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Staunen

rrm

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19.02.2004
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Staunen

Schon als sich seine Füße vom Boden lösten, wusste er, dass es knapp werden könnte, vielleicht zu knapp. Er umfasste den jungen Birkenstamm in seinen Händen noch fester, als würde ihn das weitertragen, vielleicht auch aus Angst vor dem, was wohl kommen würde. Und seine Gedanken wanderten zurück.
Zurück an jenen Tag vor nicht einmal einem halben Jahr. Im Mai war es, dem vielleicht schönsten Monat im schottischen Hochland. Der Ginster stand in sattem Grün, überworfen mit einem Netz aus goldgelben und rot-gelben Blüten. Die ersten Lämmer waren auf den Weiden und tollten umher in einem Grün, wie es nur hier zu finden war. An jenem bewussten Tag, genauer, an dem Abend dieses Tages, war im Gemeindehaus ein Ceilidh angesagt. Es war nicht sein Erstes, es würde nicht sein Letztes sein. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, aus der Langeweile seines einfachen Elternhauses herauszukommen, und schon dies war ein guter Grund, teilzunehmen, also ging er hin.
Fiona war ihr Name, und sie hatte die rotesten Haare, die man sich nur vorstellen konnte. Sie tanzte leicht wie eine Feder, drehte sich, dass die Haare wie ein St.-Elms-Feuer um ihren Kopf herum zu tanzen schienen, lachte mit einer so hellen, glockenreinen Stimme, dass es ihn verzauberte. Nach dem zweiten Tanz fasste er sich ein Herz und sprach sie an. Einen langen Fußmarsch hatte sie getan, um hierher zu kommen, so wie er. Aus einem langweiligen Alltag für einen Abend geflohen. Auch insoweit stimmten sie überein, und im Laufe des Abends stellten sie noch viel mehr Gemeinsamkeiten fest. Es war nur natürlich, eigentlich nur eine Frage der Zeit bis zu diesem ersten Zusammentreffen, dass sie sich verliebten, sich, zunächst vorsichtig, bald jedoch heftiger, küssten – draußen, wo keiner sie sehen konnte.
Viel zu schnell wurde es Mitternacht, das Ceilidh neigte sich seinem Ende zu, und jeder musste wieder nach Hause. Zurück in die einfachen Hütten ihrer Eltern, jeder auf seine Seite des Lochs. „Loch“, also einfach „See“? Nein, es war nicht einfach ein See. Einen See stellte man sich gemeinhin in etwa rund vor, einigermaßen gleichmäßig geformt jedenfalls. Dies aber war ein Loch im schottischen Hochland, und also einige Male so lang wie er breit war. Und der Teufel muss seine Finger im Spiel gehabt haben, als er sie beide auf die entgegengesetzten Ufer dieses Lochs plaziert hatte. Trotzdem trafen sie sich wieder, zum Teufel mit demselbigen! Trafen sich an Orten, von denen ihre Eltern nichts wissen durften, zu Zeiten, an denen ihre Eltern sie auf den Weiden oder woanders wähnten, um zu tun, was sie eigentlich nicht durften. Hätte er seinen, sie ihren Kilt getragen, es wäre vielleicht gar nicht so weit gekommen. Man hätte sich schon vorher erkannt, gewusst, dass eine Verbindung ihrer Clans absolut undenkbar war. Andererseits – hätte es gegen den Zauber ihres Anblicks tatsächlich etwas genutzt? Und was interessierten sie die alten Geschichten, heute war heute, heute war eine andere Zeit, und wer sollte diese neue Zeit beginnen lassen, wenn nicht sie, die jüngsten Sprösslinge ihrer Clans? Aber sie trafen sich heimlich, zu groß war noch die Angst vor den Eltern, dem Clan.
