Mitglied
- Beitritt
- 09.11.2015
- Beiträge
- 21
- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 9
Station to Station - 1982 - Vom Bier zum Wein zum Bier
1982 – Wie ich vom Bier zum Wein und dann zum Bier kam.
Anfang März beschloss ich, eine Weinsammlung zu beginnen. Mit Wein ist ein besonderes Lebensgefühl verbunden, sagte meine innere Stimme. Man gehört zur gehobenen Gesellschaftsschicht, empfand mein Ego. Zweites ist totaler Quatsch. Jedenfalls rückblickend.
Mein Plan war so genial wie einfach: Einen Keller hatten wir im Haus. Der musste nur noch mit Weinregalen und ansprechender Dekoration ausgestattet werden. Oder doch vorher ein paar Flaschen edler Tropfen? Ich entschied mich für die Flaschen, weil billiger. Die Sparsamkeit hatte einen Grund: Rosi war seit einem Jahr mit mir verheiratet, unser kleiner Sohn Christian benötigte ihre ganze Aufmerksamkeit. Deshalb musste ich - zumindest finanziell - alleine für uns drei sorgen. Das Geld war immer knapp, denn ich verdiente nicht besonders viel.
Also zuerst einen Blick in die Geldbörse: Puh, knapp fünfzehn Mark. Das würde nicht reichen. Mein Blick schweifte zum rosa Sparschwein auf dem Küchenschrank. Unser Notgroschen. Rosi war mit dem kleinen Christian spazieren. Die Gelegenheit also günstig. Mit halbwegs schlechtem Gewissen nahm ich 45 Mark raus. Vier blieben als eiserne Reserve drin. Für eventuellen Zigarettennotstand.
Flugs stieg ich ins Auto und brauste zum Supermarkt um die Ecke, schnappte einen Einkaufswagen und schlängelte mich durch die schmalen Gänge zur Getränkeabteilung. Hunderte Flaschen ließen mein Weinkennerherz höher schlagen. Und so schön sortiert waren sie. Ganz oben standen edel aussehende Rotweine mit verführerisch aussehenden Namen. „Chateau de’ was weiß ich“, „Gran Cru, was auch immer“. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Schade, leider passten diese Tropfen nicht zu meinem Budget. Zumal mir einfiel, dass ich dringend tanken musste. Erst vorige Woche hatte ich auf dem Weg zur Arbeit trocken gefahren.
Schweren Herzens fiel mein Blick auf die Flaschen in Griffhöhe. Die hießen so ähnlich, kosteten aber einiges weniger. Für 2,99 gab es optisch ansprechende Weine. Also füllte ich den Einkaufswagen mit je einem Franzosen, einem Spanier und einem Italiener. Man will ja vielseitig sein. Gerade als ich mich den deutschen Anbaugebieten zuwandte, kam mein ehemaliger Klassenkamerad Klaus um die Ecke. Er hatte hier im Supermarkt seine Lehre gemacht, war nun gelernter Verkäufer und zuständig für die Weinabteilung.
„Hallo Christoph, was machst du denn hier?“ Verwundert blickte er in meinen Einkaufswagen. Etwas verlegen stammelte ich: „Na ja, ich will es mal mit Wein probieren. Immer nur Bier... Du weißt schon.“
Er wusste nicht. Trotzdem holte er mit aufgesetzter Kennermiene einen Rotwein aus dem oberen Regal. Liebevoll wischte Klaus mit seinem Kittel-Ärmel eine feine Staubschicht von der Flasche.
„Hier, den kann ich dir wirklich empfehlen.“ Ein Franzose, irgendwas mit „Chateauneuf-du-Pape AOC“. Ich blinzelte auf das Preisetikett. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nur fünf Mark und 90 Pfennig. Die konnte ich einpacken.
Klaus brillierte dann noch fast zehn Minuten mit seinen Fachkenntnissen. Eine Flasche nach der anderen zog er aus dem –natürlich- oberen Regal. Mit Kennermiene beschrieb er die unterschiedlichen Rebsorten; pries hier den harmonischen Geschmack, lobte da den fruchtigen Charakter und beschrieb von jenem den blumigen Abgang. Ich war froh, als er selbigen machte, da er über Lautsprecher zur Kasse gerufen wurde. Eingebildeter Schnösel.
