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Stella Maris

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03.12.2018
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Anmerkungen zum Text

Es geht mir um die Symbolik und die Themen: Umgang mit Trauer, Beziehung, Perspektive, Leben - Tod

Stella Maris

Stella Maris
Wie lange sie beide schon auf der Bank am Ende der Seebrücke saßen, wusste er nicht. Zum Abschied hatte ihnen der Pfarrer am Grab ihrer Tochter die Hand gedrückt. "Rufen Sie mich an. Jederzeit", hatte er noch gesagt. In der Ferienwohnung würden sie gar kein Telefon haben, war es ihm auf der Fahrt hierher durch den Kopf gegangen. Aber an den Karton, an den hatte er gedacht. Es war einer von seinen alten Schuhkartons gewesen, den er ihr zum siebten Geburtstag geschenkt hatte, weil sie sich schon immer eine Schatzkiste gewünscht hatte. "Er war so grau, erinnerst du dich noch?", murmelte er. "Deshalb hab ich ihn doch einfach mit diesem Geschenkpapier umwickelt, das grüne mit den gelben Schmetterlingen, damit man die graue Farbe nicht mehr sieht." Er sagte das in das Sonnenlicht hinein. Jetzt holte er den Schuhkarton unter seinem Arm hervor und stellte ihn so, dass er zwischen ihnen stand. Er betastete vorsichtig das leicht vergilbte Papier und zeichnete mit seinem Finger den geschwungenen Umriss der Schmetterlingsflügel nach. Schließlich öffnete er den Karton und nahm behutsam die Gegenstände daraus hervor. Er breitete sie sorgsam aus. Ein bisschen wie ein Stillleben auf einem dieser Gemälde in der Künstlerkolonie die sie vergangenen Sommer zu dritt besucht hatten, dachte er. Den Kompass hatte er als letztes herausgenommen. "Den hat sie immer dabei gehabt, um den Weg zur Ferienwohnung zurückzufinden, weil sie das gerade in der Schule gelernt hatten", sagte er und blickte dabei auf das offene Meer. Dann besah er sich den Kompass wieder. Die Himmelsrichtungen waren noch deutlich zu erkennen, die Nadel war am oberen Ende abgebrochen. Sie zitterte ganz leicht, als er sachte mit seiner Fingerkuppe über das Glas strich. "Vielleicht kann man sie neu kalibrieren", wobei er das Wort "kalibrieren" ein wenig lauter sagte als den Rest des Satzes. "Ach lass' doch, zu schwierig." Dabei klang ihre Stimme ganz müde. "Aber sie bewegt sich noch ein bisschen. Das müsste doch gehen." Er hörte seine eigenen Worte wie in einem schalldichten Raum. Sie nichte stumm. Neben den Kompass hatte er ihre alte Spieluhr gelegt. Sie war wie eine kleine Blume gemacht und wenn man an der Schnur zog, spielte sie "Weißt du wie viel Sternlein stehen". Eines Tages hatte sich die Schnur verklemmt und noch immer hörte die Melodie an der gleichen Stelle auf. Jedes Mal hatte sie ihn dann angesehen um das Lied einfach mit ihm zusammen zu Ende zu singen. Erst danach hatte sie einschlafen wollen. Während er es jetzt ganz leise summte, berachtete er lächelnd ihren kleinen Bernsteinanhänger, den er fast übersehen hätte. Die Zahnfee hatte ihn ihr an einem braunen Lederbändchen gebracht. Sie hatte ihn zuvor in einem Souvenirladen im Ort entdeckt. "Der sieht ja aus wie ein Seestern!", hatte sie gerufen und war dabei neben ihm auf- und abgehüpft. "Stella Maris", der lateinische Begriff aus seinem Nautikerhandbuch war ihm damals spontan eingefallen. Das Lederbändchen musste wohl irgendwann abgerissen sein. Wenn er den Anhänger langsam im Sonnenlicht hin- und herbewegte, schimmerte er mattgolden. Er hatte ihr einmal erklärt, dass Bernstein im Salzwasser immer oben schwimmt und sie hatte darauf bestanden, es sofort auszuprobieren. Nun ließ er den Anhänger in seine Hand gleiten, stand auf und ging auf das Geländer zu. Er beugte sich ein Stück vornüber, nur ein kleines, so dass er das Wasser besser sehen konnte. Jetzt, da die Sonne so tief stand, musste er dabei plötzlich an einen dunkel angelaufenen Silberspiegel denken, dessen Farbe das Meer allmählich angenommen hatte. Er öffnete seine Hand ein wenig.
"Komm", sagte seine Frau und berührte sanft seine Schulter. Langsam drehte er sich um und sie gingen über die Seebrücke zurück auf die Häuser hinter den Dünen zu. Er spürte noch lange die Sonne in seinem Rücken und der Stern war ganz warm in seiner Hand.

