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Statistisches Wunder

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16.05.2005
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Statistisches Wunder

Das Statistische Wunder oder der göttliche Funke

I.
„Die kalte Kernfusion ist ein Danaergeschenk an die Wissenschaft.“
Professor Uwen Correos zog genüsslich an seiner Zigarre. Seine blauen Augen, die sich aus dem Erbe seines skandinavischen Vaters in die ansonsten mütterlichen-spanischen Gesichtszüge eingeschlichen hatten, funkelten spöttisch.
„Wir gewinnen gegenwärtig über 60 Prozent der weltweit erzeugten Energie aus Kraftwerken die auf der kalten Fusion basieren, mit steigender Tendenz und haben immer noch nicht die Spur einer Ahnung welcher Katalysator nun wirklich für die Stabilität des Verschmelzungsprozess der Wasserstoffatome maßgeblich ist.
Einige Wissenschaftler streiten sogar trotz der industriellen Nutzung des Phänomens ab, dass es überhaupt möglich ist, wenn Sie mir den flapsigen Ausdruck erlauben, eine kalte Fusion am Laufen zu halten.“
Er machte eine gewichtige Pause und gab seinem Gegenüber Gelegenheit, für die zwangsläufig sich ergebenden Nachfragen.
Ho Xavier Propper, ein chinesischstämmiger Wissenschaftsjournalist, dem der langjährige Aufenthalt in Europa die asiatische Strenge aus dem Gesicht gebügelt hatte, beugte sich in seinem Lehnstuhl dem Professor entgegen.
„Aber ist das nicht widersprüchlich?“, fragte er,
„Sie haben doch für die Beschreibung des Prozesses den Nobelpreis für Physik erhalten und Ihr Verfahren ist tausendfach in den Laboren und Kraftwerken der Welt erfolgreich wiederholt worden!“
Mit unbeteiligtem Interesse musterte Professor eine Fliege, die träge über den Tisch kroch.
In den saftbefüllten Trinkbechern spiegelte sich die Palisade der Veranda.
Sanfte, spätsommerliche Sonnenstrahlen spendeten eine maßvolle Wärme, die auf der Haut kribbelte.
Die Fliege hatte einen Brotkrumen des gemeinsamen Frühstücks der beiden Gesprächspartner ausgemacht und untersuchte ihn nun auf seinen Nährgehalt.
Schweigend wischte Professor Correos einen Marmeladenspritzer von seinem taubenblauen Anzug und wandte seine Aufmerksamkeit Ho zu.
„Was wissen Sie über die so genannte kalte Fusion?“, fragte er plötzlich.
Ho runzelte die Augenbrauen. Im Auftrag der „Wissenschaftlichen Rundschau“ hatte er zeitweilig sein Hamburger Büro aufgegeben und saß jetzt mit dem Mann zusammen, der die Energieversorgung der Menschheit auf Jahrtausende gesichert hatte.
Auch wenn er eine gewisse Ehrfurcht vor dem Genie empfand so war es ihm doch zuwider, sich examinieren zu lassen. Schließlich besaß er akademische Grade in Physik und Chemie und durfte sich, wenn schon nicht ebenbürtig, so doch als hinreichend kundig betrachten.
Gereizt referierte er, was ihm über die Kernfusionen bekannt war:
„Die kalte Fusion ist das Gegenstück zur heißen Fusion, bei der Atomkerne unter enormen Temperatur und Druck verschmelzen d.h. die starken Kernkräfte überwunden werden.
Der gegenwärtige Stand der Technik erlaubt noch keine industrielle Nutzung der heißen Fusion.
Bei Prozesstemperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius verbietet sich der Einsatz von materiellen Brennkammern natürlich. Also kann die Brennkammer für diese Reaktion nur aus Kraftfeldern bestehen.
Die Handhabung dieser Kraftfeldfallen ist extrem aufwendig und bisher nicht zufrieden stellend gelöst.
Einzige praktische Anwendung der Kernfusion ist bisher die Wasserstoffbombe und, wenn man es so sehen will, die Sonne.

Der Begriff „kalte Fusion“ stammt von Andrei Sacharow und wurde im Jahre 1948 erstmals aktenkundig.
Das Elektron eines Tritium-Atoms wird, so die Theorie, durch ein Myon ersetzt. ...

Der Professor unterbrach ihn schmunzelnd, eine Viertelstunde später.
„Genug, genug. Mir war es nur wichtig, dass Sie ein Grundverständnis für die Problematik aufbringen, die Details haben für uns, wie ich Ihnen zu zeigen gedenke, eine untergeordnete Bedeutung.
Meine eigentliche Arbeit, die das Nobelpreiskomitee der Auszeichnung für würdig erachtete ist ein mathematischer Unentscheidbarkeitsbeweis, der sich auf gewisse Aspekte der Wahrscheinlichkeit von Fusionsprozessen bezieht.
Einfach gesagt: ob der von mir entwickelte Fusionsreaktor anläuft ist im Einzelfall nicht vorherzusehen und kann nur praktisch, nämlich durch das Einschalten, erfahren werden.
Sie haben sicherlich irgendwelchen Schnickschnack über meine ´geniale´ Verwendung von Biokatalysatoren gelesen durch die die Wasserstoffatome in eine räumliche Struktur gebracht werden, die den Buckminsterfullarenen ähnelt. Und dies den so genannten „Türschlosseffekt“ bewirkt, der die ´Klebrigkeit´ des Heliums herabsetzt.
Stimmt alles; aber trotzdem gibt es noch eine unbekannte Komponente und diejenigen die meinen Beweis zu lesen verstehen, müssten sich über den augenscheinlichen Widerspruch der mathematischen Wirklichkeit zur Dinglichen wundern.
Da aber der Mensch nun einmal so veranlagt ist, dass er einen kleinen, sicheren Gewinn dem Größeren, aber Riskanten vorzieht werde ich in den Medien als Retter der Menschheit gefeiert ohne das der kleine Schönheitsfehler erwähnt wird der darin besteht, dass meine Formeln eine praktische Nutzung der kalten Fusion verneinen!“
Die Augenbrauen von Ho stürzten in einem spitzen Winkel zusammen.
„Ist das denn aber nicht irrelevant? Nun gut, es fehlt ein Puzzleteilchen, aber der Reaktor funktioniert doch! Und der fehlende Baustein wird doch sicherlich in tausenden Laboren auf der ganzen Welt gesucht?“
Seine Vermutungen hatte er wie zu sich selbst gesprochen. Trotzdem entging ihm ein angedeutetes Nicken Professor Correos nicht, dem ein Seufzen folgte.
„Es gab theoretische Annahmen, dass in meinen Formeln ein brauchbares statistisches System versteckt sein könnte, mit dem vernünftige Annäherungen möglich wären. Die Analogie stammt augenscheinlich aus der Quantenphysik. Dort haben bekanntlich Heisenberg und Schrödiger Aussagen über Impuls und Ort von Elementarteilchen statistisch in den Griff bekommen.
Leider erwiesen sich für meine Berechnungen dergleichen Hoffnungen als haltlos.
An der Front der Experimentalphysik mussten meine Kollegen eine noch üblere Niederlage hinnehmen.“
Ho fiel ihm ins Wort.
„An die höhnischen Kommentare in den populärwissenschaftlichen Magazinen kann ich mich noch gut erinnern. Vor allem wurde über die angebliche Ignoranz der Experimentalphysiker kübelweise journalistischer Dreck geschüttet.“
„Und dies völlig zu Unrecht“, nahm der Professor den Faden wieder auf,
„denn nach Maßgabe der Empirie verhielten sich die Wissenschaftler professionell.
Sobald aus einem Labor die erfolgreiche Ingangsetzung des Fusionsprozesses vermeldet wurde protokollierten sie so genau als möglich alle denkbaren Variablen des Versuchsaufbaus. Sie maßen Druck, Temperatur, Strahlenspektrum, Luftzusammensetzung; sogar die Verunreinigungen im Glas der Reaktionskolben wurden analysiert.
Als dies keinen Erfolg brachte, mussten sich die Experimentatoren mit dem für den Naturwissenschaftler äußerst unangenehmen Gedanken anfreunden, dass die gesuchte Ursache in der Person des den Fusionsprozess in Gang Bringenden liegen könnte.
Sie hofften, wenigstens hier eine Häufung im Sinne von Wahrscheinlichkeiten zu finden.
Wie überrascht war man jedoch als sich herausstellte, dass es Jedem der einmal das kalte ´Feuer der Kernkräfte´, wenn Sie mir den poetischen Ausdruck erlauben, entfesselt hatte gegeben war, dies jederzeit zu wiederholen!
Also wurden neue Versuchsanordnungen entworfen.
EEG, EKG, die Leitfähigkeit der Haut, die Körpertemperatur und alles sonst Denkbare, worin sich menschliche Körper unterscheiden unterlagen strengsten Messungen.
Nach allem, was wir über die Beschaffenheit der Welt zu wissen glauben, musste hier der Schlüssel, das fehlende Element gefunden werden.“
Ho lächelte.
„Wurde es aber offensichtlich nicht, oder?“
Der Professor schüttelte den Kopf.
„Und das ist unverständlich. Ich gestehe, dass ich ebenso ratlos bin, wie meine Kollegen. Wir stehen hier vor einem Gleichung, die trotz sorgfältiger Beachtung der Umformungsregeln einfach nicht aufgehen will.“
Professor Correos erhob sich; ein Zeichen, dass die Audienz beendet war.
Ho verabschiedete sich flüchtig, in seinen Gedanken hatte sich der letzte Satz des Professors festgesetzt.
„Eine Formel die nicht aufgehen will“, murmelte er geistesabwesend auf der Fahrt in sein Hotel.