Meine Sammlung war noch nicht vollständig. Etwas Deutsches musste her. Und die Zeit drängte. Wenn Rosi das mit dem Sparschwein... Wahllos packte ich zwei Flaschen Krötenbrunnen, Piesporter Michelsberg und - weil es so schön ordinär klang - Kröver Nacktarsch ein. Alle in der Preisklasse zwischen zwei und drei Mark. Als Draufgabe raffte ich noch zwei Flaschen Glühwein zum Sonderpreis von 99 Pfennig aus der Ramschkiste.
An den Kassen herrschte Hochbetrieb. In drei langen Schlangen standen die Leute. Hinter mir, vor mir und neben mir lauter Nachbarn und Bekannte.
An meiner Kasse saß - Klaus. Als ich die Flaschen aufs Band stellte, runzelte er missbilligend die Stirn. Sein Gesicht hellte sich erst auf, als ich den empfohlenen Chateauneuf dazustellte.
Da erst sah ich es: Das Preisetikett zeigte stolze 35,90 und nicht fünf Mark neunzig. Kalter Schweiß brach mir aus allen Poren. Fieberhaft versuchte ich schneller zu rechnen als Klaus in die Kasse eintippte. Niemals würde mein Geld reichen.
„Achtundfuffzich-achtzig!“
Frustriert kippte ich den Inhalt meines Portemonnaies in die Kleingeldmulde. Aufstöhnend zählte Klaus die einzelnen Münzen. Scheine waren nicht dabei.
„Haste das Sparschwein geschlachtet?“ Nachbar Kalli hinter mir grinste hämisch.
„Es fehlt noch eine Mark zwanzig", sagte Klaus und sah mich auffordernd an. Jetzt wurde ich doch ein wenig verlegen. Die anderen Kunden in der Schlange wurden schon unruhig.
Zum Glück half mir Kalli mit fünf Mark aus der Patsche. Ich versprach ihm, das Geld noch am gleichen Tag vorbeizubringen. Außerdem bot ich an, ihn mit nach Hause zu nehmen, denn er hatte kein Auto.
Mit zwei Plastiktüten voller Wein, Kalli auf dem Beifahrersitz und den Kopf voller kruder Ideen, wie ich die fünf Mark heute noch zurückzahlen könne, blieb mein Auto mitten auf der Kreuzung stehen. Das Hupkonzert gellt mir heute noch in den Ohren.
Nachdem Kalli und ich die Gemüter beruhigt, dann das Auto beiseite geschoben hatten, ging mein Nachbar zu Fuß nach Hause. Ich marschierte mit einem Ersatzkanister und drei Mark fünfzig zur Tankstelle am anderen Ende der Stadt.
Spät kam ich zuhause an. Rosi und Christian waren längst da. Natürlich hatte Kalli ihnen bereits von meinem Missgeschick erzählt. Selbstredend vergaß er nicht, das geliehene Geld zu erwähnen. Rosis Blick, als ich ins Haus kam: Bis heute unvergessen. Beeindruckend, wie sie seelenruhig eine Flasche Wein aus meiner Tüte nahm und diese plötzlich klirrend an der Wand zerbrach. Das war einer italienischen Tragödie würdig. Wenn es nicht ausgerechnet der Chateauneuf gewesen wäre.
Aber wir waren jung und feierten die Versöhnung noch am gleichen Abend. Natürlich mit einer Flasche Wein: Krötenbrunnen. Ich fand allerdings, dass er nicht sonderlich schmeckte – irgendwie sauer. Bin wohl doch eher der Bier-Typ.
Das Thema Weinkeller wurde schließlich reumütig ad acta gelegt. Die restlichen Flaschen brachte ich runter in den Keller und stapelte sie zwischen altem Gerümpel, wo sie wahrscheinlich noch heute in aller Ruhe reifen. Der Glühwein wanderte in den Kühlschrank. Und Rosi hatte - als vorausschauendes Wesen - sogar noch etwas Geld beiseite gelegt: Sie kannte mich wohl zu gut. Ich konnte somit ohne Gesichtsverlust am gleichen Abend die Schulden bei Kalli begleichen.
Den Weingenuss habe ich allerdings drangegeben und trinke seither nur noch Bier.