 

Liebe @Sonnenblume 2 ,

ich möchte dir sagen, dass mir deine kleine Szene wirklich gut gefallen hat. Es ist natürlich in erster Linie das Thema, das mich – und wohl auch jeden - berührt, aber es ist auch die Art und Weise, wie du es sprachlich und inhaltlich mit vielen gut überlegten Details ausführst und transportierst.

Die Grundsituation ist in gewisser Weise die der ‚Küchenuhr‘ von Borchert: Die Tragik entfaltet sich in den kleinen alltäglichen Dingen. Sie lassen das Kind, das gestorben ist, wieder gegenwärtig und erfahrbar werden. Der Verlust, den die beiden zu bewältigen haben, wird mir so sehr nahe gebracht und berührt mich, schnürt mir am Ende die Kehle zu, weil ich zu ermessen glaube, welchen Weg der Trauer die beiden nun zu gehen haben.

Er spürte noch lange die Sonne in seinem Rücken und der Stern war ganz warm in seiner Hand.
Ein sehr schönes Ende.

Ein paar Kleinigkeiten:

Er breitete sie sorgsam aus. Ein bisschen wie ein Stillleben auf einem dieser Gemälde in der KünstlerkolonieK die sie vergangenen Sommer zu dritt besucht hatten, dachte er.
Das ist eine von vielen schönen Ideen, weshalb mir der Text so gut gefallen hat.

Sie nichte stumm.

Jedes Mal hatte sie ihn dann angesehenK um das Lied einfach mit ihm zusammen zu Ende zu singen.

Liebe Sonnenblume 2, ich begrüße dich bei den Wortkriegern.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo!

den geschwungenen Umriss der Schmetterlingsflügel nach.
geschwungenen würde ich weglassen
Ich möchte dem, bei allem Respekt, widersprechen.
Es mag sinngemäß überflüssig erscheinen, da die Schmetterlingsflügel ja bekanntermaßen diese Form aufweisen. Dennoch handelt es sich keineswegs um ein überflüssiges Adjektiv, es betont diese Stelle sehr stark, fordert den Leser auf, dieses Bild in seinem Kopf enstehen zu lassen. In etwa wie bei "die brennende Sonne", vermutlich sogar ganz genau so. Dem "Umriss der Schmetterlingsflügel" wird hier eine höhere Bedeutung durch das, eigentlich überflüssige, vorangestellte Adjektiv zugewiesen, was, denke ich, auch so intendiert war.

Das Ende finde ich sehr gelungen: knapp und aussagekräftig! So, wie es sein soll.

Ich habe allerdings noch Fragen bezüglich dieser Stelle:

Jetzt, da die Sonne so tief stand, musste er dabei plötzlich an einen dunkel angelaufenen Silberspiegel denken, dessen Farbe das Meer allmählich angenommen hatte.
Warum musste er das? Habe ich den Bezugspunkt dazu in der Geschichte etwa übersehen? Warum gerade ein Silberspiegel?
Nimmt jetzt das Meer die Farbe von dem angelaufenen Silber oder dem Spiegelglas an sich an, bzw. von dem, was davon reflektiert wird?
Die Sonne wird in dem Spiegel selbst refklektiert und das Meer hat die Farbe von dem angelaufenen Silber drumherum angenommen?

Ich meine, da kann man jetzt sicherlich viel hineininterpretieren, vllt aber zu viel? Auf jeden Fall brauchte ich eine ganze Weile, um mir hier das Bild vor Augen zu führen... Schande über mich.
Vor mir versteckt sich die klare Aussage dieser Textstelle gerade ein wenig, das ganze ist etwas zu nebulös für meinen Verstand, vielleicht stehe ich auch gerade nur auf dem Schlauch.
Ich bitte um Aufklärung!