Im Hotel angekommen setzte er sich auf den Klappstuhl des großzügigen Balkons seiner Suite und ließ seine Gedanken schweifen.
Wie er es stets zu tun pflegte wenn er sich in ein Problem einzufühlen versuchte, steckte er sich eine Zigarre an, ohne jedoch den Rauch zu inhalieren.
Durch halbgeschlossene Augenlider verfolgte er die verwirbelnden Rauchschwaden.
Eine tiefe Ruhe erfasste ihn; an die Schwelle zum Schlaf dimmte sich sein bewusstes Denken herab und ließ den nur vage erahnten Teil seines Selbst herumspielen.
Das zog sich über Viertelstunden.
Nachtschatten zogen vor seinem Fenster auf und die Möblierung warf bereits schwarze Abbilder, als er fröstelnd zusammenzuckte.
Seine Augen weiteten sich und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Erstaunens. Das währte nur kurz und ein Lächeln entspannte seine Züge.
Es war ja so einfach!

Tage später in seinem Hamburger Büro entfaltete er eine atemberaubende Geschäftigkeit, mit der er zeitweise das gesamte Sekretariat blockierte. Seine Kollegen murrten, fügten sich dann in das Unausweichliche und besorgten ihre Büropost selber.
Der Büroleiter schlich in idealtypischen Intervallen wie ein ausgehungertes Raubtier an der Bürotür von Ho Xavier vorbei, wagte es aber nicht, seinen Starreporter um Erklärungen anzugehen.
Eine frühere Erfahrung bei der Ho Xavier ihn rüde aus seinem Büro gewiesen hatte, um kurze Zeit später mit einer brillanten Geschichte über die „Zeitquantelung“ die Auflage des Magazins glatt zu verdoppeln, war ihm noch zu präsent.
Die Leidtragenden seiner Neugier waren seine Sekretärinnen.
Geradezu penetrant sah er ihnen über die Schultern.
Aber alles was er zu sehen bekam, waren merkwürdige Fragebögen, die kopiert und in Briefumschläge geschoben wurden.
Die Adressatennamen waren ihm sämtlich unbekannt und die Fragen so allgemein und nichts sagend, dass er sie eher einer Bewerbung auf die Stelle eines Bürosachbearbeiters, als einer wissenschaftlichen Umfrage zugeordnet hätte.
Frustriert gab er es auf, die Allüren seines Stars verstehen zu wollen, zog sich in sein Büro zurück und überzeugte sich nach dem achten Glas Tequilla, dass Ho Xavier schon wissen würde, was er tat.

Wie den meisten Menschen, bei denen ein Geistesblitz einschlägt, machte auch Ho Xavier die Erfahrung, dass ein genialer Gedanke mit zeitlichem Abstand viel von seiner bestechenden Eingängigkeit einbüßen kann.
Nachdem er alles in die Wege geleitet hatte, blieb ihm der undankbare Part des Wartenden und Hoffenden.
Was wenn er sich geirrt hatte?
Wer war er denn, dass er erhoffen konnte die weltweite Elite der Physiker zu depüren?
Nun, in einigen Tagen würde er es wissen, aber vorerst war er in quälender Ungewissheit gefangen. Zur Untätigkeit verdammt, nun, nachdem die Fragebögen versandt waren, griff auch er zu einer Tequillaflasche.

