe endlich wieder das Gefühl, wirklich zu leben.
Verdammt, Leon, du kannst die Welt nicht retten! Ehr wirst du daran zerbrechen, weil du an kein Ziel kommst.

Viel Glück in jeder Hinsicht! Und vergiss niemals, es gibt Menschen, die dich brauchen, denen du wichtig bist und denen du wirklich etwas bedeutest!

Alles Liebe
Anna Lena

PS: Wir liegen im Dreck, aber auf dem Rücken - und können die Sterne sehen!!

 

Hallo Nauraa!

Deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen.

Durch die Briefform ist sie ansprechend zu lesen; Anna Lenas Gedankengänge über ihre Vergangenheit wirken recht überzeugend auf mich.

Nicht ganz sicher bin ich mir, ob ich die Sache mit der Autobahn und den Folgen richtig verstanden habe. Aber ich vermute mal, deine Protagonisten hatten psychische Probleme (schwere Kindheit) und der Gang auf der Autobahn glich einer Art Selbstmordversuch, oder? Bitte berichtige mich, falls ich mit meiner Interpretation falsch liegen sollte.
Das Ende (PS) gefiel mir am besten, denn dieser letzte Satz machte trotz alledem Hoffnung.

Ein paar Anmerkungen noch:

Nie, niemals werde ic vergessen können, wie wir in jener entscheidenden Nacht auf der Autobahn marschierten
ich
sagtest:"Entweder
Leerzeichen fehlt
Was sich wohl die Frau gedacht haben muss, als sie ihr Auto im besagten Moment zum stehen brachte?
Neue deutsche RS: zum Stehen (weiß nicht, wie das in der Schweiz ist)
Ehr wirst du daran zerbrechen, weil du an kein Ziel kommst.
Eher
Was sich wohl die Frau gedacht haben muss, als sie ihr Auto im besagten Moment zum stehen brachte? Sie schob uns wortlos in ihr Auto.
WH

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Nauraa!

Dein Text hat mich sehr angesprochen. Was für mich anfangs wie ein "normaler Liebesbrief" eines enttäuschten Mädchens begann (so las ich die ersten Zeilen), nimmt sehr schnell eine für mich überraschende Wendung und erzählt eine berührende Geschichte.

Du bleibst nicht an der Oberfläche mit Deinem Text, sondern gehst sehr tief.

Durch die Briefform gewährst Du dem Leser einen Moment lang die Möglichkeit, am Leben der Protagonist teilzuhaben und sozusagen in einem unachtsamen Augenblick sogar einen ihrer Briefe zu lesen.

Ein kleiner Vorschlag:
____________________________________________________
Zur Zeit mache ich mir viele Überlegungen, ...
____________________________________________________

Besser: Zur Zeit mache ich mir viele Gedanken,....

oder, wenn es zu einer WH kommen könnte: Zur Zeit überlege ich viel,...

Was mir besonders gut gefallen hat, war der Schluß, das P.S., das dann Aufschluß darüber gibt, warum Du den Text "Sternenblicke" betitelt hast:

____________________________________________________
PS: Wir liegen im Dreck, aber auf dem Rücken - und
können die Sterne sehen!!
____________________________________________________

Liebe Grüße,
Andrea

 

Hallo Nauraa!

Deine Geschichte ist eingehend und stimmt nachdenklich. Sehr schön geschrieben, vor allem, da Du dem Leser vieles überlässt, wo er seine Gedanken einbringen kann.

Ich hab aich noch ein paar Fehler gefunden, wäre toll, wenn Du sie bei Gelegenheit noch mal editierst!

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:


Du hast in meinem Leben einen grossen Platz eingenommen-vielleicht einen zu grossen-und eine noch grössere Leere zurückgelassen.
Abstände vor und hinter die Gedankenstriche.

und wieder lernen was es heisst, Spass zu haben. Spass am Leben!
Neue Rechtschreibung: ß wird ss nach kurzem Vokal, bleibt ? nach langem Vokal und Diphthong. Also "heißt, Spaß".

Man entliess mich
Siehe oben.

Leon, wir sind bald 20! Jung.
Wirkt irgendwie holprig. Soll es heißen "Leon, wir sind bals zwanzig Jahre jung" oder soll das "Jung" Als Nachsatz stehen, also für sich allein?

Weisst du
Siehe oben.

jedoch war das alles nur Schein gegen aussen.
Wirkt etwas merkwürdig. Vielleicht besser: "jedoch war das alles nur der Schein, den Du nach außen gewahrt hast."

 

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