MfG Putrid Palace

 

Hallo liebe Wortkrieger,

zunächst einmal ganz lieben Dank für eure konstruktive Kritik. Ich fühle mich wohl damit und weiß, dass ich hier richtig bin. Also nochmals danke!
Jetzt zu euren Anmerkungen.

Lieber barnhelm,
da dies für mich das erste Mal ist, dass ich eine Szene dieser Art geschrieben habe, war Borchert für mich tatsächlich eine Art Startpunkt. Mit dieser Technik, für einen ersten Versuch ein Modell heranzuziehen, habe ich gute Erfahrungen gemacht. Mit der Zeit findet man dann auch weiter. Danke auch für die Verbesserungen bei Zeichensetzung und Druckfehlern. Und schön, dass Dir mein Text gefallen hat.

Lieber AWM,

ja, das mit dem Plusquamperfekt ist so eine Sache. Ich habe es tatsächlich für die Rückblicke eingesetzt, vielleicht zu aufdringlich. Eine gute Idee von Dir, es zumindest an eindeutigen Stellen durch das Imperfekt zu ersetzen. Den Gebrauch der Adjektive den Du kritisch angemerkt hast, würde

 

Setze nochmal neu an, da ich leider gerade auf den falschen Button kam: den Gebrauch der Adjektive würde ich so reichlich eher nicht mehr machen, sondern erwas sparsamer. Den geschwungenen Umriss bei den Schmetterlingsflügeln wollte ich tatsächlich zur Hervorhebung nehmen. Und Du hast Recht: das Hervornehmen des Kartons fiel mir als Stolperstelle beim Lesen ebenfalls auf, genauso die etwas undeutliche Stelle, wo es das erste Mal um den Kompass ging. Also ich danke Dir nochmals für Deine Hinweise.


Lieber Putrid Palace,

an dieser Stelle schon mal danke für Deine Frage. Ich versuche mal zu erklären, was ich mir dachte. Indem ich durch das Sprechen in das Sonnenlicht bei den Schmetterlingen, den Blick auf das offene Meer beim Kompass, versuchen wollte, die Natur/die Handlungen des Protagoniste seine innere Verfassung wiederzuspiegeln versuchte, ohne ein direktes Bild oder eine direkte Metapher zu verwenden, so wollte ich auch bei dieser Stelle vorgehen. Der plötzliche Gedankd an einen trüben, fast blinden Spiegel kommt dem Vater, als er das Wasser sieht. Es steht für seine Unsicherheit, seine Angst, seine Trauer auch. So war meine Idee. Vielleicht könnte man solche etwas unklaren Stellen bei einem zweiten Texversuch besser lösen. Ich werde mal darauf achten.


Also: ich habe mich wirklich sehr über eure Anregungen gefreut!


Liebe Grüße,

Sonnenblume 2

 

Sehe gerade, der Satz wurde erwas zu lang und verworren, Schande über mich! Also: die Natur bzw. die Handlungen sollten die innere Verfassung des Protagonisten wiederzuspiegeln. Der plötzliche Gedanke sollte die gleiche Funktion erfüllen.

 
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Hallo @Sonnenblume 2,

Wie lange sie beide schon auf der Bank am Ende der Seebrücke saßen, wusste er nicht. Zum Abschied hatte ihnen der Pfarrer am Grab ihrer Tochter die Hand gedrückt. "Rufen Sie mich an. Jederzeit", hatte er noch gesagt. In der Ferienwohnung würden sie gar kein Telefon haben, war es ihm auf der Fahrt hierher durch den Kopf gegangen. Aber an den Karton, an den hatte er gedacht. Es war einer von seinen alten Schuhkartons gewesen, den er ihr zum siebten Geburtstag geschenkt hatte, weil sie sich schon immer eine Schatzkiste gewünscht hatte. "

Ich persönlich finde das „sie beide“ etwas vage und würde für den Leser genauer sein, vielleicht: Wie lange er mit Maria schon …

Finde ich auch klanglich besser.

Fünfmal „hatte“ fällt ein wenig auf, würde ich etwas umformulieren. „Es war einer von ...“ Er? Der Karton? Das mit der Schatzkiste finde ich schön.

Du könntest auch zumindest einen Absatz einfügen, der Text wirkt ein wenig kompakt.

