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Starlook
Thomas Starlook hielt sich mit seiner rechten Hand am Tisch fest. Sein Puls raste. Die Fenster neben ihm zerbarsten im selben Augenblick in tausende Splitter, wirbelten umher und schossen durch die Halle wie Kugeln aus einer Feuerwaffe. Zu seiner Rechten hatte ein Stapel Bücher gestanden, welcher jedoch in sich zusammenstürzte. Er keuchte und keuchte.
»Hilfe!«, rief Thomas laut. Niemand antwortete ihm. »Hilfe!« Mit etlichen Schweißperlen auf der Stirn widmete er sich den zerborstenen Fenstern und blickte danach auf die Stadt New Jersey.
Die vielen Wolkenkratzer zerbröckelten. Fassaden rissen ab, Gemäuer lösten sich aus tiefen Furchen und Spalten. Menschen stürzten aus weggerissenen Etagen, fielen und schlugen auf den Betonboden. Er keuchte noch immer, der Mann keuchte noch immer. Auf seinen Augen spiegelten sich die vielen fallenden und schreienden Menschen. Ein Angriff hatte begonnen…
Die gewaltigen grauen Wolken beherbergten Grässliches: große Raumschiffe hatten sich in diesen verborgen, welche kleine Flugobjekte entsandten, welche ihre Waffen auf die Menschheit richteten. Drei dieser Raumschiffe rasten, welche eine sphäroidische Form besaßen, auf New Jersey zu, bis sie sich kurz vor einem Aufprall schmetterlingsgleich entfalteten. Grauorangene Flügel, welche einen beunruhigenden blauen Schimmer beinhalteten, ließen die Raumschiffe über der Erde schweben. Mit bedrohlicher Eleganz zischten sie über die amerikanische Stadt, schossen mit ihren Waffen auf die Bauten New Jersey's. Der entstandene Ton glich keinem Geräusch, welchem man auf dem Planeten Erde hätte lauschen können.
Ein Wolkenkratzer stürzte in sich zusammen. Nun zersprangen auch die letzten Fensterscheiben des Gebäudes, sodass die entstandenen Splitter eine neue Gefahr darstellen sollten. Zugleich wirbelten die letzten Menschen aus dem Hochhaus dem Abgrund entgegen und sollten für immer verstummen. Die große Schuttwolke verdeckte zugleich die Sicht so vieler, welche wild und panisch vor der Bedrohung Schutz zu finden versuchten. Etliche wurden von dem Schutt des Wolkenkratzers begraben. Die Schreie waren entsetzlich.
Thomas packte die nicht enden wollende Panik: Ein Raumschiff tauchte rauschend vor ihm auf und zwei grelle Lichter leuchteten ihm entgegen. Sein ganzer Körper begann zu zittern und Schweiß trat aus allen seiner Hautöffnungen. Auch hatte sich seine blaue Jeans im Schritt dunkel gefärbt. Jegliche Hoffnung war ihm fremd geworden, doch hatte er diese so oder so nicht kennenlernen wollen, denn er hatte schon mit seinem Tod gerechnet. Seine Lippen wippten auf und ab, kalte Tränen drückten sich aus seinen Augen, Rotze lief aus seiner geröteten Nase. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben, sowie die Angst und die Panik. Er krümmte seinen Hals, wollte in sich zusammensacken, doch etwas wehrte sich in ihm. Eine fremdartige Sirene ertönte. Thomas schloss seine braunen Augen.
Plötzlich schoss er zehn Meter hinter sich, schlug auf den Boden der Halle, krümmte sich vor Schmerzen und riss seine Augen weit auf. Bloß hatte er verzerrte Bilder vor sich. Etwas hatte eine Explosion verursacht.
Das US-Amerikanische Militär war eingetroffen. Strike Eagles schossen ihre Raketen und zerschlugen die weltfremden Raumschiffe. Schnell wie diese Kampfjets waren, sausten sie in Windeseile über New Jersey hinweg, doch hatte sich der Überraschungseffekt schnell verflüchtigt. Die großen Schiffe, welche sich in den grauen gewaltigen Wolken versteckt hielten, sendeten zugleich hunderte von Flugobjekten aus und diese rasten auf die Erde zu.
Tausend Schüsse fielen und zerschossen etliche Strike Eagles. Noch während ihres Fluges gingen sie in Flammen auf und stürzten lichterloh auf die Straßen der Stadt.
Die Einwohner dieser Stadt hatten die Hoffnung auf Rettung verloren, kämpften panisch gegen den Tod ihres Selbst an, indem sie den großen Flammen und den in sich zusammenstürzenden Bauten auswichen, indem sie über eingerissene Betonwände sprangen und den gegenwärtigen Schmerz ertrugen. Zugleich flogen die kleinen Raumschiffe über die Köpfe der Amerikaner und Europäer, Asiaten und Afrikaner hinweg. Wieder erfüllten tausend Schüsse die Szenerie, und zugleich fielen tausend Menschen zu Boden, durchlöchert von den Waffen der Eindringlinge.