Oft hatten sie sich nicht getroffen, jedenfalls wenn man es an den Maßstäben eines verliebten jungen Paares misst. Es war auch nicht gleich beim ersten Wiedersehen das passiert, was ihn letzten Endes hierher und zu dieser Tat getrieben hatte. Ihre Nachricht hatte ihn erreicht. Ganz früh an diesem Abend, gerade als es dunkel werden wollte, hatte er den Schein des Feuers gesehen, das ihn zu ihr rufen sollte. Es musste dringend sein, sonst hätte sie bei diesem Wetter die Mühe nicht auf sich genommen, ein Feuer zu entzünden. Es war nicht nur, weil sie ihn sehen, ihn berühren und küssen wollte – sie hatten ja eine Verabredung für den kommenden Samstag, nur vier Tage noch. Und das letzte Treffen, jenes wundervolle, innige, unübertreffbare Zusammensein – wie oft schon hatten sie es genossen? Drei mal erst? – es war gerade zwei Wochen her. Es musste also etwas sein, dass vier Tage zu warten nicht zuließ, und ohne es zu wissen, ahnte er doch, was es war.
Also beeilte er sich. Den üblichen Weg konnte er, wollte er nicht nehmen. Selbst schnell gelaufen würde wären es über zwei Stunden bis zur Nordspitze des Sees, genauso lange nochmal am westlichen Ufer zurück nach Süden. Hätte er den Weg um die Südspitze nehmen können, es wären nicht einmal zwei Stunden für den ganzen Weg gewesen. Aber da war diese Schlucht. Nicht besonders breit, vielleicht sechs Meter. Tief war sie, so tief der Fluß sie in Jahrtausenden hatte graben können. Seine älteren Brüder hatten geprahlt, sie seien schon darüber gesprungen, aber er hatte ihnen nicht geglaubt. Jetzt würde sich zeigen müssen, ob es möglich war. Er war gut im Springen mit dem Weidestock, sehr gut sogar. Dabei bestand das Kunststück darin, den Haselstock aus dem Graben wieder herauszuziehen, bevor er sich zu tief in den Moorboden eingrub. Dieses Problem würde er hier definitiv nicht haben. Er würde einen stärkeren Stock brauchen, länger vor allem. Eine junge Birke würde es sein müssen, Birken wachsen gerade und ohne große Äste und geben hartes, elastisches Holz. Schnell hatte er den passenden Stamm gefunden, schnell gefällt und entastet. Jetzt hieß es, die richtige Stelle zu finden. Er brauchte einen stabilen Absatz im Granit, einen Grat, auf den er den Stab abstützen konnte und sich hinüber schwingen konnte. Auch diese Stelle war schnell gefunden, trotz der Dunkelheit. Der leichte Regen störte etwas, aber er hielt ihn nicht auf. Es regnet öfter hier in den Highlands. Dann ging er zurück. Noch einmal dachte er darüber nach, ob es wirklich zu schaffen sei, aber nur kurz – sicherlich wartete Fiona schon. Er bekreuzigte sich; nahm Anlauf, setzte den Birkenstamm an die ausgesuchte Stelle und sprang ab.
Im Scheitelpunkt der ballistischen Kurve über die Schlucht wurde er wieder gewahr, wo er sich befand. Er sah den Granit auf sich zurasen und staunte, was für eine große Zeitspanne man in so kurzer Zeit überdenken konnte, wieviele Bilder einem in Sekundenbruchteilen vor dem inneren Auge vorbeiziehen konnten.