"Er war so grau, erinnerst du dich noch?", murmelte er.

Das „so“ könnte man streichen, es wirkt wie: Er war so fürchterlich grau. Grau allein reicht als Erinnerung. Will man auf das Unschöne der Farbe hinweisen, kann man es geschickter formulieren, „so“ klingt für mich irgendwie merkwürdig, weil das Ding nun eben mal grau ist und er es ja auch schon länger besitzt.

"Deshalb hab ich ihn doch einfach mit diesem Geschenkpapier umwickelt, das grüne mit den gelben Schmetterlingen, damit man die graue Farbe nicht mehr sieht."

„Doch“ erscheint mir unnötig. Die Erklärung des Drucks auch, man sieht ihn ja. Das man hinterher das Grau nicht sieht, ergibt sich und ist ebenfalls unnötig. Es verzögert das Tempo des Textes mit überflüssigen Informationen. Seine Frau sollte das alles auch schon wissen. Und hätte er den Karton nicht eher beklebt, sonst fällt das ja wieder ab. Wäre keine schöne Schatzkiste.

Er sagte das in das Sonnenlicht hinein.

In das Licht hinein ist auch etwas vage, denn es ist ja überall. Ich verstehe das Gegenstück mit in die Dunkelheit, aber dieses hier scheint mir nicht zu passen.

Jetzt holte er den Schuhkarton unter seinem Arm hervor und stellte ihn so, dass er zwischen ihnen stand.

Sie sitzen schon eine Weile dort. Hatte er den Karton die ganze Zeit unter dem Arm? Holte hervor ist auch unpassend, denn man holt etwas hervor, das vorher nicht oder kaum zu sehen ist.

Ein bisschen wie ein Stillleben auf einem dieser Gemälde in der Künstlerkolonie (,) die sie vergangenen

Er betastete vorsichtig das leicht vergilbte Papier

Oder einfach „das vergilbte Papier“. Man spart ein Adjektiv ein und der Leser hat eine klare Vorstellung.

die Nadel war am oberen Ende abgebrochen.

Ich würde jetzt nicht sagen komplett unmöglich, aber wie sollte das unter dem Glas passiert sein?

als er sachte mit seiner Fingerkuppe über das Glas strich.

Sachte könnte man als überflüssiges oder Füllwort einsparen, du schreibst ja streiche, was dieses in etwa aussagen sollte. Er reibt also nicht kräftig. Es geht häufig nur darum, den Text nicht unötig in die Länge zu ziehen und einen guten Lesefluss zu haben, welche Information ist notwendig, welche nicht.

"Vielleicht kann man sie neu kalibrieren"

Ein Kompass wird nicht eingestellt. Die Nadel liegt auf einer Spitze auf und der eine Pol der Nadel richtet sich nach Norden.

Danach sehe ich gleich sechs mal „hatte“. Hier solltest du ein wenig mehr Zeit aufs Formulieren verwenden, um derartiges zu vermeiden. Das wird schnell störend für den Leser

wobei er das Wort "kalibrieren" ein wenig lauter sagte als den Rest des Satzes. "Ach lass' doch, zu schwierig."

Warum sagt er das lauter? Was ist der Sinn? Da jemand anderes antwortet, wird eine neue Zeile angefangen. Der zweite Satz erscheint ein wenig abgehackt.

"Ach lass' doch, zu schwierig." Dabei klang ihre Stimme ganz müde.

Sagte z. B. Maria. Ihre Sätze kommen irgendwie so aus dem off, sie wird mit „sie“ erwähnt und hat kein Gesicht.

Sie nichte stumm. Neben den Kompass hatte er ihre alte Spieluhr gelegt.

Nickte. Die Spieluhr von „Sie“, so ergibt es sich sinnlich.

Du siehst, es mangelt noch ein wenig an Logik und gut durchdachten Sätzen und Zusammenhängen, aber das lernen wir ja hier im Forum.

So geht das dann auch weiter.

Er beugte sich ein Stück vornüber, nur ein kleines, so dass er das Wasser besser sehen konnte.

Er ist an der See, er sollte jede Menge Wasser sehen.

Das Thema ist berührend und inhaltlich mag ich den Text. Dafür, dass es einer deiner ersten Texte ist, ist er ganz ansprechend.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

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