II.
„Was ist zweifelsfrei ein Wunder?“, fragte Ho Xavier.
Er saß erneut Professor Uwen Correos gegenüber, diesmal in seinem Büro. Sie hatten es sich in musealen Korbstühlen, Erbe einer Liaison mit einer Möbelfabrikantentochter bequem gemacht.
Auf dem nüchternen Schreibtisch, der sie trennte lag ein Stapel Zeitungen.
Fast jedes Titelbild zeigte Ho Xavier in Verbindung mit einem Heiligenschein oder einem Fusionsreaktor.
„Jede Erscheinung in der materiellen Welt, die den Naturgesetzen widerspricht“, antwortete ihm der Professor automatisch.
„Ist ein Mensch der sich vom Boden löst, um davonzufliegen ein Wunder? Ein Stein der blutige Tränen weint? Ein Bakterienstamm, sich in der Nährlösung zu Sonetten formt? Sind das Ihrer Meinung nach Wunder?“
Ohne dem Anderen Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, fuhr Ho Xavier fort.
„Unserem heutigen Wissen nach haben wir meine Beispiele als Wunder zu betrachten.
Unserem HEUTIGEN Wissen nach!
Sie haben übrigens in Ihrer Definition des Begriffes Wunder das entscheidende Wort ´einmalig´ ausgelassen!“
Er lächelte.
Es machte ihm Spaß, den Professor sich unbehaglich im Korbstuhl winden zu sehen.
Die leichte Überheblichkeit, die der Professor bei ihrem letzten Gespräch an den Tag gelegt hatte, war ihm unvergessen.
„Natürlich ist mir bewusst, dass ein ´echtes´ Wunder der gesamten Naturwissenschaft jedwede Legitimation entzieht. Denn per definitum kann es in einem Universum, in dem sich EIN EINZIGES Wunder ereignet, keine Gewissheit im Sinne von Gesetzmäßigkeiten mehr geben. Ob ein Wunder oder deren Mehrere geschehen, bleibt sich völlig gleich. Ist also das, was ich entdeckt habe ein Wunder?“
Er lehnte sich genüsslich die letzten Worte nachschmeckend zurück.
„Sie“, fauchte der Professor und spannte sich sichtlich, „Sie haben doch diesen Humbug erst in die Welt gebracht! Ihre Anmaßung, Ihre Selbstgefälligkeit; waren sie es nicht, die dazu geführt haben?“
Sich eine Zeitung vom Stapel greifend und aufschlagend, äffte er den euphorischen Ton der Fernsehnachrichten nach.
„Genialer Redakteur löst Rätsel um die kalte Fusion! Gott bläst das Fusionsfeuer an! Oder hier“, er stieß wütend einen Finger auf die aufgeschlagene Doppelseite, „göttliche Offenbarung rettet Menschheit aus der Energiekrise.“
Keuchend warf er die Zeitung zurück auf den Stapel.
„Ach, die Presse“, verächtlich winkte Ho Xavier ab. Auf einmal wirkte er nachdenklich.
„Denen kann man es doch wohl kaum verübeln, dass sie nur die Hälfte verstehen. Liegt das Problem nicht eher in der konservativen Haltung der Naturwissenschaft? Jede Generation Physiker, beispielsweise, hat nie mehr als eine umstürzlerische Theorie verdaut. Und wenn ein neues Diktum wie die Welt zu sehen sei auch noch besudelt durch die Kreuzung mit den „unexakten“ Wissenschaften austreibt, führen sich die Gralshüter der reinen Lehre auf, als hätte man sie persönlich geschändet.
Sie selbst haben mir vorgeworfen, ich hätte Ockhams Rasiermesser zum Schneiden von Gurken und Wurst missbraucht. Ich aber sage Ihnen: SIE sind es der sich lieber zum zehnten Male das Kinn schabt, statt den Zopf abzuschneiden, über den sie unentwegt stolpern.“
„So?“, höhnte der Professor, „Alter Zopf, wie? Vermehre die Anzahl der Bedingungen bei der Problemlösung nicht! Reduziere sie auf das Kleinstmögliche; sie kennen Ockhams Maxime schon, darf ich annehmen? Wie, wenn nicht als irrsinnig zusätzliche Bedingung darf ich dann das interpretieren, was Sie einzufügen beliebten?“
Ho Xavier, erschrocken durch die Heftigkeit, mit der der Professor seine Anschuldigungen ausspie, schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Mir schein, hier liegt ein Missverständnis vor“, sagte er. „Sie und ich stehen doch auf derselben Seite. Nennen Sie es meinethalben das Lager der Aufklärung.
Seit der Sache mit dem „Sternenpalimsept“ ist mir Ihr Name ein Begriff und schon damals habe ich Ihren Scharfsinn bewundert; mehr noch Ihren Humor.“
„Na ja“, grummelte der Professor versöhnlich, „das war schon ein Spaß.
Diese Esoteriker. Suchen dort tiefere Bedeutung, wo das Gesetz der großen Zahl wirkt. Natürlich werden sie dort fündig.
Wissen Sie, als dieser Flachkopf Weinsmeier groß verkündete, dass Gott die Sterne zu Botschaften gruppiert hat und stolz nachwies, dass sich aus einer gewissen Sternkonstellation die Botschaft ´Gott sieht Dir´ lesen lässt, hat es mich gewundert, dass die Welt nicht schallend loslachte.
Denn dass Gott die Sprache der Auschwitzschlächter spricht mag noch denkbar sein – Gott soll ja bekanntlich in allen Zungen zu sprechen vermögen – aber eine korrekte Grammatik sollte IHM schon zuzutrauen sein.“
Der Professor erntete ein zustimmendes Kopfnicken und fuhr fort,
„Natürlich war es ein Leichtes für mich, mit den Institutscomputern die Sterne nach weiteren Botschaften abzusuchen. Da die Zahl der Sterne hinreichend groß ist, ergibt sich für fast jedes Wort jeder menschlichen Sprache eine Perspektive, aus der sich die Sterne zumindest angenähert zu dem jeweiligen Schriftbild fügen.
Wie haben wir im Institut gelacht, als der Monitor eine dreifache Sechs zeigte, bei der die natürlich unsichtbare Erde sich im Bauch der mittleren Sechs wieder fand.
Trotzdem“, sich seines Ärgers erinnernd, verfinsterte sich sein Gesicht, „ich sehe nicht, wie Sie den Schaden, den Sie der Wissenschaft zugefügt haben, rechtfertigen könnten.“
„Schaden?“, Ho Xavier hob erstaunt die linke Augenbraue, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Raubkatze verlieh, „ach ja, die heilige Grenze zwischen Glaube und Erkenntnis. Meiner Ansicht war dieser Burgfrieden zwischen Religion und Wissenschaft von Anfang an eine Totgeburt und auch nur den Machtverhältnissen vergangener Tage geschuldet.
Ein fauler Kompromiss, der mit den schönsten Folterqualen und Scheiterhaufen der aufkeimenden Forschung abgepresst wurde.
Ihr kümmert Euch um das Diesseits, wir um das Jenseits und das bis zum heutigen Tage, so, als gäbe es die Quantenphysik oder das Olbertsche Paradoxon nicht.
Das Traurige daran ist, dass die Physiker, die damals zum Frontalangriff auf die kirchlichen Bastionen vorrückten, die letzten Verteidiger dieses Schandvertrages sind. Die Humanwissenschaften, aber auch die Biologie haben sich längst in klerikalen Kerngebieten festgesetzt.
Durch meine Entdeckung ist die Physik endlich gezwungen, den schäbigen Konsens mit der Religion aufzukündigen oder sich für unabsehbare Zeit als ernstzunehmende Wissenschaft abzumelden.
Ehrlich gesagt, mir schmeckt es auch nicht besonders, was ich da herausgefunden habe. Aber wir sollten es als Chance verstehen, neu über das Dasein nachzudenken.“
Das Pathos, in das er sich geredet hatte, wurde ihm plötzlich bewusst und er brach ab.
Der Professor nippte an seinem Orangensaft und ließ tief in sich die Belehrungen nachhallen.
Nach Minuten der Stille lachte er auf.
„Meine Güte“; prustete er, „Sie sind der geborene Professor für Wissenschaftsphilosophie, wissen Sie das?
Aber ganz haben Sie es mir noch nicht verkauft.
Betrachten wir die praktischen Aspekte.
Die kalte Fusion läuft also nur an, wenn ein Physiker zugegen, dem ein tiefverwurzelter, monotheistischer Glaube zu Eigen ist. Das war ja die skandalöse Quintessenz der Auswertung Ihrer lächerlichen Fragebögen.
Wie kann ich das denn anders nennen, als Gottesbeweis oder Wunder?
Dass die Kirchen, seitdem voll sind stört mich nicht übermäßig, aber dass eine solche, hm, Eigenschaft eines Menschen notwendig für ein NATURwissenschaftliches Verfahren sein soll, das mit Verlaub, stinkt mir gewaltig.
Nächstens steht noch ein Pfaffe mit dem Weihrauchfass vor dem Tor eines jeden Fusionskraftwerkes.“
Die bittere Ironie seiner Worte belustigte Ho Xavier, so dass seine Entgegnung süffisanter ausfiel, als er es beabsichtigt hatte.
„Und außerdem weckt es Zweifel in Ihnen, nicht wahr? Wenn es denn Gott gibt, hat er sich gefälligst aus dem Tagesgeschäft herauszuhalten, ist es nicht so?“
Ein Knurren, mit gutem Willen als Zustimmung zu interpretieren, entrang sich den professoralen Lippen.
„Weshalb eigentlich?
Wenn hier tatsächlich Gott am Werke ist, verhält er sich doch ausgesprochen witzig und im Sinne des Determinismus korrekt.
Denn einerseits offenbart er sich in einem Bereich, der überlebenswichtig für die moderne Daseinsweise des Menschen ist genau im Moment der drohenden Krise und dies quasi mit einem Augenzwinkern, einem ´Euch kann man aber auch keine fünf Minuten aus den Augen lassen´, andererseits achtet er sorgfältig darauf, dem Phänomen auch nicht den Hauch eines Wunders zu geben.
Denn ein Wunder ist es schon aus dem Grunde nicht, weil JEDER Mensch, der ein Physikdiplom in der Tasche hat und an einen solitären Gott glaubt die Fusion anlaufen lassen kann.
So ein Gott würde mir im Übrigen sehr zusagen.
Auch die spaßige Tatsache, dass sich die Energieausbeuten je nach Religion unterscheiden, zeugt von hohem Humorverständnis, falls es eine bewirkende Instanz geben sollte.“
„Ja, das gefällt mir tatsächlich“, hakte der Professor ein, „diese Abstufung. Geradezu salomonisch.
Nimmt man die Energieausbeute eines jüdischen Physikers als Basis, also 100 Prozent, kommen Katholiken und Orthodoxe auf je 99,7 Prozent, Sunniten, Schiiten, etc. 99,68, die Protestanten auf 99,66 und Freikirchen auf 99,63 Prozent.
An dieser Hitliste der Religionen werden die Theologen lange zu kauen haben.
Leider ist es genau diese Abstufung die es so schwer macht das Phänomen als natürliches, nicht von einer planenden Wesenheit herrührendes anzusehen.“
Ho Xavier wagte zaghaften Widerspruch, „Auch wenn mich die meisten Biologen dafür verhöhnen würden, aber ich halte es für möglich, dass die Zugehörigkeit zu einer Religion gewisse ´Erinnerungsmechanismen im Erbgut aktiviert.
Halten Sie mich für verrückt, aber ich bin sicher, dass der Zusammenhang zwischen dem Alter einer Religion und der Energieausbeute irgendwie genetisch in uns verankert ist.“, und verschmitzt lächelnd fügte er hinzu, “Schade, dass es keine Junger des altägyptischen Sonnengottes Ra mehr gibt.“
Der Professor stemmte sich aus dem Korbsessel empor und reichte Ho Xavier die Hand, „Halten Sie ein“, rief er mit gespielter Entrüstung, „mehr als eine Revolution in meinem Weltbild vertrage ich heute nicht. Sie sind wirklich ein Ketzer durch und durch.
Da bedauert man fast, dass die Sitte des Räderns und Vierteilens nicht mehr zeitgemäß ist.“, und mit einer Mine, die zwischen Belustigung und Verzweiflung schwankte, setzte er hinzu, „zwischen uns steht es denn also unterschieden und wie ist der Stand zwischen Religion und Wissenschaft?
Meinen Agnostizismus haben Sie heute erschüttert, und zwar in beide Richtungen, obwohl das ja ein Paradoxon ist. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
Meine Kollegen werde ich jedoch auf diese und jene Art und Weise belehren müssen. Das sollte ich Ihnen eigentlich verübeln.
Und das Problem der polytheistischen Religionen, die das Kernfeuer nicht anzufachen vermögen, habe wir nicht einmal angeschnitten.
Ich gebe aber zu, dass ich an Ihrem rotzfrechen Zertrümmern der hehren Doktrin von der Unvereinbarkeit der Dies- und Jenseitigkeit zu gefallen beginnt.“
Als er schon auf der Türschwelle stand, wandte sich der Professor noch einmal um, „Tun Sie mir nur einen Gefallen. Bitten Sie mich nie wieder um ein Interview.“
Dann schlug die Tür um eine Winzigkeit zu kräftig hinter Ihm zu.
Ho Xavier blickte noch minutenlang nachdenklich auf den nachwippenden Türgriff.

 

Anmerkung:
Eigentlich gehört diese Story mehr in den Bereich „Philosophie“, aber da dort hauptsächlich hohlköpfige Nabelschau betrieben wird (ja, ich bin sauer, dass meine dorthin verschobene Story nicht EINEN Kommentar bekommen hat, zumal, bei aller Bescheidenheit, die Thematik ein echtes philosophisches Problem (Dilemma von Erkenntnis vs. Kapazität) darstellt, was man von den meisten anderen Texten dort nicht mal bei erheblichem Wohlwollen behaupten kann) , bleibe ich (verkannt, schluchz) bei meinem SF-Stigmata.
Komisch ist es allerdings schon, dass es sich eher lohnt philosophische Probleme in „unserem SF-Getto“ anzubringen, als in dem dafür „natürlicherem“ Forum.

Proxi

PS:
Ich bin der Überzeugung, dass S. Lem diese Story (zumindest die Idee) nicht grundsätzlich abgelehnt hätte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich bin der Überzeugung, dass S. Lem diese Story (zumindest die Idee) nicht grundsätzlich abgelehnt hätte.
Bescheiden, wie immer. Sorry, das konnte ich nicht unkommentiert lassen :Pfeif: Aber ich werd mich am Wochenende mit deiner Geschichte auseinandersetzen und dir dann zustimmen oder was entgegensetzen.