Als seine Brüder ihn am nächsten Tag fanden, zerschunden und gebrochen, hatte er immer noch das Staunen im seltsam unversehrten Gesicht. Und seine Brüder fragten sich, was Ian wohl gesehen haben mochte.

 

Hallo rrm,

und herzlich willkommen hier bei uns. :)
bevor ich zum Lob komme, an einer Stelle vergallopierst du dich in deinen Sätzen.

Trafen sich an Orten, von denen ihre Eltern nichts wissen durften, zu Zeiten, an denen ihre Eltern sie auf den Weiden oder woanders wähnten, um zu tun, was sie eigentlich nicht durften.
Auch wenn der Mittelteil des Satzes ein Einschub ist, änderst du durch ihn den Bezug des letzten Teils. So drückst du aus, die Wltern wähnten sie auf den Weiden, um dort zu tun, was sie eigentlich nciht tun dürften. ;)
Das wolltest du bestimmt nicht schreiben.

Im Ganzen gefält mir deine Geschichte aber gut. Ich mag deine Form der Satzgestaltung und deinen schottischen RomeoundJulia-Plot. Natürlich bin ich neugierig, was Fiona ihm wohl zu sagen gehabt hätte.
Aber das hat ja auch dein Prot nicht mehr erfahren. Die Stimmung der Highlands (zumindest mein Klischee davon, ich war noch nie dort) fängst du gut ein. Allerdings frage ich mich ein bisschen, warum du deiner Hauptfigur keinen Namen gegönnt hast. Nicht nur, dass du dir einige "Er" in der Geschichte damit hättest sparen können, es hätte die Geschichte auch persönlicher gemacht. Ich jedenfalls sehe nichts, was gegen einen Namen spräche.
Manchmal übertreibst du mit deinen Formulierungen für mein Gefühl ein bisschen und bringst so den Erzählfluss ins Stocken.
Hier zum Beispiel:

Andererseits – hätte es gegen den Zauber ihres, Fiona´s, Anblicks tatsächlich etwas genutzt?
Da keine anderen Mädchen Erwähnung finden, ist der Einschub gar nicht nötig. Es läse sich aber auch besser, wenn du auf "ihres" verzichten würdest.
Als letzte Anmerkung noch, das Zahlen wie "sechs Meter" ausgeschrieben werden.
Bei soviel Meckerei möchte ich am Schluss noch mal betonen, dass mir deine Geschichte sehr gut gefallen hat. Nicht, dass das verloren geht.

Lieben Gruß, sim

 

Hej rrm,

herzlich willkommen auf kg.de! :anstoss:

Auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen, ich war ganz erstaunt, als sie plötzlich zu Ende war. Ich war mir so sicher, dass er den Weg zu ihr schafft und dort etwas sehr wichtiges erfährt, das vielleicht dafür sorgt, dass sie die alte Fehde der Clans beilegen können.
Gemein, dass Du ihn sterben lässt, aber zugleich ein glaubwürdiges Ende.

Die Punkte, die mir auffielen, hat sim schon angesprochen, Du bleibst also von Verbesserungsvorschlägen verschont. :)

Lieben Gruß

chaosqueen

 

Moin sim, moin chaosqueen,

es freut mich, dass mein "Erstlingswerk" Euch gefällt. Zu Deiner Kritik, sim, erstes Zitat: doch, wollte ich schon. Da, wie ich im "Ceilidh-Teil" angedeutet habe, die Clans verfeindet sind, ist schon ein einfaches Treffen auf den Weiden "off limits" - ganz zu schweigen von dem, was sie möglicherweise an anderen Orten tun.
Dann: ich hatte meiner Figur einen Namen gegeben, Ian sollte er heißen. Allerdings hatte ich so auf Anhieb keine passende Gelegenheit gefunden, den Namen einzubauen. Aber Du hast recht - ich werde mir die Geschichte nochmal daraufhin durchlesen.
Und mit der Kritik am zweiten Zitat hast Du natürlich auch recht - s. o.
chaosqueen - da Du dich der Kritik anschliesst, brauche ich ja nicht noch mal zu antworten; Deine "bayerischen" Smilies fasse ich als Einladung auf! Übrigens hatte ich kurz darüber nachgedacht, Ian nicht zu kurz springen zu lassen, aber das wäre mir dann vielleicht zu schwülstig geworden.

Nochmals: vielen Dank für die Kritik,
Gruß,

rrm

 

Hallo rrm,

die Überarbeitung hat deiner Geschichte gut getan. Was Ian betrifft, würde ich dir aber raten, ihn gleich im ersten Satz bekannt zu machen.

