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Stehenbleiben
Er war ungefähr Mitte vierzig. Groß, schlank, sah gut aus, hätte Schauspieler sein können. War er aber nicht, er war Manager - Topmanager. Wahrscheinlich war er auch noch intelligent, würde ins Bild passen, dachte ich und rutschte mit meinem Kopf ein wenig herum, so dass ich den Mann im Bett neben mir besser beobachten konnte. Der Kissenbezug raschelte.
Trotz der eingefallenen Wangen sah er noch gut aus und das musste sogar ich als Mann anerkennen. Bemerkenswert. Warum er hier lag wußte ich nicht.
Ich lag in dem weißen, möglichst steril gehaltenen Zimmer, weil mein Blinddarm mir am vorigen Tag herausgenommen worden war. Hatte seinen Dienst quittiert, wenn der überhaupt jemals einen verrichtet hatte. Wie im Leben: unnützer Lasten entledigt man sich.
Draußen war es warm, die Vögel zwitscherten wahrscheinlich, keine Wolke war am Himmel zu sehen, ein wunderbarer Sommertag. Außerdem verpasste ich eine Menge Arbeit. Das weiße Zimmer mutierte zu einem lichtdurchfluteten Gefängnis. Verdammter Blinddarm.
„Schönes Wetter draußen, oder?“ Die raue Stimme zerriß die sterile Stille.
„Ja, haben wohl so um die 25 Grad.“
Er öffnete die Augen, drehte seinen Kopf in meine Richtung wobei auch sein Kissenbezug raschelte.
„Ein schöner Tag also.“ Er blickte an die Decke.
Nach einiger Zeit drehte er sich wieder auf die andere Seite.
Wie im Aufzug, zwei völlig fremde Menschen, die sich eigentlich Nichts zu sagen haben auf engstem Raum. Belangloser Smalltalk bis zum Erbrechen. Schöne Aussichten, ich kramte in der Schublade meines Beistelltisches nach dem Buch das meine Mutter mir mitgebracht hatte.
Ein ganze Weile war es still, nur vom Rascheln der umgeblätterten Seiten durchbrochen.
„Was haben Sie bisher aus Ihrem Leben gemacht?“ Ich schrak auf. Scheiß Frage, das würde noch anstrengender werden, als ich bisher angenommen hatte.
„Aus meinem Leben gemacht...“, gute Frage, „zur Schule gegangen, Zivildienst geleistet, duales Studium angefangen.“ Schätze mal, damit hatte ich es ganz gut getroffen.
„Das ist alles?“
Wie: ist das alles? So ein Arsch, wenigstens so tun, als sei er nett, könnte er ja.
„Was meinen sie mit: ist das alles?“ Er sah mich immer noch nicht an, lag abgewandt von mir unter dem weißen Berg aus Stoff und Federn begraben. Es roch nach Krankenhaus, Desinfektionsmittel.
„Sie werden doch irgendwelche Erfolge zu verbuchen haben, oder?“
Er wollte sich also mit mir messen, konnte er gerne haben. Alter Sack, es waren so Kerle wie der, die ich später mal aus ihrem Job verdrängen würde. Besser als der war ich auf jedem Fall. Ich zwang einen möglichst arrogant abschätzigen Blick auf mein Gesicht.
„Ich habe mein Abitur mit 1,5 abgeschlossen, war der beste Zivi den der Fachbereich Internationales jemals hatte, bin der Beste in meinem Studienjahrgang.“ So, überbiete das.
„Ach so, ganz toll“, seine Stimme klang enttäuscht, „das dachte ich mir schon.“
Was soll die Aussage denn jetzt, kommt sich wohl ganz toll vor, der Kerl.
„Außerdem bin ich Amerikanischer Ehrenbürger.“ Der hatte bestimmt gesessen.
„Soso“, räusperte er sich und schwieg.
Das wird mir jetzt zu dumm. Ich nahm wieder mein Buch zur Hand und versuchte weiterzulesen. So ein Verlierer.
Irgendwann kam das Abendessen. Sah unappetitlich aus und schmeckte nach Nichts. Sterile Bettdecken, steriles Zimmer, steriles Essen.
Schweigend stocherte ich in meinem Essen herum und versuchte möglichst wenig Geräusche beim Essen zu machen. Gutes Benehmen war wichtig.
Dann wurde es draußen dunkel, alleine die Birne in der Lampe an meinem Beistelltisch verbreitete noch ein wenig Licht im Zimmer. Der Mann hatte kein Wort mehr gesagt, lag wieder von mir abgewandt, auf die Seite gedreht in seine Decke eingewickelt. Glaubte wohl er wäre besser als ich. Ist er nicht; kann er nicht sein.
Ich sah besser aus, hatte mit Sicherheit bessere Noten, war ganz sicher auch beliebter.
„Sind sie glücklich?“ Ich erschrak schon wieder, war mir ziemlich sicher gewesen, dass er schlief.
„Ja, ich denke doch, dass ich glücklich bin.“ Was sollte ich auch anderes sein, „Was machen sie denn so?“ Da war ich aber mal gespannt. Arrogant grinste ich.