 

Hallo Proxi,

Nun habe ich mich mit deiner Geschichte auseinandergesetzt und kann zu Lem immer noch nichts sagen, aber nur, weil ich außer Solaris nichts von ihm gelesen habe. :(

Stilistisch ist die Geschichte eigentlich einwandfrei, und man langweilt sich auch ohne Physikdiplom nicht. Stellenweise mußte ich sogar laut auflachen:

´Gott sieht Dir´
:rotfl:

Lediglich folgender Teil ist meiner Meinung nach etwas mißraten:

„Was wissen Sie über die so genannte kalte Fusion?“, fragte er plötzlich.
[...]
Der Professor unterbrach ihn schmunzelnd, eine Viertelstunde später.
„Genug, genug. Mir war es nur wichtig, dass Sie ein Grundverständnis für die Problematik aufbringen, die Details haben für uns, wie ich Ihnen zu zeigen gedenke, eine untergeordnete Bedeutung.
So unwichtig sogar, daß du dir das alles sparen kannst. Statt von kalter Fusion könntest du hier auch vom Lem'schen Proproxilator reden. Dem Verständnis der Geschichte tut das keinen Abbruch. Aber wenn du es drin behalten willst, solltest du es eleganter lösen. Erstens wird die kalte Fusion, wenn sie denn in deiner Geschichte schon real ist, nicht mehr nur "so genannt" und Zweitens sind rhetorische Dialoge a la "Sie wissen ja, daß ..." und "Was wissen Sie eigentlich über ..." nach Genfer Konvention verboten. :sealed:

Aber nun zum Eigentlichen, dem philosophischen Inhalt, an den sich keiner traut. Ich habe versucht, mich mit dem hierfür konkreten physikalischen Hintergrund vertraut zu machen, da mich das Thema sowieso interessiert, und ich schon einiges Grundwissen hierzu angesammelt habe. Leicht gemacht hast du es mir allerdings nicht.
Denn weder das Sternenpalimsept noch das Olbertsche Paradoxon konnte ich finden. Dafür weiß ich jetzt, was ein Palimpsest ist und worum es im Olbers'schen Paradoxon geht. :D

Ich werde mal versuchen, deine Geschichte zusammenzufassen, bevor ich dich in Grund und Boden argumentiere. ;)

In deiner Welt ist die kalte Fusion nicht nur real, sondern auch noch wirtschaftlich und deswegen weit verbreitet. Den zugehörigen Reaktor hat dein Protagonist Professor Correos zumindest theoretisch entwickelt und dabei gleich noch festgestellt, daß sich nicht voraussagen läßt, ob ein konkret gebauter Reaktor funktioniert oder nicht. Gebaut wurden aber viele solcher Reaktoren, und manche funktionieren, andere nicht. Kein Wissenschaftler konnte feststellen, was die funktionierenden von den anderen Reaktoren unterschied. Also kam man zu dem Schluß, daß es mit der Person zusammenhängt, die den Fusionsprozeß in Gang bringt. Doch auch Professor Correos weiß nicht, was an den einzelnen Personen unterschiedlich ist und den Effekt hervorruft. Schließlich hat dein zweiter Charakter, Ho Xavier Propper, den genialen Einfall, daß es mit dem Glauben der jeweiligen Person zu tun hat und damit, daß die jeweilige Person Physiker ist. :hmm:

Die Quantenmechanik besagt zwar, daß alles in einer Wechselwirkung steht, und daß erst eine Beobachtung dazu führt, daß ein Zustand auch wirklich eintritt, aber deine Annahme ist mir trotzdem etwas zu sehr weit hergeholt.

Sie widerstrebt mir nicht nur, weil ich ein fundamentaler Atheist bin, der Wissenschaftler für verlogen hält, oder zumindest zu feige sich wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen, die sagen, Wissenschaft und Glauben lassen sich vereinen. Ich hätte auch ein Problem damit, wenn du behauptet hättest, nur Leute mit Gen X statt Gen Y können die Fusion in Gang bringen. Denn letzten Endes wird nur ein Schalter umgelegt.

Daß sich die Zeitungen darauf stürzen und darin einen wissenschaftlichen Beweis sieht - ein Widerspruch in sich, denn Wissenschaft untermauert nur Thesen - sehe ich ein. Das machen sie ja immer wieder. Aber die wissenschaftliche Gemeinde wird sich doch von jeder nur denkbaren Richtung darauf stürzen.

Wenn also in deiner Geschichte seit dem ersten und dem zweiten Interview genug Zeit vergangen ist, daß genug Experimente durchgeführt wurden, die diese These untermauern statt widerlegen, müßten einige ganz konkrete Fragen geprüft worden sein.

Du sagst ja, daß nur gläubige Juden, Moslems und Christen (grob verallgemeinert) die Fusion in Gang setzen können. Ganz unabhängig davon, wie streng gläubig "gemessen" wird. Was ist mit Polytheisten, Henotheisten, Monolatrikern, Atheisten, Agnostikern, Deisten, Pantheisten, Pandeisten, Panentheisten, Theokratisten und Kosmotheisten? Was ist mit Buddhisten und Wicca-Anhängern und U-Boot-Christen? Wurden die alle getestet? Und hatten alle ein Physikdiplom?

Was ist mit Leuten, die eine Fusion in Gang gesetzt, dann aber (nach dem Tod der Familie zum Beispiel) ihren Glauben verloren haben? Kann ein Initiator auch eine Fusion in Gang bringen, die vorher von jemand anderem erfolglos versucht wurde?

Und was ist mit gläubigen Nichtphysikern? Wieviel Wissen exakt braucht man, um eine Fusion in Gang zu setzen? Oder reicht das Diplom? Was ist mit einem Diplom, das erschummelt wurde, etwa durch einen Ghostwriter. Soll's ja alles schon gegeben haben.

Kann der Fusionsinitiator auch weiter weg sein? D.h. kann er per Internet die Fusion aktivieren, oder auch nur einen Meter vom Knopf weg mit einem Stab stehen und damit drücken? Was, wenn er jemanden dazu anweist, den Knopf zu drücken, oder ihn so schubst, daß ein Ungläubiger den Schalter umlegt?

Zu viele Fragen, die erst geklärt sein müßten, bevor ein ernsthafter Wissenschaftler an den von dir postulierten Zusammenhang glauben würde.
"cum hoc ergo propter hoc" (lat. „damit, also deswegen“) :teach:
Nur weil zwei Dinge zusammen auftreten, heißt es noch nicht, daß eines vom anderen bedingt wird.

Und so sehr mir die Hitliste der Religionen gefällt, so habe ich doch auch Probleme zu glauben, daß Religion etwas in unserem Erbgut auslöst. Denn das hieße ja, daß Religion zu einem gewissen Grad 'erblich' ist. Was wäre dann mit Leuten, die zu einer anderen Religion gewechselt sind? Ist die Energieausbeute nun eine andere?

Alle diese Fragen müßten beantwortet sein, je nachdem mit ja oder nein, bevor ich deiner Logik folgen würde. Oder es wird impliziert, daß sie beantwortet wurden, doch auch da stellt sich ein Problem. Du vergleichst deine Theorie mit der Quantenmechanik, die ja Unerklärliches mit Wahrscheinlichkeiten erklärt. Aber bei dir gibt es keine Wahrscheinlichkeiten. Alles ist absolut. Entweder die Fusion wird in Gang gesetzt oder nicht. Auch da hinkt es meiner Meinung nach.

So läßt sie mir zu viele Widersprüche und Fragen offen, die mich an der Grundaussage zweifeln ließen.

Dennoch halte ich das ganze für eine unterhaltsam Geschichte, die interessanten Gesprächsstoff bietet.

In diesem Sinne
Magranam

P.S.: Das Wort "depüren" scheint's ja wirklich zu geben, obwohl ich nur 4 (vier) deutschsprachige Treffer dazu in Google finde.

P.P.S.:

jobär in einer anderen Geschichte schrieb:
Diesen Kommentar bekommst du jetzt weil ich deine andere neue Geschichte gar nicht verstanden habe.
Proxi schrieb:
Komisch ist es allerdings schon, dass es sich eher lohnt philosophische Probleme in „unserem SF-Getto“ anzubringen, als in dem dafür „natürlicherem“ Forum.
Eigentlich ein eigenes Thema, an dessen Diskussion ich mich im Autoren-Thread gerne beteilige. Hier aber nur kurz:
Ich denke, es liegt zum einen an den Leuten, die in Philosophie alles posten, was ihnen auch nur annähernd philosophisch anmutet. Zum anderen liegt es daran, daß Wissenschaft und Philosophie sich schon immer in die Quere gekommen sind.

Außerdem geht Philosophie den Dingen wirklich auf den Grund und nimmt im Idealfall nichts als gegeben. Es ist einfacher in SciFi eine Geschichte zu schreiben, die so etwas zum Thema hat, weil man mal eben sämtliche Grundannahmen verwerfen und behaupten kann, daß Gottglauben für kalte Fusion notwendig ist. Das macht meiner Meinung nach bei vielen Lesern den Reiz der SciFi aus.