Schon als sich seine Füße vom Boden lösten, wusste Ian, dass es knapp werden könnte, vielleicht zu knapp.
Eine andere Möglichkeit wäre, den zweiten Satz mit seinem Namen zu beginnen. :)
Was meine zweite Anmerkung betrifft, bin ich nciht ganz sicher, ob wir uns da richtig verstanden haben.
Wenn ich deine Geschichte richtig verstanden habe, wolltest du diesen Bezug:
Trafen sich an Orten, von denen ihre Eltern nichts wissen durften, um zu tun, was sie eigentlich nicht durften.
gebildet hast du aber diesen Bezug:
zu Zeiten, an denen ihre Eltern sie auf den Weiden oder woanders wähnten, um zu tun, was sie eigentlich nicht durften
Kurz: Du drückst aus, dass die Eltern vermuten, ihre Kinder seien auf den Weiden und tun dort Verbotenes. ;)
Gerade, da die Clans verfeindet sind, würde mich wundern, wen die Eltern sie überhaupt aus dem Haus lassen, wenn sie doch wissen, mit wem sich die Sprösslinge treffen wollen. Dass dasa off limits wäre, das ist ja selbstverständlich. ;)

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim,

ich möchte nicht uneinsichtig erscheinen, aber der Bezug sollte schon dieser sein: klar dürfen die Beiden aus dem Haus, müssen es sogar, um ihre jeweiligen Anteile an der Arbeit zu erledigen - Vieh hüten oder was auch immer. Nur, dass die Eltern sie dabei vermuten, nicht woanders und schon gar nicht mit der jeweils anderen Person. Ich werde es also so lassen. Den von Dir hergestellten Bezug kann ich so nicht entnehmen.
Über die Sache mit dem Namen muss ich noch ein Weilchen nachdenken.

Lieben Gruß,

rrm

 

Hallo rrm,

auch ich tanze mit meiner Kritik nicht aus der Reihe: Ich habe deine Geschichte gerne gelesen, sie hat mich berührt. Ob nun Romeo und Julia, Ronja Räubertochter oder die Zwei Königskinder (die auch durch ein tiefes Wasser getrennt waren) - der Plot nutzt sich nicht ab. Meine Kenntnis über die schottischen Highlands und ihre Geschichte und Sittenwelt ist nicht groß, aber soviel ich weiß, waren die Feindschaften zwischen den Clans teilweise gnadenlos; insofern ist die Angst von Fiona und Ian, dass ihre Liebe entdeckt wird, schlüssig.

Die beiden verlieben sich schnell, kommen sich schon beim ersten Treffen sehr nah - ist das glaubwürdig? Aber gut, sie sind jung und heißblütig, vielleicht würden andere mit mehr Erfahrung ihre Gefühle anders benennen, aber das ist nicht so wichtig. Mir gefällt auch, wie du das Ende gestaltest: Du vermeidest penetrantes Drücken auf die Tränendrüsen.

Chica

P.S.: Was wollte Fiona ihm so Wichtiges sagen? Entweder, dass sie schwanger ist oder dass ihr Clan hinter ihr Geheimnis gekommen ist und ihr Abschiebung in ein Kloster o.ä. droht, vermute ich.

 

Hallo Chica,

Danke für Deine Kritik (eigentlich ja eher nur Lob...:) ).
Um Dein P.S. zu beantworten: Mir ging eher ersteres im Kopf herum, aber letzteres wäre dann ja wohl einige Zeit später nachgefolgt. Wobei ich mir nicht sichr bin, ob die Clanchefs dafür eine hinreichend christliche Gesinnung besaßen. Ich vermute, eher nicht, und eine Fortsetzung der Geschichte in dem Sinne wäre kaum ohne Tränen ausgekommen.

Gruß,
rrm

 

Hi rrm,

nur weil du nicht sofort meiner Meinung bist, bist du noch lange nicht uneinsichtig. :)
Allerdings habe nicht ich den Bezug hergetellt, sondern für mein Gefühl eben du mit der Satzgestaltung.
Ich hatte schon den Bezug verstanden, den du herstellen wolltest, nämlich dass die Eltern sie auf den Weiden beim Hüten des Vieh vermuten. :)
Worauf ich hinaus wolte, war eine genauere Formulierung, auch wenn du sie als linguistische Kleinkrämerei empfinden magst.
Aber das ist bei einer insgesamt so guten Geschichte kein Grund für eine Auseinandersetzung. :)

Einen lieben Gruß, sim

 

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