„Ich liege in einem Krankenhausbett und unterhalte mich.“ Er setzte sich unter Anstrengung auf, fuhr die Rückenlehne seines Bettes per Knopfdruck ein wenig mehr in die Vertikale. Ich suchte ein Lächeln auf seinem Gesicht, ein Anzeichen, dass seine Antwort ein Scherz gewesen war. Ich fand keines.
Na gut, dann lächle ich halt.
„Nein, ich meine was sie so beruflich machen?“
Er blickte mich an, sah müde aus. Etwas war in seinen Augen. War ich wirklich besser als er? Bestimmt. Er räusperte sich.
„Ist das wichtig?“ Jetzt hatte ich ihn erwischt, er war überhaupt nicht so erfolgreich wie er tat. Ich war viel besser, oder?
Ich sagte nichts, wartete.
„Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen.“ Mir stand eine lange Nacht bevor. Mist!
„In der Schule war ich der beste meines Jahrgangs, habe mein Abitur mit 1,0 bestanden. Lernen musste ich selten, arbeitete mich von eher mittelmäßigen Leistungen in der Unterstufe, zu Höchstleistungen in der Oberstufe hoch. Und mit jeder besseren Note verschob sich mein Anspruch ein Stück weiter nach oben. Dann kam ich bei den Einsern an und das einzige Ziel das es noch zu erreichen gab war es diese zu halten.“
Er hielt einen Moment inne, schien zu überlegen.
„Während meines Studiums war es genauso, immer schneller immer höher. Ich wurde nie krank, schrieb immer gute Noten und machte immer das Richtige. Ich erzählte das auch Jedem der es hören wollte oder auch nicht. Und wieder verschob sich der Standard nach oben.
Alle mochten mich oder taten auch nur so. Viele beneideten mich. Weil sie schlechter waren als ich, dachte ich.“
Entweder log er jetzt wie gedruckt oder er war vielleicht doch besser als ich.
Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr neben meinem Bett. Schon ziemlich spät.
Der Mann sah krank aus.
Unglücklicher Zufall, dass mein Blinddarm seinen Geist aufgegeben hatte, nicht meine Schuld. Er aber war bestimmt nur wieder einer dieser Drückeberger, einer der auf Mitleid hoffte, in Selbstmitleid fast ertrank und sich über Ales beschwerte.
„Ich war wirklich nie krank, habe immer alles getan was andere von mir verlangten, wollte immer besser werden. Erfolg zu haben war alles.“
Er log, ganz sicher log er. Oder log ich? Belog ich mich selber; alle Anderen?
Der Mann hustete, es klang nicht gut.
„Erfolg haben ist doch heutzutage auch alles“, ich schaute ihn nicht an, wußte aber, dass er mich fragend ansah.
„Erfolg zu haben aus Eitelkeit, es allen anderen beweisen zu wollen? Stehenbleiben ist der Tod, versuchen immer schneller zu rennen als der Rest? Ist das die Realität,ist das unser aller Sinn? Ist Stehenbleiben wirklich der Tod?“
Ich wußte nicht was ich sagen sollte. Das aus dem Mund von jemandem, der allen Erfolg der Welt hatte.
Wieder hustete er.
„Warum rennen wir, wohin rennen wir? Haben sie sich das schon mal gefragt? Rennen wir nur weil alle Andern auch rennen? Warum halten wir dann nicht einmal an?“
Warum rannte ich denn? Ich wollte Erfolg haben, viel Geld, einen unbeschwerten Lebensstil. Eigentlich wollte ich nur besser als der Rest sein. Ich rutschte unbehaglich unter meiner Decke herum. Schwer lastete sie auf meinem Körper.
Es roch nach Desinfektionsmittel.
Ich war wie paralysiert. War ich wirklich besser als er, als die Krankenschwestern, die Putzfrauen hier?
„Es ist angenehm ruhig, wenn man stehenbleibt, man nimmt wahr was um einen herum geschieht.“
Er lächelte.
Nach einer Weile des Schweigens vernahm ich ein regelmäßiges, schwach rasselndes Atemgeräusch. Er musste eingeschlafen sein. Ich löschte das Licht und blinzelte in die Dunkelheit. War ich wirklich besser als die Andern? Schätze mal, ich machte mir das nur vor? Ging es ums besser sein? Warum wollte ich unbedingt besser sein als alle Andern?
Schweigend starrte ich in die Stille.
Irgendwann wurde es ruhig.
Vielleicht dachten die Menschen nur, dass Stehenbleiben der Tod ist, weil alle erst im Sterben bemerken wie schön es ist stehenzubleiben. Ich fing an zu begreifen was der Mann gemeint hatte.
In diesem ruhigen Zimmer, an einem warmen Sommerabend beschloss ich nicht mehr nur auf den Tod, oder schlimmer noch, das Leben zu warten.
Und als ich stehengeblieben war bemerkte ich, dass sich die Welt unter und mit mir weiterdrehte. Zum ersten Mal sah ich das Leben.