 

Hallo Proxi,

hab deine Geschichte mit Interesse gelesen.

Zunächst würde ich bestreiten, dass sich Wunder auf der einen Seite und eine gesetzmäßig strukturierte Welt auf der anderen gegenseitig ausschließen.

Ein Wunder ist etwas, das von außerhalb in ein geschlossenes System eingreift und deshalb als göttlich oder übernatürlich empfunden wird, weil es mit den Regeln des Systems nicht vereinbar ist. Also, zum Beispiel, etwas, das gegen die Naturgesetze zu verstoßen scheint.

Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen den Naturgesetzen an sich und den Gesetzen, von denen wir annehmen, dass sie Naturgesetze sind.

Ich denke nicht, dass ein Gottesbeweis (wenn deine Geschichte so gemeint ist) widerlegen würde, dass die Welt Gesetzmäßigkeiten folgt, es würde nur offenbar, dass sie anderen Gesetzen folgt.

Was mir an der Geschichte gefallen hat, war, wie gezeigt wurde, dass eine kleine Entdeckung unser ganzes Weltbild auf den Kopf stellen könnte, das fand ich interessant. Die Sache mit den Monotheisten ist politisch nicht ganz korrekt, trifft aber den Nagel auf den Kopf, weil so etwas für unser säkulares Weltverständnis der absolute Supergau wäre.

 

Weswegen heißt dieser Professor eigentlich so ähnlich wie ich? Ich hab zwar ein Diplom in Physik, aber Professor zu werden, habe ich mir sicherheitshalber verkniffen :D

Schwerer Stoff, muss ich sagen. Ich musste das erstmal sacken lassen, um mich inhaltlich zu äußern. Zum Stil wiederum ist nicht viel zu sagen; es ist der typische Dialog-der-ein-philosophisches-Gedankenexperiment-greifbar-macht. Demzufolge praktisch ohne Dramatik oder Spannung, aber darum geht es ja auch nicht.

Mich hätten die gesellschaftlichen Konsequenzen etwas mehr interessiert als die philosophische Betrachtungsweise. Viel mehr als die Tatsache, dass nun mehr Leute in die Kirche gehen, habe ich in dieser Hinsicht nicht erfahren. Da aber ein Gottesbeweis in der vorliegenden, streng empirischen Form in der Realität (noch?) fehlt, ist die zugehörige Diskussion rein fiktiv bzw. akademisch. Mit anderen Worten: Wer das beobachtete Geschehen für unmöglich hält, verfolgt die Debatte mit gewissem Desinteresse.

Davon abgesehen kann ich mich gerne als einer jener Physiker outen, die folgende Aussage unterschreiben würden: Die ganze Natur an sich genügt vollkommen als Gottesbeweis.

In diesem Sinne - gehe ich mal meinen Fusionsreaktor zünden :D

Uwe
:cool:

 

Nachdem Magranam sehr ausführlich die offenen Fragen deiner Geschichte dargestellt hat, ist mir mein Unbehagen, ja Unverständnis mit ihr erklärlich. Ich bin zwar nur Schmalspurphilosoph, aber jeder Gottesbeweis ist für mich a priori unmöglich - dass alles ein Gotteserweis ist, unterschreibe ich dagegen gerne, dazu bedarf es keiner kalten Fusion.

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Ein Gottesbeweis wird auch nicht erbracht.
Bevor ich mich auf die Kritiken (zumindest loesen meine Storys oft die interessantesten Kritiken aus - bin echt beeindruckt(*g*)) einlassen, warte ich noch ein paar tage in der Hoffnung, dass sich noch mehr von uns hier sehen lassen (ich kritisiere ja schliesslich auch fast jede andere Story (*g*))
Proxi

 

Jetzt komme ich auch endlich dazu, ein paar Worte zu schreiben.

Zunächst mal hat mir die Idee der Geschichte sehr gefallen. Der Inhalt lässt sich für mich grob wie folgt umreißen:
Ein Wissenschaftler entdeckt eine Möglichkeit, die kalte Fusion einigermaßen zuverlässig nutzbar zu machen. Es werden Reaktoren entwickelt, und er beschreibt eine Formel, die das Funktionsprinzip enthält. Die Formel ist jedoch nicht lösbar, d.h. man kann das Funktionieren des Reaktors nicht aus den akzeptierten physikalischen Grundannahmen herleiten. Es folgt, dass ein solcher Reaktor funktionieren kann oder auch nicht, im System der etablierten Physik ist das unentscheidbar.
Der Journalist weiß das, daher erweitert er das Bezugssystem um eine bisher nicht enthaltene Größe. Und was ist außerhalb der Wissenschaft? Der Glaube.
In der Folge findet er heraus, dass tatsächlich eine Korrelation zwischen dem Glaubensbekenntnis eines Forschers und seiner Fähigkeit, die kalte Fusion anzustoßen besteht.
Dies wird natürlich in populärwissenschaftlichen Kreisen als Gottesbeweis interpretiert, zeigt aber nur, dass viele Leute nicht zwischen Korrelationen und Kausalitäten unterscheiden können. Die wissenschaftlichen Kreise auf der anderen Seite sind eben deshalb ärgerlich über die Publikation, weil sie eigentlich lieber eine andere Erklärung hätten, nun aber hinterherhinken, und einer De-Säkularisierung entgegensehen.

Die im Text präsentierten Erklärungsmodelle sind ja nur Ansätze, sie müssen weder vom Leser, noch von den Figuren angenommen werden (ich halte z.B. den genetischen Ansatz für Humbug, weil die Gene zwar bestimmen können, dass jemand glaubt, aber wohl kaum woran). Es gibt ja eine Reihe weiterer, eher randständiger Erklärungen, z.B. Sheldrakes morphogenetische/morphische Feldtheorie, der ganze Tesla-Kram, Numerologie, computing universe, ID, usw.

Wie gesagt, inhaltlich sehr gut. Großartige Idee.
Die Umsetzung als bloße Reihe von Dialogen zieht sich teils etwas hin. Das ist ein grundsätzliches Problem bei der Vermittlung von Wissenschaft in Prosa: Irgendwer muss den Kram ja mal erzählen. Allerdings fällt mir bei der Thematik auch nix besseres ein, dafür finde ich es noch recht gelungen.

Insgesamt eine etwas spannungsarme, aber dennoch interessante Geschichte über die Geschlossenheit von Wissenssystemen.

:) Naut

 

Ach Naut, wenn Du nicht waerst...
Genau so habe ich die Story angelegt.
Also, wer nicht alles verstanden hat, lese nauts Ausfuehrungen (die sollte ich bei der naechsten Story vorab bestellen und als Begleittext beilegen (*g*))
Proxi

 

Jaja, komm ja schon... Ausrede: Hatte viel zu tun...:D

Tach Proxy

Das ist wirklich ziemlich starker Tobak den du da zusammengeschrieben hast. Das gibt Stoff zum Denken. Im Übermaß.
Bei mir ist das ganze auch noch am Durchlaufen, aber folgendes hat sich schon mal angesammelt:

Formal:

Ich gebe Uwe recht damit, dass der philosophische Dialog (obwohl alles andere als langweilig) wenig von den gesellschaftlichen Auswirkungen preisgibt, aber das war ja auch anscheinend nicht das Ziel.
Insofern klassisch, aber gelungen.

Stilistisch:

Solide, bodenständig, teilweise etwas altklug. Passt also.

Inhaltlich (Uff!):

Die Gedankenführung ist natürlich äußers provokant und über deine letztendlichen Absichten bin ich mir immer noch nicht so ganz im Klaren.

Fassen wir erstmal zusammen. Die Kalte Fusion ist möglich, beruht aber auf einer nicht lösbaren Gleichung und ihre Zündung ist scheinbar ein reines Glücksspiel. Überraschend stellt sich dann heraus, dass dieses Spiel immer nur von gläubigen Physikern gewonnen wird.

Hier findet sich also eine nicht erklärbare ordnende Kraft in einem chaotischen System, die nach weitverbreiteter Meinung als Gott angesehen wird. Blanker Fatalismus oder allgemeiner Glaube scheiden aus, da das ganze nur bei Monotheisten funktioniert.
Ergo, ein empirischer Gottesbeweis.

*Einmal drüber geschlafen, in den Sterntagebüchern geschmökert (21. Reise), ALPHA CENTAURI "Ist unser Universum zufällig" geschaut*

Nebenhandlung: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion.

Das ist nicht ein nicht minder spannendes Thema. Geschichtlich vorbelastet und durch die herrschende Burgfrieden-Toleranzigkeit momentan (soweit ich das überblicken kann) ohne größere Fortschritte bleibt.

Jedenfalls ist ja für die Kalte Funktion (Symbolalarm: Der heilige Gral der Physik) eine Synthese zweier Antagonistischer Glaubensrichtungen notwendig: Der Glaube daran, dass alles rational erklärbar ist (Wissenschaft) und der Glaube daran, dass nicht alles rational erklärbar ist (Religion).
Sorry für die holprige Formulierung.

Hmh. Mehr Verständnis oder gar Antworten will ich mir jetzt eigentlich gar nicht anmaßen. Bin aber auch ziemlich beeindruckt über die entstandene Diskussion.