Thomas Starlook richtete sich mit unerträglichen Schmerzen auf, humpelte, taumelte und versuchte sich auf seinen Beinen zu halten. Manchmal huschte noch so manches Flugzeug des US-Amerikanischen Militärs an der zerstörten Wolkenkratzerwand vorrüber. Der Kampf, der sich vor ihm bot, war ein unerfreuliches und zerstörerisches Spektakel. Noch nie hatte sich solch ein Angriff ereignet.
»Aliens…« Thomas hätte noch weitaus mehr Worte sagen wollen, doch hatte er die Kraft zum Sprechen nicht aufbringen können. Etliche Explosionen, ohrenbetäubende Aufschläge von Metall auf Beton, Beton auf Beton oder Metall auf Metall, hatten den Menschen der Position einer einzigartigen Macht beraubt und untergruben ihn mit Pein und Schwäche. Schwäche, die ein Mensch nicht verspüren will oder miterleben möchte.
Er wand sich ab und ging so schnell wie er nur konnte auf eine Türe zu. Diese war aus einfachem Holz gefertigt. Mit zitternder rechter Hand stieß er die Türe auf und gelang in einen Flur, welcher mit grünen Fliesen und weißer Tapete versehen war. Keuchend und humpelnd entfloh Thomas Starlook der Gefahr und verstand so langsam, dass wahrscheinlich sein linker Fuß gebrochen war. Er spürte, wie sich der Knochen gegen seine Haut drückte. Ebenso war ein Blutgerinnsel unaufhaltsam im Gange.
»Nein. Nein. Nein.« Er sagte sich dieses Wort immer und immer wieder, hatte nicht vor zu sterben. Doch auch wenn Tod und Leben entscheidende Zustände für einen Menschen sind, so bleibt jedoch immer das Dilemma, dass das eine das andere früher oder später einholt. Ein Mensch wird geboren, lebt und am Ende stirbt er.
Plötzlich wurde sein Name gerufen: »Thomas!?«
Er wand seinen Kopf. »Clarice!?« Sein Keuchen war vergangen, doch stockte ihm nun der Atem. Er hatte mit niemand anderem gerechnet. Schon seit Monaten stand das Newport Office Center VII zum Verkauf. Er hätte regelmäßig die Räume auf Schäden geprüft.
»Clarice«, sprach er leidend, als er die Frau mit seinem Blick erhaschte. Sie trug ein bordeauxrotes Kostüm, welches ihrem schwarzen Haar schmeichelte. Doch waren ihre Beine unter einem schweren Stahlträger zerquetscht worden. Mit ihrem Kopf lag sie auf dem Boden und noch immer hatte ein Lächeln ihre Lippen geziert. Langsam und geschockt ging er auf sie zu, versuchte seine Arme nach ihr auszustrecken, was ihm jedoch misslang. »Du hättest nicht kommen sollen. Du hättest gehen sollen. Hätte deinen Flug genommen, so wie ich es dir gesagt habe.«
Ihre Augen funkelten. »Das hätte ich machen sollen.« Stille trat nun zwischen sie, und die Leere, die unendliche Leere. »Ich liebe dich doch, Thomas. Wie hätte ich dich da verlassen können?« Auf diese Frage hatte er keine Antwort.
Schnell wechselte er das Thema, auch wenn er heftige Schmerzen verspürte und Clarice wohl noch heftigere. »Die Erde wird angegriffen. Ich … hätte es nicht für möglich gehalten.« Zärtlich streichelte er ihr über das schwarze und glänzende Haar. Zugleich löste sich sein Blick von ihrem Gesicht und schaute auf ihren Rumpf. Blut und Fleisch hatte sich unter dem Stahlträger gesammelt wie Wasser in einer Regentonne.
Rasend schnell rannen Tränen aus seinen brennenden Augen und ebenso roch er nach Angst und Pisse. »Hörst du es, Clarice?« Sein Blick ging einmal durch den gesamten Raum, als wollte er etwas suchen, was nicht vorhanden war. »Die sind da draußen. Tausend Schüsse, tausend Explosionen, tausend Menschen.« Thomas und Clarice lauschten dem Gefecht. Die Geräusche der fremden Raumschiffe hatte man am besten hören können, wie auch jene der Strike Eagles, welche schnell und noch viel schneller umher rasten und ihre Raketen abfeuerten.
»Ich schenkte dir zu deinem letzten Geburtstag ein Buch, Thomas«, sagte Clarice mit ihrer zerbrechlichen und schwachen Frauenstimme. Ihr zuvor ausgestoßener Ruf „Thomas“ hätte demnach auch nicht von ihr stammen müssen. »Du liest viel.«
»Wahrscheinlich war dein Buch das letzte, dass ich je lesen werde.« Seine Stimme wurde ebenso zerbrechlich wie ihre. Schlotternd und voller Trauer heulte er, ohne auch nur einen Ton zu verursachen.
Mit traurigen Augen blickte er in ihr Gesicht, aus welchem das Leben wich. Ihre Pupillen weiteten sich.
Thomas Starlook legte seinen Kopf auf ihre Brust, bis die Wände um ihn aufrissen und er mit ihr in die Tiefe stürzte.