Von mir gibt's ehrliche Hochachtung für das ganze. Imposant :thumbsup:

So. Ich muss jetzt mal mit meinem kleinen inneren Agnostiker reden.

Es grüßt

omno (der übrigens nur heiß fusioniert ;) )

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Proxi!

Was gingen mir beim Lesen nicht alles für Sätze durch den Kopf: Was hat der denn für Drogen genommen? Was ist das für eine bescheuerte Idee? Ist der plötzlich gläubig geworden? Okay, das Letzte hab ich nicht in Betracht gezogen. :D
Tatsächlich fand ich beim Lesen nicht so richtig den Zugang zu der Story. Erst kommt wieder einer dieser Pseudodialoge:

„Was wissen Sie über die so genannte kalte Fusion?“, fragte er plötzlich.
Ho runzelte die Augenbrauen. [...]
Gereizt referierte er, was ihm über die Kernfusionen bekannt war:
„Die kalte Fusion ist das Gegenstück zur heißen Fusion, bei der Atomkerne ... bla bla ... Temperatur und Druck Kernkräfte ... bla bla bla ... industrielle Nutzung ... bla ... Prozesstemperaturen ... Brennkammern ... bla ... Kraftfelder ... bla bla bla bla bla ...

Du lernst es einfach nicht, oder? :D

Dann wurde es zwischenzeitlich wieder interessant. Wie würde sich wohl die Lösung des Paradoxons ausnehmen, das du in der Geschichte so schön ausgebreitet hast?
Okay, der ganze Firlefanz mit der Physik ist mir nicht so geläufig, und daher konnte ich auch nicht nachvollziehen, warum die Kaltfusion nicht funktionieren soll, was dem Ganzen für mich ein wenig den Reiz genommen hat, aber als ich bei der Stelle war, wo Ho Xavier sein Heureka-Erlebnis hat:

Es war ja so einfach!

da war meine Neugier entfacht, und ich las weiter. Fragebögen ... überall hin verschickt ... Was das wohl zu bedeuten hatte?
Dann kam ein Moment leichter Enttäuschung:

„Genialer Redakteur löst Rätsel um die kalte Fusion! Gott bläst das Fusionsfeuer an! Oder hier“, er stieß wütend einen Finger auf die aufgeschlagene Doppelseite, „göttliche Offenbarung rettet Menschheit aus der Energiekrise.“

Ach soooo ... :dozey:

Da ich nicht von der Existenz solch göttlicher Entitäten ausgehe und schon gar nicht von ihrer Selbstoffenbarung, ging die ganze Diskussion der beiden Prots mir irgendwie total am Arsch vorbei. Das Offenbarungsthema wäre aus meiner Sicht bestenfalls als Grundproblem einer Fantasygeschichte gut, in deren Verlauf die Prots langsam hinter die wahre Natur ihrer Gottheit kommen und dann einen Weg finden, ihre Allmacht zu brechen.
Ganz davon abgesehen, dass dein Gott nicht nur ein Fan der modernen Zivilisation, sondern auch der verschwenderisch-krisenhaften Warengesellschaft zu sein scheint, wenn er ihr auf diese "wirtschaftliche" Weise aus der Patsche hilft. ;)
Aber gleichzeitig entging mir auch nicht die Ironie, die in der Konstruktion steckt. Hierarchie der Ausbeute nach Religionszugehörigkeit? Polytheisten können die Fusion nicht anfachen? Mann, dann gibt es unter den Juden ja bald keine Arbeitslosigkeit mehr! Und endlich haben die mal wirklich was zu melden in der Welt. Und dann noch die Bemerkung mit dem Sonnengott Ra ...
Da fragte ich mich: Ging es dir um die Frage, was wäre, wenn Gott sich offenbaren würde? Oder um das Phänomen, dass das Bewusstsein eines Beobachters Ereignisse bestimmen kann, wie es in der Quantenphysik der Fall ist? Aber auch da will sich mir der Text nicht erschließen.

Neuer Gedanke: Was für Konsequenzen ergäben sich daraus, wenn die Religion plötzlich etwas empirisch Beweisbares würde? Die Trennung von Wissenschaft und Religion aufzuheben würde ja nicht nur bedeuten, dass die Wissenschaft ein völlig neues Selbstverständnis aufbauen müsste. Die Religion wäre keine abgetrennte geistige Sphäre mehr, in die man sich hineinbegeben und aus der man wieder heraustreten kann. Sie würde direkt aktiv in unser Leben hineinwirken.
Verlöre die Religion dann nicht ihre ganze Transzendenz? Und jetzt, wo Religion stofflich nutzbar gemacht werden kann, was ist sie dann mehr als ein Instrument der Verwertung? Religion als Produktionsmittel, das den ökonomischen Zwängen untergeordnet werden kann? Die Kraftwerke verlangen von ihren muslimischen Technikern, zum Judentum überzutreten, um die Ausbeute zu maximieren, weil sie sich sonst nicht am Markt halten könnten? Das hätte vermutlich schon den alten Marx kaum überrascht.
Und warum gehen dann die Menschen noch in die Kirche? Suchen sie Spiritualität? Oder hoffen sie auf persönliche Vorteile? Vielleicht lässt sich Gott ja noch auf andere Weise nutzbar machen bzw. gnädig stimmen für ein paar Gefallen. Die Kirche als Basar ...
Das Ende der Transzendenz würde unweigerlich das Ende der Spiritualität bedeuten. Und wäre das nicht das Ende der Religion selbst?
Das wäre ein Gedanke, den weiterzuspinnen sich lohnen würde.

Ach ja, abgesehen von den vielen Zeichen, die du mal wieder vergessen hast ( diese Arbeit überlasse ich jetzt mal anderen :rolleyes: ), gibt es noch eine Kleinigkeit, die mir negativ aufgefallen ist:

Ho Xavier hob erstaunt die linke Augenbraue, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Raubkatze verlieh,

Das ist ein unzulässiger Perspektivenwechsel, weil du die Szene die ganze Zeit aus seiner Sicht beschreibst. Er kann gar nicht wissen, wie er aussieht. ;)

Ciao, Megabjörnie

Edit: An diesem Post habe ich geschrieben, bevor Proxis letzte Antwort kam.

 

Hi allerseits.
Bin im Arbeitsstress (semana santa en España), melde mich mit ausfuehrlicher Rueckantwort erst naechste Woche.

@ Mega
Dass diese Story faktisch der Abriss eines Romans ist, kann man ja sehen.
Dass Du aber alle weiteren Probleme (im Roman) schon verraets, ist fies.

Proxi

 

Ich finde die Geschichte in sich interessant, vor allem wegen der Pointe dass eben ein naturwissenschatlich erbautes Gerät von der geistigen Einstellung des Bedienenden abhängig ist.
Allerdings bin ich im gegensazu zu meinen Vorschreibern der Meinung, dass die Story etwas kürzer genausogut wäre.
Man windet sich ein wenig, bis die Auflösung kommt, ob man doch einen Absatz überspringen soll.
Und der Titel.... naja, besser nur den zweiten Teil verwenden
Aber sonst: klasse Idee!

 

Tach Proxy,

joah, um mich mal an "patosch" dranzuhängen: Ich "hab[e] deine Geschichte mit Interesse gelesen", OBWOHL mir da als alter Action-Freak einfach eins, zwei komplette Glaubenskriege fehlen ... :D ... Aber gut, so sind wirs ja von dir gewöhnt! :anstoss:


Liebe Grüße!

Der Dante

 
Zuletzt bearbeitet:

Werter Proxi,

die Geschichte ist gut, weil sie zum Denken und Argumentieren herausfordert. Bei der Form gibt es nichts zu meckern. Einige Einfälle haben mich gut unterhalten. Was den Inhalt betrifft, möchte ich hie und da ein paar Worte beisteuern:

Sie selbst haben mir vorgeworfen, ich hätte Ockhams Rasiermesser zum Schneiden von Gurken und Wurst missbraucht. Ich aber sage Ihnen: SIE sind es der sich lieber zum zehnten Male das Kinn schabt, statt den Zopf abzuschneiden, über den sie unentwegt stolpern.

Stilistisches Highlight! Warum übrigens zitieren so viele Intellektuelle Ockham, ohne ihn jemals zu lesen? Ockham war Theologe. Es spricht sehr für die interdisziplinäre Offenheit Deiner Protagonisten, dass sie einen seiner Gedanken für bedeutsam halten. ;)

Einige Wissenschaftler streiten sogar trotz der industriellen Nutzung des Phänomens ab, dass es überhaupt möglich ist, wenn Sie mir den flapsigen Ausdruck erlauben, eine kalte Fusion am Laufen zu halten.

Das ist wirklich böse! Leider findet man diesen rhetorischen Kunstgriff oft: Man bastelt selbst eine Karikatur des Standpunkts der "Gegner" und zieht ihn dann durch den Kakao. Als Empiriker MÜSSEN sie die Realität zur Kenntnis nehmen. Sie könnten höchstens einwenden, dass die Beschreibung der Kalten Fusion fehlerhaft sein könnte - was in Deiner Geschichte in gewisser Weise tatsächlich der Fall ist.

Ho Xavier Propper
Der mit der Offenen Gesellschaft und so. Wir kennen ihn alle!

Sie haben doch für die Beschreibung des Prozesses den Nobelpreis für Physik erhalten
Einstein gebrauchte doch die Metapher mit der Uhr, deren Zeiger die Naturwissenschaftler beobachten, ohne den Mechanismus im Inneren jemals zu Gesicht zu bekommen. Genau so funktioniert die moderne Naturwissenschaft: Man beschreibt und prüft Hypothesen. Der Grundtenor in dieser Geschichte erinnert eher an theologische Argumentationen, wie wir später noch sehen werden.


Meine eigentliche Arbeit, die das Nobelpreiskomitee der Auszeichnung für würdig erachtete ist ein mathematischer Unentscheidbarkeitsbeweis, der sich auf gewisse Aspekte der Wahrscheinlichkeit von Fusionsprozessen bezieht.
Gödel lässt grüßen ... Was konkret ist nicht unterscheidbar?


Stimmt alles; aber trotzdem gibt es noch eine unbekannte Komponente und diejenigen die meinen Beweis zu lesen verstehen, müssten sich über den augenscheinlichen Widerspruch der mathematischen Wirklichkeit zur Dinglichen wundern.
Wenn ein mathematisches Modell Ergebnisse bringt, die so weit von der Realität abweichen wie in Deiner Geschichte, würde jeder vernünftige Mensch annehmen, dass das Modell einen wesentlichen Faktor nicht berücksichtigt.


„Es gab theoretische Annahmen, dass in meinen Formeln ein brauchbares statistisches System versteckt sein könnte, mit dem vernünftige Annäherungen möglich wären. Die Analogie stammt augenscheinlich aus der Quantenphysik. Dort haben bekanntlich Heisenberg und Schrödiger Aussagen über Impuls und Ort von Elementarteilchen statistisch in den Griff bekommen.
Das Wort "bekanntlich", das Erkennungszeichen des orthodoxen Bildungsbürgers, der Autoritäten missbraucht, um die eigene Argumentation zu stützen - anstatt selbst zu denken.


Als dies keinen Erfolg brachte, mussten sich die Experimentatoren mit dem für den Naturwissenschaftler äußerst unangenehmen Gedanken anfreunden, dass die gesuchte Ursache in der Person des den Fusionsprozess in Gang Bringenden liegen könnte.
Das ist EINE Möglichkeit, wo der fehlende Faktor zu finden sein könnte. Sheldrake sei Dank wissen wir, dass diese Überlegung nicht einmal so abwegig sein könnte. Und als echte Empiriker offenen Geistes machen wir uns sofort daran, das zu Untersuchen und basteln einen Fragebogen. :)

Wie den meisten Menschen, bei denen ein Geistesblitz einschlägt, machte auch Ho Xavier die Erfahrung, dass ein genialer Gedanke mit zeitlichem Abstand viel von seiner bestechenden Eingängigkeit einbüßen kann.
Gut beschrieben!

Unserem heutigen Wissen nach haben wir meine Beispiele als Wunder zu betrachten.
Einspruch! Für die Fälle, von denen in diesem Gespräch die Rede ist, gibt es nur keine plausible Erklärung, kein Modell das man in eine Formel packen könnte. Ein mittelalterlicher Theologe könnte so etwas von sich geben.

Natürlich ist mir bewusst, dass ein ´echtes´ Wunder der gesamten Naturwissenschaft jedwede Legitimation entzieht. Denn per definitum kann es in einem Universum, in dem sich EIN EINZIGES Wunder ereignet, keine Gewissheit im Sinne von Gesetzmäßigkeiten mehr geben.

Ein gewisser Wissenschaftspublizist sagte, dass ein einziger schwarzer Schwan die Aussage "Alle Schwäne sind weiß" widerlegen kann. Die heutige Naturwissenschaft beruht nicht auf Verifikation, sondern auf Falsifikation.


Denen kann man es doch wohl kaum verübeln, dass sie nur die Hälfte verstehen. Liegt das Problem nicht eher in der konservativen Haltung der Naturwissenschaft? Jede Generation Physiker, beispielsweise, hat nie mehr als eine umstürzlerische Theorie verdaut. Und wenn ein neues Diktum wie die Welt zu sehen sei auch noch besudelt durch die Kreuzung mit den „unexakten“ Wissenschaften austreibt, führen sich die Gralshüter der reinen Lehre auf, als hätte man sie persönlich geschändet.

Deine Protagonisten SIND verkleidete Gläubige. Sie haben nur die Theologie durch die Physik ersetzt und den Klerus durch die Physiker. Sie weisen selbst auf diesen Umstand hin, beurteilen aber die Urteilsfähigkeit der Menschen nach ihren physikalischen Kenntnissen - und nur danach. Ein wenig einseitig, nicht?


Wissen Sie, als dieser Flachkopf Weinsmeier groß verkündete, dass Gott die Sterne zu Botschaften gruppiert hat und stolz nachwies, dass sich aus einer gewissen Sternkonstellation die Botschaft ´Gott sieht Dir´ lesen lässt, hat es mich gewundert, dass die Welt nicht schallend loslachte.
Denn dass Gott die Sprache der Auschwitzschlächter spricht mag noch denkbar sein – Gott soll ja bekanntlich in allen Zungen zu sprechen vermögen – aber eine korrekte Grammatik sollte IHM schon zuzutrauen sein.
Selbstgeißelung und Reduktion komplexer Entwicklungen auf einfache Erklärungen ... Verzeih, bei dieser Stelle hat es mir die Haare aufgestellt. Die Absicht dahinter scheint mir zu sein, die Menschen herabzusetzen, um sich selbst Autorität über sie anzumaßen. Ein weiteres Merkmal einer Theologie - in ihrer schlechtesten Form.


Natürlich war es ein Leichtes für mich, mit den Institutscomputern die Sterne nach weiteren Botschaften abzusuchen. Da die Zahl der Sterne hinreichend groß ist, ergibt sich für fast jedes Wort jeder menschlichen Sprache eine Perspektive, aus der sich die Sterne zumindest angenähert zu dem jeweiligen Schriftbild fügen.
Schön formuliert. Vom Gedankengang her scheint die Absicht wieder zu sein, Andersdenkende lächerlich zu machen. Es gelingt nicht, weil die Denkweise die man ihnen unterstellt offenkundiger Unsinn ist.

Denn ein Wunder ist es schon aus dem Grunde nicht, weil JEDER Mensch, der ein Physikdiplom in der Tasche hat und an einen solitären Gott glaubt die Fusion anlaufen lassen kann.
Physik ersetzt Theologie. Wenn man diesen Zusammenhang zweifelsfrei feststellen könnte, was würde daraus folgen?


Eigentlich gehört diese Story mehr in den Bereich „Philosophie“, aber da dort hauptsächlich hohlköpfige Nabelschau betrieben wird (ja, ich bin sauer, dass meine dorthin verschobene Story nicht EINEN Kommentar bekommen hat, zumal, bei aller Bescheidenheit, die Thematik ein echtes philosophisches Problem (Dilemma von Erkenntnis vs. Kapazität) darstellt, was man von den meisten anderen Texten dort nicht mal bei erheblichem Wohlwollen behaupten kann) , bleibe ich (verkannt, schluchz) bei meinem SF-Stigmata.
Die Geschichte ist wirklich gut und philosophisch, obwohl die Überlegungen Deiner Protagonisten nicht gerade von einem hoch entwickelten wissenschaftlichen Denken zeugen. Lem würde sie sicher gut finden, wie er auch das Märchen vom des Kaisers neuen Kleidern gut finden würde. Bei Heisenberg glaube ich das weniger, von Bohr ganz zu schweigen. Von Vertretern anderer Denkrichtungen wie Heidegger oder Adorno will ich gar nicht reden.

Soweit nur meine Meinung.

Freundliche Grüße,

Fritz

 

@ Magranam

Lediglich folgender Teil ist meiner Meinung nach etwas mißraten:
Ursprünglich hatte ich 2 Seiten Beschreibung von Ansätzen zur kalten Fusion. In einem Anflug vonVernunft habe ich das rausgeschmissen und nun meckerst Du auch noch über den kläglichen Rest (*augenzwincker*)
Denn weder das Sternenpalimsept noch das Olbertsche Paradoxon konnte ich finden. Dafür weiß ich jetzt, was ein Palimpsest ist und worum es im Olbers'schen Paradoxon geht
Tja, hast Du wenigstens was gelernt (*grummel, hast recht, grummel*)
weil ich ein fundamentaler Atheist
bin wat is´n dat?
Ich hätte auch ein Problem damit, wenn du behauptet hättest, nur Leute mit Gen X statt Gen Y können die Fusion in Gang bringen.
Da sage nicht ich, sondern Ho Xavier vermutet es.
Was ist mit Polytheisten, Henotheisten, Monolatrikern, Atheisten, Agnostikern, Deisten, Pantheisten, Pandeisten, Panentheisten, Theokratisten und Kosmotheisten? Was ist mit Buddhisten und Wicca-Anhängern und U-Boot-Christen? Wurden die alle getestet? Und hatten alle ein Physikdiplom?
Wenn Sie Monotheisten sind, ja. Auch Letzteres: Ja.
Und was ist mit gläubigen Nichtphysikern?
Nix.
Oder reicht das Diplom?
Ja, komisch, oder?
Was ist mit einem Diplom, das erschummelt wurde, etwa durch einen Ghostwriter.
Das ist Betrug und von allen Religionen verboten. Also kann es nicht funktionieren, denn wahrer Glaube verbietet schummeln...
Kann der Fusionsinitiator auch weiter weg sein?
Nein, weiss auch nicht warum. Der “heilige” Knopf muss gedrükt werden.
Ungläubiger den Schalter umlegt?
Wenn der Gläubige den Knopf drückt: Fusion...
Und so sehr mir die Hitliste der Religionen gefällt, so habe ich doch auch Probleme zu glauben, daß Religion etwas in unserem Erbgut auslöst. Denn das hieße ja, daß Religion zu einem gewissen Grad 'erblich' ist.
Ich finde es auch ekelhaft, aber es spricht (biologisch) gegenwärtig nichts dagegen.
bei dir gibt es keine Wahrscheinlichkeiten
Damit ist der Prof. Auch nicht gerade glücklich.
Das Wort "depüren" scheint's ja wirklich zu geben, obwohl ich nur 4 (vier) deutschsprachige Treffer dazu in Google finde.
Da habe ich jetzt auch was gelernt (*augenzwinker*)
Abschließend folgendes: Alle Deine Fragen sind zwar berechtigt, aber die Antwort darauf muss der Text mAn. nicht unbedingt enthalten, solange nicht gegen die Naturgesetze (heutigen Wissens) verstoßen wird. Auch wenn es unserem Gefühl widerspricht, sind die beschriebenen Dinge alle MÖGLICH.

@ jobär

Außerdem geht Philosophie den Dingen wirklich auf den Grund und nimmt im Idealfall nichts als gegeben.
Doch, Grundannahmen macht auch und gerade die Philosophie und das sie Dingen auf den Grund geht, dachte man zuletzt vor der Aufklärung.
Es ist einfacher in SciFi eine Geschichte zu schreiben, die so etwas zum Thema hat, weil man mal eben sämtliche Grundannahmen verwerfen und behaupten kann, daß Gottglauben für kalte Fusion notwendig ist.
Wenn die Story dies tatsächlich täte, wäre sie üblicher SF-Schrott. Hier gibt es lediglich einige Verknüpfungen von Tatsachen, die als Gottexistenz interpretierbar sind.

@ patosch

Zunächst würde ich bestreiten, dass sich Wunder auf der einen Seite und eine gesetzmäßig strukturierte Welt auf der anderen gegenseitig ausschließen.
Das hat auch niemand behauptet. Aber Wissenschaft hört im Moment eines einzigen Wunders in dem Sinne auf zu existieren, als keine Aussagen über die Wiederholbarkeit von Prozessen (und was anderes sind Naturgesetze nicht) mehr getroffen werden können.

Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen den Naturgesetzen an sich und den Gesetzen, von denen wir annehmen, dass sie Naturgesetze sind.
Ja und Nein. Einige wenige Naturgesetze sind wohl letztendgültig erkannt (frag Uwe).

Ich denke nicht, dass ein Gottesbeweis (wenn deine Geschichte so gemeint ist) widerlegen würde, dass die Welt Gesetzmäßigkeiten folgt, es würde nur offenbar, dass sie anderen Gesetzen folgt.
Aber im Prinzip ist die Existenz eines intentionalen Wesens nicht mit der Gesetzmäßigkeit eines homogenen Kosmos vereinbar.

Was mir an der Geschichte gefallen hat, war, wie gezeigt wurde, dass eine kleine Entdeckung unser ganzes Weltbild auf den Kopf stellen könnte, das fand ich interessant.
Man denke an Kopernikus, Einstein, Pasteur, etc.
Die Sache mit den Monotheisten ist politisch nicht ganz korrekt,
Politische Korrektheit ist die Geistesschwäche selbstständig denkender Wesen.
trifft aber den Nagel auf den Kopf, weil so etwas für unser säkulares Weltverständnis der absolute Supergau wäre Glaube ich nicht.
Selbst wenn Gott “leibhaftig” sich offenbaren würde, gäbe es noch genug Zweifler (mich, zum Beispiel), weil die Existenz eines solchen Wesens so viele innerte Widersprüche hat, dass der Kosmos ohne ihn besser dastünde.

@ Uwe

Weswegen heißt dieser Professor eigentlich so ähnlich wie ich?
Weil der Andere (der so ein bisschen wie Proxi klingt) einen ebenbürtigen Gegner braucht, den er zerlegen kann (*g*)
Demzufolge praktisch ohne Dramatik oder Spannung, aber darum geht es ja auch nicht.
Na endlich hast Du es aufgegeben von mir eine Handlung zu fordern (*g*)

Mich hätten die gesellschaftlichen Konsequenzen etwas mehr interessiert als die philosophische Betrachtungsweise.
Mich auch (seufz), aber ich bin ja schon so viel zu lang geraten.
Wer das beobachtete Geschehen für unmöglich hält, verfolgt die Debatte mit gewissem Desinteresse.
Das interessiert mich doch nicht.

In diesem Sinne - gehe ich mal meinen Fusionsreaktor
zünden Da kommt doch bloss heiße Luft (*g*)

@Naut

Zunächst mal hat mir die Idee der Geschichte sehr gefallen.
Das wir unser Zeug gegenseitig mögen ist ja was ganz Neues.
Es gibt ja eine Reihe weiterer, eher randständiger Erklärungen, z.B. Sheldrakes morphogenetische/morphische Feldtheorie, der ganze Tesla-Kram, Numerologie, computing universe, ID, usw.
Ich gebe Dir allgelegentlich mal die Adresse von Ho Xavier. Dann könnt Ihr darüber diskutieren. (*zwinker*)

@omno

Symbolalarm: Der heilige Gral der Physik
So habe ich das noch gar nicht gesehen. Gefällt mir, weil es trifft.
Der Glaube daran, dass alles rational erklärbar ist (Wissenschaft) und der Glaube daran, dass nicht alles rational erklärbar ist (Religion).
Gut gesagt. Noch ein interessanter Punkt. Auch der Wissenschaftler muss letztendlich an ein homogenes Weltall GLAUBEN.

@ Mega

Du lernst es einfach nicht, oder?
Nein, gib auf!
Das Offenbarungsthema wäre aus meiner Sicht bestenfalls als Grundproblem einer Fantasygeschichte gut,
Ieeeehhhhh, nimm es weg, nimm es weg.
Aber gleichzeitig entging mir auch nicht die Ironie, die in der Konstruktion steckt.
Hinterfotzig, oder?
Und endlich haben die mal wirklich was zu melden in der Welt.
Schön wäre es....
Da fragte ich mich: Ging es dir um die Frage, was wäre, wenn Gott sich offenbaren würde?
Die Frage lautet: wie verarbeiten Menschen Dinge, die zumindest stark auf die Existenz eines Gottes hinweisen.
Neuer Gedanke: Was für Konsequenzen ergäben sich daraus, wenn die Religion plötzlich etwas empirisch Beweisbares würde?
Gute Frage.
Die Trennung von Wissenschaft und Religion aufzuheben würde ja nicht nur bedeuten, dass die Wissenschaft ein völlig neues Selbstverständnis aufbauen müsste.
Sofern ER sich, wie beschrieben, verhalten würde, wären die Probleme zumindest handhabbar.
Verlöre die Religion dann nicht ihre ganze Transzendenz?
Weitere gute Frage.
Religion als Produktionsmittel, das den ökonomischen Zwängen untergeordnet werden kann?
Witzig, oder? Das fiel mir erst beim Schreiben auf.
Die Kraftwerke verlangen von ihren muslimischen Technikern, zum Judentum überzutreten, um die Ausbeute zu maximieren, weil sie sich sonst nicht am Markt halten könnten?
Das würde nicht funktionieren, weil der Glaube nicht echt wäre.
Oder hoffen sie auf persönliche Vorteile?
Genau genommen tun dies heute schon viele.
Übrigens, durch diese Kritik bist Du in meinen Augen ein ganz anderer geworden. Bisher war ich eher auf eine Korrekturliste (wofür ich durchaus dankbar bin) eingestellt, aber als ernsthaften Kritiker habe ich Dich bisher nicht wahr genommen.

Proxi

PS: Die auesserst interessante Kritik von Berg lasse ich mal unbeantwortet, weil die (mAN) so gut und durchdacht ist (auch wenn ich nicht mit allem uebereinstimme), dass ein Kommentar dazu sie nur unnoetig zerreden wuerde. Sie steht fuer sich selbst und ich fuehle mich dadurch geehrt.
PS: Danke an alle. Die wirklich interessanten und guten Kritiken bestätigen mir, dass auch abseitige Texte hier gut aufgehoben sind.

 

Übrigens, durch diese Kritik bist Du in meinen Augen ein ganz anderer geworden. Bisher war ich eher auf eine Korrekturliste (wofür ich durchaus dankbar bin) eingestellt, aber als ernsthaften Kritiker habe ich Dich bisher nicht wahr genommen.

Äääh ... eigentlich schreibe ich immer erst einen inhaltlichen Kritikteil. Dann muss ich in Zukunft einfach die Korrekturliste weglassen, damit du den auch wahrnimmst? :D

 

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